Die Frau rechts von mir lässt alle Formulare fallen, die sie ausfüllen muss. Die Dame schräg gegenüber, die gerade ihren OP-Termin wegen einer Erkältung abgesagt hat, hustet ununterbrochen. Die Frau mit der Perücke, die mir gegenüber sitzt, nimmt nonverbal Kontakt zu mir auf; wir kommunizieren über Blicke, die wir uns zuwerfen. Vorm Wartezimmer herrscht Chaos: die Technik ist ausgefallen: Ärzte, Assistenten und Patienten laufen umher, Turnschuhe mischen sich mit Croqs und Winterstiefeln.
Ich schliesse die Augen, fokussiere mich auf den Atem und bin entspannt. Heute ist mein Vor- und Nachsorgetermin. Angst habe ich nicht.
Ich denke, dass ich gesund bleibe, sage ich zu meiner neuen Ärztin. Das denke sie auch, antwortet sie. Ich habe ein Update über meine Untersuchungen seit unseres letzten Termins gegeben: Lunge geröngt, Knochendichte gemessen, Bauch (und Schilddrüse) geultraschallt, Checks wg. der Tamoxifeneinnahme beim Augenarzt und Dermatologen, alles im grünen Bereich. Sie ist erfreut und auch clever und fragt nach, wie es mit der verschobenenen Darmspiegelung aussehe; wegen meines seltenen (und nur teilweise erforschten) Gendefekts würde sie mir raten, das auch noch anzugehen. Natürlich hat sie Recht.
Sie untersucht mich sehr sorgfältig, baut ein nicht geplantes Ultraschall ein, und auch als sie länger auf einer Stelle verharrt, werde ich nicht nervös. Da wir uns noch nicht so lange kennen, möchte sie sich einen genauen Überblick verschaffen. Ich mag meine neue Ärztin. Ob ich noch ein Rezept bräuchte? Das sei ja jetzt die Kür mit dem Tamoxifen…ich versichere, dass ich wirklich auf zehn Jahre verlängern möchte, ich kenne die Risiken, ich könne mit den Nebenwirkungen umgehen, ich sei mir sicher. Ich bekomme mein Rezept und Nachfolgetermine zur Mammographie etc. für den September.
Ob ich wieder auf Expedition ginge, fragt mich mein Lebensretter/Chirurg, der auch im Pulk vor der nicht-funktionierenden Technik steht, und deutet auf meine Arktisjacke. Ich deute nach draussen, es schneie, da könne man die Jacke schon mal tragen. Wir plaudern noch etwas, dann bekomme ich mein Rezept und neue Termine und verschwinde im Schnee, immer noch gesund, und so soll es sein.
Im Souk laden Kaschmirschals, Krummdolche, Teppiche und Goldschmuck zum Stöbern ein, wir kreuzen in einer traditionellen Dhau vor der Felsenküste, es geht mit dem Jeep durchs Gebirge bis an die Küste des Indischen Ozeans, abends gibt es ein Naturschauspiel am Strand, wo wir große Meeresschildkröten bei der Eiablage beobachten, wir beziehen ein Camp zwischen gigantischen Sandbergen, die rot, golden und kupferfarben leuchten, und leuchten tun nachts auch die Sterne über unseren Zelten. Weiter geht es mit dem Jeep durch die Wüste, in der Oasen und Dattelhaine auftauchen, Kamelherden, Dromedare und Esel bewegen sich langsam durch die Dünen, die Nachmittagssonne taucht die Gipfel der Berge in goldenes Licht, der Pool liegt zwischen Papayas, Bananen- und Kokospalmen, Südseefeeling.
Ich bin schnell zu begeistern. Worte wie Wüste, Meeresschildkröten, Gebirge, Palmen und Pool triggern mich – im positiven Sinn. Das nächste Abenteuer ist gebucht. Es wird Zeit, das kühle Europa in die Wüste zu schicken.
Stürmisch ist es, der Regen prasselt unaufhörlich nieder, und stürmisch war auch meine Woche. Krisenmanagement kann ich: Optionen ausloten, Lösungen überlegen, angreifen. Nichts ist mir mehr zuwider als Herausforderungen, denen ich hilflos ausgeliefert bin. Das war bei meinen Erkrankungen der Fall. In diesem Fall kann ich selbst agieren. Und so schaukelt mein kleines Boot im Sturm und im Regen auf den Wellen umher, aber untergehen wird es nicht.
Ich möchte heute Nachmittag durch die Vorderreihe bummeln, entweder Nusseis mit Sahne in der Eisdiele oder ein Stück Nusstorte bei Niederegger essen, eine helle Hose möchte ich kaufen, im Hotelpool schwimmen, am Strand entlang wandern und abends beim Italiener essen. Oder in der Marina.
Ich steige in Travemünde-Strand aus: auf in die Bäckerei und mit Ei und Käse belegte Brötchen bestellen! Koffer im Hotel abgeben, und dann in die Vorderreihe. Aus der hellen Hose wird eine dunkelblaue Jeans, und während ich durch Sturm und Regen trabe, stelle ich fest, dass ich weder Eis noch Torte möchte. Meine Planung läuft ja super, denke ich, wird aber durch eine Schwimmeinheit und den Besuch beim Italiener wieder eingehalten. Der Regen prasselt auf das Zeltdach, vermischt sich mit den tosenden Wellen des Meeres, während ich mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze und gegen den Wind am Strand zurück ins Hotel marschiere.
Wie geht es Dir?, frage ich mich. Gut, antworte ich. Das Boot wird nicht sinken. Morgen wird der Wind sich legen, die Sonne hinter den Wolken hervorkommen, und das spiegelglatte Meer wird glitzernd strahlen.
Ich schlage das kleine weisse Buch auf. Das tue ich jedes Jahr, wenn es sich dem Ende zuneigt. Ich blättere auf die letzte beschriebene Seite, die die Wünsche – Vorsätze klingt mir zu streng – des aktuellen Jahres aufführt. Ich bin gespannt, was ich mir für dieses Jahr gewünscht und was ich davon umgesetzt habe. Sieht gut aus, denke ich und fange an, die Punkte abzuhaken: gesund bleiben steht an erster Stelle, und wenn man von den Löchern in den Netzhäuten und dem damit verbundenen unangenehmem Augenlasern absieht, ist das Ziel erreicht. Ich gelte jetzt ausserdem als geheilt, was nicht wirklich viel bedeutet, aber ich feiere die Feste, wie sie fallen.
Gesportet, geschwommen, gesund ernährt, gereist, geküsst, geliebt, das Leben genossen, picknicken bei Sonnenaufgang im Freibad, Eisbären am Nordpol gesichtet, wie im wunderbaren Film „Tod auf dem Nil“ eben diesen mit einem kleinen Flussschiff – british style – von Luxor nach Assuan hinabgeglitten, mich in Nizza im Park unter Palmen um die eigene Achse gedreht, ganz schnell und immer schneller, die Balance, die habe ich gehalten, innerlich und äusserlich.
Natürlich war nicht alles gut: viele sind in diesem Jahr von uns gegangen, und das berührt mich sehr. Berühren tut mich der Krieg und meine Kollegen im Büro in Odessa, die tapfer die Stellung halten und am 22.12. Weihnachtsgrüsse schickten. Da habe ich geweint. Auch andere Dinge, die hier nicht hingehören, waren schwierig und werden schwierig bleiben.
Den Fokus lege ich auf die schönen Dinge – was nicht heisst, dass ich die Herausforderungen verdränge – doch die schönen Dinge sind es, die mir Kraft geben und mich glücklich machen.
Ich blättere im Büchlein zurück und lache über meine Anmerkungen. Eine Liste für 2021 fehlt. Daneben steht: „was war da los? Keine Vorsätze?!? Trotzdem auf der Spur geblieben. :)“
Anmerkung zu den Wünschen aus 2017, dem Jahr, in dem ich krank wurde: „das Jahr verlief anders als erwartet. Dafür lustigerweise viel umgesetzt.“ Die Wünsche (Meditation, Taiji, Balance, bewusst leben, gesunde Ernährung, Ruhe) gab es schon, bevor die Erkrankung kam.
Ich lege eine Wunschliste für 2023 an. Und setze schon jetzt einen Vermerk drunter: „Du machst das gut.“
Ende 2023 werde ich das weisse Büchlein wieder aufschlagen.
„Wenn du an einen neuen Ort gelangst, warte. Es braucht Zeit, bis die Seele nachkommt.“ (Weisheit der nomadischen Indianer)
Meine Seele ist nicht angekommen. Weder in Kairo noch in Luxor, in Edfu oder in Assuan. Selbst meinem Koffer war das zu schnell, auch er braucht Zeit, um nachzukommen. Ich warte.
Ungewöhnlich ist das schon, denn normalerweise bin ich ab Taxifahrt zum Flughafen im Urlaubsmodus und bei mir. „Ich finde es toll, wie Du für Dich das Programm anpasst und Dein Tempo gehst. Das können die meisten nicht“, sagt die Psychologin aus der Reisegruppe zu mir. Für mich ist das normal geworden, spätestens seit der Erkrankung achte ich darauf, dass ich in der inneren Balance bleibe und korrigiere äussere Umstände, wenn dem nicht so ist.
Diese Reise war mir zu schnell, zu viel Programm in zu kurzer Zeit, zu unstrukturiert. Sprachlos schaue ich aus dem Fenster, als wir vom Flughafen in Kairo zum Hotel fahren: ich verstehe nicht, was ich sehe. Riesige Hochhäuser reihen sich aneinander, dazwischen Brachflächen, halb abgerissene Gebäude, halb neu gebaute Häuser, verfallene Bauten inmitten von Müll und dem Lärm des stockenden Verkehrs, die flackernden Lichter, und dort hinten die untergehende Sonne, der einzige Ruhepol in dem Chaos.
Meine Seele kommt hier nicht an, und Zeit zum Warten gibt es nicht.
Vielleicht ist sie zuhause geblieben. Ich schaue mich um. Ich setze mich hin. Und warte.
„Nicht essen!“ Walter, der Lehrer aus der Steiermark und Dr. P., der Gymnasialdirektor aus Paderborn, gucken kritisch auf das von mir erstandene Hühnchenbaguette. Den Salat habe ich bereits herausgepult, aber meine letzten verbliebenen Mitreisenden finden es immer noch bedenklich. Walters Horrorgeschichten geben den Ausschlag: trotz Hunger verzichte ich auf den potenziellen Salmonellenträger und greife zu meinem Studentenfutter, von dem ich immer mehrere Tüten mit mir führe.
Über sechs Stunden haben wir hier auf dem Airport Cairo herumzukriegen, es gibt nicht wirklich etwas zu tun. Wir kaufen Schokolade. Wir trinken einen Kaffee. Wir suchen die Toiletten. Wir erzählen uns lustige Dinge.
Derweil steht der Rest unserer Reisegruppe vor dem Check-In, und das seit drei Stunden. Ihr Gepäck wurde nicht von Assuan an die Ziel-Destination durchgecheckt, sie müssen in Kairo auschecken, durch diverse Sicherheitsschranken gehen und dann wieder einchecken. Nur hat ihr Schalter noch nicht geöffnet. Wenn man seit 5 Uhr morgens auf den Beinen ist und der Tag noch laaaang werden wird, ist das nicht so angenehm. Dr. C., der bisher einen ruhigen Eindruck machte, hatte bereits in Assuan einen Wutausbruch, da sein Begleiter, Dr. P., mühelos durchchecken konnte, was ihm, der exakt dasselbe gebucht hatte, verwehrt wurde.
„Noch machen wir Witze“, sage ich, „vermutlich wird dann unser vermeintlich durchgechecktes Gepäck auf der Strecke bleiben. Mitsamt der Horde an erstandenen Skarabäen und Pyramiden, die man durchaus als spitze Gegenstände deklarieren kann und besser nicht ins Handgepäck tut. Dr. P. tut sie in den Koffer, zum Panamahut, der dort in einer Hutschachtel ruht. Kurioses Gepäck.
Kurzer Zwischenstop in Wien, ein weiterer Sicherheitscheck, ich kaufe eine Brezel mit Butter und Schnittlauch und bekomme eine zweite geschenkt. Wien ist wunderbar.
