19.09.2023

Unterwegs.

Wer etwas will, der findet Wege. Wer etwas nicht will, der findet Gründe.

Ich liege auf der Couch und schaue in den Himmel. Der Himmel ist dunkel. Es stürmt. Bald wird es regnen. Die Kissen lassen mich tiefer sinken, es ist bequem und es ist warm, ausserdem fängt sowieso gleich der Aquakurs an, der den Pool voll in Beschlag nimmt, und etwas herumspaziert bin ich ja auch.

Um es kurz zu sagen: wer will schon zum Schwimmen. Ich jedenfalls nicht.
Wer etwas nicht will, der findet Gründe, und davon sind mir gerade einige eingefallen.

Wer etwas will, der findet Wege: ich packe die Mickey Mouse-Regenjacke ein. Ich schaue auf die Uhr: ich kann locker vor dem Aquakurs meine Bahnen ziehen. Ich bestelle mir zur Motivation (idiotischerweise) ein Sammeltaxi, dass bereits in zwei Minuten an einem virtuellen Standort in einiger Entfernung wartet und ich gezwungen bin, sofort die Couch und die Wohnung zu verlassen. Das Sammeltaxi hält an einem vom Ziel weit entfernten virtuellen Standort wieder an, ich hätte gleich zu Fuss zum Schwimmen stiefeln können.

Immerhin bin ich jetzt im Becken. Und nun fällt mir auch wieder ein, was ich denn will: mich bewegen, um weiterhin gesund bleiben.

15.09.2023

Im Krankenhaus.

Um 3.00h nachts wache ich auf. Der Wecker wird erst um 5.15h klingeln, ich liege wach und denke nach. Ich denke nicht daran, dass mich um 6.15h das Taxi fürs Krankenhaus abholen wird, ich denke über Themen von der Arbeit nach. Vor Untersuchungen bin ich nicht ängstlich. Sollte tatsächlich etwas sein, langt es, sich dann damit auseinanderzusetzen.

Ich steige ins Taxi und schaue aus dem Fenster. Die Dunkelheit wird von Lichtern anderer Autos unterbrochen, hier und da leuchten die ersten Fenster auf, über der Alster färbt sich der Himmel rot. Silhuettenromantik.

Um 6.25h fülle ich am Standort 1 Formulare aus, um 6.45h bin ich auf dem Weg in die Radiologie des Krankenhauses. Die Flure sind leer. Alles ist ruhig. Meine Venen wären kaum sichtbar, beschwert sich die unfreundliche Mitarbeiterin, und husten dürfe ich auch nicht während des MRTs. Sie legt mir einen Zugang, ich bin jetzt schon etwas genervt. Und flacher atmen möge ich auch, das verwackele sonst alles. Am liebsten wäre ihr es, wenn ich für die nächsten 20 Minuten tot wäre (das sagt sie aber nicht, und ich auch nicht).

Um 7.45h bin ich bereits am Hauptstandort des radiologischen Zentrums angekommen und nehme im dritten Wartezimmer an diesem Morgen Platz. Ich atme tief ein und aus. Fünf Minuten vor dem Termin mit der Ärztin werde ich tatsächlich doch noch nervös. Es wird nichts sein, sage ich mir. Es wird nichts sein.

Die Ärztin guckt gutgelaunt ins Wartezimmer, ich möge mal kurz mitkommen, und da ist mir das Resultat schon klar: alles ist gut.

früh morgens im Krankenhaus ist es noch leer.

Logbuch Disneyland – Tag 5


Das Kind kotzt, sage ich hilflos zu der Verwandtschaft, die um 22.30h im Pyjama vor die Haustür guckt, und deute auf das Häufchen Elend, das, den Kopf in der Tüte, gekrümmt in der Hecke liegt. Es wird gerettet.

Statt eines Donnerwetters – und mir ist es unangenehm, das Kind in einem derart desolaten Zustand nach Hause zu bringen – nimmt es die Verwandtschaft gelassen; sie kennen ihr Kind. Natürlich tut es uns ziemlich leid.

Das Kind sass bereits am Gare de l’Est stumm, bewegungslos und mit geschlossenen Augen auf der Wartebank. 5,5 Stunden im TGV verliefen ebenso, ich ernte böse Blicke der Mitreisenden, die vermutlich denken, dass ich eine Rabenmutter bin. Bis auf Wasser hat es alles ausgeschlagen und will auch nicht angesprochen werden.
Ich hole mein Buch aus dem Rucksack und lese. Was bleibt mir anderes übrig.

Beim späten Abendbrot fängt es wieder an zu essen und zu sprechen. Und am nächsten Tag, dem Tag meiner Abreise, will es sogar schon wieder mit mir verreisen, Asien täte ihm gefallen…

Im nächsten Jahr ist erstmal die Schwester für den Urlaub mit der Tante an der Reihe, die sei auch robuster, meint die Verwandtschaft. Sie fahre überall mit mir hin, sagt der Zwilling, und ich freue mich schon auf einen Mädelsurlaub.

Dann gucken wir zusammen die Disneyfotos an, und der Urlaub erhält vom kotzenden Kind 10 von 10 Punkten. Die Anreise -1 von 10. Das kann ich ihm auch nicht verübeln. In ein paar Jahren können wir da hoffentlich drüber lachen.

Logbuch Disneyland – Tag 4


Entgegen der Vermutung der Verwandtschaft, fahren wir heute nicht nach Paris (die komplizierte Anfahrt hat uns gelangt), wir legen einen Trödeltag ein. Wir liegen lesend auf dem Steg am See, essen Eis (ich) und trinken Icetea (das Kind), schwimmen im Pool, bewundern die Lightshow in der Lobby und freuen uns auf unser Abendessen. Heute werde ich zum Buffet eingeladen.

Logbuch Disneyland – Tag 3

Wir starten heute mit den Disney Studios, die wir genauso schnell wieder verlassen wie wir hineingegangen sind. Loopingbahnen habe ich verboten (Warnhinweise für Reisekranke (Kind) und Bluthochdruckler (ich) reduzieren die Diskussionen.

Wir gehen rüber ins Disneyland und stellen uns wieder bei den Pirates of the Caribbean an, die wir am besten fanden. Ich möchte auch nochmal in die Boote, die durch die „small world“ gleiten, zwei weitere Zugfahrten, ein Ocean Cruise durchs Frontierland, Paraden, ein riesiger Drache in der Höhle des Cinderella-Schlosses, Hotdogs (für mich die vegetarische Variante) und Pommes runden den Tag ab. Wir holen uns leckere Sandwiche und Salat fürs Dinner und ruhen uns etwas aus (das war mein Plan, das Kind ist zu aufgeregt), denn um 21.30h werden wir wieder ins Disneyland shuttlen, da um 23.00h das Feuerwerk über dem Cinderella-Schloss startet. Und das ist wirklich schön.

Logbuch Disneyland – Tag 2

Nach 11 Stunden Schlaf sind wir wieder fit, heute geht es mit dem Shuttlebus – der wieder fährt – ins Disneyland. Wir haben eine Liste gemacht, was wir uns ansehen möchten und die wir bereits nach 5 Minuten über Bord werfen. Wir beschliessen, uns das anzuschauen, was uns über den Weg läuft und uns anlacht.

Flexibel sein können wir, und dank dessen erleben wir so viele schöne und aufregende Dinge, die wir sonst nicht gesehen hätten. Nach der abendlichen Disneyparade und 15.213 Schritten geht es zurück ins Hotel.

Der Tag erhält von uns 10 von 10 möglichen Punkten.

Logbuch Disneyland – Tag 1


Die rundlichen, dunkelhäutigen Frauen haben Blumen im glänzend schwarzen Haar, tragen bunte lange Kleider und viel Schmuck. Sie muten an wie die Frauen auf Gauguins Gemälde aus Tahiti, mit dem kleinen Unterschied, dass diese Reisegruppe, die im RER A unterwegs ist, singt. Es klingt wunderschön, die Frauen sind wunderschön, sie lachen und singen und lassen mich den Horrortrip nach Marne la Vallée Chessy kurzzeitig vergessen.

Zusammengefasst:
Start um 5.20h im Dunkeln an der Bushaltestelle in Pasing (der Bus kommt nicht, wir wandern vollgepackt zum Marienplatz um ein Taxi zu nehmen. 5,5 Stunden ab Hauptbahnhof nach Paris Est im TGV (dem Kind ist schlecht, es übergibt sich, spricht und isst nix, und ich bin ratlos), weiter mit der Metro 4 nach Les Halles (dem Kind geht‘s besser), dann mit dem RER A bis nach Nation, Schienenersatzverkehr mit Linie 1 bis St Vincennes, dann den Bus bis Val Fontenay, dort in den RER A bis Marne La Vallée, und dann sollte es mit dem Shuttlebus ab Bussteig Q ins Hotel gehen.

Geht es nicht. Der gesamte Busbahnhof am Disneyland ist weiträumig gesperrt, ebenso der Taxenstand. Polizisten mit Maschinengewehren patroullieren. Ein herrenloser Koffer ist der Auslöser; wir stehen zwischen Tausenden Menschen, allesamt ratlos, wie man zu seinem Hotel kommt. Wir setzen uns ratlos mit unserem Gepäck an den Strassenrand, ich kann nicht mehr. Ein (!) Taxi kommt vorbei, ich winke und laufe ihm entgegen, der Fahrer hält, er ist mein Retter des Tages, dem ich gerade jeden Preis zahlen würde (es sind €15,-).

Ich finde, ich habe heute den goldenen Pfadfinderorden verdient.

Logbuch Disneyland


Prolog.

Ob ich Bescheid geben könne, wenn ich an der Bushaltestelle angekommen sei, fragt die Schwägerin, das Kind würde mich dort abholen, bzw. nein, kommt als nächste Nachricht, das Kind sei eben schon einfach losgegangen, es konnte nicht mehr abwarten und freue sich so sehr auf mich.

Das Kind, mit dem ich die nächsten Tage im Disneyland verbringen werde, wartet nicht nur an der Haltestelle, es rollt meinen Koffer nach Hause, bietet mir ein Glas Wasser an und überreicht mir ein Geschenk, selbst gekauft in den Pasinger Arkaden: ein kuscheliges Pikachu-Notizbuch in knallgelb. Wir werden uns gut verstehen.

11.09.2023

Im Krankenhaus.
In der einen Hand halte ich meine gepunktete Schwimmtasche, in der anderen überraschenderweise eine Überweisung für das grosse Krankenhaus, wo man mir bereits einen Termin in zwei Tagen in der Radiologie abgemacht hat.

In der Radiologie des kleinen Krankenhauses bin ich gerade vor einer halben Stunde gewesen: Mammographie und Ultraschall sind unspektakulär. Da ich aber dichtes Drüsengewebe und ein unübersichtliches Narbengebiet habe, möchte die Radiologin gern zur Sicherheit wieder ein Brust-MRT machen lassen. Die Gynäkologin, bei der ich jetzt sitze, stimmt dem Unterfangen zu, und ich sowieso. Ich bin gewissermassen ein Fan von Vor- und Nachsorgeuntersuchungen.

Weitere Rundumchecks folgen, alles ist gut. Dann fragt sie ab, was abzufragen ist: Darmspiegelung (wegen des Gendefekts)✅ Augencheck (Tamoxifen) ✅, Röntgen Lunge (eigentlich hab ich permanent Husten, ich möchte aber auch anderes ausschliessen) ✅. Was machen die Hitzewallungen (egal, das Tamoxifen nehme ich weiter)✅.

