13.01.2023

und rechts liegt das Meer.

Stürmisch ist es, der Regen prasselt unaufhörlich nieder, und stürmisch war auch meine Woche. Krisenmanagement kann ich: Optionen ausloten, Lösungen überlegen, angreifen. Nichts ist mir mehr zuwider als Herausforderungen, denen ich hilflos ausgeliefert bin. Das war bei meinen Erkrankungen der Fall. In diesem Fall kann ich selbst agieren. Und so schaukelt mein kleines Boot im Sturm und im Regen auf den Wellen umher, aber untergehen wird es nicht.

Ich möchte heute Nachmittag durch die Vorderreihe bummeln, entweder Nusseis mit Sahne in der Eisdiele oder ein Stück Nusstorte bei Niederegger essen, eine helle Hose möchte ich kaufen, im Hotelpool schwimmen, am Strand entlang wandern und abends beim Italiener essen. Oder in der Marina.

Ich steige in Travemünde-Strand aus: auf in die Bäckerei und mit Ei und Käse belegte Brötchen bestellen! Koffer im Hotel abgeben, und dann in die Vorderreihe. Aus der hellen Hose wird eine dunkelblaue Jeans, und während ich durch Sturm und Regen trabe, stelle ich fest, dass ich weder Eis noch Torte möchte. Meine Planung läuft ja super, denke ich, wird aber durch eine Schwimmeinheit und den Besuch beim Italiener wieder eingehalten. Der Regen prasselt auf das Zeltdach, vermischt sich mit den tosenden Wellen des Meeres, während ich mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze und gegen den Wind am Strand zurück ins Hotel marschiere.

Wie geht es Dir?, frage ich mich. Gut, antworte ich. Das Boot wird nicht sinken. Morgen wird der Wind sich legen, die Sonne hinter den Wolken hervorkommen, und das spiegelglatte Meer wird glitzernd strahlen.

28.08.2022

Über die Dankbarkeit.

Es ist Freitag, ich greife mein Handy und den Haustürschlüssel und laufe vor die Haustür. Keine Zeit, mich umzuziehen; in kurzer Jogginghose, Shirt und Flipflops renne ich auf die andere Strassenseite. Weiter kann ich nicht rennen, denn jede Minute könnte mein Rewe-Lieferservice eintreffen, und den muss ich im Auge behalten. Menschenmassen sitzen, stehen und winken, fangen an zu klatschen, als das kleine Boot in den Sandtorhafen einbiegt. Fettes Brot, die Hamburger Kultband, die in den letzten Jahren nicht aktiv war, hat heute Mittag bekanntgegeben, dass sie entlang der Elbe Überraschungskonzerte spielen wird; eines davon direkt vor meiner Haustür. Ich freue mich und bin dankbar, dass ich diesen spektakulären Auftritt miterleben darf. Ein Freund kommt um die Ecke, auch er begeistert, die wogende Menge singt mit. Drei Anrufe mit unbekannter Rufnummer lehne ich ab, bevor ich doch rangehe: der Rewe-Lieferservice sitzt in meinem Treppenhaus. Ich sprinte zurück, entschuldige mich und bin dankbar, dass er nicht mitsamt meines Wocheneinkaufs von dannen gezogen ist. Ich packe aus, laufe zurück auf die andere Strassenseite, klatsche noch etwas mit, winke der Band zu, die unter Dankesrufen langsam aus dem Sandtorhafen schippert.

Am Samstag bin ich in Berlin. Ich bin dankbar, dass ich an dem Event der Mammomädels teilnehmen kann, die die Kampagne zum Brustkrebsmonat Oktober präsentieren, der wir ein Gesicht geben werden. Es wird eine tolle Kampagne werden, ich freue mich und habe beim Fotoshooting recht schnell „mein Foto“. Heidi würde zufrieden sein. Wir lachen, führen tolle Gespräche, nippen an unseren alkoholfreien Drinks, unser Blick schweift über die Dächer von Kreuzberg.