Nach 16 Stunden Rückreise und drei Flügen mit drei Airlines bewahrheitet sich meine Befürchtung. Das Kofferband rollt und rollt, verlassen und leer, und ich, ich bin die Einzige, die hier noch steht. Mir ist zum heulen. Nach 16 Stunden will ich nur noch nach Hause und nicht noch einmal quer durch den Airport laufen und Formulare ausfüllen. Dafür spare ich Zeit zuhause, denn eigentlich packe ich immer bei Ankunft die Koffer aus. Jetzt packe ich mich nur noch in mein Bett. Diese Reise wird als eine der chaotischen in Erinnerung bleiben. Mit Pyramiden.
09.10.2022 „Das ist Helgoland im Nil“, konstatiert P., der neben mir auf der Feluke sitzt. Ein kleiner roter Felsen mit grünem Türmchen und Möwen ist vor uns aufgetaucht, der geschickt umsegelt wird. So geschickt sind wir nicht auf unsere Feluke gekommen; nachdem die merklich reduzierte Gruppe (mehrere Magendarm- und ein Allergiefall) eine halbe Stunde bei 40 Grad in der Sonne gewartet hat, muss ein Zubringerboot organisiert werden, da wir in einer windstillen Ecke des Nils unsere Ausgangsposition haben.
Wir klettern auf das Boot und fahren der Feluke entgegen. Akrobatisches Umsteigen mitten auf dem Nil von Boot zu Boot, aber wir sind ja mittlerweile einiges gewohnt.
Souvenirs kommen unter der Decke des Tisches zum Vorschein, die ägyptische Butterfahrt kann starten. Walter kauft ein Krokodil aus Holz, welches weit weniger spektakulär als die tote Schlange und der abgehackte Schafskopf ist, die er sonst von seinen Reisen mit nach Hause brachte. Der Österreicher ist sehr amüsant, aber die crosscultural differences machen sich bemerkbar.
Die Fahrt mit der Feluke ist schön. Auf den Besuch des Bazars verzichten Birgit, die wieder etwas fitter ist und ich, wir marschieren auf der heissen staubigen Strasse zurück zu unserem Schiff. Mein Geld habe ich P., dem freundlichen Gymnasialdirektor aus Deutschland, anvertraut, der mir Souvenire vom Bazar mitbringen wird. Da habe ich keine Schafsköpfe oder tote Schlangen zu befürchten.
Um 7.30h verlässt die Gruppe das Schiff, ich mache mich auf den Weg zum Pooldeck. Eine Kanadierin im weissen Nachthemd und Zigarette bietet sich zum Plaudern an. Ein entspannter Vormittag. Um 13.00h soll das Schiff ablegen und unsere Gruppe Lunch im Bordrestaurant bekommen. Von meiner Gruppe fehlt allerdings jede Spur. Ich esse allein. Um 13.30h bewegt sich das Schiff, ich gehe zur Rezeption, um meine Gruppe als vermisst zu melden. Zum Glück war es das Schwesterschiff, das neben uns ablegte. Um 13.50h kommt die Gruppe aus dem Tal der Könige zurück; der Guide konnte wieder mal kein Ende finden, obwohl die Hälfte bereits im Bus sass und zurück zum Schiff wollte. Das Essen sei bereits abgeräumt (solche Witze mag man nach fast sieben Stunden Hitzeexkursion gern), sage ich und gehe zurück aufs Pooldeck, um beim Ablegen zuzuschauen.
Um 15.00h höre ich es tropfen; das Wasser kommt aus der Kabinendecke, über mir liegt das Pooldeck. Entwarnung vom Technikteam: vier Ägypter stehen in meiner Kabine und reparieren die Klimaanlage. Derweil sitze ich auf meinem Balkon mit dem verschnörkelten Geländer und winke den badenden Kindern zurück, während wir am palmenumsäumten Ufer des Nils entlanggleiten. Teatime auf dem Pooldeck, schöne Gespräche mit den wieder anwesenden Mitreisenden, Sonnenuntergang. Endlich kommt Tod-auf-dem-Nil-Feeling auf!
Meine heutige Heldin heisst Hildegard. Hildegard hat Fächer erstanden und schenkt mir, die ich mit knallrotem Kopf in den Seilen hänge, einen ihrer Exemplare. Über 40 Grad sind es in Luxor, wo wir in Karnak, der grössten Tempelanlage Ägyptens, die berühmten Widder-Sphinxe besuchen. Im gigantischen Säulenwald versuche ich, jedes Schattenplätzchen mitzunehmen, aber unser ägyptischer Guide kennt keine Gnade und setzt seine Erläuterungen lang und gern unter praller Sonne an. Ich bin froh, als es wieder Richtung Bus geht und bin die Erste an Bord. Ein Nordlicht bleibt eben ein Nordlicht.
Check in auf dem Flussschiff, mit dem wir den Nil hinabgleiten werden. Ich bin begeistert: es sieht tatsächlich very british aus, wie in meinem Lieblingsfilm „Tod auf dem Nil“. „Nun brauchen wir nur noch einen Toten“, konstatiert P., der Gymnasialdirektor, der beim Lunch im Bordrestaurant neben mir sitzt. Wir haben ja noch ein paar Tage vor uns…
Zum Sonnenuntergang geht es zum Luxor-Tempel, leider sind wir zu spät losgefahren, und die Sonne ist schon weg. Das war die letzten Abende nicht anders, obwohl wir uns rückversichert haben, den Sunset vom Pool aus schauen zu können. Langsam kristallisiert sich heraus, wer unser Toter sein wird…
Da das Frühstück für morgen um 6.30h und die Abfahrt zum Tal der Könige um 7.30h angesetzt wird, beschliesse ich zum Erschrecken meiner intellekten Mitreisenden, morgen einen Pooltag einzulegen und damit einem Kollabieren unter der brennenden Sonne zu entgehen.
„Jetzt stimmen wir kurz ab, die Mehrheit entscheidet, und in fünf Minuten ist das Thema erledigt“, sage ich forsch. Ewige Diskussionen sind nicht meins, vor allem nicht, wenn es um so etwas banales wie die Vorstellungsrunde geht, die unser ägyptischer Guide gern im Schatten der Ibn-Tulun-Moschee, der ältesten Moschee des Landes, durchführen möchte, einige Mitreisende dies aber als respektlos erachten. Die Mehrheit sieht das wie unser Guide und ich, wir stellen uns vor: ca. 70 Prozent der Gruppe sind Lehrer, dann folgt die Gruppe der Ärzte und Psychologen, der ein oder andere Geschäftsführer und Rentner und ich.
Wir steigen nach oben auf die Plattform der Moschee, die ohne Geländer bei uns so nie genehmigt worden wäre, aber die Aussicht über die staubigen Dächer der Chaosstadt Kairo ist toll.
Drei Mitreisende werden vergessen und müssen gesucht werden, dann geht es weiter ins Ägyptische Museum: 2,5 Stunden durch die vielen Räume mit Steinen, Schriften, Sarkophagen und Mumien. Klimaanlage Fehlanzeige, und bevor mein Kreislauf ganz den Geist aufgibt, nehme ich die FFP2-Maske ab. Wenn ich hier nicht im Gedränge infiziert werde, dann nirgendwo.
Und wieder geht es durch die Stadt, vorbei am Al Tahrir Platz und hinunter zum Nil, wo wir eine kleine Bootstour mit Picknick machen. Meine Mitreisenden sind quengelig, es ist bereits 16.00h, und die letzte Mahlzeit war das Frühstück um 7.30h. Nicht jeder (eigentlich niemand) schleppt wie ich Studentenfutter, Bananen und ein trockenes Brötchen mit sich herum; dank meiner Medikamente, die ich über den Tag verteilt nehme, bin ich essenstechnisch immer ausgerüstet. Ich bitte den Österreicher, sein Saftglas etwas sicherer auf dem Tisch zu platzieren, um weiteren Dramen um das Thema „Hose“ vorzubeugen.
Die nächsten Unruhen entstehen, als klar wird, dass es heute auch kein Abendessen geben wird und die Gruppe morgen früh in unterschiedlichen Fliegern nach Luxor sitzt. Gruppe 1 darf um 4.00h das Hotel verlassen, Gruppe 2 um 5.15h. Ich habe Glück.
Ich schaue fassungslos an mir herunter. Ein Riss geht übers rechte Hosenbein, vom Knie bis hoch auf den Oberschenkel, es schaut aus wie eine klaffende Wunde, aber aus Stoff. Gestürzt bin ich nicht, ich habe mich nur einfach vor die Pyramide gekniet, und das war zuviel für meine altersschwache Hose, die mich jahrelang auf Reisen begleitet hat. Der Tag liegt noch vor uns. Ich knote eine dünne Strickjacke, die ich (vermeintlich) sinnloserweise (bei 35 Grad) im Rucksack habe, um die Hüfte, um den Riss zu kaschieren. Geht so semi.
Cheopspyramide, Sphinx, Stufenpyramide, Gräber,ein Lunch unter Bäumen in einem Garten, und irgendwann bei Sonnenuntergang zurück ins Hotel. Ein anstrengender Tag in der Hitze und ohne Schatten geht zuende, aber morgen soll es entpannter zugehen. Bestimmt tut es das, denn morgen werde ich hoffentlich mal ohne Hosenprobleme bestreiten. .
Warum muss ich immer so einen Blödsinn machen? Der Wasserhahn, den ich unter der Toilette am Flughafen in Kairo entdeckt habe, ist nicht für die Spülung! Wofür der Hahn ist, ist unklar; aber das Wasser spritzt mit voller Wucht oben aufs linke Hosenbein, und das sieht so aus, wie ich nicht möchte, dass es aussieht.
Ich laufe zurück in die Halle, wo meine Reisegruppe mit meinem Koffer auf mich wartet. Was die jetzt wohl denken werden, denke ich. Gar nichts werden die denken, denn die Reisegruppe ist verschwunden, samt meinem Koffer und der Jacke. Am Ausgang winkt B.; ich laufe hinterher und springe in den Bus, wo der Guide mit meiner Jacke und dem Koffer auf mich wartet.
Auf geht‘s durch Kairo. Es herrscht Feierabendverkehr; die Strassen, eingerahmt von sandfarbenen Wolkenkratzern, sind voll von hupenden Autos. Zwischen den Hochhäusern tauchen prächtige – und heruntergekommene – Paläste auf, die von verwucherten Palmengärten umgeben sind. Baustellen und Reste abgerissener Häuser vervollständigen das Bild, das einem lauten, wilden Wirrwarr gleicht. Wir fahren an der Swimming Academy vorbei, an Moscheen und da, da ist der Nil, umrahmt von Palmen, die sich schwarz vor der untergehenden Sonne abheben.
Vorletzte Nacht bin ich um 2.30h eingeschlafen. Letzte Nacht bin ich um 4.20h aufgestanden. Und morgen geht es Punkt 8.00h zu den Pyramiden, verkündet Muhammad Ali, unser Guide. Auf in den Kampf, heisst das dann wohl!
Es ist Freitag, ich greife mein Handy und den Haustürschlüssel und laufe vor die Haustür. Keine Zeit, mich umzuziehen; in kurzer Jogginghose, Shirt und Flipflops renne ich auf die andere Strassenseite. Weiter kann ich nicht rennen, denn jede Minute könnte mein Rewe-Lieferservice eintreffen, und den muss ich im Auge behalten. Menschenmassen sitzen, stehen und winken, fangen an zu klatschen, als das kleine Boot in den Sandtorhafen einbiegt. Fettes Brot, die Hamburger Kultband, die in den letzten Jahren nicht aktiv war, hat heute Mittag bekanntgegeben, dass sie entlang der Elbe Überraschungskonzerte spielen wird; eines davon direkt vor meiner Haustür. Ich freue mich und bin dankbar, dass ich diesen spektakulären Auftritt miterleben darf. Ein Freund kommt um die Ecke, auch er begeistert, die wogende Menge singt mit. Drei Anrufe mit unbekannter Rufnummer lehne ich ab, bevor ich doch rangehe: der Rewe-Lieferservice sitzt in meinem Treppenhaus. Ich sprinte zurück, entschuldige mich und bin dankbar, dass er nicht mitsamt meines Wocheneinkaufs von dannen gezogen ist. Ich packe aus, laufe zurück auf die andere Strassenseite, klatsche noch etwas mit, winke der Band zu, die unter Dankesrufen langsam aus dem Sandtorhafen schippert.