Die Ärztin lobt mich, weil ich ein kooperativer Patient sei, und ich freue mich, dass man hier so gut auf mich aufpasst.
Und wenn wider Erwarten am Freitag beim MRT doch etwas sein sollte, könne ich sofort in ihre Praxis an der Alster kommen, ohne Anmeldung oder Termin. Aber davon gehen wir sowieso nicht aus.

Ich nehme meine Schwimmtasche und steuere den Pool an.

18.06.2023

Im Freibad

Ich freue mich von Herzen, Dich wiederzusehen, sagt der Lifeguard.

Gut siehst Du aus, sagt G., meine Schwimmfreundin, die heute oben auf der Schnellbahn schwimmt, da das Trödelbecken voll planschender Kinder ist. Du aber auch, antworte ich G., die im pinken Badeanzug, pinker Badekappe und dezent geschminkt so gar nicht wie eine 83-jährige ausschaut. Lass uns telefonieren, ruft sie noch, ja gerne, antworte ich, und mache mich auf den Weg zum grossen Becken, um irgendwo ein Schattenplätzchen zu ergattern.

Auch wenn du nur zwei Bahnen schwimmst, ist es ok, sage ich heute morgen im Sammeltaxi zu mir. Es ist ok. Und doch weiss ich, dass ich auf meine verinnerlichte Disziplin und die Freude, die ich am Schwimmen habe, vertrauen kann. Ich schwimme meine 1.000 Meter im kalten Wasser, ich freue mich über die Sonne, das silbrige Glitzern, den Duft von Sonnencreme. Ich freue mich über mein Buch, das ich an der Mauer im Halbschatten unter dem Baum lese, ich freue mich über meine Brote, die Beeren und Tomaten, die ich als Proviant dabei habe, und überhaupt freue ich mich darüber, dass ich hier so friedlich inmitten des Trubels sitze.

Ich packe zuhause die Schwimmtasche aus, packe sie wieder neu, denn morgen, da ist ein neuer Tag, auf den ich mich freuen werde.

11.06.2023

Im Freibad

Sonntag, kurz vor Zehn; ich stehe in einer langen Schlange vorm Eingang des öffentlichen Bades. Die Sonne scheint. Hätte ich noch mein Schwimmclub-Abo, hätte ich ohne Warten und bereits um 7.00h ins Freibad gekonnt. Das habe ich allerdings im Herbst ob des kalten Wassers (Sparmaßnahme!) und des überfüllten Aussenbeckens – das einzige, das noch in Hamburg geöffnet hatte – gecancelt und bin seitdem im schicken Spa zum Schwimmen gegangen: warmes Wasser, leeres Becken, schönere Umkleiden, Saunabereich und Duschen, und auch beim Thema Sauberkeit liegt das schicke Spa ganz klar in Führung. Nur ein Außenbecken, das hat es nicht. Und auch keine Schwimmfreunde.

In den Umkleiden sind die beiden Einzelkabinen, die ich favorisiere, besetzt, aber nicht lange: aus Einzelkabine 1 kommt meine Schwimmfreundin A. heraus, die allerdings schon schwimmen war, man könne sich aber gern mal wieder verabreden. Aus Einzelkabine 2 tritt Schwimm- und Picknickfreundin J. heraus, auch sie war schon um 8.00h im Aussenbecken, aber wird sich noch etwas in die Sonne setzen. Später werden wir im rot-weißgestreiften Strandkorb sitzen und zusammen die ersten Freibadpommes der Saison geniessen.

Die Sonne lässt das 21 Grad kühle Wasser des 50 Meter-Beckens glitzern. Ich halte die Luft an und schwimme los. Es ist kalt. Und herrlich.

Eine ältere Dame aus meiner Fraktion „Trödelschwimmer“ weist eine Kampfschwimmerin zurecht, die doch auf der Schnellbahn schwimmen solle. Eine jüngere Frau, die frierend ins Becken steigt, wird darauf hingewiesen, dass es weniger kalt wäre, wenn man vorher ordnungsgemäss duschen würde.

Am Seitenrand schunkeln zwei runde junge Mädels und singen laut zur türkischen Musik, die aus der Boombox (heisst das heute so? Früher war es das doppelte Kassettendeck mit Lautsprecher) schallt, die – neben einer Caprisonne – am Beckenrand platziert ist, auch dafür gibt es Diskussionen mit den Mitschwimmern, die ihre Ruhe haben möchten. Ein paar Jungs finden nicht nur die Boombox cool, sondern auch das Wasser, nämlich kalt, zu kalt.

Ich schwimme und schwimme, und bekomme tatsächlich meine 1.000 Meter (20 Bahnen) zustande, und das finde ich jetzt ganz cool. Und das Glitzern sowieso.

Wann bin ich gesund?

29.05.2023

„Ich bin vom 07.06.-28.06. auf Reha, danach bin ich gesund, oder?“ schreibt mir G.

„Das diskutiere mal mit Deinem Arzt“, antworte ich.

G., mein Bürogenosse, ist letzten Dezember an Darmkrebs erkrankt: Strahlentherapie, Chemo, drei Operationen und eine permanente Stoma sind das Resultat. Alle zehn Tage sprechen wir, und immer endet das Gespräch mit einem „jetzt bin ich ja gesund“ (auch wenn die Gespräche live aus dem Krankenhaus kamen, weil es wieder mal Probleme mit der Wunde gab).

Ihm ist langweilig, G. ist genervt von seinem Vorgesetzten, der ihm, wenn er mal wieder ankündigt, dass er in drei Wochen zurück bei der Arbeit ist, mit einem „werden Sie erstmal wieder gesund“ antwortet. Und dieser wiederum bei mir augenrollend in der Tür steht, denn gesund, das ist doch etwas anderes: das wissen der Vorgetzte und ich aus eigener Erfahrung.

Zur Reha habe ich G. übrigens überredet, den Sinn darin will er nicht sehen, er sei ja gesund.

Ich weiß, dass ich den Tag meiner OP zum „Jetzt bin ich wieder gesund-Tag“ deklariert habe, auch wenn danach noch Strahlentherapie, Reha und eine mehrjährige Tamoxifen-Therapie anstanden. Ich weiß, dass ich bei meiner Ärztin saß, die kritisch war, als ich wieder arbeiten wollte. Sei das nicht zu früh? Sind Sie sich sicher? Wenn etwas ist, kommen Sie sofort, dann schreibe ich Sie wieder krank. Das war nicht nötig. Ich war ja gesund. Ich habe schon die Reha als Wellnessurlaub empfunden. Und ich musste auch nicht umkehren und mich wieder krankschreiben lassen.

Warum bin ich nun so kritisch, wenn der Bürogenosse sich als gesund deklariert? Weil ich ihn kenne und weiß, dass er mit Veränderungen nicht umgehen kann und diese ausblendet. Ob ihm klar ist, dass er mit einer todbringenden Krankheit konfrontiert wurde? Der Ernährungszettel aus dem Krankenhaus reiche aus, dafür brauche man keine Reha. Wie man mit der Stoma umgeht, wurde ihm gezeigt. Psychologen brauche er nicht, er habe nichts mit der Psyche. Er sei gesund.

„Das diskutiere mal mit Deinem Arzt“ war eine Antwort aus der Not heraus: auf den Arzt wird gehört. Auf andere nicht. Die richtige Antwort wäre gewesen: höre in Dich selbst hinein. Stelle Dir die Frage: „wie geht es Dir?“ Beantworte die Frage ehrlich. Denn das ist wichtig. Nur Du weißt, wie Deine Seele und Dein Körper sich fühlen. Und nur Du bist dafür verantwortlich, dass es ihnen gut geht und sie pflegst: mit guter Ernährung, Bewegung, innerer und äußerer Balance. Du hast nur diesen einen Körper. Und – vermutlich – nur dieses eine Leben.

Wie geht es Dir? Ich wünsche Dir, dass Du gesund bist. Ehrlich.

Helgoland Logbuch 1/1

27.05.2023

Ne, das machst Du jetzt nicht, weise ich mich zurecht. Man kann mit dem Fahrstuhl vom Unterland zum Oberland fahren. Oder man kann hochkraxeln. Ich gerate schnell ausser Atem, wenn es aufwärts geht. Andererseits gehe ich nie an mein Limit, wenn ich mich bewege. Meine vielen pneumologischen Untersuchungen sind gut verlaufen, also kann ich kraxeln.

Ich stiefele dem Oberland entgegen: der Himmel blau, die Luft ist klar, um mich herum Gräser und Blumen und die roten Felsen. Und dann bleibe ich abrupt stehen: der Duft der Strandrosen erinnert mich an die Urlaube meiner Kindheit in Dänemark. Im kleinen Holzhaus haben wir jeden Abend unsere zwei Robin-Hood-Kassetten gehört, den dunklen Wald zum Sherwoodforest erklärt und sind wie die Rächer der Armen durch das Dickicht galoppiert. Ich „galoppiere“ weiter dem Plateau entgegen, von dem man eine fantastische Sicht auf die Lange Anna und den Lummenfelsen hat, auf dem sich Trottellummen, Basstölpel, Eissturmvögel, und Dreizehenmöwen tummeln. Es ist wunderschön.

Wieder im Unterland, inspiziere ich die kleinen bunten Holzhäuschen, die sich an der Promenade aneinanderreihen und kaufe mir Pommes. „Achtung Möwen!“, werde ich gewarnt, denn diese greifen aus dem Hinterhalt an und stehlen Fischbrötchen, Eis und Pommes. Schirme zur Abwehr kann man sich borgen, ich bleibe dicht im Schutz der blauen Hauswand stehen, den Blick auf potenzielle Angreifer gerichtet.

Leuchttürme, grüne Wiesen, Schafe und Windräder gleiten im sanften Licht an uns vorbei, Segelboote, das Schulauer Fährhaus, die Strände zwischen Rissen und Blankenese, Övelgönne, die Landungsbrücken in der untergehenden Sonne. Mit der Fähre nach Hause; die Luft riecht nach Meer und nach Heimat.

Logbuch Oman – Epilog

28.04.2023


Wüsten, Hitze, Gebirge, Kamele, Souks, Weihrauch, Rosenwasser, Safran, weisse Gewänder, Lächeln, Freundlichkeit, Reichtum, Gewitter, Wadis, Meer, Strände, Dattel- und Kokospalmen, Islam, Kaffee mit Kardamon, Moscheen, Royal Opera, Sultanat, Märchen aus Tausendundeiner Nacht.

Warum sollte man etwas stehlen?, fragt mich Abdul und schaut verblüfft. Man könne doch fragen, wenn man etwas möchte. Ein Land, das Kriminalität kaum kennt. Ein Sultanat mit Schul- und Gesundheitssystem, in dem alles bilingual stattfindet: Nachrichten im Radio, Ortsschilder, Geldscheine. Weltoffenheit trifft auf Klugheit. Ein Sultanat, in dem bedürftige Omanis Land und Häuser vom Staat gestellt bekommen. Ein Land mit Menschen, die Gastfreundlichkeit zeigen.

Du kommst als Gast und gehst als Freund, sagt unser Jeepdriver. Neugierig tauschen wir uns aus und lernen über das Leben der Anderen. Es ist anders. Es ist sicher nicht alles meines. Einiges ist noch aufzuarbeiten und zu evaluieren. Und doch ist der Austausch wichtig, um andere Kulturen zu verstehen.

Der Oman ist ein faszinierendes Land, ein wunderbares Land, ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht, das sich lohnt, es kennen zu lernen.