Tibet 2018, sagt die Frau, die ich auf dem Nachhauseweg an der Elbe treffe, ich halte an und strahle, na klar, es ist eine ehemalige Mitreisende, die mit mir im Basecamp des Everest war. Wir unterhalten uns, bis die Sonne untergeht.

Im Aussenbecken des öffentlichen Bades sind am Sonntagmorgen nur zwei Mitschwimmer auszumachen. Der Himmel ist blau, die Sonne strahlt, der Bademeister fragt, ob er mich etwas fragen dürfe, wir kennen uns ja, ich würde hier fast täglich schwimmen, aber ehrlich soll die Antwort sein: sitzt sein Shirt gut oder sehe er aus wie eine Presswurst? Sensationell, antworte ich, und meine es ehrlich. A. kommt mir entgegengeschwommen, als ich gerade das Becken verlassen will, ich hänge noch zwei Bahnen dran, um mir von ihrer Wienreise erzählen zu lassen, bevor ich mich mitsamt meinem Frühstück auf meinen Lieblingsplatz am großen Becken niederlasse. Was für ein schöner Morgen.

Ein Mensch stirbt. Ich kenne Dich nicht persönlich, wir haben uns ab und an geschrieben, und ich war immer beeindruckt von Dir, mit wieviel Würde Du Deiner unheilbaren Krebserkrankung begegnet bist. Immer nach vorne blickend, nie klagend, immer einen schönen Tag wünschend. Ich merke, wie mir die Tränen kommen. Und doch bin ich dankbar für diese virtuelle Bekanntschaft. Und für jeden Moment.

29.07.2022

Unterwegs.

Ein weiterer Anker hat sich gelichtet, denke ich, während ich meine Bahnen durch das Becken des öffentlichen Bades ziehe. Der Himmel ist grau, im Gras sitzen zwei Krähen und krächzen.

„Von Amts wegen ergeht folgende Entscheidung“; so beginnt das zweiseitige Schreiben der Behörde für Gesundheit. Die zwei Seiten kann ich in einem Satz zusammenfassen, und das auch noch verständlicher als es das komplizierte Behördendeutsch ist: mein Behindertenausweis ist ab sofort ungültig und wird eingezogen. Von 80 Prozent Schwerbehinderung auf 0 Prozent, von einem Tag auf den anderen bin ich also vom Amt für gesund erklärt worden.

Das muss ich reflektieren, genauso wie die Sonne, die sich jetzt hervorwagt, und sich im Blau des kühlen Wassers spiegelt. Seit März 2022 gelte ich (nach meiner Zeitrechnung) als geheilt, ab sofort nun auch als gesund.

Fakt ist: ich habe mich bereits am Tag der Operation, an dem beidseitig die Krebstumore entfernt wurden, für gesund erklärt. Diese Einstellung hat mir geholfen, positiv nach vorn zu gucken und nicht in eine Schockstarre zu verfallen, verängstigt, dass der Krebs zurückkommen könnte. Das kann er. Aber genau da setze ich an und bin aktiv (und diszipliniert), um das Risiko zu reduzieren. Es geht mir gut mit dieser Einstellung. Dass ich andere gesundheitliche Herausforderungen habe, liegt nicht am Krebs, und einen Behindertenausweis hatte ich schon einmal empört abgelehnt. Auch damals habe ich mich als gesund erklärt, auch wenn ich es im Rückblick nicht gewesen bin.

Der Behindertenausweis, den ich noch drei Monate weiter führen darf, bevor ich ihn zurückgeben muss (so ich dieses komplizierte Schreiben richtig deute), war ein Anker. Er steckte sichtbar in meinem Portemonnaie und erinnerte mich täglich daran, inne zu halten. Einen Schritt langsamer zu gehen. Ein Anker, der mich darauf aufmerksam machte, auf meine innere Stimme zu hören: wie geht es Dir?, fragt mich die Stimme, ich schaue mich an, überlege, beantworte die Frage mit Bedacht und justiere meine Richtung, wenn es nötig ist. Das ist gut, und das ist richtig.

Dieser Anker hat sich nun gelichtet. Und ich, ich bin wieder ein Stück freier und schwimme gelassen der Sonne entgegen.