Am Samstag bin ich in Berlin. Ich bin dankbar, dass ich an dem Event der Mammomädels teilnehmen kann, die die Kampagne zum Brustkrebsmonat Oktober präsentieren, der wir ein Gesicht geben werden. Es wird eine tolle Kampagne werden, ich freue mich und habe beim Fotoshooting recht schnell „mein Foto“. Heidi würde zufrieden sein. Wir lachen, führen tolle Gespräche, nippen an unseren alkoholfreien Drinks, unser Blick schweift über die Dächer von Kreuzberg.
Tibet 2018, sagt die Frau, die ich auf dem Nachhauseweg an der Elbe treffe, ich halte an und strahle, na klar, es ist eine ehemalige Mitreisende, die mit mir im Basecamp des Everest war. Wir unterhalten uns, bis die Sonne untergeht.
Im Aussenbecken des öffentlichen Bades sind am Sonntagmorgen nur zwei Mitschwimmer auszumachen. Der Himmel ist blau, die Sonne strahlt, der Bademeister fragt, ob er mich etwas fragen dürfe, wir kennen uns ja, ich würde hier fast täglich schwimmen, aber ehrlich soll die Antwort sein: sitzt sein Shirt gut oder sehe er aus wie eine Presswurst? Sensationell, antworte ich, und meine es ehrlich. A. kommt mir entgegengeschwommen, als ich gerade das Becken verlassen will, ich hänge noch zwei Bahnen dran, um mir von ihrer Wienreise erzählen zu lassen, bevor ich mich mitsamt meinem Frühstück auf meinen Lieblingsplatz am großen Becken niederlasse. Was für ein schöner Morgen.
Ein Mensch stirbt. Ich kenne Dich nicht persönlich, wir haben uns ab und an geschrieben, und ich war immer beeindruckt von Dir, mit wieviel Würde Du Deiner unheilbaren Krebserkrankung begegnet bist. Immer nach vorne blickend, nie klagend, immer einen schönen Tag wünschend. Ich merke, wie mir die Tränen kommen. Und doch bin ich dankbar für diese virtuelle Bekanntschaft. Und für jeden Moment.
Ein weiterer Anker hat sich gelichtet, denke ich, während ich meine Bahnen durch das Becken des öffentlichen Bades ziehe. Der Himmel ist grau, im Gras sitzen zwei Krähen und krächzen.
„Von Amts wegen ergeht folgende Entscheidung“; so beginnt das zweiseitige Schreiben der Behörde für Gesundheit. Die zwei Seiten kann ich in einem Satz zusammenfassen, und das auch noch verständlicher als es das komplizierte Behördendeutsch ist: mein Behindertenausweis ist ab sofort ungültig und wird eingezogen. Von 80 Prozent Schwerbehinderung auf 0 Prozent, von einem Tag auf den anderen bin ich also vom Amt für gesund erklärt worden.
Das muss ich reflektieren, genauso wie die Sonne, die sich jetzt hervorwagt, und sich im Blau des kühlen Wassers spiegelt. Seit März 2022 gelte ich (nach meiner Zeitrechnung) als geheilt, ab sofort nun auch als gesund.
Fakt ist: ich habe mich bereits am Tag der Operation, an dem beidseitig die Krebstumore entfernt wurden, für gesund erklärt. Diese Einstellung hat mir geholfen, positiv nach vorn zu gucken und nicht in eine Schockstarre zu verfallen, verängstigt, dass der Krebs zurückkommen könnte. Das kann er. Aber genau da setze ich an und bin aktiv (und diszipliniert), um das Risiko zu reduzieren. Es geht mir gut mit dieser Einstellung. Dass ich andere gesundheitliche Herausforderungen habe, liegt nicht am Krebs, und einen Behindertenausweis hatte ich schon einmal empört abgelehnt. Auch damals habe ich mich als gesund erklärt, auch wenn ich es im Rückblick nicht gewesen bin.
Der Behindertenausweis, den ich noch drei Monate weiter führen darf, bevor ich ihn zurückgeben muss (so ich dieses komplizierte Schreiben richtig deute), war ein Anker. Er steckte sichtbar in meinem Portemonnaie und erinnerte mich täglich daran, inne zu halten. Einen Schritt langsamer zu gehen. Ein Anker, der mich darauf aufmerksam machte, auf meine innere Stimme zu hören: wie geht es Dir?, fragt mich die Stimme, ich schaue mich an, überlege, beantworte die Frage mit Bedacht und justiere meine Richtung, wenn es nötig ist. Das ist gut, und das ist richtig.
Dieser Anker hat sich nun gelichtet. Und ich, ich bin wieder ein Stück freier und schwimme gelassen der Sonne entgegen.
„Wir haben hier fünf Etagen“, sagt der freundliche Mitarbeiter an der Rezeption und zeigt auf eine Wendeltreppe. Ich schaue entsetzt, denn ich bin Orientierungslegastheniker. Das erste Mal in meinem Leben ging ich mit vier Jahren im Urlaub in Bulgarien verloren und musste von der Polizei gesucht werden. Auch in Dänemark bin ich schon abhanden- und nicht am Zielbahnhof angekommen, auch hier wurde die Polizei eingeschaltet (da war ich keine vier sondern volljährig).
Die große Schwester meines schicken Spas, das ich heute für einen Kosmetiktermin aufsuche, ist prädestiniert für mich, sozusagen ein Labyrinth on surprise. „Ich bin Orientierungslegastheniker“, sage ich zum Rezeptionisten, ohne weiter auszuholen, er hat mein entsetztes Gesicht korrekt gedeutet, lächelt freundlich und beschliesst, mich zur Damenumkleide zu bringen und mir die Wege zur Kosmetik und zum Pool direkt zu zeigen. Das finde ich sehr aufmerksam. Die Damenumkleide ist riesig: während ich in „meinem“ Spa den Spind Nummer 1 nutze, laufe ich hier von einem Raum in den nächsten, vorbei an Spind Nummer 167, 220, 300…die große Schwester meines kleinen Spas ist wirklich groß. Hauptsache, ich finde die Toiletten, denke ich. Und meinen Spind auf dem Rückweg, dessen Nummer ich vorsichtshalber in mein Handy tippe.
Ich mache mich auf den Weg Richtung Saunabereich, wo ist eigentlich der große Pool (eine Wendeltreppe tiefer) und wo die Tür, die mich wieder Richtung Kosmetikbereich bringen soll (am Ende der drölfzig kleinen Becken und Saunen), auch hier erbarmt sich ein Mitarbeiter und bringt mich in den von mir gewünschten Bereich.
Ich bin gestresst. Das ist ungefähr das, was man nicht erwartet, wenn man seinen freien Tag in einem schicken Spa verbringt. Im Kosmetikbereich erwartet mich die übliche meditative Musik mit Gongtönen. Angenehm ist die Stunde, denn wirklich zu reinigen gibt es in meinem Gesicht nichts, also keine Qual sondern Masken und Massagen.
Ich vergesse nicht zu fragen, wo es Richtung Umkleiden geht, denn schwimmen möchte ich hier auch. Ich finde meinen Spind, ziehe meine Badesachen an, gehe zu den Duschen, finde die Tür zum Saunenbereich und sogar die Wendeltreppe, die Richtung großen Pool führt, und bin jetzt doch ein bisschen stolz, das ich es so weit geschafft habe. Ich ziehe meine Bahnen, dort drüben zanken sich zwei Männer, dahinten liegt einer längs auf einem Sofa, ein Pärchen knutscht im Pool, und eine schlecht schönheitsoperierte und gebotoxte Mitstreiterin aus meinem kleinen Spa, das diese Woche den Schwimmbereich wartet, ist hier auch zugegen.
Schick ist es hier, wenn auch viel zu groß, denke ich, aber hier haben sie wirklich alles. Ich schaue mich suchend um. Alles? Nicht ganz alles. Den Swimsuit Dryer, den ich letzte Woche in meinem kleinen Spa entdeckt habe, den gibt es hier nicht. Und den, den finde ich zielstrebig wieder, auf meinem Weg, in meinem Spa.
Vielleicht, weil ich die Kälte mag. Und die Wärme.
Vielleicht, weil ich das Rot und das Gelb der Wüsten mag. Und die Weiss- und Blautöne im ewigen Eis.
Vielleicht, weil ich den Blick in die Ferne schweifen lassen mag, über das Meer. Um dann vor mir auf den Boden zu blicken und Blumen zu entdecken, winzig klein.
Vielleicht, weil ich die Vögel singen hören mag, ganz früh am Morgen. Und das Knistern des schmelzenden Eises im Nordpolarmeer, das mag ich auch.
Vielleicht, weil ich Fernweh hab. Und ich die Welt so spannend finde.
Vielleicht, weil ich die Menschen mag, die ich von jeder Reise mitbringe. Und die Veränderungen meiner selbst. Die Erinnerungen, die ich mir bewahren werde, die mag ich auch.
Und vielleicht, weil mich die Intensität der Erlebnisse die Zeit länger erscheinen lässt.
Punkt 7.30h Email von T. an unsere Tischrunde, das den morgendlichen Weckruf des Schiffs auf humorvolle Weise interpretiert. Für den recap würde ein baby seal Video gesucht 😉 Ich teile es sofort und bin jetzt gutgelaunt.
Dann laufe ich ins Dorf, um in letzter Minute den Svalbard-Hoodie zu kaufen, um den ich schon mehrmals drumrum geschlichen bin.
Am Flughafen in Longyearbyen dann Chaos. Hier ist überall self-service, also kann ich niemanden fragen, ob ich in Tromso nicht ohne Umsteigen und Wartezeit weiter nach Oslo fliegen kann.
Der Tromso Airport ist eine Baustelle: erstmal Passkontrolle, dann Gepäck holen, in nen Bus und ab zum nächsten Terminal. Hier wieder Gepäck einchecken (diesmal geht es nur mit Hilfe) und wieder durch die Kontrolle. Ich frage mich, in wievielen Ländern ich gelandet bin; ich wähnte mich eigentlich nur in Norwegen.
Im Oslo Airport laufe ich erstmal durch einen Ausgang, den ich nicht als solchen identifiziert habe und muss mich dann auf illegalem Weg wieder zurückmanövrieren, um an mein Gepäck zu kommen. Auf dem Weg zum Hotel umwandere ich – nun mit Gepäck – den Flughafen, warte eine kleine Ewigkeit beim Check In obwohl mehr Staff als Gäste zugegen sind, überliste die laute und nicht auszustellende Klimaanlage, in dem ich das Fenster aufmache, um dann um 23.45h einen Anruf von der Rezeption zu bekommen, die meinen Namen nochmal rückbestätigen möchte. Es ist Zeit, nachhause zu kommen.
„Can I watch the video of the baby seal a last time?“ fragt einer der holländischen Forscher. Alle lachen. Die Reisegruppe steigt in den Bus, der sie zum Flughafen bringen wird. Ich bleibe mit meinem baby seal Video zurück, da meine Flüge erst einen Tag später gehen. „Ich sende Euch allen das Video per email“, antworte ich, wir umarmen uns und nehmen Abschied.
Eben sass ich noch mit D. bei Chai-Tee und einem schönen Gespräch im kleinen Polarmuseum, nun bin ich allein. Ich werde etwas wehmütig, schlendere unschlüssig durch Longyearbyen, schaue in die Geschäfte ohne etwas zu finden, kaufe im Koop schliesslich Bananen und Knäckebrot und trinke einen Cappuccino auf der Terrasse eines Cafés. Draussen vorm Hotel weiden zwei Rentiere.
7.40h. Ich sitze in der Bar. Die Musiker sind längst auf ihren Kabinen, der Tresen aufgeräumt, die Tische geputzt, die Sessel wieder ordentlich arrangiert.
Die Sonne streift über die Lehnen, den blaugemusterten Teppich und über die Berge. Heute Morgen werden wir mit den Zodiacs in Skansbukta anlanden und schauen, ob wir Puffins entdecken.
Keine Puffins in Skansbukta, dafür Steinschlag und ein Schneehuhn.
Die Sichtung des Schneehuhns, der Eisbären und die meisten Wale haben wir übrigens der Aufmerksamkeit unserer holländischen Forscher zu verdanken, die stundenlang an Deck ausharren. Ich revanchiere mich mit dem Video des Seehundbabies, das ich jedem enthusiastisch unter die Nase bzw. die Augen halte, gerne auch öfters.