Logbuch Oman – Tag 10

26.04.2023

Kurzum: heute ist Strandtag. Den Ausflug zur Obstplantage und ins Museum lasse ich ausfallen, genauso wie die Infostunde über den Oman.

Wir spazieren am Strand entlang, liegen im Garten unterm Schirm, ich gönne mir mittags in der Poolbar ein Clubsandwich mit French Fries (das erste Mittagessen ohne Keks und Cracker), mache eine Siesta, trinke Kaffee, schwimme im Pool, liege am Strand und schaue auf die tosenden Wellen.

„Es sind die kleinen Dinge im Leben, die einen glücklich machen“, heisst es oft. Aber was genau ist „mit kleinen Dingen“ gemeint? Die Sonnenstrahlen? Die tosende Brandung? Der Duft nach Salz und Meer? Die schöne Unterhaltung? Die Füsse im Sand, die bei jeder Welle etwas tiefer einsinken? Ich finde nicht, dass das kleine Dinge sind. Es sind grosse Dinge, sogar grossartige! Ich meine, was gibt es grösseres als eine scheinende Sonne?

Ich finde das jedenfalls so grossartig, dass ich die morgige Jeeptour zu den nächsten Wadis und Ausgrabungsstätten sausen lasse und in aller Ruhe das Meer und meinen Platz unter den Palmen geniessen werde.

Was genau bedeutet für Dich „es sind die kleinen Dinge, die glücklich machen“? Und was definierst Du als „klein“ und warum ist dies „klein“ und nicht „gross“?

Logbuch Oman – Tag 9

25.04.2023

Wenn auch nur ein Regentropfen fällt, kehren wir um, entscheidet Yassir, der Chef unserer vierköpfigen omanischen Jeepmannschaft. Dort, wo eben noch das Gebirge zu sehen war, ist jetzt eine dunkle graue Wand. Der erste Tropfen fällt auf die Windschutzscheibe. Offroad über den Pass weiter durch die Wadis zu fahren, wäre zu gefährlich, da die Mischung aus feinem Sand und Regen zu einer glitschigen Masse gerät, die selbst unsere Jeeps nicht bewältigen können.

Wir machen eine kurze Lunchpause (ich kann Cracker und Kekse nicht mehr sehen) oben auf 2000 Meter, dann geht es die sicherere Route unter Regengeprassel wieder bergabwärts.

Statt ins Wadi geht es in den alten Teil des Dorfes Al Misfah Al Abriyeen. Wir laufen treppab- und treppauf. Um uns verlassene Gemäuer, dichte, dunkelgrüne Gärten aus Palmen und exotischen Büschen, wir balancieren entlang eines kleines Baches, der einer madeirensischen Levada gleicht. Inmitten des ganzen ein uraltes Becken mit dunkelgrünem Wasser, in dem kleine Kinder planschen. Ein Paradies.

Abends Flug nach Salala, wo wir nachts in unserem Resort ankommen, völlig erledigt. Belohnt wird die Strapaze am nächsten Morgen. Von meiner Terrasse sehe ich Kokospalmen und ganz hinten den Strand und das Meer.

Logbuch Oman – Tag 8

24.04.2023

Auch wenn man still sitzt, kann man Erfahrungen machen. Man kann Erlebtes, das man (ver)beurteilt hat, aus einer anderen Perspektive betrachten und neu bewerten.

Hat mich die Nacht in Sur fast zum Mörder kleiner indischer Kinder werden lassen, die bis spät in die Nacht laut kreischend über den Hotelflur liefen, während die Mütter auf eben jenem vor ihren Zimmertüren plaudernd picknickten, bin ich dann doch froh, dass ich mich nicht lautstark beschwert habe. Eben diese Inder bzw. deren Landsbrüder haben mit ihren Familien im überfluteten Wadi gebadet, ein omanischer Ganges sozusagen, mit schwarzhaarigen Menschen in leuchtend bunten Gewändern. Gegrillt und gepicknickt wird am matschigen Ufer, es wird gewunken und gelacht. Eid Mubarak. Die Expats, die in Dubai und dem Oman arbeiten, geniessen ihre wenige Freizeit, sie gönnen sich eine Nacht im Hotel, wo sie aufgeregt und fröhlich die Zeit mit ihrer Familie verbringen, sie flitzen durchs Museum und bleiben staunend vor den Exponaten stehen.

Möchte ich mich über Menschen ärgern, die sich in ihrer kostbaren freien Zeit freuen? Die vermutlich lange darauf gespart haben, um einen solchen Familienausflug zu machen? Das möchte ich nicht. Ich bewerte die Erfahrung neu und schaue viel freundlicher auf das Erlebte.

Ich sitze am Pool und habe Zeit. Ich habe sie mir genommen (dabei „half“ auch ein irritierter Magen) und schaue den ballspielenden Kindern zu. Es ist laut. Und das ist richtig. Und ich werde auch diese Szenen in guter Erinnerung behalten.

Logbuch Oman – Tag 7

23.04.2023

Welcher Tag ist heute?

Der Tag, an dem ich morgens zum Sonnenaufgang vors Zelt gehe und der Morgen erwacht. Die Vögel zwitschern.

Der Tag, an dem ich nach dem Frühstück zu den Kamelen schaue, die an den Dünen stehen.

Der Tag, an dem wir 370km im Jeep zurücklegen.

Der Tag, an dem wir einen Zwischenstop an den Bienenkorbgräbern machen und picknicken.

Der Tag, in dem ich auf dem Rücksitz döse, mir ist es zu heiss (Abdul sagt, wir hätten über 40 Grad).

Der Tag, an dem wir die Festung von Jabrin besichtigen, die 1670 errichtet wurde. Die Mauern sind dick und halten die Hitze ab. An der Decke über der Treppe hängt eine Fledermaus.

Der Tag, an dem wir am Nachmittag Kaffee mit Kardamon trinken und Datteln mit Sesam essen, während wir über Nizwa schauen.

Der Tag, an dem wir in Nizwa ankommen. Das Hotel ist schön und hat einen wunderbaren Pool, an dem wir unser BBQ einnehmen.

Der Tag, an dem ich beschliesse, das morgige Nachmittagsprogramm ausfallen zu lassen und selbst zu gestalten. Entschleunigung.

Der Tag, der keinen Namen trägt, weil dieser unerheblich ist. Der Tag, an dem Erlebnisse zu Erinnerungen werden.

Logbuch Oman – Tag 6

22.04.2023

Der rote Sand schmiegt sich langsam an mich; still sitze ich oben auf der Düne in Wahiba Sands, der omanischen Wüste. Wenn man so zwei Stunden unbeweglich sitzen bliebe, wäre man im Sand versunken, ich schüttele meine Beine, meinen Rucksack, meine Haare, ich blicke in die Ferne, wo die Sonne untergeht und auf die Kamele, die am Horizont auftauchen.

Es donnert.

Nur einige Augenblicke später sitze ich in meinem Zelt, der Regen prasselt tosend auf das Dach, es blitzt und donnert, ich hoffe, dass das Zelt hier stehenbleibt, während sich das Wasser wie ein kleiner Fluss im Vorraum ausbreitet.

Ausgebreitet hat sich das Wasser auch im Wadi Bani Khalid; die Jeeps bahnen sich langsam ihren Weg durch das Nass, um uns herum schwimmen indische Kinder und stehen kleinere Autos bauchtief im Fluss. Wir steigen aus; meine Flipflops sind glitschig, das Wasser reicht mir bis zu den Knien, wir balancieren ans andere Ufer um unsere traditionellen Snacks zum Lunch auszupacken. Unsere Fahrer in ihren schneeweissen Gewändern kochen Kaffee zwischen Matsch und Palmen, während die Polizei zum Verlassen des Wadis aufruft.

Heute sitze ich auf dem Beifahrersitz neben Abdul. Zum Glück wurde das Thema Religion gestern schon ausführlich besprochen, D. aus der Schweiz hat sich wacker geschlagen. Wir tauschen uns über das Leben miteinander aus. Waren wir eben noch seine Queens und seine drei Frauen, die er mit Nüssen und Eiscreme verwöhnte, ist er jetzt völlig verblüfft, dass man als Frau in unseren Breitengraden nicht seinen Mann um Erlaubnis fragen muss, wenn man (mit Freundinnen) verreisen möchte. Gut, dass wir die cross cultural differences klären, bevor wir in den Oman übersiedeln. Heute gebe es keinen Sonnenuntergang, sagt Abdul und deutet auf den grauen Himmel. Natürlich gebe es den, antworte ich, man müsse nur fest daran glauben.

Wir sitzen auf den Dünen, wir lauschen dem Grollen des Gewitters, das näher kommt, wir schauen, wie die orangerote Sonne untergeht.

Logbuch Oman – Tag 5

21.04.2023

Where are you from?, fragt Abdul, unser Jeep-Fahrer und Guide für die nächsten Tage. D. kommt aus der Schweiz, A. aus Österreich. Abdul aus dem Oman und ich aus Deutschland. Now we are a family, meint Abdul, und es ist ein schöner Gedanke, als kleine internationale Familie durchs Gebirge und die Wüste zu reisen.

Wir halten an einem Stausee, fahren durch Matsch und überschwemmte steinige Pfade, Palmen links, Esel und Ziegen rechts, und wir mittendrin. Das Mittagessen (Snacks wie gehabt: Nüsse, Obst, kandierter Ingwer, Sesamstangen, Kekse) essen wir unter dem Schatten einer Palme, unsere vier Fahrer sitzen abseits auf ihren Gebetsteppichen. Ab heute Abend dürfen auch sie wieder essen, denn Ramadan neigt sich dem Ende zu.

Wir stoppen am Sinkhole von Bimmah, in dem Menschen in bunten Gewändern im türkisblauen Wasser baden, das sich aus Süsswasser aus den Bergen und Salzwasser aus dem Meer zusammensetzt. Der Legende nach ist das tiefe Loch durch den Einschlag eines Sternes entstanden.

36 Grad, ich schwänze die Wanderung durch das Wadi und bleibe im Jeep, weiter geht es dann nach Sur in unser nächstes Hotel. Das Hotel ist gut besucht, lauter indische Kinder toben durch die Flure. Es giesst in Strömen.

Logbuch Oman – Tag 4

20.04.2023

Der Tauschhandel hat begonnen. L. aus der Schweiz reicht uns Karotten rüber, wir revanchieren uns mit Studentenfutter, von dem ich noch einige Tüten im Gepäck habe. Heute lunchen wir nicht verbotenerweise hinter geschlossenen Gardinen in unserem Bus, heute sitzen wir – auch verbotenerweise – mit unseren Snacks unter Palmen am hellblau glitzerndem Meer, fernab von anderen Menschen.

In der Früh haben wir bereits die beeindruckende Quaboos Moschee besichtigt, in der über 6.000 Menschen Platz zum Gebet finden; mit Aussengelände fasst sie über 20.000 Gläubige. Auch hier gibt es bombastische Svarovski-Kronleuchter und einen handgewebten persischen Teppich, der 1,7 Milliarden (!) Knoten zählt und 22 Tonnen wiegt. Auch wenn der Oman keine historische Architektur wie Ägypten oder Jordanien vorweisen kann – es beeindruckt mit seinem Prunk und Reichtum auf andere Weise.

Nach drei weiteren Stunden im gut gekühlten Nationalmuseum geht es für mich in den Pool, nicht ohne noch mit den Schweizern zu scherzen, dass man deren Sprache bis zum Abend noch erlernen muss, denn wir werden in kleinerer Runde zusammen Iftar, das abendliche Festessen beim Ramadan, verbringen.