Heute bin ich Covergirl

…bei den Mammomädels (Kooperationsgemeinschaft Mammographie), in der Social Media-Kampagne zum Brustkrebsmonat Oktober.

Grundsätzlich geht es um Selbstliebe. Wer sich mag, gibt acht auf sich.

Ich bin Anja. Im Februar 2017 bekam ich die Diagnose beidseitiger Brustkrebs. Eine Diagnose, die das Leben still stehen lässt. Eine Diagnose, als sei man ohne Vorwarnung mit Vollgas gegen eine Wand gefahren.

Ich habe die Erkrankung als Warnung verstanden, meinen Lebensstil zu überdenken und zu optimieren.

Gib acht auf dich: das Motto der @Mammomädels habe ich verinnerlicht. Vor- und Nachsorge sind extrem wichtig: für Frauen von 50 bis 69 Jahren wird zur Brustkrebsfrüherkennung das Mammographie-Screening angeboten. Nehmt das gern Angebot wahr. Es kann Euer Leben retten.

Auch wenn der Oktober der Brustkrebs-Awareness-Monat ist, ist Brustkrebs für mich als Betroffene jeden Monat, jede Woche und jeden Tag präsent. Auch das hat etwas mit „Gib acht auf dich“ zu tun: zur Vorsorge gehört für mich Bewegung: ich mache täglich Sport, was das Risiko auf ein Rezidiv reduziert. Das ist wissenschaftlich erwiesen. Ich achte auf meine Ernährung. Ich achte darauf, Stress zu vermeiden.

Ich gebe acht auf mich. Weil ich mich mag. Weil ich nur diesen einen Körper habe. Weil ich noch viel erleben möchte. Und weil ich noch lange fit und gesund sein will. Weil ich das Leben liebe.

22.03.2021

Der besondere Tag.

Heute ist ein besonderer Tag. Ich fühle mich ein bisschen als hätte ich Geburtstag. Heute vor vier Jahren standen wir in der Tiefgarage und verfrachteten meinen Koffer in das Auto, das mich ins Krankenhaus bringen sollte.

Ich hatte keine Angst. Im Gegenteil: ich habe mich gefreut.

Heute vor vier Jahren wurden zwei Krebstumore entfernt. Meine neue Zeitrechnung startete: es gibt nun ein „vorher“ und ein „danach“. Heute ist der Tag, an dem ich vier Jahre krebsfrei bin. Und gesund.

Das muss gefeiert werden. Heute treffe ich mich mit P. Wir werden ans Meer fahren und an den Klippen entlangwandern, in der Kälte und im Wind und das Salz auf den Lippen spüren. Wir werden lachen und den Tag geniessen.

Vor genau vier Jahren schrieb ich im Krankenhausbett einen Blogeintrag, der mit diesem Satz endete: „das Leben ist schön“.

01.10.2010

friendly reminder.

Heute ist Weltbrustkrebstag. Und ich freue mich, dass ich immer noch hier bin.

2017 bin ich an beidseitigem Brustkrebs erkrankt. Ich kann nur jedem raten: geht zur Vorsorge. Nehmt Mammografieangebote wahr. Bleibt dran, auch wenn man Euch für zu jung für Brustkrebs befindet. Achtet selbst auf Euch, und das jeden Tag: nicht nur einmal im Monat zum Abtasten, nicht nur bei den Nachsorgeterminen; Ihr könnt selbst aktiv jeden Tag etwas für Eure Gesundheit tun: regelmässig Sport, gesunde Ernährung und Meditation helfen Euch, gesund zu bleiben bzw. Rezidiven vorzubeugen. Und selbst aktiv sein, nimmt auch die Angst.

Gebt Acht auf Euch, und zwar jeden Tag.

21.09.2020

Im Krankenhaus.

Ich sitze im OP-Hemdchen im Rollstuhl, die Arzthelferin hat mir einen Zugang in den rechten Arm gelegt. Es piekt. Ich sage nichts, sondern gucke zur Wand, an dem ein rotes Plastikbrett mit der Aufschrift „Reanimation“ befestigt ist.