In Borebukta werde ich richtig nass, ich sitze ganz vorn im Zodiac, die Wellen perlen von meinem Arktisoutfit ab. Es ist windig. Und kalt. Wir sehen noch eine Gruppe Walrosse , mich interessiert aber mehr eine heisse Dusche.
Die undefinierbare grün-pink-farbene Masse, die mit einem weissen Rand umsäumt ist, wurde als Alaska-Erdbeervariation angekündigt. „Schmeckt wie Marshmallows“, meint S. „Sieht aus wie Permafrost“, findet A. Wir haben hier einiges gelernt. Auch das man manchmal mit dem frischen Obst-Teller als Dessert doch besser beraten is(s)t.
7.40h. Ich sitze in der Bar. Die Musiker sind längst auf ihren Kabinen, der Tresen aufgeräumt, die Tische geputzt, die Sessel wieder ordentlich arrangiert.
Die Sonne streift über die Lehnen, den blaugemusterten Teppich und über die Berge. Heute Morgen werden wir mit den Zodiacs in Skansbukta anlanden und schauen, ob wir Puffins entdecken.
Keine Puffins in Skansbukta, dafür Steinschlag und ein Schneehuhn.
Die Sichtung des Schneehuhns, der Eisbären und die meisten Wale haben wir übrigens der Aufmerksamkeit unserer holländischen Forscher zu verdanken, die stundenlang an Deck ausharren. Ich revanchiere mich mit dem Video des Seehundbabies, das ich jedem enthusiastisch unter die Nase bzw. die Augen halte, gerne auch öfters.
In Borebukta werde ich richtig nass, ich sitze ganz vorn im Zodiac, die Wellen perlen von meinem Arktisoutfit ab. Es ist windig. Und kalt. Wir sehen noch eine Gruppe Walrosse , mich interessiert aber mehr eine heisse Dusche.
Die undefinierbare grün-pink-farbene Masse, die mit einem weissen Rand umsäumt ist, wurde als Alaska-Erdbeervariation angekündigt. „Schmeckt wie Marshmallows“, meint S. „Sieht aus wie Permafrost“, findet A. Wir haben hier einiges gelernt. Auch das man manchmal mit dem frischen Obst-Teller als Dessert doch besser beraten is(s)t.
Wir pirschen uns ganz leise an die Walrosse heran. Keinesfalls wollen wir sie stören oder erschrecken.
Da Walrosse extrem stinken, habe ich einen extra Tropfen Minzöl in meine Maske getan und atme durch den Mund. Mit Gestank kann ich nur schlecht umgehen. Fast eine Stunde beobachten wir die Gruppe männlicher Jungtiere, die am Strand herumliegen oder im Meer schwimmen, ihre Köpfe heben und grummelige Geräusche machen.
Im St. Johnsfjord sind wir wieder in Zodiacs unterwegs. Gletscher reihen sich aneinander, dazwischen schneebedeckte Berge, die sich in der glatten Wasseroberfläche spiegeln. Ein Seehundbaby taucht direkt vor mir auf und kommt neugierig näher. Ich filme die Szene. Und bin glücklich.
Abends BBQ auf Deck 5, wir sitzen in Skihosen und dicken Jacken um schön gedeckte Tische, wir Nordlichter lachen zusammen mit den holländischen Forschern.
Ich liege im Bett und höre Gesang, Lachen und Applaus. In der Bar nebenan ist Party. Ein Israeli hat seine Ukulele dabei, einer der Forscher spielt Gitarre, und jemand spielt Klavier.
Auch wenn ich schon im Bett liege, freue ich mich über die Lebendigkeit, die aus der Bar klingt.
Ich ziehe meine Jacke über und laufe an Deck. Ein Grönlandwal wurde gesichtet; allerdings macht er mir nicht die Freude, noch einmal aufzutauchen (ich werde am Ende dieser Reise die wahrscheinlich Einzige bleiben, die weder Blauwal, Grönlandwal oder Zwergwale gesehen hat).
Statt Landgang entscheide ich mich für Gym und Jacuzzi.
Auch den Nachmittag vertrödele ich an Bord.
Beim Dinner geht es bei den Israelis mit den Festivitäten weiter. Wir haben diesmal Glück und bekommen Hummus, Yoghurtsauce und süsses Brot gereicht.
Lillihoekbreen. Kalte, klare Luft. Gewaltige Gletscher. Berge, von Wolken umschleiert. Unendlich viele Blautöne. Verschneite, unberührte Täler. Knisterndes Meer, in dem man die Eisschollen schmelzen hört. Auffliegende Vögel. Wir, ganz klein im Zodiac.
Camp Zoe am Nachmittag: ich bin wieder bei den Beachbunnies: heute lernen wir etwas über Algen und Federn, interpretieren Einbuchtungen am steinigen Strand und beobachten den lila Strandläufer.
„Wir brauchen Militär“, sagen die Israelis. „Wir brauchen Demokratie“, sagen die Holländer. “Wir brauchen Leader“, sage ich, und ernenne T. kurzerhand zur Prime Ministerin und mich zur Queen. „Und was machen wir mit denen, die wir nicht brauchen?,“ fragt A. „Die schicken wir los, Hilfe holen“. Wir sitzen beim Dinner gehen gerade das Szenario was-wäre-wenn-wir-mit-diesem-Schiff-verschollen-gehen-und-überleben-wollen durch. Schwarzen Humor können wir.
Heute ist Shabatt; die beiden Isralis, die an unserem Tisch beim Dinner sitzen, werden von ihren Landesgenossen zu Wein und Gesang gebeten; vorher spricht der Älteste; wir hören interessiert zu. „Bless you all“, sagen die beiden, als sie wieder bei uns Platz nehmen; ihnen ist das ganze sichtlich unangenehm, sie sind nicht sonderlich religiös.
Karaoke im Jakuzzi mit den israelischen Jungs oder Whalewatching mit den holländischen Forschern? Wir deutschen Nordlichter entscheiden uns für die Ausschau nach Leben im Meer.
Das Meer ist ruhig, das Wasser gleicht einer metallischen Oberfläche, die sich behäbig auf und ab bewegt. Die Eisschollen verdichten sich. Es ist kalt. Wir sind am Ice Edge angekommen.
Gestern Abend hatten wir einen lustigen Abend an der Bar; meine Freunde aus Hannover entdecke ich um 8.00h noch nicht an der frischen Luft, aber die holländischen Forscher sind schon auf Deck 4 aktiv. Auf Deck 5 stellen sich die Israelis für ein Gruppenfoto auf. Ich wandere umher und schaue aufs Meer, ob ich irgendwo Wale ausmachen kann. Wir sind jetzt geografisch dort, wo am Globus oben die kleine runde Metallkappe sitzt.
Nachmittags steht die Welt kopf. Im Raudfjorden spiegeln sich Wolken und schneebedeckte Berge im glasklaren Meer; wo unten und wo oben ist, das weiss man hier nicht so genau.
Stundenlang sitzen wir still in unseren Zodiacs und beobachten Eisbären.
Abendessen in fröhlicher Runde mit den Hannoveranern und den holländischen Forschern, danach geht es an Deck 5 in den Jakuzzi. Es ist 21.00h. Die Sonne scheint auf schneebedeckte Berge, während wir im Hot Tub mit Weisswein anstossen. Das Leben ist schön.
„Ich habe einen Anzug dabei“, sagt H., ein deutscher Guide. „Für den Welcome-Abend!“ „Dann sind wir ein Match“, antworte ich. Ich habe ein Kleid im Gepäck. Auf Expeditionen ist das eher ungewöhnlich.
Mit Ny Ålesund besuchen wir die letzte Location mit menschlichem Leben: hier wohnen Forscher aus aller Welt; circa 80 Bewohner im Winter und 250-500 Bewohner gibt es in der Sommerzeit. Hier befindet sich auch der nördlichste Briefkasten der Welt; den südlichsten (Port Lockroy/Antarktis) und den höchsten (Everest/Tibet) habe ich ja schon gesehen.
Im Ossiansarsfjellet landen wir in Zodiacs an. Ich habe mich für die Beachtour entschieden. Ich ziehe das Innehalten und ruhige Beobachten der Natur den Hikingtouren vor (man könnte auch sagen: ich bin faul).
Wir lauschen einer singenden Schneeammer. Wir sehen eine brütende Kolonie von Dreizehenmöwen. Wir finden die Schlafplätze der Rentiere und lernen zu interpretieren, wie sie schlafen. Wir entdecken ein abgenagtes Skelett und Geweih eines alten Rentieres, das von einem Eisbären gefressen wurde. Wir freuen uns über kleine lila Blümchen, die sich ihren Weg durch Matsch und Eis bahnen. Wir lernen zu verstehen, wie alles hier zusammenhängt und eine Symbiose eingeht.
Man muss nur stehenbleiben und findet die faszinierende Welt direkt vor den Füssen.
Im örtlichen Museum in Longyearbyen packt ein älterer deutscher Mitreisender seinen Laptop aus. „Ich zeige Ihnen jetzt meine Fotos von der Besteigung des Kilimanscharos“, verkündet er. Ich bin irritiert, lasse es mir aber nicht anmerken und lausche zwischen ausgestopften Eisbären und Polarfüchsen geduldig seinen Afrika-Geschichten.
„Das war 2010“, sagt T., der ich nachher von dieser skurillen Begegnung berichte. Auch sie hat schon Bekanntschaft mit dem Bezwinger des Kilimanscharos und seinen Fotos gemacht.
Der PCR-Test ist lax, trotzdem werden zwei Mitreisende positiv getestet. Beim Dinner später an Bord klagt die Italienerin an meinem Tisch über Heiserkeit und Halskratzen. Das fängt ja gut an.
Überhaupt wird es nochmal turbulent; angeblich ist eine Teilüberweisung von mir nicht beim Veranstalter eingetroffen, ich überweise ein zweites Mal (und verpasse dadurch die Sightseeingtour), da ich nicht möchte, dass die Drohung, nicht aufs Schiff gelassen zu werden, wahr gemacht wird. Das Thema werde ich zuhause aufarbeiten.
Beim Einchecken entspanne ich mich wieder: ich habe ein upgrade bekommen und damit eine wunderschöne Kabine samt begehbarem Kleiderschrank für mich allein.
Where are you from? India! Italy! USA! Germany! Japan! Unsere Hundeschlittenwagentour, die ich mit fünf meiner internationalen Mitreisenden machen werde, ist bunt gemischt; unser Guide fügt sich gut ein, er kommt aus Dänemark.
Zwölf Hunde, eine Mischung aus Huskies und Grönlandhunden, werden angespannt, ruckeln aufgeregt an ihrem Geschirr, springen durcheinander und bellen aufgeregt. Sie können es kaum erwarten, dass es losgeht. Wir auch nicht. Es geht los; sofort verstummt das Gebell, die Hunde laufen gleichmässig und konzentriert. Rechts das Meer, links der kleine Flughafen (davor der Zeltplatz mit drei Zelten, auf dem 2020 ein Mann einem Eisbären zum Opfer fiel) und um uns herum die schneebedeckten Berge. Regelmässig wird Pause gemacht, damit die Hunde trinken können. Ob man die streicheln könne? Na klar, sagt der Guide, die Hunde freuen sich!
Der Fahrtwind weht uns eisig um die Ohren. Die Japanerin schlägt die Hände vors Gesicht und kichert, als ich einen Witz mache, die Inder schlagen ihre Hände vors Gesicht, weil sie frieren. Arktische Temperaturen sind sie nicht gewohnt.
Heute Vormittag haben wir auch schon gefröstelt, als es bei Minus 2-Grad durch die dunklen Stollen eines verlassenen Bergwerks ging. Dort befindet sich hinter einer schweren Eisentür das Arctic World Archive, in dem auf Mikrofilmen Dokumente für die Nachwelt aufbewahrt werden.
Das Abendprogramm – ein Dinner im Bergwerk – schwänze ich und nehme eine lange heisse Dusche.
Funfact: Dank meiner professionellen Arktis-Jacke des Veranstalters werde ich permanent für den Guide gehalten: beraten über Antarktisreisen kann ich sehr gut. Die Frage, ob man seine Sachen im Bus lassen kann, beantworte ich lieber nicht.