Logbuch Oman – Tag 3

Das komme aus dem Norden des Omans und beschützte vorm Bösen, sagt der Inhaber des Ali Baba Gift Shops im Souk. Ali Babas Gift Shop sieht tatsächlich wie eine Räuberhöhle aus, Schmuck Silber und Krummdolche hängen von der Decke und an den Wänden, wir sitzen auf Hockern vor drei riesigen Schalen mit altem Silberschmuck, der nach Gewicht verkauft wird. Ich nehme den Kettenanhänger mit, denn Schutz vorm Bösen kann man immer gebrauchen.

Auch Weihrauch – und zwar den teuren – haben wir erstanden, und ich habe gelernt, dass man diesen Weihrauch essen und auch trinken kann. Duften tun diese harten Stückchen auf alle Fälle wunderbar, und beruhigend soll er ausserdem wirken.

Ich bin in meinem Shoppingelement, lediglich gebremst durch die noch immer nicht vorhandene Pin und somit limitiert auf das mitgebrachte Bargeld. Eigentlich auch nicht so verkehrt.

Wir waren heute in einer Hotelfachschule (interessant), auf einem Ziegenmarkt (die für die gerade stattfindenen Festessen angeboten werden), auf dem Fischmarkt (A. und ich haben ob des intensiven Geruchs draussen auf ner Bank gewartet), auf dem Obst- und Gemüsemarkt (super), auf dem Gelände vorm Sultanspalast (dem „Büro“), am Meer und im Pool.

Heute Abend fahren wir an den Hafen in ein Restaurant, auf das wir uns schon alle freuen, denn mittags gibt es nur unsere kleinen Snacks aus dem Lulu-Supermarkt, die wir heimlich im Bus hinter den zugezogenen Gardinen verspeisen. Sind Datteln eigentlich gesund? Das hoffe ich stark, sind sie gerade auf Platz 1 meiner Ernährung im Oman gelandet.

Logbuch Oman – Tag 2

18.04.2023

Marmor aus Italien, Teakholz aus Myanmar, Kristalle und Kronleuchter aus Österreich, die riesige Orgel kommt aus Deutschland: 3.000 Menschen haben innerhalb von vier Jahren das prachtvolle Opernhaus im Auftrag des Sultans in Muscat erbaut; hier wird deutlich, dass der Oman sich weltoffen gegenüber anderen Kulturen zeigt, denn ein Opernhaus ist in der arabischen Welt eher ungewöhnlich.

Danach ein Abstecher zum Strand ans Meer, wo wir Wüstenrosen (lebend) und Kugelfische (tot) vorfinden.

Weiter geht‘s ins Staatshotel, riesige Kronleuchter in noch riesigerer Höhe glitzern auf uns und den Marmorboden hinunter, mehr Prunk geht nicht, selbst die Toiletten sind hier – wie auch in der Oper – grösser als meine Hamburger Wohnung.

Zum Abschluss geht es zu Lulu, was auf deutsch „Perle“ bedeutet und ein riesiger Supermarkt ist. Da während des Ramadans tagsüber Restaurants und Cafes geschlossen haben, decken wir uns mit Obst und Snacks ein, die wir heimlich im kleinen Bus hinter zugezogenen Gardinen essen werden: im Oman herrscht offiziell ein öffentliches Ess- und Trinkverbot, und das gilt auch für Reisende.

Das hat auch heute schon ganz gut geklappt, als wir vom Busfahrer Kaffee mit Safran, Rosenwasser, Nelken und Kardamon kredenzt bekamen, dazu wurden Datteln und karamelisierte Cashewnüsse mit Sesam gereicht.

Vielfältiger kann man den Tag kaum verbringen!

Ich könnte noch über zu kurze Hosen beim Herren (wird zum Umziehen zurück geschickt), nicht mitgenommenen Reisepässen (nein, der Perso gilt hier nicht!) und nicht funktionierenden EC-Karten (zumeist nur in der EU einsetzbar) berichten, aber das spare ich mir für ein andern Mal auf…

Logbuch Oman – Tag 1

17.04.2023

Warme Luft und ein schwarzer Nachthimmel erwarten uns, als wir den Muscat International Airport verlassen. Der Vorplatz mit den grossen Palmen ist in gelbe Lichter getaucht, wir steigen in den kleinen Bus, der auf uns gewartet hat.

Der 6,5-stündige Flug verging wortwörtlich wie im Fluge, A. und ich haben uns viel zu erzählen. Auf dem screen, auf dem man die Strecke des Flugzeuges virtuell verfolgen kann, wird schnell klar, dass wir andere Welten ansteuern: wir überfliegen die Türkei, Syrien, den Irak, Kuweit und Quatar, nicht weit entfernt der Libanon, Georgien etwas weiter oben, so viele Welten, die es noch zu entdecken gibt. „Je mehr ich reise, umso länger wird die Liste, was ich noch sehen möchte“, sagt A., und dem kann ich nur zustimmen.

Der Bus fährt mit uns an riesigen Geschäften vorbei: German kitchen, Toscana kitchen, Ikea, Mc Donalds – in Muscat hier an der Schnellstrasse ist die Welt an einem Ort versammelt.

Über das Hotel ist in der Dunkelheit nicht viel zu sagen; das Zimmer ist in grünliches Licht getaucht, durch die verriegelten Fenster sind Garagen, Häuser und die Autobahn zu sehen, die Klimaanlage summt vor sich hin, im Schrank gibt es zwar keine Borde, dafür aber eine Waage und einen Gebetsteppich. Beides werde ich nicht nutzen.

16.04.2023 Prolog

Und jetzt setzt doch noch das Gefühl der Aufregung ein, gepaart mit Vorfreude.

Die letzten Dinge sind im Koffer verstaut (17kg wie auf jeder Reise), das Handgepäck noch einmal gegengecheckt, die ganzen Euro nachgezählt.

Ich reise mit Euro, und davon sehr viel. Meine Kreditkarte habe ich vor ein paar Tagen sperren lassen müssen (pishing), die neue Karte ist zwar angekommen, die dazugehörige Pin dann aber nicht. Da halfen auch keine Besuche bei der Bank noch die vielen Anrufe bei der Kartendruckerei im fernen Bayern, um das Verfahren zu beschleunigen.

Meine EC-Karte funktioniert, aber nur in der EU. Weder Travellerchecks noch Fremdwährung konnte ich in der kurzen Zeit erhalten; ich muss darauf bauen, dass man meine Euro in der Ferne eintauscht. Dieses Chaos hat die Vorfreude, die sonst früher einsetzt, begraben.

Am Flughafen checke ich ein, ich bin überpünktlich, bummele an den Gates und an den Shops entlang, trinke einen Cappuccino, zahle mit der hier noch funktionierenden EC-Karte, bin freudig aufgeregt auf die kommenden Wochen und auch darauf, meine liebe Reisebegleitung, A. aus Österreich, morgen früh in Frankfurt zu treffen. Ab da reisen wir zusammen.

Die Aufregung wird uns noch etwas erhalten bleiben, denn wir werden auf einige unbekannte Grössen treffen: müssen wir uns während des Ramadan verhüllen? Bekommen wir nur abends zu essen? Was gibt es eigentlich an gefährlichen Tieren? Bislang fokussiere ich mich auf die Riesenschildkröten, auf die ich mich freue. Was erwartet uns sonst? Das werden wir sehen. Ich baue wie immer auf den Überraschungseffekt und bin unvorbereitet.

Die Reise beginnt.

15.03.2023

Im Krankenhaus.

Die Frau rechts von mir lässt alle Formulare fallen, die sie ausfüllen muss. Die Dame schräg gegenüber, die gerade ihren OP-Termin wegen einer Erkältung abgesagt hat, hustet ununterbrochen. Die Frau mit der Perücke, die mir gegenüber sitzt, nimmt nonverbal Kontakt zu mir auf; wir kommunizieren über Blicke, die wir uns zuwerfen. Vorm Wartezimmer herrscht Chaos: die Technik ist ausgefallen: Ärzte, Assistenten und Patienten laufen umher, Turnschuhe mischen sich mit Croqs und Winterstiefeln.

Ich schliesse die Augen, fokussiere mich auf den Atem und bin entspannt. Heute ist mein Vor- und Nachsorgetermin. Angst habe ich nicht.

Ich denke, dass ich gesund bleibe, sage ich zu meiner neuen Ärztin. Das denke sie auch, antwortet sie. Ich habe ein Update über meine Untersuchungen seit unseres letzten Termins gegeben: Lunge geröngt, Knochendichte gemessen, Bauch (und Schilddrüse) geultraschallt, Checks wg. der Tamoxifeneinnahme beim Augenarzt und Dermatologen, alles im grünen Bereich. Sie ist erfreut und auch clever und fragt nach, wie es mit der verschobenenen Darmspiegelung aussehe; wegen meines seltenen (und nur teilweise erforschten) Gendefekts würde sie mir raten, das auch noch anzugehen. Natürlich hat sie Recht.

Sie untersucht mich sehr sorgfältig, baut ein nicht geplantes Ultraschall ein, und auch als sie länger auf einer Stelle verharrt, werde ich nicht nervös. Da wir uns noch nicht so lange kennen, möchte sie sich einen genauen Überblick verschaffen. Ich mag meine neue Ärztin. Ob ich noch ein Rezept bräuchte? Das sei ja jetzt die Kür mit dem Tamoxifen…ich versichere, dass ich wirklich auf zehn Jahre verlängern möchte, ich kenne die Risiken, ich könne mit den Nebenwirkungen umgehen, ich sei mir sicher. Ich bekomme mein Rezept und Nachfolgetermine zur Mammographie etc. für den September.

Ob ich wieder auf Expedition ginge, fragt mich mein Lebensretter/Chirurg, der auch im Pulk vor der nicht-funktionierenden Technik steht, und deutet auf meine Arktisjacke. Ich deute nach draussen, es schneie, da könne man die Jacke schon mal tragen. Wir plaudern noch etwas, dann bekomme ich mein Rezept und neue Termine und verschwinde im Schnee, immer noch gesund, und so soll es sein.

25.01.2023

Vorfreude.

Im Souk laden Kaschmirschals, Krummdolche, Teppiche und Goldschmuck zum Stöbern ein, wir kreuzen in einer traditionellen Dhau vor der Felsenküste, es geht mit dem Jeep durchs Gebirge bis an die Küste des Indischen Ozeans, abends gibt es ein Naturschauspiel am Strand, wo wir große Meeresschildkröten bei der Eiablage beobachten, wir beziehen ein Camp zwischen gigantischen Sandbergen, die rot, golden und kupferfarben leuchten, und leuchten tun nachts auch die Sterne über unseren Zelten. Weiter geht es mit dem Jeep durch die Wüste, in der Oasen und Dattelhaine auftauchen, Kamelherden, Dromedare und Esel bewegen sich langsam durch die Dünen, die Nachmittagssonne taucht die Gipfel der Berge in goldenes Licht, der Pool liegt zwischen Papayas, Bananen- und Kokospalmen, Südseefeeling.

Ich bin schnell zu begeistern. Worte wie Wüste, Meeresschildkröten, Gebirge, Palmen und Pool triggern mich – im positiven Sinn. Das nächste Abenteuer ist gebucht. Es wird Zeit, das kühle Europa in die Wüste zu schicken.

13.01.2023

und rechts liegt das Meer.

Stürmisch ist es, der Regen prasselt unaufhörlich nieder, und stürmisch war auch meine Woche. Krisenmanagement kann ich: Optionen ausloten, Lösungen überlegen, angreifen. Nichts ist mir mehr zuwider als Herausforderungen, denen ich hilflos ausgeliefert bin. Das war bei meinen Erkrankungen der Fall. In diesem Fall kann ich selbst agieren. Und so schaukelt mein kleines Boot im Sturm und im Regen auf den Wellen umher, aber untergehen wird es nicht.