Das ich heute im Krankenhaus zum Brust-MRT gelandet bin, ist überraschend; genauso wie das Outfit, in dem ich jetzt stecke.

Ob man diese Technomusik ausstellen könne, frage ich, als ich bäuchlings mit fixierten Armen und ner Platte auf dem Rücken ins Gerät geschoben werde. Das ginge nicht, das seien die Geräusche des Gerätes, und lauter, das würden sie dann auch noch werden. 20 Minuten dauert das Prozedere, in dem ich nichts sehe, dafür umso mehr höre und spüre, als die Kontrastflüssigkeit in den Arm geleitet wird.

Alles perfekt, sagt die Radiologin, als sie mich auf dem Flur abfängt.

Ob ich denn jetzt zum Schwimmen gehen könne?, frage ich. Mein Aussenbecken des öffentlichen Bades liegt genau neben dem Krankenhaus, und ausserdem scheint die Sonne.

Ich vermute, dass ich die Einzige bin, die nach einem MRT, bei dem eventuelle Narbenrezidive abgeklärt werden sollen, nach einer Schwimmerlaubnis fragt.

Ich laufe zum Schwimmbad rüber und beglückwünsche mich, dass ich mich nicht vorher mit derlei Untersuchungen auseinandersetze. Da spare ich mir schlechte Laune.

Diese trifft mich allerdings am Montag: überraschenderweise lande ich beim EKG bei meinem Hausarzt, da mein Blutdruck viel zu hoch ist, und keine Ursache ausgemacht werden kann. Ein Rezept für einen Betablocker (für den Notfall) bekomme ich mit, meine Blutdruckwerte möge ich dokumentieren und weitere Untersuchungstermine ausmachen, und dann, dann darf ich doch – mit Verspätung – meine Reise ans Meer starten.

24.05.2020

Was der Krebs mit einem macht.

Am schlimmsten sei die Vorstellung, vergessen zu werden. 
A. ist eine junge blonde Frau mit strahlend blauen Augen, die sich für Mode interessiert und am liebsten mit ihrem Hund unterwegs ist. Seit drei Jahren hat die 23-Jährige Magenkrebs. Therapien, Operationen, Hoffnungen, weitere Therapien und Enttäuschungen wechseln sich ab. A. ist unheilbar krank. Die Metastasen sind nicht aufzuhalten. Laut ihren Ärzten könne man nur noch etwas gegen die Schmerzen tun.

Das könne doch alles nicht wahr sein, schreibt A. fassungslos.
Ob sie einen Psychoonkologen und Menschen an ihrer Seite habe, frage ich. Der Psychologe wird verneint, die Menschen, dass seien die Eltern und die Kontakte auf social media, hier postet sie täglich und kommuniziert mit ihren Followern, einer davon bin ich. Auf social media fragt A. auch, ob sich jemand mit Aszites auskenne und erzählt, dass ihre Tumore in den Bauch bluten, daher die Schmerzen, die sie in den letzten Tagen ans Bett fesselten.
Seit zwei Tagen ist ihr Account auf social media verschwunden.

Auf der Site ihrer Klinik haben bereits mehrere unter einem Foto von ihr kommentiert, dass sie sich Sorgen machen.
Es wäre so gut, wenn jemand ihr die Beiträge zeigen könne, schreibe ich an die Klinik. Das zeige ganz wunderbar, dass A. nicht vergessen würde, was ihre schlimmste Befürchtung sei.
Ich habe A. soeben gezeigt, dass an sie gedacht wird – 1000 Dank für Eure lieben Worte“, schreibt eine Krankenschwester zurück.

Der kleine L. ist noch nicht einmal zwei Jahre alt und liegt im Krankenhaus. Seine junge Mutter beschreibt sehr berührend auf Instagram, wie sehr ihr Kind (und auch sie) leidet. L. ist an Leukämie erkrankt und macht eine Chemotherapie.
Kleiner Kämpfer. Loveyoutothemoonandback.
Mich berührt ihr Schicksal, und ich frage sie, ob ich ihrem Kind eine Freude machen könne. Am Ende wird es ein Benjamin Blümchen-Toni mit Gute Nacht-Geschichten, die ich ihnen nach Süddeutschland schicke. L. habe sich wirklich sehr gefreut, schreibt sie mir später.