„Wie gut spricht die Anja denn englisch?“ fragt mich die Dame bei der Einweisung für die nächsten beiden Reisetage. Die Anja antwortet: „sehr gut“. Und meldet sich als Freiwillige für die internationale Gruppe. Positiver Nebeneffekt: die Internationalen starten nicht wie die Deutschen morgens um 7.00h mit dem Programm, sondern können entspannt frühstücken, um dann um 10.00h das Bergwerk zu besichtigen, erst nachmittags wird es mit den Hundeschlitten in die Natur gehen. I like.
Die Mittagszeit habe ich im strahlenden Sonnenschein mit S. und M., einem sympathischen Paar aus Scharbeutz, verbracht. Wir haben uns gestern bereits zufällig auf dem Flughafen in Kopenhagen kennen gelernt und sind alle drei einen Tag früher angereist. Wir Nordlichter verstehen uns sehr gut und tauschen unsere Antarktiserfahrungen samt Pinguinbilder aus.
Nachmittags bummele ich durch die drei Strassen, die es hier gibt. S. und M. haben sich eine Tour mit dem Katamaran organisiert, ich muss heute irgendwo eine Pinzette auftreiben. Erschwerend kommt hinzu, dass es hier nicht nur nur drei Strassen gibt, es ist auch Sonntag. Challenge accepted.
Im rappelvollen Dorfcafé, in dem sich anscheinend alle Einwohner versammelt haben, bestelle ich mir einen Cappucino und ein veganes Stück Schokokuchen. Und erblicke an einem Tisch die Frau, die gestern auf dem Flug von Oslo nach Longyearbyen neben mir gesessen hat. Sie lacht mir zu. Ich setze mich zu ihr. Die Norwegerin ist wie ich das erste Mal auf Svalbard; allerdings ist sie geschäftlich unterwegs; sie wird morgen einen Vortrag über den Tourismus halten. Wir unterhalten uns über das Reisen, interkulturelle Begegnungen, sie erzählt von ihrem Bruder, der Botschafter in Brasilien ist, wir sprechen über Russland und der ägyptischen Haltung zur Situation und noch viel mehr.
Fühlte ich mich heute Morgen noch etwas mulmig, als ich durch die menschenleere (und zum Glück eisbärenfreie) Gegend gewandert bin, bin ich nun in meinem Element und socialise.
Ich finde sogar einen Supermarkt, der geöffnet hat. Samt Pinzette.
Die Sonne geht nicht auf. Die Sonne geht nicht unter. Sie steht am Himmel und tut das, was sie am besten kann: sie taucht die schneebedeckten Berge, die unter uns liegen, in prächtiges Licht. Sie erweckt die bunten Holzhütten in Svalbard zum Leben. Sie lässt das Nordpolarmeer glitzern , meine Augen zusammenkneifen und meine Haare glänzen. Sie strahlt auf diese unwirkliche Szenerie, in der ich gerade gelandet bin. Ich mag die Sonne, die hier Tag und Nacht für uns scheinen wird.
Ob ich glücklich sei, fragt sie mich, nachdem ich ihr erzählt habe, wie ich lebe, und schaut mich erwartungsvoll an. Wir sitzen hoch oben auf dem Holzboden einer Baumhütte, es ist der einzige Raum, den es hier gibt. Vor mir eine Tasse mit Tee, hinten an der Wand der Schrein mit Buddha und den Nats, das sind Naturgeister, an die man in Burma glaubt. Strom und fliessend Wasser gibt es nicht, genauso wenig wie Badezimmer oder Küche; hier wird für alles der kleine Bach genutzt. Ob sie glücklich sei, frage ich meine Gastgeberin. Sie strahlt und bejaht. Sie habe Kinder, die sie besuchen kommen und sie habe ein Zuhause.
Mittagshitze. Die Sonne scheint unbarmherzig auf uns hinab. Mein Guide marschiert stundenlang mit mir durch Reisfelder, wohin genau, das wird sich zeigen. Die Wanderung endet vor einigen runden Strohhütten, auf deren Dächern dünne Fladenbrote getrocknet werden. Wir kriechen in eine Hütte hinein, wo eine Frau auf dem sandigen Boden vor einem Feuer sitzt und backt. In Nullkommanix tauchen die anderen Dorfbewohner auf und starren mich an. Fremde wie mich kennt man hier nicht.
Die kleinen Jungs in Thanliyn umzingeln mich und halten ihre dunklen Ärmchen neben meinen, der so viel heller ist: Farbabgleich. Aufgeregt wird diskutiert. Im Waisenhaus freut man sich über die willkommene Abwechslung. Beim Essen, es gibt Reis mit Gemüse, bin ich die einzige, die ein Besteck bekommt; traditionell wird mit den Fingern gegessen.
Die Nacht beim Goldenen Felsen im Mon-Staat, in der ich kein Auge zugemacht habe; Ameisen, Motten und Lizzards frequentierten mein Zimmer, um 4.00 Uhr im Morgengrauen folgten Lautsprecherdurchsagen der Mönche. Du hattest Lizzards im Zimmer?, strahlt meine Begleiterin. Die bringen Glück!
Die Palästinenserin im Westjordanland erzählt uns die Geschichte ihres Olivenhains, in dem eines Tages die Israelis mit Baggern stehen, um eine Mauer zu bauen. Nach dem Mittagessen, das wir in in ihrem Esszimmer eingenommen haben, fahren wir in den Garten und stehen an der Mauer, hinter der sich eine israelische Siedlung erhebt. Wir pflanzen gemeinsam einen neuen Olivenbaum.
Ich erinnere mich an den Ritt durch die Anden, durch Rinderherden hindurch und über kleine Pfade an Abhängen entlang, auf die mein Pferd – Manteca – sicher seine Hufe setzt. Später lande ich im Graben, über den mein Pferd nicht springen will.
Ich mag Begegnungen in der Ferne, ich mag es, mich auf überraschende und mir unbekannte Situationen einzustellen, mich treiben zu lassen und neugierig zu schauen, was passiert.
Und ich mag die Farben und die Töne in der Ferne: den unendlichen Wüstensand, gelb in der Sahara und rot in Wadi Rum, erwachende Geysire in der Atacama-Wüste, die funkelnden Blautöne im Süd- und im Nordpolarmeer, das Kalben der Gletscher, die mit dumpfen Krachen ins Meer kippen. Die Wolke, die sich langsam zur Seite schiebt und den Blick auf den Everest freigibt, hoch oben im Basecamp auf 5.200 Metern. Die laut krächzenden Krähen im riesigen Mangobaum, unter dem ich in Yangon mit einem Buch liege. Die Dschungelgrenze, die wir als Backpacker überqueren, irgendwo zwischen Chile und Argentinien. Das gelbe Straßenlicht in den schwarzen Nächten von Livorno. Das Rauschen der Meere.
In der Ferne entdecke ich nicht nur die Vielfalt dieser Welt; ebenso entdecke ich mich.
Funfacts: 1. ich könnte schon wieder einen Prolog starten und erzählen, was ich im Sommer alles in meinen Koffer packe (Skihose, Schal, Handschuhe, dicke Unterwäsche…)
2. ich werde am Samstag diejenige sein, die in Arktisjacke und Wanderstiefeln am Flughafen zwischen Mallorca-Reisenden in Flipflops stehen wird.
Alle Flüge meiner Reise – und es sind insgesamt sechs Flüge – wurden zwischenzeitlich gecancelt oder verlegt. Statt am 29.5. fliege ich nun am 28.5. in die Arktis. Und ich fliege einen Tag später zurück. Damit habe ich zwei zusätzliche Tage und Nächte in Longyearbyen. Longyearbyen ist eine ehemalige Minenarbeitersiedlung, die 1.050 Kilometer vom geografischen Nordpol entfernt zwischen schneebedeckten Bergen liegt.
Ich habe nun auch einen Zwischenstopp in Tromso und eine Nacht in Oslo statt in Kopenhagen. Da muss man flexibel sein.
Spitzbergen hat 2.600 Einwohner (von denen die meisten in Longyearbyen leben) und mehr als 3.000 Eisbären. Eisbären sind neugierige Tiere. Seit 1970 wurden auf Spitzbergen sechs Touristen von Eisbären getötet, der letzte im August 2020 auf einem Zeltplatz. Zelten werde ich nicht. Wir werden den Großteil unserer Zeit in Zodiacs – das sind schnittige Schlauchboote – verbringen und die Natur samt seinen tierischen Einwohnern in aller Stille beobachten. Kann meine knallrote Arktisjacke bei den tierischen Einwohnern Neugier erwecken? Ich hoffe nicht.
In Longyearbyen schneit es gerade. Die Temperaturen bewegen sich zwischen 1 und -6 Grad. Ich mag Schnee. Und Reisen in abgelegene Gebiete sowieso.
Das Gute mit mir selbst zu verreisen ist, dass ich nicht weiss, was ich im nächsten Moment machen werde. Auch wenn mir einerseits ein sturer Wesenszug nachgesagt wird, bin ich doch auch ein Meister der Flexibilität.
Ich verlasse das Hotel und weiss noch nicht, wohin es mich verschlagen wird. Monaco? Musee Matisse? Oder doch Saint Jean Cap Ferrat? Der Bus Nr. 12 hält. Ich steige ein. Lt App sollte ich bis…ach was..ich höre auf keine App und keine google map und steige einfach an einer anderen Haltestelle aus als die, die die App vorschlägt, warte auf die Linie 400 und fahre in Richtung Fondation Maeght. Dort steige ich dann doch nicht aus, ich habe jetzt Lust auf St Paul de Vence. St Paul de Vence ist ein kleines pittoreskes Dorf hoch oben auf dem Hügel. Ich wandere am Fusse des Dorfes entlang, es duftet nach Blumen, Orangenbäume tragen Früchte, ich blicke über grüne Hänge und Täler.
Der Weg endet auf dem wohl schönsten Friedhof der Welt, der am Rande des Dorfes liegt und über die Côte d‘Azur blickt. Ich besuche – wie immer, wenn ich hier bin – das Grab von Marc Chagall, dessen Gemälde ich gestern wieder bestaunt habe.
In einem kleinen Shop duftet es nach Oliven, Trüffel und Lavendel: man bietet mir Popcorn mit Trüffelsalz an (mega), ich teste eine Olivenhandcreme (bio) und erstehe Souvenire.
Oha! Der Rückweg wird eine Herausforderung, denn meine Haltestellen gibt es nicht. Die App, auf die ich nicht höre, will mich beim Umsteigen kompliziert durch eine obskure Gegend lotsen, das lehne ich natürlich ab. Dann evtl bis….die Fahrkarte erst in der Tram entwerten, sagt der Busfahrer, mit der Tram (?) plane ich zwar nicht zu fahren, aber wer weiss, wie ich aus den Bergdörfern am Sonntag wieder zurückkomme…
Ich nehme am Parc Phoenix tatsächlich die Tram, entwerte mein Ticket und bin doch recht froh, wieder nach Nizza zurückgefunden zu haben.
Statt für die Villa Rothschild (Plan 1) oder die Fondation Maeght und St Paul de Vence (Plan 2) entscheide ich mich für das Musee Chagall, das auf einem Hügel oberhalb Nizzas liegt. Ich bin gespannt, was ich dort fühle; das letzte Mal war ich vor der Erkrankung dort. Zumindest spare ich diesmal den Eintritt und werde mit meinem Behindertenausweis durchgewunken.
Leicht sind die Gemälde, farbenfroh, intensiv und transzendent, Traumwelten treffen auf religiöse Motive und strahlen eine Leichtigkeit aus, die mir abhanden gekommen ist. Ich stehe im Raum und sehe mich um; meine verlorene Leichtigkeit finde ich nicht, aber das, wodurch sie damals ersetzt wurde: ich spüre eine tiefe Dankbarkeit und Demut, denn ich darf wieder hier sein.
Ich wandere zurück in die Stadt, schalte die blöde google map aus, denn der Weg wird immer länger, das kann ja gar nicht sein, noch 47 Minuten, 48 Minuten, 51 Minuten…ich gehe weiter. Zeit habe ich genug, und ausserdem liebe ich es, Neues zu entdecken. Ausserdem weiss ich: das Meer liegt unten. Also brauche ich nur abwärts gehen.
