Flashbacks

Die kleine Tochter meiner Zimmergenossin im Krankenhaus, die vor meinem Bett steht und mir vertrauensvoll von ihrem weißen Himmelbett, dem Traumfänger aus dem Gran Canaria-Urlaub und dem Engel, der vor ihrem Bett sitzt und sie beschützt, erzählt.

Die Fahrt mit der Fähre nach Övelgönne im Sturm und Regen, nachdem ich vorher bei der Internistin geweint habe, die mich eigentlich zur Schilddrüsen-OP ins Krankenhaus einweisen wollte und mich nun krankschreibt, als ich ihr vom Verdacht auf Krebs erzähle. Auch auf der Fähre weine ich. Das macht nichts, ich bin die einzige, die sich bei dem Wetter auf das Schiff verirrt hat.

Die nächste Fahrt mit der Fähre – diesmal nach der Krebs-OP – die Sonne scheint, die Menschen sind fröhlich und ich eigentlich auch, die anderen kaufen Eis, ich halte schützend meinen Arm vor den Oberkörper, setze mich abseits der Menschenmassen und werde wieder von Traurigkeit übermannt. Als ob die Traurigkeit der letzten Fahrt an Bord geblieben und auf mich gewartet hat.

Die alte Frau mit dem wettergegerbten Gesicht und den Lachfalten um den Augen, die energisch ihr Fahrrad über den Ponton schiebt, voller Leben.

Der blinde, ältere Türke, der jeden Tag von seiner Frau zur Strahlentherapie begleitet wird und mir im Wartezimmer gegenüber sitzt. Wer bestimmt, wieviel Leid ein Mensch zu tragen hat?

Die zwei jungen Frauen, die sich im Wartezimmer über Frisuren während der Chemo-Therapie unterhalten, die eine nimmt ihre Mütze ab und zeigt auf die vereinzelten Haarsträhnen, die noch geblieben sind. Sie möchte es mit einem Kurzhaarschnitt versuchen. Die andere, die ihr Tuch abnimmt und stolz die ersten Haare zeigt, die wieder wachsen.

Das Shooting mit der koreanischen Foografie-Studentin J., die Portraits  für ihre Semesterarbeit macht, das Thema: Deine zukünftige Beerdigung. Die Fragen zum Thema Tod, die ich schriftlich auf  ihrem schönem Zeichenpapier beantworte, mit meinem Montblanc-Füller und lila Tinte. Es hat etwas festliches. J., die berührt ist und mich umarmt.

Die irritierten Blicke und vorsichtigen Fragen der Nachbarn, des Friseurs, des Feinkosthändlers, die mich jetzt tagsüber in meinem Stadtteil sehen.

Der schöne Abend mit meinen Freundinnen M. und L., die immer für mich da sind und die ich in die Bridge-Bar eingeladen habe, um mal wieder auf das Leben anzustoßen. Auf den Fotos strahlen wir.

Der Kauf eines Bikinis in der Innenstadt – was Doutzen Kroes steht, sollte mir doch auch stehen… Tut es. Und zwar so gut, dass ich am nächsten Tag einen weiteren Bikini kaufen gehe. Trotz des malträtierten Oberkörpers von Operation und Strahlentherapie schaue ich selbstsicher in den Spiegel der Umkleidekabine. Ich finde mich schön.

Der Freund, dem ich Fotos von mir in meinen neuen Bikinis schicke und der mir antwortet und sagt, dass ich toll aussehe und das packen würde.

Die spontane Buchung eines Kurzurlaubs auf Sylt. Gesunde, fröhliche Menschen möchte ich sehen, die Eis in den Cafés essen und Champagner in der Sansibar trinken. Ich möchte ein Teil von ihnen sein. Und Abstand von den letzten Wochen gewinnen, der Angst, der Müdigkeit, den Schmerzen, den Kranken, den Bildern im Kopf.

Der Stuhl, auf dem ich wieder im Sprechzimmer des Krankenhauses sitze, als mir Prof. Dr. M. eröffnete, dass ich Krebs habe. Heute sitzt mir eine sachlich-sortierte Ärztin gegenüber, zu der ich für die weiteren Nachsorgeuntersuchungen gehen werde.

2 Gedanken zu “30.05.2017

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