Was der Krebs mit einem macht?
Emphatisch gegenüber anderen, deren Schicksal ungleich schwerer ist.
Dankbar dafür, dass es einem gut geht.
Demütig vor dem Leben.
Leben wir, lieben wir, lachen wir, reisen wir, als ob es kein Morgen gäbe. Alles andere ist Zeitverschwendung.

25.04.2020

Perspektive.

Heute ist Welt-Pinguin-Tag.
Diese Chinstrap-Pinguine habe ich am Ende der Welt fotografiert; in der Antarktis.

Die Reise habe ich knapp vier Monate nach der Reha angetreten; zwei Tage im Sturm durch die Drakepassage, auf zum siebten Kontinent.

Ich wollte (und will) keine Zeit mehr vertrödeln und Abenteuer erleben.

Und jetzt weiss ich, was mir in der Corona-Zeit fehlt: der konkrete Ausblick auf ein Abenteuer, irgendwo im ewigen Eis, in einer Wüste, einem Dschungel, im Gebirge, am Ende der Welt.

27.01.2020

Weiter leben.

Wir lachen. Das habe sie in der Tat auch schon überlegt, ob sie an den Stadtrand ziehen sollte, antwortet die Humangenetikerin, als ich die Feinstaubproblematik in der Hamburger Innenstadt anspreche. Feinstaub ist ein Krebsrisiko. Genauso wie mangelnde Bewegung, Übergewicht und ungesunde Ernährung. Unser Lebensstil und Umwelteinflüsse hängen damit zusammen, ob bzw. auch wann man an Krebs erkrankt.
Sie habe schon mal drei Generationen mit demselben Gendefekt vor sich gehabt: die Großmutter sei mit 70 Jahren an Krebs erkrankt, die Mutter mit 50 Jahren, die Tochter mit 30 Jahren. Warum bricht also die Krankheit bei dem einen früher und bei dem anderen später aus?

Ich beuge Risiken, (wieder) an Krebs zu erkranken, konsequent vor, soweit es sich von meiner Seite machen lässt. Gesunde Ernährung, regelmässiger Sport, Stressreduzierung, Vor- und Nachsorgeuntersuchungen der Organe, die von einem NTHL1-Defekt betroffen sein können….aber ein Restrisiko, das ich Schicksal nenne, bleibt immer bestehen.

Die Forschungsergebnisse aus 2019, die ich im Internet zu meinem seltenen Gendefekt gefunden habe, habe ich mitgebracht, genauso wie diverse Arztbriefe. Auch die Humangenetikerin hat überprüft, ob es zu meiner speziellen Form des Gendefektes neue Erkenntnisse gibt, aber dem ist nicht so. Weitere Checks auf Basis der Forschungsergebnisse könne man machen, müsste ich aber im Moment selbst finanzieren, da Krankenkassen diese Kosten nur alle vier Jahre übernehmen. Und es kann sehr gut sein, dass auch nach dem Check keine neuen Erkenntnisse vorliegen.

Fazit des interessanten Gespräches und der für mich auch etwas komplizierten Materie: Einem beidseitigen Brustkrebs liegt wahrscheinlich ein Gendefekt zugrunde. In meinem Fall bedeutet es zum jetzigen Zeitpunkt: weiterleben wie gehabt. Regelmässig zu sämtlichen Vor- und Nachsorgeuntersuchungen gehen, weiter meinem gesunden Lebensstil folgen und im Juli 2021 zu weiteren Tests antreten. Wer weiss, wie weit bis dahin die Forschung gekommen ist. Und wer weiß, was ich bis dahin noch alles erlebt habe.

01.01.2020

Das weiße Buch.