Ich gehe über den Blumenmarkt. Ich esse einen Salat in einem kleinen Bistro. Ich wandere durch die Altstadt. Und ich wandere zum Yachthafen. Ich nehme einen Lift zu einer Aussichtsplattform mit Blick über die Dächer von Nizza und schaue auf das azurblaue Meer. Ich laufe den Berg hinunter. Ich wandere an der Promenade des Anglais entlang. Ich setze mich in einen Beachclub und geniesse einen Milchkaffee. Ich lausche dem Rauschen der Wellen. Ich beobachte die Möwen am Himmel. Ich denke über die Leichtigkeit nach. Und vielleicht blitzt sie gerade doch ein wenig durch.
„Mein Name ist Luis de Funès, und ich begrüsse Sie im Namen der Kabinenbesatzung. Meine charmanten Kolleginnen Babette und Jeanette werden Sie jetzt mit den Sicherheitsvorkehrungen vertraut machen.“
Spätestens jetzt ist klar, dass ich im Flieger an die Côte d‘Azur sitze; entspannt lehne ich mich im Sitz zurück und folge dem Programm von Babette und Jeanette.
Wollen wir mal mutig sein?, frage ich mich, den Orientierungslegastheniker, oh ja, antworte ich und erwerbe ein Ticket für die neue und günstige Tram, statt mit dem teuren Taxi vom Flughafen zum Hotel nach Nizza zu fahren. Eigentlich wäre ich heute abgeholt worden und nach St Tropez gedüst; allerdings sind meine Freunde jetzt in Husum bei einer Beerdigung. Und ich nun kurzentschlossen in Nizza. Das Tram-Abenteuer glückt: ich steige nicht nur an der richtigen Station aus, ich finde sogar das Hotel.
In Nizza habe ich schon oft geurlaubt. Damit spare ich mir für das verlängerte Wochenende ein stressiges Programm, denn zu sehen gibt es viel. Ich werde mich treiben lassen und spontan entscheiden, ob ich nach St Paul de Vence fahre, ins Chagall- oder das Matisse-Museum gehe, am Hafen entlanglaufe oder mich auf den Weg zur Fondation Maeght oder zur Villa Rothschild nach Saint Jean Cap Ferrat aufmache. Ich könnte auch nach Antibes, das es höchstwahrscheinlich gar nicht gibt, denn das habe ich bisher auf keiner Reise gefunden.
Ich kann machen was ich will. Erstmal will ich an den Strand, dessen Meer dem Namen der Küste immer gerecht wird, sogar bei grauem Himmel.
Ding Dong. Es läutet an der Tür. Heiligabend in Hamburg, der Besuch ist für 18.00h eingeplant, jetzt haben wir 17.15h.
Bis eben habe ich noch im Bett herumgetrödelt und Drei Haselnüsse für Aschenbrödel, Pippi Langstrumpf und Michel aus Lönneberga im TV geschaut. Nun hantiere ich mit halblackierten Fingernägeln an der Tür, um den Besuch hereinzulassen. Auch wenn er zu früh ist. Viel zu früh. Die Meditation, die ich eigentlich noch machen wollte, fällt somit aus.
Vor der Tür stehen die Eltern und fünf riesige Taschen. „Wollt Ihr hier einziehen?, frage ich. Und ausserdem…“ Ich schaue auf meine Armbanduhr und lasse den Besuch samt dem vielen Gepäck in die Wohnung. Das kann ja heiter werden, denke ich.
Während die Mutter diverse Tupperdosen und zwei Kochtöpfe auspackt, marschiert der Vater zum Balkon. „Hier müssen die welken Blätter beseitigt werden“, sagt er vorwurfsvoll. “Aber nicht jetzt!“, antworte ich. Zum Glück habe ich den Tisch schon feierlich gedeckt und muss mich nur noch entscheiden, ob ich den Vater vom Balkon fernhalte oder mich in das Küchenszenario stürze. Ich entscheide mich für die Küche. Die Vorspeise (Karotten-Ingwersüppchen) und das Dessert (Beeren-Tiramisu) habe ich schon vorbereitet. Für den Hauptgang zeichnen die Eltern verantwortlich. Neben der Ente, Klössen, Rotkohl und Sausse (abgesprochen) werden nun zwei grosse Schüsseln mit Rosenkohl, Birnen, Aprikosen, Beerengelee und Kartoffeln aus den Tiefen der Taschen hervorgeholt. Ich konstatiere, dass es nur vier Herdplatten gebe, zwei Töpfe, von denen einer mit Suppe gefüllt ist und wir dieses Jahr nur zu Dritt sein werden: auch wenn noch zwei Töpfe mitgebracht wurden – das haue ja wohl nicht hin. Ich packe genervt einen Teil des Proviants wieder zurück in die Taschen und ärgere mich, dass ich nicht meditiert habe. Ich verteile die Töpfe auf dem Herd und die Ente in den Ofen, verfrachte den herumlaufenden Besuch an den Tisch und schenke erstmal Wein ein (nur für die Mutter und für mich, der Vater fährt und ist da akkurat).
Zurück im Pulk in die Küche, hätte ich den Ofen überhaupt angemacht (ja), und seien die Nachbarn zuhause (keine Ahnung), und…nein. Ab an den Weihnachtstisch, ich kümmere mich erstmal um die Vorspeise. Ich trinke ein weiteres Glas Wein. Irgendwie muss der heutige Abend überstanden werden. Die Suppe schmeckt. Das Küchenpersonal wird ausgetauscht, der Vater übernimmt, wo er schon nicht den Balkon aufräumen darf. Die Ente schmeckt.
Die Geschenke sind aufgebaut, mir wurde eine Überraschung – gross und bunt – angekündigt. Ich werde nervös. Mit Überraschungen habe ich es nicht so. Jedenfalls nicht, wenn sie mit „gross und bunt“ angekündigt werden. Eine Box wird mir überreicht, der Vater macht den Deckel ab. Es ist ein Ölgemälde. „Von Claude Monet“, sagt der Vater und tippt auf die Rückseite, wo tatsächlich ein Spassvogel den Namen des grossen französischen Impressionisten draufgeschrieben hat. Das Motiv ist zwar eine Wiese mit Mohnblumen, aber die Qualität ist weit von einem Monet entfernt. Und wäre es ein richtiger Monet, würden wir wohl eher im Gefängnis statt hier am Weihnachtstisch sitzen; jedenfalls kenne ich keine Menschen, die einen Monet im heimatlichen Wohnzimmer hängen haben, so ganz legal…
Der Vater geht mit dem Monet die Wände ab, hier könnte er hängen oder dort, niemals! rufe ich, das Bild wird bei mir kein Zuhause finden. Das Bild wandert zurück ins Gepäck zu den Kartoffeln und dem Rosenkohl. Auch die Kekse, keineswegs zuckerfrei, müssen nachher wieder den Rückweg antreten.
Sieht lecker aus, sagt der Vater, als er die rosa- und gelbfarbenen Kugeln entdeckt. Nicht essen!, verbiete ich sofort, es sind (von mir!) selbstgemachte Badekugeln, die lecker duften und optisch mit Gebäck mithalten können. Badekugeln, Marzipanhonig, Marzipankirschmarmelade, ein paar Tüten mit Bonbons vom Lieblingsladen am U-Bahnhof Schlump und einen geleasten Apfelbaum im Alten Land bekommen die Eltern. „Ich hätte lieber einen Birnbaum“, sagt der Vater. „Und ich lieber einen anderen Vater“, antworte ich und schenke mir noch ein Glas Wein ein. Wir streiten etwas herum, unser Ton ist grundsätzlich recht rustikal, aber böse sind wir uns nie lange.
Irgendwann muss der Besuch nachhause, und ich, ich werfe mich erledigt aufs Sofa und fange an, mein Weihnachtsgeschenk, das Katzenbuch von Hape Kerkeling, zu lesen, schnurrende Katzen beruhigen, auch wenn sie nur im Buch vorkommen.
Die restlichen Geschenke packe ich zwei Tage später aus. Dann ist nämlich mein Geburtstag. Und da treffe ich wie jedes Jahr meinen Korrekturleser, Klugscheisser und den Menschen, mit dem ich schon so viel gelacht und ebensoviel gezankt habe. Ich freue mich sehr darauf! Vielleicht sollte ich morgen noch ein wenig meditieren.
Meldorf, lese ich auf dem Schild des Bahnhofs, durch den wir rauschen, irgendwo in Schleswig Holstein auf der Strecke von Hamburg nach Sylt. Seit 1,5 Stunden schaue ich aus dem Fenster in den tristen Himmel, an dem Unmengen von Vögeln in Formationen fliegen. Ich finde es immer wieder faszinierend, wie elegant sie in der Gruppe agieren, ohne zusammenzustoßen und vom Himmel zu fallen. Jedenfalls habe ich das noch nicht gesehen.
Hier ein paar Schafe, dort ein paar Kühe, ein einsamer Reiter und ein Hund, mitten im blassen grau-grün, bevor die Schienen über das Meer auf die Insel führen.
Die Luft ist überraschend warm, 11 Grad plus und etwas Wind, der durch die Friedrichstrasse weht. Ich gehe hinunter zum Meer, das man in der Dunkelheit kaum sieht, aber hört: Wellen brechen brüllend an den Strand, bevor sie sich wieder ins Meer zurückziehen.
Ich wandere zurück und suche mir ein schönes Plätzchen zum Abendessen inmitten der funkelnden Lichter und Tannenbäumchen, die hier schon überall stehen. Da ich meine Arktisjacke anhabe, wähle ich einen Aussenplatz: grundsätzlich bin ich lieber draußen, und in diesen Zeiten erst recht.
Ich freue mich auf morgen, da kann ich machen was ich will, und ich will an den Strand, im Aussenbereich des Cafés sitzen und Kakao mit Sahne trinken und in meinen Lieblingsläden stöbern. Und den Möwen zusehen, die Formationen über dem Meer fliegen. Ohne zusammenzustoßen und ohne runterzufallen.
Der Wind treibt mir die Tränen in die Augen, ebenso die Dankbarkeit, jetzt hier sein zu dürfen, aber auch das Mitgefühl für Mary, Marie und all die anderen, die gerade im Krankenhaus liegen und für weitere Zeit und schöne Momente kämpfen. Mich berührt das sehr, erlebe ich doch gerade schöne Momente. Im Wind auf dem Roten Meer, hier auf dem kleinen Glasbodenboot, verspüre ich sogar etwas von der verloren gegangenen Leichtigkeit, wir lachen, hören laut Musik und winken zu den anderen Booten rüber.
Am Nachmittag gehe ich in einen der vielen Pools schwimmen, leer ist es und sonnig. Ich suche mir noch einen Schattenplatz am Strand und tauche mit den Füssen ins Rote Meer. Matthias war bereits drin, barfuss, wovon auf den vielen Schildern ob der gefährlichen Fische abgeraten wird und ist auf etwas stacheliges getreten. Ausserdem ist sein Rücken rot, da er die Bekanntschaft einer Feuerqualle gemacht hat. Ich weiss, warum ich den harmlosen Pool vorziehe. Better safe than sorry.
Anweisung der Reiseleitung: Treff um 18.30h am Strand mit Zahnputzbecher, sie möchte einen Schnaps ausgeben. Ich werde mir stattdessen ein Wasser mitnehmen.
Im Schrank finde ich ein Bügelbrett samt Eisen und eine Waage. Das ist ja wohl ein Affront! Eigentlich hatte ich in dem grandiosen 5* Hotel, in das wir heute am Roten Meer eingecheckt sind, einen Bademantel samt Latschen erwartet. Ich kontaktiere die Rezeption, umgehend wird geliefert.
Heute Morgen sind wir bereits durch den Sik al-Barid (Little Petra) gestiefelt und von dort unter sengender Sonne in die Steinzeitsiedlung El-Beidha, die über 10.000 Jahre alt ist. Das ist was für Archäologen, stellt Gisela fest; mittlerweile sind wir steinmüde.
In Akaba gibt es Falafel mit Hummus, bevor wir in eines der schönsten Resorts einchecken: Marmor, riesige Halle, grosszügiges Zimmer samt Bad, Balkon mit Blick auf Pool (yeah!) und das Rote Meer (nochmal yeah!). Endlich kann ich mein Kleid zum Dinner anziehen, aber vorher geht es im Badeoutfit zum Strand. Ins Meer darf man allerdings nur mit Badeschuhen, die ich nicht dabei habe; hier gibt es Stachelfische, die am Meeresgrund sitzen. Also ab in den Pool, den ich für mich habe, ich schwimme mit Blick aufs Meer und blinzel in den Sonnenuntergang.