Ich möchte heute Nachmittag durch die Vorderreihe bummeln, entweder Nusseis mit Sahne in der Eisdiele oder ein Stück Nusstorte bei Niederegger essen, eine helle Hose möchte ich kaufen, im Hotelpool schwimmen, am Strand entlang wandern und abends beim Italiener essen. Oder in der Marina.

Ich steige in Travemünde-Strand aus: auf in die Bäckerei und mit Ei und Käse belegte Brötchen bestellen! Koffer im Hotel abgeben, und dann in die Vorderreihe. Aus der hellen Hose wird eine dunkelblaue Jeans, und während ich durch Sturm und Regen trabe, stelle ich fest, dass ich weder Eis noch Torte möchte. Meine Planung läuft ja super, denke ich, wird aber durch eine Schwimmeinheit und den Besuch beim Italiener wieder eingehalten. Der Regen prasselt auf das Zeltdach, vermischt sich mit den tosenden Wellen des Meeres, während ich mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze und gegen den Wind am Strand zurück ins Hotel marschiere.

Wie geht es Dir?, frage ich mich. Gut, antworte ich. Das Boot wird nicht sinken. Morgen wird der Wind sich legen, die Sonne hinter den Wolken hervorkommen, und das spiegelglatte Meer wird glitzernd strahlen.

30.12.2022

Rückblick/Ausblick.

Ich schlage das kleine weisse Buch auf. Das tue ich jedes Jahr, wenn es sich dem Ende zuneigt. Ich blättere auf die letzte beschriebene Seite, die die Wünsche – Vorsätze klingt mir zu streng – des aktuellen Jahres aufführt. Ich bin gespannt, was ich mir für dieses Jahr gewünscht und was ich davon umgesetzt habe. Sieht gut aus, denke ich und fange an, die Punkte abzuhaken: gesund bleiben steht an erster Stelle, und wenn man von den Löchern in den Netzhäuten und dem damit verbundenen unangenehmem Augenlasern absieht, ist das Ziel erreicht. Ich gelte jetzt ausserdem als geheilt, was nicht wirklich viel bedeutet, aber ich feiere die Feste, wie sie fallen.

Gesportet, geschwommen, gesund ernährt, gereist, geküsst, geliebt, das Leben genossen, picknicken bei Sonnenaufgang im Freibad, Eisbären am Nordpol gesichtet, wie im wunderbaren Film „Tod auf dem Nil“ eben diesen mit einem kleinen Flussschiff – british style – von Luxor nach Assuan hinabgeglitten, mich in Nizza im Park unter Palmen um die eigene Achse gedreht, ganz schnell und immer schneller, die Balance, die habe ich gehalten, innerlich und äusserlich.

Natürlich war nicht alles gut: viele sind in diesem Jahr von uns gegangen, und das berührt mich sehr. Berühren tut mich der Krieg und meine Kollegen im Büro in Odessa, die tapfer die Stellung halten und am 22.12. Weihnachtsgrüsse schickten. Da habe ich geweint. Auch andere Dinge, die hier nicht hingehören, waren schwierig und werden schwierig bleiben.

Den Fokus lege ich auf die schönen Dinge – was nicht heisst, dass ich die Herausforderungen verdränge – doch die schönen Dinge sind es, die mir Kraft geben und mich glücklich machen.

Ich blättere im Büchlein zurück und lache über meine Anmerkungen. Eine Liste für 2021 fehlt. Daneben steht: „was war da los? Keine Vorsätze?!? Trotzdem auf der Spur geblieben. :)“

Anmerkung zu den Wünschen aus 2017, dem Jahr, in dem ich krank wurde: „das Jahr verlief anders als erwartet. Dafür lustigerweise viel umgesetzt.“ Die Wünsche (Meditation, Taiji, Balance, bewusst leben, gesunde Ernährung, Ruhe) gab es schon, bevor die Erkrankung kam.

Ich lege eine Wunschliste für 2023 an. Und setze schon jetzt einen Vermerk drunter: „Du machst das gut.“

Ende 2023 werde ich das weisse Büchlein wieder aufschlagen.

Epilog

12.10.2022


„Wenn du an einen neuen Ort gelangst, warte. Es braucht Zeit, bis die Seele nachkommt.“ (Weisheit der nomadischen Indianer)

Meine Seele ist nicht angekommen. Weder in Kairo noch in Luxor, in Edfu oder in Assuan. Selbst meinem Koffer war das zu schnell, auch er braucht Zeit, um nachzukommen. Ich warte.

Ungewöhnlich ist das schon, denn normalerweise bin ich ab Taxifahrt zum Flughafen im Urlaubsmodus und bei mir.
„Ich finde es toll, wie Du für Dich das Programm anpasst und Dein Tempo gehst. Das können die meisten nicht“, sagt die Psychologin aus der Reisegruppe zu mir. Für mich ist das normal geworden, spätestens seit der Erkrankung achte ich darauf, dass ich in der inneren Balance bleibe und korrigiere äussere Umstände, wenn dem nicht so ist.

Diese Reise war mir zu schnell, zu viel Programm in zu kurzer Zeit, zu unstrukturiert. Sprachlos schaue ich aus dem Fenster, als wir vom Flughafen in Kairo zum Hotel fahren: ich verstehe nicht, was ich sehe. Riesige Hochhäuser reihen sich aneinander, dazwischen Brachflächen, halb abgerissene Gebäude, halb neu gebaute Häuser, verfallene Bauten inmitten von Müll und dem Lärm des stockenden Verkehrs, die flackernden Lichter, und dort hinten die untergehende Sonne, der einzige Ruhepol in dem Chaos.

Meine Seele kommt hier nicht an, und Zeit zum Warten gibt es nicht.

Vielleicht ist sie zuhause geblieben. Ich schaue mich um. Ich setze mich hin. Und warte.

Logbuch Kairo & Nil – Tag 8

10.10.2022

„Nicht essen!“ Walter, der Lehrer aus der Steiermark und Dr. P., der Gymnasialdirektor aus Paderborn, gucken kritisch auf das von mir erstandene Hühnchenbaguette. Den Salat habe ich bereits herausgepult, aber meine letzten verbliebenen Mitreisenden finden es immer noch bedenklich. Walters Horrorgeschichten geben den Ausschlag: trotz Hunger verzichte ich auf den potenziellen Salmonellenträger und greife zu meinem Studentenfutter, von dem ich immer mehrere Tüten mit mir führe.

Über sechs Stunden haben wir hier auf dem Airport Cairo herumzukriegen, es gibt nicht wirklich etwas zu tun. Wir kaufen Schokolade. Wir trinken einen Kaffee. Wir suchen die Toiletten. Wir erzählen uns lustige Dinge.

Derweil steht der Rest unserer Reisegruppe vor dem Check-In, und das seit drei Stunden. Ihr Gepäck wurde nicht von Assuan an die Ziel-Destination durchgecheckt, sie müssen in Kairo auschecken, durch diverse Sicherheitsschranken gehen und dann wieder einchecken. Nur hat ihr Schalter noch nicht geöffnet. Wenn man seit 5 Uhr morgens auf den Beinen ist und der Tag noch laaaang werden wird, ist das nicht so angenehm. Dr. C., der bisher einen ruhigen Eindruck machte, hatte bereits in Assuan einen Wutausbruch, da sein Begleiter, Dr. P., mühelos durchchecken konnte, was ihm, der exakt dasselbe gebucht hatte, verwehrt wurde.

„Noch machen wir Witze“, sage ich, „vermutlich wird dann unser vermeintlich durchgechecktes Gepäck auf der Strecke bleiben. Mitsamt der Horde an erstandenen Skarabäen und Pyramiden, die man durchaus als spitze Gegenstände deklarieren kann und besser nicht ins Handgepäck tut. Dr. P. tut sie in den Koffer, zum Panamahut, der dort in einer Hutschachtel ruht. Kurioses Gepäck.

Kurzer Zwischenstop in Wien, ein weiterer Sicherheitscheck, ich kaufe eine Brezel mit Butter und Schnittlauch und bekomme eine zweite geschenkt. Wien ist wunderbar.

Nach 16 Stunden Rückreise und drei Flügen mit drei Airlines bewahrheitet sich meine Befürchtung. Das Kofferband rollt und rollt, verlassen und leer, und ich, ich bin die Einzige, die hier noch steht. Mir ist zum heulen. Nach 16 Stunden will ich nur noch nach Hause und nicht noch einmal quer durch den Airport laufen und Formulare ausfüllen. Dafür spare ich Zeit zuhause, denn eigentlich packe ich immer bei Ankunft die Koffer aus. Jetzt packe ich mich nur noch in mein Bett. Diese Reise wird als eine der chaotischen in Erinnerung bleiben. Mit Pyramiden.

Logbuch Kairo & Nil – Tag 7

09.10.2022
„Das ist Helgoland im Nil“, konstatiert P., der neben mir auf der Feluke sitzt. Ein kleiner roter Felsen mit grünem Türmchen und Möwen ist vor uns aufgetaucht, der geschickt umsegelt wird.
So geschickt sind wir nicht auf unsere Feluke gekommen; nachdem die merklich reduzierte Gruppe (mehrere Magendarm- und ein Allergiefall) eine halbe Stunde bei 40 Grad in der Sonne gewartet hat, muss ein Zubringerboot organisiert werden, da wir in einer windstillen Ecke des Nils unsere Ausgangsposition haben.

Wir klettern auf das Boot und fahren der Feluke entgegen. Akrobatisches Umsteigen mitten auf dem Nil von Boot zu Boot, aber wir sind ja mittlerweile einiges gewohnt.

Souvenirs kommen unter der Decke des Tisches zum Vorschein, die ägyptische Butterfahrt kann starten. Walter kauft ein Krokodil aus Holz, welches weit weniger spektakulär als die tote Schlange und der abgehackte Schafskopf ist, die er sonst von seinen Reisen mit nach Hause brachte. Der Österreicher ist sehr amüsant, aber die crosscultural differences machen sich bemerkbar.

Die Fahrt mit der Feluke ist schön. Auf den Besuch des Bazars verzichten Birgit, die wieder etwas fitter ist und ich, wir marschieren auf der heissen staubigen Strasse zurück zu unserem Schiff. Mein Geld habe ich P., dem freundlichen Gymnasialdirektor aus Deutschland, anvertraut, der mir Souvenire vom Bazar mitbringen wird. Da habe ich keine Schafsköpfe oder tote Schlangen zu befürchten.

Logbuch Kairo & Nil – Tag 6

08.10.2022


Edfu. Irgendwann nachts legen wir an. Die armseligen braunen Häuser sind in gleissendes Neonlicht getaucht, Einheimische in langen Gewändern laufen am Kai umher.
Geschlafen habe ich bisher nicht sehr gut, da während der Fahrt die Wand am Bett laut klapperte.

B., die 82-jährige Lübeckerin, die ihre wohl letzte Ägyptenreise mit ihrem Sohn bestreitet, liegt mit Magendarm flach. Ich bringe mein Elotrans vorbei. Ich nehme prophylaktisch Tabletten ein, die Österreicher sorgen mit Whiskey vorm Frühstück und nach dem Dinner Unverträglichkeiten vor. Crosscultural differences.