Ich muss lachen.
„Das Jahr war anders als erwartet. Dafür lustigerweise viel umgesetzt“.
Das ist ein Zusatzvermerk, den ich am 31.12. 2017 zu meinen Jahres-Vorsätzen 2017 in das kleine weiße Büchlein nachgetragen hatte.

Es ist das Jahr, in dem ich mir – unter anderem – folgendes vorgenommen hatte:
– innere und äussere Balance halten / herstellen (Taiji/Meditation)
– reisen
– bewusst schauen
– draussen sein
– innehalten
– mehr Obst und Gemüse essen
– lachen
– niente paura (keine Angst)

Und dann kam im Februar 2017 der Krebs.

Interessanterweise passen die Vorsätze wunderbar zu jemanden, der eine Krebsdiagnose erhält, auch wenn ich das in dem Moment, in dem ich die Vorsätze verfasst habe, nicht ahnen konnte.

Meistens lernt man es nur auf die harte Tour, dass eine gute Gesundheit nichts selbstverständliches ist, sondern ein wertvolles Gut, das höchste Achtung und Wertschätzung erfahren sollte, und welches durch eine gesunde Lebensweise unterstützt werden muss.

Das kleine weiße Buch hole ich nur einmal im Jahr hervor, und zwar am 31.12. des Jahres. In ihm vermerke ich akkurat, was ich im Folgejahr umsetzen möchte – und hake natürlich ab, was ich im vergangenen Jahr von all meinen Vorsätzen angegangen bin.

Da ich recht diszipliniert bin, kann ich immer fast alles abhaken. Das, wo nur ich selbst gefragt bin, ist häufig mit einem Häkchen versehen, das, wo andere Menschen involviert sind, nicht ganz so häufig.

Gestern habe ich das Büchlein wieder aufgeschlagen und habe die Häkchen für 2019 gesetzt. Und meine Liste für 2020 angelegt. Es wird ein gutes Jahr, dessen bin ich mir sicher.

Mein 2020 beginnt heute Morgen dort, wo es 2019 geendet hat: im Aussenbecken des öffentlichen Bades.  Ich schwimme meine 40 Bahnen, umgeben vom aufsteigenden Dampf, denn es ist kalt, die Sonne blinzelt auf die türkisfarbene Bande, die sich im türkisen Wasser widerspiegelt, das jetzt doppelt-türkis erscheint. Ein Rabe kräht. Ich freue mich, denn es ist der erste Besuch im Bad von vielen weiteren, und einen Haken, den werde ich am Ende des Jahres auch wieder setzen können.

27.12.2019

Rückblick. Ausblick.

Wien – Sylt – Israel – Westjordanland – München  – Amsterdam – Sylt – München  – Island – Grönland – Travemünde – Travemünde 2 – Sylt – München

Ich bin in Wien auf dem Naschmarkt im Regen herumspaziert.
Ich war im Sturm am Nordseestrand.
Ich habe im Toten Meer gebadet.
Ich stand auf den (syrischen) Golanhöhen, auf denen Pfirsichbäume blühten.
Ich habe einen Olivenbaum in einem palästinensischen Garten gepflanzt, durch den eine Mauer geht und auf deren anderer Seite eine jüdische Siedlung steht.
Ich habe in der ersten Reihe in einem Club in Amsterdam zur Musik meiner Lieblingsband getanzt.
Ich habe in der Sansibar auf Sylt in die Sonne geblinzelt.
Ich bin ich München mit Patenkind 1 schwimmen gewesen. Und im Park, Pokemon jagen.
Ich habe die Geysire und den riesigen Wasserfall auf Island entdeckt und habe bei heftigem Sturm das Nordpolarmeer durchquert. Ich habe Eisbären gesehen. Und Eisberge und Gletscher, glitzernd in unendlich vielen Blautönen.
Ich habe Bäume an der Ostsee umarmt.
Und war wieder am Strand an der Nordsee.
Ich habe mit den Patenkindern gespielt.
Und viele wunderbare Menschen auf den Reisen kennen gelernt, die zu Freunden geworden sind.