Das lerne ich beim lang ersehnten Dinner bei den Beduinen, von dem wir alle recht enttäuscht sind, da wir uns vor kleinen Zelten bei Fackelschein im Sand der Wüste sitzend wähnten. Wir sitzen allerdings in einem Restaurant, das nur entfernt an ein Zelt erinnert oder wie die ganz enttäuschten Mitreisenden sagen: das hier sei bestenfalls eine Beduinen-Kantine. Es ist laut, gross und voll, aber das Essen finde ich lecker (auch wenn ich nur reduziert esse, weil Magen…). Gisela kommt triumphierend mit einem echten Bier zurück, immerhin etwas.
Reingelegt wurde ich von Mohammed, mit dem ich heute zum Glück nicht in die Berge geritten bin und der mir gestern sieben Dinar für den Ritt abgeknöpft hat, und das war schon runtergehandelt. Besser gehandelt hätte ich, wenn ich mir das Kleingedruckte auf der Rückseite der Eintrittskarte durchgelesen hätte: Pferderitt inklusive. Das hat uns allerdings auch die allwissende Reiseleitung unterschlagen, die jeden Stein ausführlich erläutert, aber den Trab vom Sik zum Visitor Centre nicht erwähnte.
Nun hören wir noch den Musikern zu, dann einem Vortrag über das Leben in Jordanien, der sehr interessant ist (von einem Beduinen, nicht von der Reiseleitung), wir bewundern die Grabnischen in den Bergen, die von Tausenden Lichtern erhellt werden, und dann geht es schon wieder zurück ins Hotel, so kommen wir nicht allzu spät ins Bett. Morgen geht es erst um 9.00h weiter, nach Akaba ans Rote Meer. Mit dem Bus. Nicht auf dem Pferd.
Ich drücke der Reiseleitung das Geld für mein reserviertes Mittagessen in die Hand, sage, dass sie mein Lunch gern verschenken darf, und marschiere ohne die Gruppe weiter. Seit 8 Uhr früh sind wir unterwegs, eine Handtasche bleibt irgendwo stehen, ein Kameraobjektiv ist herrenlos, wir bleiben an jeder Ecke stehen, sengende Sonne hin oder her, jeder Stein muss erklärt und jede Diskussion ausgefochten werden. Weit sind wir noch nicht gekommen.
Das tut nix für meine innere Balance, und ausserdem komme ich hier selbst zurecht, bin ich schon gestern Nacht bis zur Schatzkammer vorgedrungen. Auch bei Tageslicht ist es beeindruckend: die Felsen ragen bis weit in den Himmel, winden sich den Weg entlang, weiten sich, verengen sich, wechseln die Farbe, sind rauh und mal glatt, lassen ab und an den Himmel wie zufällig blau aufleuchten, und geben nach zwei Kilometer und einer letzten Wende den Blick auf die Schatzkammer frei. Ich fühle mich hier wohl, fast heimisch, am Fusse des riesigen Schatzhauses, das ein Jahrhundert v.Chr. erbaut wurde. Ich spaziere weiter, überall in den Felsen tauchen weitere Grabstätten auf, ein römisches Theater, Tempel und Säulen.
Ich kaufe mir einen Keks und einen Minztee, setze mich vor ein Café und komme mit einem Jordanier, der in den USA lebt, ins Gespräch. Irgendwann zieht meine Gruppe an uns vorbei, ich bleibe sitzen.
Ich erstehe ein paar Mitbringsel und für mich ein silbernes Armband und ein wunderschönes Kamel aus Bronze. Ich plaudere mal hier und mal da und bin tiefenentspannt.
Irgendwann kehre ich um. Noch etwas bewundernd vorm Schatzhaus stehen, durch den schattigen Sik (Felsenschacht) bummeln, überlegen, wie ich die letzten Kilometer in flirrender Sonne bewerkstellige, und dann steht da schon Mohammed mit seinem Pferd, bis zum Hotel könne ich reiten, was ich dann doch dankend ablehne. Vorm Visitor Centre steige ich ab.
Morgen könnte ich mit Mohammed in die Berge reiten und von oben auf Petra schauen. Ich überlege.
Wir Frauen stehen in der Schlange vor der Moschee, um ein dunkles figurverhüllendes Gewand überzuziehen, ohne welches wir – nebst verhülltem Haar – nicht die Moschee betreten dürften. Auch Oliver steht in der Schlange. Er trägt bereits sein Outfit für das Tote Meer, aber kurze Shorts und Adiletten sind nicht gerade moscheenkonform. Auch er bekommt eines dieser Gewänder verpasst, das die Figur unsichtbar werden lässt.
Die König-Abdullah-Moschee hat einen dicken weichen Teppich mit Sternchenmuster, das uns die Reiseleitung erklärt. Da ich mich nicht für Religion interessiere, wandere ich ein wenig unter der riesigen Kuppel umher und spüre die Füsse im Teppich versinken, die nette Aufsicht bietet mir ein Glas Wasser an (später bekomme ich einen indirekten Rüffel, weil ich nicht beim Teppichmustervortrag aufgepasst habe).
Über dem langen Gang, der zu den Toiletten (scheusslich!) führt, steht nur etwas auf arabisch. Lange gefliesste Gänge mit Möglichkeiten, die Füsse zu waschen und lange Gänge mit den von mir gehassten östlichen Toiletten. Was muss, das muss. Auf dem Rückmarsch stosse ich auf einen Mann, der, vermute ich, ein „huch“ auf arabisch ruft, ich husche ganz schnell aus der Herrentoilette davon.
In Madaba besichtigen wir die griechisch-orthodoxe Kirche St Georg, die voller Mosaiken aus dem 6ten Jahrhundert ist. Das Städtchen ist hübsch und ganz modern mit einem Leitsystem, es gibt rote aneinandergereihte Steine auf dem Fussweg, damit Fremde zum Visitor Centre zurückfinden. Finde ich natürlich nicht. Zum Glück laufen hier noch andere aus der Gruppe herum, ich brauch nur jemandem hinterherdackeln.
Auf dem Berg Nebo schauen wir ins Jordantal, von hier hat angeblich schon Moses auf das Gelobte Land geblickt. Vor uns, 20-50km entfernt, liegen Jericho, Bethlehem, Jerusalem, Rammallah und die Golanhöhen.
Endstation: Totes Meer! War ich eben noch völlig erledigt, werfe ich mich flugs in meinen Badeanzug, schnappe das Handtuch und wandere hinunter zum Wasser. Warm ist es und wunderbar. Ich lasse mich auf dem Meer treiben.
Um 8.30h starten wir an der Zitadelle von Amman. Die Zitadelle liegt oben auf dem Jabal al Qal‘a. Ägyptens Geschichte ist jung im Vergleich zu Jordaniens, die 10.000 Jahre zurückreicht: hier gibt es eine Höhle aus der Bronzezeit, den Herkules-Tempel, eine umayyadische Moschee und das archäologische Museum. Von hier oben schaut man auf das römische Theater und die Stadt.
Und dann geht es erstmals raus aus der Geschichte und hinein ins aktuelle Gewühl der Stadt. Der Strassenverkehr ist zusammengebrochen, überall wird gehupt und gerufen, wir schlängeln uns durch die Marktschreier, die nur noch von den Rufen des Muezzins übertönt werden. Wir teilen uns, ich gehe mit unserem jordanischen Guide durch weiteres Marktgewusel und zum Falafelessen (ein Mitreisender ordert Almdudler, man kann‘s ja mal versuchen), und ja, die Zeit läuft uns davon. Mich stört das nicht, gehöre ich zu der Handvoll Reisenden, die nicht die anschliessende Tour zu den Wüstenschlössern gebucht hat sondern eigenständig die Atmosphäre Ammans aufnehmen möchte. Reinhild und Helmut schliessen sich mir an, was ganz nett ist, da ich dann nicht allein in der 4 Millionen-Einwohnerstadt verlorengehe. Wir bummeln nochmal durch die Stände und den Goldmarkt und fahren zur Rainbow Street. Hier ist die Stimmung gleich ganz anders, die Strasse könnte auch in London liegen mit seinen chilligen Cafés und kleinen Lädchen. Cappuccino trinken wir, dazu singt Adriano Celentano aus den Boxen, ein relaxter und angenehmer Nachmittag im eigenen Tempo neigt sich dem Ende zu.
Heute Abend heisst es dann noch Kofferpacken, denn morgen früh um 8.30h geht es weiter nach Madaba und zum Toten Meer.
Verwirrung mit der Zeitumstellung. Ist uns Jordanien eigentlich eine Stunde voraus, hat das Land als Novum eine Zeitumstellung eingeführt. Diese startet am 29.10.2021. Also alle Uhren wieder zurückstellen und Uhrenvergleich mit allen Reiseteilnehmern. Wir haben nun wieder die deutsche Zeit.
Keine Verwirrung gibt es hingegen bei den Sitzplätzen im Bus: war das Thema bei den Reisen nach Tibet, Israel und Marokko ein Kampfthema (was ich persönlich nicht nachvollziehen kann), herrschen hier – Corona sei Dank – feste Regeln. Jeder bleibt für die gesamte Reise auf seinem Platz. Zimmerpartner nebeneinander, Einzelzimmer allein in einer Reihe. Das freut mich, kann ich mich mitsamt meinem Handgepäck schön ausbreiten.
Gerasa (Jerash) begrüsst uns mit sengender Hitze. Wieder einmal mehr merke ich, dass ich hitzeempfindlich geworden bin und suche die rar gesäten Schattenplätzchen in den Felsen. Wir gehen über einen Basar mit passablen Toiletten und treten durch den Hadriansbogen ins alte Jerash ein. Was wären wir ohne die Römer. Kaiser Hadrian kenne ich noch aus England, wo wir über die Hadrianswall stolperten. Hippodrom, Forum, Jupiter-Tempel, Nymphäum, Artemis-Tempel, wir schreiten auf säulenumrahmten Wegen, an denen sich früher die Geschäfte aneinanderreihten, und wieder einmal bewundere ich die Römer für ihre intelligenten und imposanten Bauten, Abwassersystem inklusive.
Als – nicht nur mir – die Sonne zu Kopfe steigt, bleibt eine Wolke gnädig über uns hängen und beglückt uns mit einigen Regentropfen. Ich bin doch ein richtiges Nordlicht.
Ein spätes Mittagessen in dem einzigen Restaurant, ich habe prophylaktisch eine Magentablette genommen, aber das zumeist vegetarische Essen ist einwandfrei.
Gefreut habe ich mich auf den Abend. Ich sage den Cocktailempfang ab und marschiere zum Pool. Allein bin ich dort, und das brauche ich auch immer wieder; was ich nicht gebraucht hätte, wäre das Eiswasser im Becken. Ich mache das, was ich sonst nie mache: ich kehre tatsächlich um. Das wäre Hadrian nicht passiert.
Tag 1 nur ein kleines Resumee nach drölfzig Stunden Anreise
Bin mit der turkmenischen Fussballnationalmannschaft im Fahrstuhl gefahren. Und mit den Palästinensern. Schnelle Anfreundung. Gisela, 83 Jahre, habe ich in der Bar gelassen. Karla war auf ner Flussfahrt in Indien, die Vögel haben im Speiseraum in der Deckenleuchte genistet Also in Indien. Nicht hier. Das Buffet beim Dinner war sehr gut. Hummus geht immer. Die Reiseleitung hat sich rückversichert, dass ich als Vegetarier (melde mich immer als Vegetarier an) etwas zu essen gefunden habe. Hab ich. Das ist der Blick aus dem 13ten Stock auf Amman. Jetzt gehe ich in mein wunderbares Boxspringbett. Und morgen geht es nach Gerasa.
Ach ja. Im Flieger mussten weitere Dokumente für die Einreise ausgefüllt werden. Die Fluggäste waren unwillig. Man habe doch schon ähnliches mehrmals ausgefüllt. Ansage aus dem Cockpit. Alle haben die Formulare auszufüllen (die ersten Passagiere mussten ja schon in Wien wegen fehlender PCR-Tests zurückbleiben). Bei Einreise schleppt jeder die Akten in der Hand. Was müssen wir davon vorzeigen: den Reisepass und den QR-Code.
