Über die Dankbarkeit.
Es ist Freitag, ich greife mein Handy und den Haustürschlüssel und laufe vor die Haustür. Keine Zeit, mich umzuziehen; in kurzer Jogginghose, Shirt und Flipflops renne ich auf die andere Strassenseite. Weiter kann ich nicht rennen, denn jede Minute könnte mein Rewe-Lieferservice eintreffen, und den muss ich im Auge behalten. Menschenmassen sitzen, stehen und winken, fangen an zu klatschen, als das kleine Boot in den Sandtorhafen einbiegt. Fettes Brot, die Hamburger Kultband, die in den letzten Jahren nicht aktiv war, hat heute Mittag bekanntgegeben, dass sie entlang der Elbe Überraschungskonzerte spielen wird; eines davon direkt vor meiner Haustür. Ich freue mich und bin dankbar, dass ich diesen spektakulären Auftritt miterleben darf. Ein Freund kommt um die Ecke, auch er begeistert, die wogende Menge singt mit. Drei Anrufe mit unbekannter Rufnummer lehne ich ab, bevor ich doch rangehe: der Rewe-Lieferservice sitzt in meinem Treppenhaus. Ich sprinte zurück, entschuldige mich und bin dankbar, dass er nicht mitsamt meines Wocheneinkaufs von dannen gezogen ist. Ich packe aus, laufe zurück auf die andere Strassenseite, klatsche noch etwas mit, winke der Band zu, die unter Dankesrufen langsam aus dem Sandtorhafen schippert.
Am Samstag bin ich in Berlin. Ich bin dankbar, dass ich an dem Event der Mammomädels teilnehmen kann, die die Kampagne zum Brustkrebsmonat Oktober präsentieren, der wir ein Gesicht geben werden. Es wird eine tolle Kampagne werden, ich freue mich und habe beim Fotoshooting recht schnell „mein Foto“. Heidi würde zufrieden sein. Wir lachen, führen tolle Gespräche, nippen an unseren alkoholfreien Drinks, unser Blick schweift über die Dächer von Kreuzberg.
Tibet 2018, sagt die Frau, die ich auf dem Nachhauseweg an der Elbe treffe, ich halte an und strahle, na klar, es ist eine ehemalige Mitreisende, die mit mir im Basecamp des Everest war. Wir unterhalten uns, bis die Sonne untergeht.
Im Aussenbecken des öffentlichen Bades sind am Sonntagmorgen nur zwei Mitschwimmer auszumachen. Der Himmel ist blau, die Sonne strahlt, der Bademeister fragt, ob er mich etwas fragen dürfe, wir kennen uns ja, ich würde hier fast täglich schwimmen, aber ehrlich soll die Antwort sein: sitzt sein Shirt gut oder sehe er aus wie eine Presswurst? Sensationell, antworte ich, und meine es ehrlich. A. kommt mir entgegengeschwommen, als ich gerade das Becken verlassen will, ich hänge noch zwei Bahnen dran, um mir von ihrer Wienreise erzählen zu lassen, bevor ich mich mitsamt meinem Frühstück auf meinen Lieblingsplatz am großen Becken niederlasse. Was für ein schöner Morgen.
Ein Mensch stirbt. Ich kenne Dich nicht persönlich, wir haben uns ab und an geschrieben, und ich war immer beeindruckt von Dir, mit wieviel Würde Du Deiner unheilbaren Krebserkrankung begegnet bist. Immer nach vorne blickend, nie klagend, immer einen schönen Tag wünschend. Ich merke, wie mir die Tränen kommen. Und doch bin ich dankbar für diese virtuelle Bekanntschaft. Und für jeden Moment.