Ich war schwimmen, morgens in der Sonne, mittags im Regen, abends im Dunkeln, bei Hitze und bei Kälte. Ich habe meine Taiji-Form verfeinert und dazugelernt. Ich habe schöne Gespräche bei der Meditation geführt. Und mit Freunden.

Ich wache auf. Ich schaue ins Dunkel der Nacht und überlege, wann ich das letzte Mal Angst hatte. Nicht Angst davor, den Flieger zu verpassen oder für’s Management-Meeting schlecht vorbereitet zu sein – sondern die Angst, die einen den Boden unter den Füssen wegzieht und an deren Ende die eigene Endlichkeit steht.
Im November 2018, antworte ich. Der Arztbrief aus dem großen Krankenhaus, in das ich für einige Tage stationär in die Nuklearmedizin aufgenommen werden sollte, und aus dem mir die Worte „maligne“, „abklärungsbedürftig“ und „Thyroid Cancer Guidelines“ entgegensprangen.
Ich denke weiter nach, und ja, es stimmt, das war das letzte Mal, dass ich diese Angst hatte. Ich bin gelassener geworden. Keineswegs unachtsamer, aber auch nicht mehr in Panik verfallend, wenn es irgendwo schmerzt. Das ist gut.

Es war ein gutes Jahr. Ich bin gesund geblieben. (In der Tat liege ich vorn in der Krankheitsstatistik der Firma, mit nur einem Fehltag in 2019. Darüber freue ich mich sehr).
Ich habe viel erlebt, ich habe die Welt gesehen, ich habe gelacht und getanzt und geschwommen und gelebt. Dafür bin ich dankbar.
Ich habe mein Fitnessprogramm kontinuierlich verfolgt und bin der gesunden Ernährung treu geblieben. Darauf bin ich stolz.

Ich bin gespannt, was das nächste Jahr bringen wird, vor allem darauf, was es für einen humangenetischen Rat zu meinem Gendefekt geben wird.
Auf alle Fälle freue ich mich auf viele wunderbare und abenteuerliche Reisen. Und auf ein Wiedersehen mit Freunden. Und auf alles, was das Leben lebenswert macht.

03.12.2019

Im Krankenhaus.

Eine große Tasche hätte ich ja dabei, stellt Dr. Z. im fünften Stock ‚meines‘ Krankenhauses fest. Das stimmt, antworte ich auf dem Weg in ihr Zimmer, denn nach der Nachsorge ginge ich zum Schwimmen. Prof. Dr. M., mein Lebensretter, kommt uns im OP-Outfit entgegen, wir lachen uns zu.

Dr. Z. erinnert sich nun wieder, dass ich ja immer zum Schwimmen gehe, dass wir uns zuletzt auf dem Mutmach-Abend der Stiftung des Krankenhauses gesehen haben und das die Ergebnisse der Mammographie und des Ultraschalls Ende August gut waren.

Ich spreche meinen Gendefekt an und erläutere die niederländischen Forschungsergebnisse aus dem Jahr 2019. Panisch bin ich nicht, aber zur Seite wischen tu‘ ich das Thema auch nicht. Ende Januar wüsste ich mehr, da hätte ich meinen Folgetermin bei den Humangenetikern. Ich gehe nicht vom worst case (diverse Körperteile prophylaktisch entfernen lassen) aus, sondern vom good case (engmaschigere Vor-/Nachsorgeuntersuchungen). Sie sieht das genauso.

Während ich mich entkleide, sprechen wir über meine Reisepläne des kommenden Jahres. Es fühle sich alles gut an, es sei nichts Auffälliges auszumachen, sagt sie dann. Wir wünschen uns ein frohes Weihnachtsfest, im März werden wir uns wiedersehen.

Ich laufe die Stufen hinunter, laufe über den Vorplatz, laufe zum öffentlichen Bad, in dem es heute nicht nur zum Schwimmen, sondern auch mit einer Freundin in die Sole gehen wird, aber erst schwimme ich draußen, der Dampf steigt auf, die Luft ist kühl, und wieder bin ich so dankbar dafür, dass ich hier sein darf, dass ich gesund bin, dass ich bin.