…bei den Mammomädels (Kooperationsgemeinschaft Mammographie), in der Social Media-Kampagne zum Brustkrebsmonat Oktober.
Grundsätzlich geht es um Selbstliebe. Wer sich mag, gibt acht auf sich.
Ich bin Anja. Im Februar 2017 bekam ich die Diagnose beidseitiger Brustkrebs. Eine Diagnose, die das Leben still stehen lässt. Eine Diagnose, als sei man ohne Vorwarnung mit Vollgas gegen eine Wand gefahren.
Ich habe die Erkrankung als Warnung verstanden, meinen Lebensstil zu überdenken und zu optimieren.
Gib acht auf dich: das Motto der @Mammomädels habe ich verinnerlicht. Vor- und Nachsorge sind extrem wichtig: für Frauen von 50 bis 69 Jahren wird zur Brustkrebsfrüherkennung das Mammographie-Screening angeboten. Nehmt das gern Angebot wahr. Es kann Euer Leben retten.
Auch wenn der Oktober der Brustkrebs-Awareness-Monat ist, ist Brustkrebs für mich als Betroffene jeden Monat, jede Woche und jeden Tag präsent. Auch das hat etwas mit „Gib acht auf dich“ zu tun: zur Vorsorge gehört für mich Bewegung: ich mache täglich Sport, was das Risiko auf ein Rezidiv reduziert. Das ist wissenschaftlich erwiesen. Ich achte auf meine Ernährung. Ich achte darauf, Stress zu vermeiden.
Ich gebe acht auf mich. Weil ich mich mag. Weil ich nur diesen einen Körper habe. Weil ich noch viel erleben möchte. Und weil ich noch lange fit und gesund sein will. Weil ich das Leben liebe.
Lange Version: ich wandere ein letztes Mal am Meer entlang, sitze am Wasser, trinke einen frischen Orangensaft im Café und besuche ein letztes Mal die Kathedrale, die ich – genauso wie das grosse weisse Postamt – mittlerweile im Schlaf finde.
Mein Spaziergang endet vor dem Schaufenster des Optikers. Oh no! Panik. Dort, wo bis gestern noch mein Objekt der Begierde ausgestellt war, liegt nun eine andere Sonnenbrille. Ich schaue durch die Tür. Eine Kundin verabschiedet sich mit einem Päckchen in der Hand. Das kann doch nicht wahr sein. Ich stürme das Geschäft, bis gestern sei doch im Fenster diese Sonnenbrille…man schaut mich etwas verständnislos an, leider verstünde man kein englisch. Ich wiederhole auf italienisch, die Optikerin nimmt die Brille aus dem Fenster, nein, nein, ein Missverständnis, ich meine doch eine andere Brille, die dort eben nicht mehr ist. Die Optikerin zieht eine Kollegin zu Rate, zu Zweit durchsuchen sie Schubladen und Schränke, und dann finden sie das Objekt meiner Begierde. Erleichterung! Ich setze sie auf. Sie passt perfekt. Sie sieht perfekt aus. Perfetto, sagt die Optikerin. Ich frage nach dem Preis. Es ist der, den ich bereits im Internet recherchiert habe. Der Schock sitzt tief, was man mir ansieht. Man bietet mir einen Rabatt an. Puuuh. Man bietet mir einen weiteren Rabatt an. Immerhin 50 Euro weniger. Ich nehm die Brille, höre ich mich sagen.
Ich nehme die Brille ab, die Optikerin setzt sie mir wieder auf die Nase, um zu schauen, ob man sie anpassen müsse. Sie ist perfekt, sagen wir beide.
Ich darf aus verschiedenen Etuis wählen, bekomme zwei Brillentücher, eine weitere Box, die ich gleich dort lasse, in 15 Minuten holt mich das Taxi vom Hotel, das mich zum Flughafen bringt, jetzt muss ich mich beeilen. Mehr Shopping ist zum Glück nicht drin.
Angekommen bin ich dann, wenn sich Rituale herauskristallisieren: der nachmittägliche Besuch der kleinen Gelateria, der Kauf von Obst und Gemüse im Supermarkt um die Ecke, der Aufenthalt am Pool an den Nachmittagen, das Innehalten an der Promenade am Meer, das selbstverständliche Bewegen durch die Gassen, das Beobachten des Geschehens um mich herum.
Gestern habe ich ein kleines blaues Boot beobachtet. Hier gibt es einige Boote, unter anderem eine Fähre nach Korfu. Da muss ich also genau aufpassen, auf welches Boot ich steige. Ich möchte auf die andere Seite zum Marine-Denkmal. Ich hole mir ein Ticket am grünen Automaten, vergewissere mich, dass ich hier richtig bin, und schon geht es los nach Korfu – Quatsch – zum Denkmal. Das ist dann auch sportlich, unzählige Stufen führen bis auf eine kleine Aussichtsplatform, die einen grandiosen Ausblick auf Brindisi im sanften Licht der Nachmittagssonne bietet.
Seit Tagen bleibe ich am Schaufenster eines Brillengeschäftes stehen. Schön sieht es aus, das Objekt meiner Begierde, so schön, dass es kein Preisschild hat, aber der Blick ins Internet verrät, dass es mein Budget weit überschreitet.
Ich gehe hinein. Ich halte der Optikerin meine alte Sonnenbrille hin, ob sie die reparieren könnten. Können sie. Sie möchte nicht einmal Geld dafür annehmen, vielleicht auch, weil es ein italienisches Modell ist. Ich wage nicht zu fragen, ob ich die Brille aus dem Schaufenster mal aufsetzen dürfte, was in diesem Fall auch besser sprich: vernünftiger ist.
Ein Eis stelle ich mir in Aussicht, als Kompromiss.
Morgen werde ich sicher wieder vorm Schaufenster landen. Es wird Zeit, dass ich abreise.
Tempio di San Giovanni, Palazzo Granafei Nervegna, Pontificia Basilica Cathedrale und Chiesa di San Benetto notiere ich mir beim Frühstück. Über diverse andere Sehenswürdigkeiten bin ich bereits per Zufall gestolpert oder sie befinden sich ausserhalb meines Radius.
Ich beschliesse, mein Handy zur Navigation zu nutzen, um zumindest das eine oder andere wirklich zu finden. Rechts aus dem Haus, die Strasse hinunter, dann durch die nächste Gasse und ums Eck, und schon stehe ich überraschenderweise vor dem grossen weissen Postgebäude, in dem ich gestern einige Zeit verbracht habe. Ich marschiere weiter, noch ist es früh und die Sonne angenehm und tatsächlich finde ich den Tempio di San Giovanni. Ein Italiener spricht mich an, ob er mich davor fotografieren solle, molto gentile, ma no. Die Dame am Eingang möchte meinen green pass sehen. Meine apps zeigen meine Covid-Zertifikate allesamt in blau an, aber verwandeln sich in den green pass, als der QR-Code gescannt wird. Ich darf eintreten. Rotunde, alte Gemäuer und ein Garten mit Blumen, Sträuchern, Brunnen und Olivenbäumen, eine kleine Oase inmitten der Mauern.
Auf dem Weg zum Palazzo treffe ich wieder den Italiener, ob er ein Foto…molto gentile, ma no. Ich frage ihn, wo der Palazzo liegt (anderswo als mir mein Handy anzeigt) und gehe meines Weges. Wieder werden meine Zertifikate gescannt, wieder darf ich eintreten, und wieder mal habe ich mich gar nicht informiert, wo ich gerade gelandet bin. Der Palazzo scheint eine Mischung aus Behörde (ich lande prompt in einem Büro), Studienzimmer, Ausgrabungsstätte und einer Kunstausstellung zu sein. Ich schaue mir alles an und finde sogar wieder hinaus.
Zum Tempio di San Giovanni sollte ich gehen, meint ein Italiener. Ich werde hier permanent angesprochen, vermutlich, weil ich der einzige Tourist in Brindisi bin. Da käme ich gerade her, ich möchte zur Kathedrale. Auch diese finde ich (hurray!), und ausserdem davor Soldaten, Polizei, Marine, Feuerwehr, die Hundestaffel, Einsatzfahrzeuge…und zwei weisse Wagen, auf denen was mit „sangue“ steht. Blutspenden, vermute ich, diesmal spreche ich einen Italiener an, ob man in die Kirche dürfte. Darf man.
Die Sonne steigt höher. Ich marschiere weiter zur Chiesa di San Benedetto. Hat geschlossen. Macht nichts. Gehe ich halt in die Angeli, an Kirchen mangelt es hier nicht. Einen Briefkasten bräuchte ich, aber die sind lt google rar gesät.
Ich lese am Pool, gehe in „meine“ Gelateria, esse wieder ein leckeres Hazelnusseis und trinke Cappuccino, steuere zielstrebig das Postgebäude an (alle Wege führen zur Post!) um die Karten zu verschicken, spaziere zum Hafen und von hier aus zur Kathedrale, in 200m sollte sie erscheinen, aber ich schaffe es, mich zu verlaufen, auch wenn das Ziel ums Eck liegt. Der Menschenauflauf vom Morgen ist verschwunden. Ein paar Vögel kreisen über der Kirche.
Ich habe nichts geplant. Ich lasse das Frühstück stehen – da werden die Italiener und ich keine Freunde – und verlasse mein Haus. Hinunter an den Hafen, mal schauen, ob man das Hafenbecken umrunden kann, das Wasser schwappt dort an den Kai, die Sonne scheint. Schnell merke ich, dass die Entscheidung, den Rock aus- und die Jeans anzuziehen, falsch war. An Segelbooten und kleinen Yachten vorbei, hier und da ein leeres Café an der palmenumsäumten Promenade, ich gehe weiter, bis es nicht mehr geht. Maritimes Militärgebiet, Mauern mit Stacheldraht und ein hohes Tor versperren den Weg. Eigentlich sollte da auch eine Burg liegen. Ich stehe unschlüssig vor dem Tor, die Marinesoldaten mag ich nicht ansprechen. Ich trete den Rückzug an.
Wäsche flattert vor den Fenstern der gelbfarbenen Häuser, zwei Kochtöpfe stehen auf einer Fensterbank, in der Schule hört man Kinder singen, die Sonne scheint jetzt unbarmherzig auf mich herab. Spontan entschliesse ich mich, ins archäologische Museum zu gehen, ein Platz, an dem es erfahrungsgemäss gut gekühlt ist.
Vor 20 Stunden habe ich mich über die Küche in meinem Domizil echauffiert, nun stehe ich dort und bereite mir einen Salat zu.
Die nächsten Stunden verbringe ich am und im Rooftoppool, dann geht es in eine Gelateria.
Ich kaufe Postkarten. Briefmarken gibt es nicht im Tabakladen, da müsste ich zur Post. Ich laufe zur Post. Aha! Der aufmerksame Leser wird irritiert sein, wie ein Orientierungslegastheniker nun zielstrebig die Post ansteuern kann. Und ja, das geht; die Post liegt nämlich gegenüber des Tabakladens.
Habe ich mich bisher gewundert, dass es so gut wie keine Menschen in Brindisi gibt: hier sind sie also allesamt versammelt. Voll ist es in der Post, ich muss eine Nummer ziehen und warten. Und warten. Und warten.
Endlich wird meine Nummer aufgerufen. Ich sage, was ich möchte, der Beamte spricht kein Englisch. Ich wiederhole auf italienisch. Der Mann springt auf und verschwindet hinter der blauen Wand durch eine ebenso blaue Tür. Ich warte. Und warte. Das ist meine Aufgabe, denke ich: sich in Geduld üben. Sich nicht aufzuregen wegen Kleinigkeiten. Natürlich bin ich kurz davor, meine Wartenummer zu zerknüllen und die Post wütend zu verlassen, da kehrt der Beamte durch die blaue Wand zurück. Er setzt sich, nimmt eine Büroklammer und steckt die Marken sorgfältig zusammen. Dann erklärt er mir ausführlich, dass auf jede Karte zwei Marken gehören (was offensichtlich ist). Meine Geduld wird strapaziert, ausserdem muss ich auf Toilette.
Ich nehme die Marken, marschiere nach Hause, und wie gut, dass es hier eine Küche gibt, da mache ich mir gleich noch einen Salat.