Die Gruppe der Edfu-Tempelverweigerer wird grösser; während ich relaxt mit den Amis und den Kanadiern am Pooldeck liege, ist meine Gruppe wieder mal nicht pünktlich zur Abfahrt zurück. Langsam wird es Zeit für unseren Toten.

Wieder gleiten wir den Nil hinunter, wieder säumen riesige Palmen das Ufer, vorbei an braunen armseligen Hütten, teils mit Stroh bedeckt, Esel und Kühe baden im Nil, Vögel fliegen auf, Männer in kleinen Holzbooten, sie winken, Frauen waschen Wäsche im Fluss, wieder laufen Kinder am Ufer entlang, rufen, auch sie winken, schwimmen spielerisch auf das Schiff zu, Freude inzwischen der Armut und dem ganzen Müll, ich muss weinen.

Nachmittags legen wir am Kom Ombo Tempel an, der den Göttern Sobek und Haroeris gewidmet ist. Ich mache eine neue Reisegruppe für die Rückreise auf, ich fliege mit zwei österreichischen Lehrern bis nach Wien. „Da wir sechs Stunden Zeit beim Umsteigen haben, können wir uns betrinken“, so meine whiskeyerprobten Reisebegleiter. Nun ja….Abends Motto-Party der Amerikaner in der Bar, Rüdiger kommt in Kaftan, Kopfbedeckung und angemalten schwarzen Schnurrbart aus der Kabine. Wir sitzen oben an Deck und geniessen die frische Luft und die schwarze Nacht.
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Logbuch Kairo & Nil – Tag 5

07.10.2022

Um 7.30h verlässt die Gruppe das Schiff, ich mache mich auf den Weg zum Pooldeck. Eine Kanadierin im weissen Nachthemd und Zigarette bietet sich zum Plaudern an. Ein entspannter Vormittag. Um 13.00h soll das Schiff ablegen und unsere Gruppe Lunch im Bordrestaurant bekommen. Von meiner Gruppe fehlt allerdings jede Spur. Ich esse allein. Um 13.30h bewegt sich das Schiff, ich gehe zur Rezeption, um meine Gruppe als vermisst zu melden. Zum Glück war es das Schwesterschiff, das neben uns ablegte. Um 13.50h kommt die Gruppe aus dem Tal der Könige zurück; der Guide konnte wieder mal kein Ende finden, obwohl die Hälfte bereits im Bus sass und zurück zum Schiff wollte. Das Essen sei bereits abgeräumt (solche Witze mag man nach fast sieben Stunden Hitzeexkursion gern), sage ich und gehe zurück aufs Pooldeck, um beim Ablegen zuzuschauen.

Um 15.00h höre ich es tropfen; das Wasser kommt aus der Kabinendecke, über mir liegt das Pooldeck. Entwarnung vom Technikteam: vier Ägypter stehen in meiner Kabine und reparieren die Klimaanlage. Derweil sitze ich auf meinem Balkon mit dem verschnörkelten Geländer und winke den badenden Kindern zurück, während wir am palmenumsäumten Ufer des Nils entlanggleiten. Teatime auf dem Pooldeck, schöne Gespräche mit den wieder anwesenden Mitreisenden, Sonnenuntergang. Endlich kommt Tod-auf-dem-Nil-Feeling auf!

Logbuch Kairo & Nil – Tag 4

06.10.2022


Meine heutige Heldin heisst Hildegard.
Hildegard hat Fächer erstanden und schenkt mir, die ich mit knallrotem Kopf in den Seilen hänge, einen ihrer Exemplare. Über 40 Grad sind es in Luxor, wo wir in Karnak, der grössten Tempelanlage Ägyptens, die berühmten Widder-Sphinxe besuchen. Im gigantischen Säulenwald versuche ich, jedes Schattenplätzchen mitzunehmen, aber unser ägyptischer Guide kennt keine Gnade und setzt seine Erläuterungen lang und gern unter praller Sonne an.
Ich bin froh, als es wieder Richtung Bus geht und bin die Erste an Bord. Ein Nordlicht bleibt eben ein Nordlicht.

Check in auf dem Flussschiff, mit dem wir den Nil hinabgleiten werden. Ich bin begeistert: es sieht tatsächlich very british aus, wie in meinem Lieblingsfilm „Tod auf dem Nil“. „Nun brauchen wir nur noch einen Toten“, konstatiert P., der Gymnasialdirektor, der beim Lunch im Bordrestaurant neben mir sitzt. Wir haben ja noch ein paar Tage vor uns…

Zum Sonnenuntergang geht es zum Luxor-Tempel, leider sind wir zu spät losgefahren, und die Sonne ist schon weg. Das war die letzten Abende nicht anders, obwohl wir uns rückversichert haben, den Sunset vom Pool aus schauen zu können. Langsam kristallisiert sich heraus, wer unser Toter sein wird…

Da das Frühstück für morgen um 6.30h und die Abfahrt zum Tal der Könige um 7.30h angesetzt wird, beschliesse ich zum Erschrecken meiner intellekten Mitreisenden, morgen einen Pooltag einzulegen und damit einem Kollabieren unter der brennenden Sonne zu entgehen.

Logbuch Kairo & Nil – Tag 3

05.10.2022


„Jetzt stimmen wir kurz ab, die Mehrheit entscheidet, und in fünf Minuten ist das Thema erledigt“, sage ich forsch. Ewige Diskussionen sind nicht meins, vor allem nicht, wenn es um so etwas banales wie die Vorstellungsrunde geht, die unser ägyptischer Guide gern im Schatten der Ibn-Tulun-Moschee, der ältesten Moschee des Landes, durchführen möchte, einige Mitreisende dies aber als respektlos erachten. Die Mehrheit sieht das wie unser Guide und ich, wir stellen uns vor: ca. 70 Prozent der Gruppe sind Lehrer, dann folgt die Gruppe der Ärzte und Psychologen, der ein oder andere Geschäftsführer und Rentner und ich.

Wir steigen nach oben auf die Plattform der Moschee, die ohne Geländer bei uns so nie genehmigt worden wäre, aber die Aussicht über die staubigen Dächer der Chaosstadt Kairo ist toll.

Drei Mitreisende werden vergessen und müssen gesucht werden, dann geht es weiter ins Ägyptische Museum: 2,5 Stunden durch die vielen Räume mit Steinen, Schriften, Sarkophagen und Mumien. Klimaanlage Fehlanzeige, und bevor mein Kreislauf ganz den Geist aufgibt, nehme ich die FFP2-Maske ab. Wenn ich hier nicht im Gedränge infiziert werde, dann nirgendwo.

Und wieder geht es durch die Stadt, vorbei am Al Tahrir Platz und hinunter zum Nil, wo wir eine kleine Bootstour mit Picknick machen. Meine Mitreisenden sind quengelig, es ist bereits 16.00h, und die letzte Mahlzeit war das Frühstück um 7.30h. Nicht jeder (eigentlich niemand) schleppt wie ich Studentenfutter, Bananen und ein trockenes Brötchen mit sich herum; dank meiner Medikamente, die ich über den Tag verteilt nehme, bin ich essenstechnisch immer ausgerüstet. Ich bitte den Österreicher, sein Saftglas etwas sicherer auf dem Tisch zu platzieren, um weiteren Dramen um das Thema „Hose“ vorzubeugen.

Die nächsten Unruhen entstehen, als klar wird, dass es heute auch kein Abendessen geben wird und die Gruppe morgen früh in unterschiedlichen Fliegern nach Luxor sitzt. Gruppe 1 darf um 4.00h das Hotel verlassen, Gruppe 2 um 5.15h. Ich habe Glück.

Logbuch Kairo & Nil – Tag 2

04.10.2022

Ich schaue fassungslos an mir herunter. Ein Riss geht übers rechte Hosenbein, vom Knie bis hoch auf den Oberschenkel, es schaut aus wie eine klaffende Wunde, aber aus Stoff. Gestürzt bin ich nicht, ich habe mich nur einfach vor die Pyramide gekniet, und das war zuviel für meine altersschwache Hose, die mich jahrelang auf Reisen begleitet hat. Der Tag liegt noch vor uns. Ich knote eine dünne Strickjacke, die ich (vermeintlich) sinnloserweise (bei 35 Grad) im Rucksack habe, um die Hüfte, um den Riss zu kaschieren. Geht so semi.

Cheopspyramide, Sphinx, Stufenpyramide, Gräber,ein Lunch unter Bäumen in einem Garten, und irgendwann bei Sonnenuntergang zurück ins Hotel. Ein anstrengender Tag in der Hitze und ohne Schatten geht zuende, aber morgen soll es entpannter zugehen. Bestimmt tut es das, denn morgen werde ich hoffentlich mal ohne Hosenprobleme bestreiten.
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Logbuch Kairo & Nil – Tag 1

03.10.2022

Logbuch Kairo & Nil – Tag 1

Warum muss ich immer so einen Blödsinn machen? Der Wasserhahn, den ich unter der Toilette am Flughafen in Kairo entdeckt habe, ist nicht für die Spülung! Wofür der Hahn ist, ist unklar; aber das Wasser spritzt mit voller Wucht oben aufs linke Hosenbein, und das sieht so aus, wie ich nicht möchte, dass es aussieht.

Ich laufe zurück in die Halle, wo meine Reisegruppe mit meinem Koffer auf mich wartet. Was die jetzt wohl denken werden, denke ich. Gar nichts werden die denken, denn die Reisegruppe ist verschwunden, samt meinem Koffer und der Jacke. Am Ausgang winkt B.; ich laufe hinterher und springe in den Bus, wo der Guide mit meiner Jacke und dem Koffer auf mich wartet.

Auf geht‘s durch Kairo. Es herrscht Feierabendverkehr; die Strassen, eingerahmt von sandfarbenen Wolkenkratzern, sind voll von hupenden Autos. Zwischen den Hochhäusern tauchen prächtige – und heruntergekommene – Paläste auf, die von verwucherten Palmengärten umgeben sind. Baustellen und Reste abgerissener Häuser vervollständigen das Bild, das einem lauten, wilden Wirrwarr gleicht. Wir fahren an der Swimming Academy vorbei, an Moscheen und da, da ist der Nil, umrahmt von Palmen, die sich schwarz vor der untergehenden Sonne abheben.

Vorletzte Nacht bin ich um 2.30h eingeschlafen. Letzte Nacht bin ich um 4.20h aufgestanden. Und morgen geht es Punkt 8.00h zu den Pyramiden, verkündet Muhammad Ali, unser Guide. Auf in den Kampf, heisst das dann wohl!

Prolog

02.10.2022

Ich liege im Bett. Die goldgelben Vorhänge sind geschlossen und lassen einem die Illusion, dass die Sonne den Raum erhellt. Sehen tue ich das nicht, denn ich habe die Augen geschlossen. Und die Sonne scheint auch nicht, denn ich höre den Regen gegen die Fenster prasseln. Ich höre das Klappern der Töpfe und Pfannen aus dem Feinkostladen schräg unter mir, wo der Mittagstisch vorbereitet wird. Und ich höre das Kreischen einer Möwe. Ich rieche die frische Luft, die durch das geöffnete Fenster kommt. Ich rieche den leichten Geruch deines Parfüms in der Decke. Ich finde es faszinierend, wie die anderen Sinnesorgane die Oberhand gewinnen während die Augen geschlossen sind.

Die Augen halte ich geschlossen: ein Loch in der Netzhaut (und das ist ein Notfall) des rechten Auges wurde umgehend gelasert, und damit bin ich drei Tage krankgeschrieben, darf weder lesen (und somit auch nicht arbeiten) und sporten, und überhaupt die Augen nicht belasten.

Ein Hörbuch besitze ich, und so lasse ich mich über sechs Stunden in den Bann von Bram Stoker’s Dracula ziehen, sehe vor meinem inneren Auge die Kutsche, die vor dem Schloss hält, höre die Wölfe heulen, die unheimliche Stimme des Schlossherrn, der nachts kopfüber hängend die Mauern hinabklettert, Lucys Stimme, angsterfüllt, das Schiff mit dem toten Kapitän ans Steuer gefesselt, das Kruzifix in der Hand.

So wie ich quasi von einem auf den anderen Tag von 80 Prozent Schwerbehinderung auf 0 Prozent und damit als gesund deklariert wurde, so schnell werde ich nach dem Nachlasern am Freitag und weiteren Ruhestunden wieder von 0 Prozent auf 100 Prozent umschwenken. Das Abenteuer ruft. Morgen früh werde ich nach Kairo aufbrechen.

14.09.2022

Angst oder keine Angst?

„Ich habe vergessen, Angst zu haben“. Mein Gegenüber lacht mich etwas überrascht an. Er, der Höhenangst hat und es hasst, über die schmale Brücke zu gehen, die zu meinem Haus führt, hat die Hürde gemeistert, ohne an sie zu denken. Vielleicht hat er einfach daran gedacht, dass gleich ein schönes Dinner ansteht.

Ich packe meine Schwimmtasche und überlege, wann ich wohl im Aussenbecken des öffentlichen Bades eintreffen werde. Zwischen dem Packen und dem Aussenbecken muss ich zur Nachsorge in mein kleines Krankenhaus. Erst in die Radiologie zum Ultraschall und zur Mammographie, dann zu meiner neuen Ärztin, da meine jetzige in den Ruhestand gegangen ist. Ich habe keine Angst vor den Terminen. Es gibt auch keinen Grund dafür.

„BIs nächstes Jahr“, sagt die Radiologin. Alles ist gut. Ich fahre in den vierten Stock – unterdrücke aufkommende Tränen der Dankbarkeit – und lerne meine neue Ärztin kennen. Sympathisch ist sie und sehr kompetent, das stelle ich in unserem ausführlichen Gespräch fest. Es klopft an der Tür, „mein“ Lebensretter/Chirurg/Onkologe kommt herein. Jetzt möchte er aber unbedingt „seine“ Patientin begrüssen, die er schon im Wartezimmer gesehen habe! Und mir ausserdem sagen, wie sehr er sich über meine Postkarte gefreut habe, die ich ihm im März zu meinem fünften Jahrestag gesendet habe. Das käme nicht oft vor. Und er finde es toll, dass ich – die er als sehr strukturiert kennengelernt hat – so einiges in ihrem Leben geändert hat. Ich freue mich sehr über diese warmherzige Begrüssung und auch über meine neue Ärztin, die sagt, dass ich immer kommen könne, wenn etwas sei.

Angst ist ok, solange sie punktuell/zeitlich begrenzt und begründet ist. Dann ist Angst ein natürlicher Helfer, der das Bewusstsein schärft und einen aktiv werden lässt. Wenn ich z.B. im Arztbrief aus der Nuklearmedizin die Worte „maligne, abklärungsbedürftig, cancerguideline“ lese. Oder wenn ich Schmerzen im Knie habe oder in der Achselhöhle. Was tue ich bei solchen Ängsten: ich setze mich hin. Ich atme tief ein und aus. Ich überlege mir Lösungen: die Nuklearmedizin im großen Krankenhaus anrufen und sich den Arztbrief erklären lassen. Zum Radiologen gehen um das Knie unter die Lupe zu nehmen. Die schmerzende Achsel per Ultraschall untersuchen lassen.

Angst ist dann nicht mehr gesund, wenn sie permanent da ist und den Körper und die Seele stresst. Mein teils unerforschter Gendefekt, von dem ich fast sicher bin, dass er an meinem beidseitigen Brustkrebs schuld ist, könnte mir permanent Angst machen. Das lasse ich allerdings nicht zu. Ich ignoriere diesen Defekt nicht, kann ihn aber weder ändern noch die Forschung beschleunigen. Ich erwähne ihn (wie heute im Gespräch mit der neuen Ärztin), aber packe das Thema wieder in ein Kästchen ganz hinten in den Kopf. Permanente Angst macht keinen Sinn. Sie nimmt nur Lebensqualität und schadet der Gesundheit mehr als der Gendefekt an sich.

„Ich habe vergessen, Angst zu haben“, sagt mein Gegenüber und freut sich.

Ich freue mich auch.

28.08.2022

Über die Dankbarkeit.

Es ist Freitag, ich greife mein Handy und den Haustürschlüssel und laufe vor die Haustür. Keine Zeit, mich umzuziehen; in kurzer Jogginghose, Shirt und Flipflops renne ich auf die andere Strassenseite. Weiter kann ich nicht rennen, denn jede Minute könnte mein Rewe-Lieferservice eintreffen, und den muss ich im Auge behalten. Menschenmassen sitzen, stehen und winken, fangen an zu klatschen, als das kleine Boot in den Sandtorhafen einbiegt. Fettes Brot, die Hamburger Kultband, die in den letzten Jahren nicht aktiv war, hat heute Mittag bekanntgegeben, dass sie entlang der Elbe Überraschungskonzerte spielen wird; eines davon direkt vor meiner Haustür. Ich freue mich und bin dankbar, dass ich diesen spektakulären Auftritt miterleben darf. Ein Freund kommt um die Ecke, auch er begeistert, die wogende Menge singt mit. Drei Anrufe mit unbekannter Rufnummer lehne ich ab, bevor ich doch rangehe: der Rewe-Lieferservice sitzt in meinem Treppenhaus. Ich sprinte zurück, entschuldige mich und bin dankbar, dass er nicht mitsamt meines Wocheneinkaufs von dannen gezogen ist. Ich packe aus, laufe zurück auf die andere Strassenseite, klatsche noch etwas mit, winke der Band zu, die unter Dankesrufen langsam aus dem Sandtorhafen schippert.

Am Samstag bin ich in Berlin. Ich bin dankbar, dass ich an dem Event der Mammomädels teilnehmen kann, die die Kampagne zum Brustkrebsmonat Oktober präsentieren, der wir ein Gesicht geben werden. Es wird eine tolle Kampagne werden, ich freue mich und habe beim Fotoshooting recht schnell „mein Foto“. Heidi würde zufrieden sein. Wir lachen, führen tolle Gespräche, nippen an unseren alkoholfreien Drinks, unser Blick schweift über die Dächer von Kreuzberg.

Tibet 2018, sagt die Frau, die ich auf dem Nachhauseweg an der Elbe treffe, ich halte an und strahle, na klar, es ist eine ehemalige Mitreisende, die mit mir im Basecamp des Everest war. Wir unterhalten uns, bis die Sonne untergeht.

Im Aussenbecken des öffentlichen Bades sind am Sonntagmorgen nur zwei Mitschwimmer auszumachen. Der Himmel ist blau, die Sonne strahlt, der Bademeister fragt, ob er mich etwas fragen dürfe, wir kennen uns ja, ich würde hier fast täglich schwimmen, aber ehrlich soll die Antwort sein: sitzt sein Shirt gut oder sehe er aus wie eine Presswurst? Sensationell, antworte ich, und meine es ehrlich. A. kommt mir entgegengeschwommen, als ich gerade das Becken verlassen will, ich hänge noch zwei Bahnen dran, um mir von ihrer Wienreise erzählen zu lassen, bevor ich mich mitsamt meinem Frühstück auf meinen Lieblingsplatz am großen Becken niederlasse. Was für ein schöner Morgen.

Ein Mensch stirbt. Ich kenne Dich nicht persönlich, wir haben uns ab und an geschrieben, und ich war immer beeindruckt von Dir, mit wieviel Würde Du Deiner unheilbaren Krebserkrankung begegnet bist. Immer nach vorne blickend, nie klagend, immer einen schönen Tag wünschend. Ich merke, wie mir die Tränen kommen. Und doch bin ich dankbar für diese virtuelle Bekanntschaft. Und für jeden Moment.

29.07.2022

Unterwegs.

Ein weiterer Anker hat sich gelichtet, denke ich, während ich meine Bahnen durch das Becken des öffentlichen Bades ziehe. Der Himmel ist grau, im Gras sitzen zwei Krähen und krächzen.

„Von Amts wegen ergeht folgende Entscheidung“; so beginnt das zweiseitige Schreiben der Behörde für Gesundheit. Die zwei Seiten kann ich in einem Satz zusammenfassen, und das auch noch verständlicher als es das komplizierte Behördendeutsch ist: mein Behindertenausweis ist ab sofort ungültig und wird eingezogen. Von 80 Prozent Schwerbehinderung auf 0 Prozent, von einem Tag auf den anderen bin ich also vom Amt für gesund erklärt worden.

Das muss ich reflektieren, genauso wie die Sonne, die sich jetzt hervorwagt, und sich im Blau des kühlen Wassers spiegelt. Seit März 2022 gelte ich (nach meiner Zeitrechnung) als geheilt, ab sofort nun auch als gesund.

Fakt ist: ich habe mich bereits am Tag der Operation, an dem beidseitig die Krebstumore entfernt wurden, für gesund erklärt. Diese Einstellung hat mir geholfen, positiv nach vorn zu gucken und nicht in eine Schockstarre zu verfallen, verängstigt, dass der Krebs zurückkommen könnte. Das kann er. Aber genau da setze ich an und bin aktiv (und diszipliniert), um das Risiko zu reduzieren. Es geht mir gut mit dieser Einstellung. Dass ich andere gesundheitliche Herausforderungen habe, liegt nicht am Krebs, und einen Behindertenausweis hatte ich schon einmal empört abgelehnt. Auch damals habe ich mich als gesund erklärt, auch wenn ich es im Rückblick nicht gewesen bin.

Der Behindertenausweis, den ich noch drei Monate weiter führen darf, bevor ich ihn zurückgeben muss (so ich dieses komplizierte Schreiben richtig deute), war ein Anker. Er steckte sichtbar in meinem Portemonnaie und erinnerte mich täglich daran, inne zu halten. Einen Schritt langsamer zu gehen. Ein Anker, der mich darauf aufmerksam machte, auf meine innere Stimme zu hören: wie geht es Dir?, fragt mich die Stimme, ich schaue mich an, überlege, beantworte die Frage mit Bedacht und justiere meine Richtung, wenn es nötig ist. Das ist gut, und das ist richtig.

Dieser Anker hat sich nun gelichtet. Und ich, ich bin wieder ein Stück freier und schwimme gelassen der Sonne entgegen.

11.07.2022

Unterwegs.

„Wir haben hier fünf Etagen“, sagt der freundliche Mitarbeiter an der Rezeption und zeigt auf eine Wendeltreppe. Ich schaue entsetzt, denn ich bin Orientierungslegastheniker. Das erste Mal in meinem Leben ging ich mit vier Jahren im Urlaub in Bulgarien verloren und musste von der Polizei gesucht werden. Auch in Dänemark bin ich schon abhanden- und nicht am Zielbahnhof angekommen, auch hier wurde die Polizei eingeschaltet (da war ich keine vier sondern volljährig).

Die große Schwester meines schicken Spas, das ich heute für einen Kosmetiktermin aufsuche, ist prädestiniert für mich, sozusagen ein Labyrinth on surprise. „Ich bin Orientierungslegastheniker“, sage ich zum Rezeptionisten, ohne weiter auszuholen, er hat mein entsetztes Gesicht korrekt gedeutet, lächelt freundlich und beschliesst, mich zur Damenumkleide zu bringen und mir die Wege zur Kosmetik und zum Pool direkt zu zeigen. Das finde ich sehr aufmerksam. Die Damenumkleide ist riesig: während ich in „meinem“ Spa den Spind Nummer 1 nutze, laufe ich hier von einem Raum in den nächsten, vorbei an Spind Nummer 167, 220, 300…die große Schwester meines kleinen Spas ist wirklich groß. Hauptsache, ich finde die Toiletten, denke ich. Und meinen Spind auf dem Rückweg, dessen Nummer ich vorsichtshalber in mein Handy tippe.

Ich mache mich auf den Weg Richtung Saunabereich, wo ist eigentlich der große Pool (eine Wendeltreppe tiefer) und wo die Tür, die mich wieder Richtung Kosmetikbereich bringen soll (am Ende der drölfzig kleinen Becken und Saunen), auch hier erbarmt sich ein Mitarbeiter und bringt mich in den von mir gewünschten Bereich.

Ich bin gestresst. Das ist ungefähr das, was man nicht erwartet, wenn man seinen freien Tag in einem schicken Spa verbringt. Im Kosmetikbereich erwartet mich die übliche meditative Musik mit Gongtönen. Angenehm ist die Stunde, denn wirklich zu reinigen gibt es in meinem Gesicht nichts, also keine Qual sondern Masken und Massagen.

Ich vergesse nicht zu fragen, wo es Richtung Umkleiden geht, denn schwimmen möchte ich hier auch. Ich finde meinen Spind, ziehe meine Badesachen an, gehe zu den Duschen, finde die Tür zum Saunenbereich und sogar die Wendeltreppe, die Richtung großen Pool führt, und bin jetzt doch ein bisschen stolz, das ich es so weit geschafft habe. Ich ziehe meine Bahnen, dort drüben zanken sich zwei Männer, dahinten liegt einer längs auf einem Sofa, ein Pärchen knutscht im Pool, und eine schlecht schönheitsoperierte und gebotoxte Mitstreiterin aus meinem kleinen Spa, das diese Woche den Schwimmbereich wartet, ist hier auch zugegen.

Schick ist es hier, wenn auch viel zu groß, denke ich, aber hier haben sie wirklich alles. Ich schaue mich suchend um. Alles? Nicht ganz alles. Den Swimsuit Dryer, den ich letzte Woche in meinem kleinen Spa entdeckt habe, den gibt es hier nicht. Und den, den finde ich zielstrebig wieder, auf meinem Weg, in meinem Spa.

Epilog

Warum ich das Reisen mag.

Vielleicht, weil ich die Kälte mag. Und die Wärme.

Vielleicht, weil ich das Rot und das Gelb der Wüsten mag. Und die Weiss- und Blautöne im ewigen Eis.

Vielleicht, weil ich den Blick in die Ferne schweifen lassen mag, über das Meer. Um dann vor mir auf den Boden zu blicken und Blumen zu entdecken, winzig klein.

Vielleicht, weil ich die Vögel singen hören mag, ganz früh am Morgen. Und das Knistern des schmelzenden Eises im Nordpolarmeer, das mag ich auch.

Vielleicht, weil ich Fernweh hab. Und ich die Welt so spannend finde.

Vielleicht, weil ich die Menschen mag, die ich von jeder Reise mitbringe. Und die Veränderungen meiner selbst. Die Erinnerungen, die ich mir bewahren werde, die mag ich auch.

Und vielleicht, weil mich die Intensität der Erlebnisse die Zeit länger erscheinen lässt.

Vielleicht, weil ich dann glücklich bin.

Logbuch Svalbard Tag 11

09.06.2022

Punkt 7.30h Email von T. an unsere Tischrunde, das den morgendlichen Weckruf des Schiffs auf humorvolle Weise interpretiert. Für den recap würde ein baby seal Video gesucht 😉 Ich teile es sofort und bin jetzt gutgelaunt.

Dann laufe ich ins Dorf, um in letzter Minute den Svalbard-Hoodie zu kaufen, um den ich schon mehrmals drumrum geschlichen bin.

Am Flughafen in Longyearbyen dann Chaos. Hier ist überall self-service, also kann ich niemanden fragen, ob ich in Tromso nicht ohne Umsteigen und Wartezeit weiter nach Oslo fliegen kann.

Der Tromso Airport ist eine Baustelle: erstmal Passkontrolle, dann Gepäck holen, in nen Bus und ab zum nächsten Terminal. Hier wieder Gepäck einchecken (diesmal geht es nur mit Hilfe) und wieder durch die Kontrolle. Ich frage mich, in wievielen Ländern ich gelandet bin; ich wähnte mich eigentlich nur in Norwegen.

Im Oslo Airport laufe ich erstmal durch einen Ausgang, den ich nicht als solchen identifiziert habe und muss mich dann auf illegalem Weg wieder zurückmanövrieren, um an mein Gepäck zu kommen. Auf dem Weg zum Hotel umwandere ich – nun mit Gepäck – den Flughafen, warte eine kleine Ewigkeit beim Check In obwohl mehr Staff als Gäste zugegen sind, überliste die laute und nicht auszustellende Klimaanlage, in dem ich das Fenster aufmache, um dann um 23.45h einen Anruf von der Rezeption zu bekommen, die meinen Namen nochmal rückbestätigen möchte. Es ist Zeit, nachhause zu kommen.

Logbuch Svalbard Tag 10

08.06.2022

„Can I watch the video of the baby seal a last time?“ fragt einer der holländischen Forscher. Alle lachen. Die Reisegruppe steigt in den Bus, der sie zum Flughafen bringen wird. Ich bleibe mit meinem baby seal Video zurück, da meine Flüge erst einen Tag später gehen. „Ich sende Euch allen das Video per email“, antworte ich, wir umarmen uns und nehmen Abschied.

Eben sass ich noch mit D. bei Chai-Tee und einem schönen Gespräch im kleinen Polarmuseum, nun bin ich allein. Ich werde etwas wehmütig, schlendere unschlüssig durch Longyearbyen, schaue in die Geschäfte ohne etwas zu finden, kaufe im Koop schliesslich Bananen und Knäckebrot und trinke einen Cappuccino auf der Terrasse eines Cafés. Draussen vorm Hotel weiden zwei Rentiere.

Logbuch Svalbard Tag 9

06.06.2022

7.40h. Ich sitze in der Bar. Die Musiker sind längst auf ihren Kabinen, der Tresen aufgeräumt, die Tische geputzt, die Sessel wieder ordentlich arrangiert.

Die Sonne streift über die Lehnen, den blaugemusterten Teppich und über die Berge. Heute Morgen werden wir mit den Zodiacs in Skansbukta anlanden und schauen, ob wir Puffins entdecken.

Keine Puffins in Skansbukta, dafür Steinschlag und ein Schneehuhn.

Die Sichtung des Schneehuhns, der Eisbären und die meisten Wale haben wir übrigens der Aufmerksamkeit unserer holländischen Forscher zu verdanken, die stundenlang an Deck ausharren. Ich revanchiere mich mit dem Video des Seehundbabies, das ich jedem enthusiastisch unter die Nase bzw. die Augen halte, gerne auch öfters.

In Borebukta werde ich richtig nass, ich sitze ganz vorn im Zodiac, die Wellen perlen von meinem Arktisoutfit ab. Es ist windig. Und kalt. Wir sehen noch eine Gruppe Walrosse , mich interessiert aber mehr eine heisse Dusche.

Die undefinierbare grün-pink-farbene Masse, die mit einem weissen Rand umsäumt ist, wurde als Alaska-Erdbeervariation angekündigt. „Schmeckt wie Marshmallows“, meint S. „Sieht aus wie Permafrost“, findet A. Wir haben hier einiges gelernt. Auch das man manchmal mit dem frischen Obst-Teller als Dessert doch besser beraten is(s)t.

Logbuch Svalbard Tag 9

07.06.2022

7.40h. Ich sitze in der Bar. Die Musiker sind längst auf ihren Kabinen, der Tresen aufgeräumt, die Tische geputzt, die Sessel wieder ordentlich arrangiert.

Die Sonne streift über die Lehnen, den blaugemusterten Teppich und über die Berge. Heute Morgen werden wir mit den Zodiacs in Skansbukta anlanden und schauen, ob wir Puffins entdecken.

Keine Puffins in Skansbukta, dafür Steinschlag und ein Schneehuhn.

Die Sichtung des Schneehuhns, der Eisbären und die meisten Wale haben wir übrigens der Aufmerksamkeit unserer holländischen Forscher zu verdanken, die stundenlang an Deck ausharren. Ich revanchiere mich mit dem Video des Seehundbabies, das ich jedem enthusiastisch unter die Nase bzw. die Augen halte, gerne auch öfters.

In Borebukta werde ich richtig nass, ich sitze ganz vorn im Zodiac, die Wellen perlen von meinem Arktisoutfit ab. Es ist windig. Und kalt. Wir sehen noch eine Gruppe Walrosse , mich interessiert aber mehr eine heisse Dusche.

Die undefinierbare grün-pink-farbene Masse, die mit einem weissen Rand umsäumt ist, wurde als Alaska-Erdbeervariation angekündigt. „Schmeckt wie Marshmallows“, meint S. „Sieht aus wie Permafrost“, findet A. Wir haben hier einiges gelernt. Auch das man manchmal mit dem frischen Obst-Teller als Dessert doch besser beraten is(s)t.

Logbuch Svalbard Tag 8

05.06.2022

Poolepynten.

Wir pirschen uns ganz leise an die Walrosse heran. Keinesfalls wollen wir sie stören oder erschrecken.

Da Walrosse extrem stinken, habe ich einen extra Tropfen Minzöl in meine Maske getan und atme durch den Mund. Mit Gestank kann ich nur schlecht umgehen. Fast eine Stunde beobachten wir die Gruppe männlicher Jungtiere, die am Strand herumliegen oder im Meer schwimmen, ihre Köpfe heben und grummelige Geräusche machen.

Im St. Johnsfjord sind wir wieder in Zodiacs unterwegs. Gletscher reihen sich aneinander, dazwischen schneebedeckte Berge, die sich in der glatten Wasseroberfläche spiegeln. Ein Seehundbaby taucht direkt vor mir auf und kommt neugierig näher. Ich filme die Szene. Und bin glücklich.

Abends BBQ auf Deck 5, wir sitzen in Skihosen und dicken Jacken um schön gedeckte Tische, wir Nordlichter lachen zusammen mit den holländischen Forschern.

Ich liege im Bett und höre Gesang, Lachen und Applaus. In der Bar nebenan ist Party. Ein Israeli hat seine Ukulele dabei, einer der Forscher spielt Gitarre, und jemand spielt Klavier.

Auch wenn ich schon im Bett liege, freue ich mich über die Lebendigkeit, die aus der Bar klingt.

Logbuch Svalbard Tag 7

04.06.2022

Ich ziehe meine Jacke über und laufe an Deck. Ein Grönlandwal wurde gesichtet; allerdings macht er mir nicht die Freude, noch einmal aufzutauchen (ich werde am Ende dieser Reise die wahrscheinlich Einzige bleiben, die weder Blauwal, Grönlandwal oder Zwergwale gesehen hat).

Statt Landgang entscheide ich mich für Gym und Jacuzzi.

Auch den Nachmittag vertrödele ich an Bord.

Beim Dinner geht es bei den Israelis mit den Festivitäten weiter. Wir haben diesmal Glück und bekommen Hummus, Yoghurtsauce und süsses Brot gereicht.