Hyazinth, der kleine Spanier, lacht mich an, ob ich die Lichterketten schon an der Bande gesehen hätte, wie schön mögen sie wohl im Dunkeln leuchten. Ich bestätige, dass sie wirklich schön leuchten, denn letzte Woche sei ich abends nach der Arbeit geschwommen, nun ist es noch zu hell, nun erfreuen wir uns an dem aufsteigenden Dampf und dem blaublitzenden Wasser.

Zur Feier des Tages gönne ich mir einen Cäsarsalat und einen Smoothie in der Sole, lese etwas und freue mich, als meine Freundin um die Ecke kommt. Wir dümpeln in der Sole herum, gehen in die Himalaya-Salz-Sauna, trinken Kaffee, essen Eis, schwimmen noch etwas draußen im Aussenbecken des öffentlichen Bades, wir bleiben bis abends, bis es dunkel wird und bis die Lichterketten leuchten.

2 Jahre, 8 Monate und 11 Tage krebsfrei.

02.11.2019

Unterwegs.

Und was passiert, wenn ich auf den letzten Button dieser app clicke?
„Die Bestellung wurde abgeholt“, sagt die app.
Ich verdamme meine Neugier, die Bestellung habe ich natürlich noch nicht abgeholt, ich sitze ja in der Küche und versuche, die app zu durchschauen.
Ich ziehe die Jacke über, nehme den Einkaufskorb und laufe los zur Cafe-Bäckerei, bei der ich jetzt schon angeblich die Ware abgeholt habe.
Trotz des Malheurs gefällt mir die app – es geht darum, Lebensmittelverschwendung vorzubeugen; hier stellen Cafés, Bäcker, Geschäfte und Restaurants Lebensmittel ein, die sie nicht mehr an diesem Tag loswerden, und das zu einem Schnäppchenpreis.
Ich investiere Euro 3,80 und bin gespannt, was ich bekommen werde. Leicht wird das nicht, da ich ja (eigentlich) einen hohen Anspruch an meine Ernährung habe.
Das Tresenteam schaut mich interessiert an, als ich erkläre, dass ich meine Bestellung jetzt abholen komme, obwohl sie wohl die Info hätten, dass ich schon da gewesen sei. Sie bleiben gelassen, statt einer Überraschungstüte darf ich mir aussuchen, was ich mitnehmen möchte. Das gefällt mir gut, ich zeige auf ein Stück Käsekuchen (Sünde 1), man gibt noch zwei Muffins dazu (Sünde 2+3), ich möchte ein Brot mit Streichkäse, Wurzeln und Gurke, man gibt mir noch zwei riesige vegetarische Burger mit Gemüse dazu.
Da ich schon mal in der Gegend bin, geht es weiter zum Bioladen.

Ausserdem war ich heute nach der Arbeit schwimmen.
Kalt ist es, Dunst steigt auf und lässt das Aussenbecken des öffentlichen Bades mystisch wirken. Nur zwei weitere Schwimmer drehen ihre Runden, C., meine Schwimmfreundin,  habe ich bereits in der Kabine getroffen, sie war sehr früh dran, ich sehr spät, da ich noch in dem Laden für Mikronährstoffe meine Vorräte an B12 und D3 aufgefrischt habe.

Überhaupt ist die Fitnesswoche durcheinander geraten.
Stattdessen gab es Zahn- und Augenarzttermine, am Feiertag lag ich kränkelnd danieder, und am Dienstag war der Mutmachabend der Stiftung ‚meines‘ Krankenhauses.
Das war doch sicher traurig, sagt meine Mutter am Telefon.
Ich verneine.
Im Gegenteil; das zahlreich erschienene Publikum hatte sogar etwas zu lachen.
Weder das Taschentuch, das ich vorsichtshalber in die Hosentasche gesteckt hatte – ich war mir nicht sicher, wie ich auf der Bühne mit der Konfrontation Brustkrebs reagiere – habe ich gebraucht, genauso wenig wie die Karteikarten, die ich dabei hatte, sollte mir nichts einfallen. Mir fällt viel ein, ich hätte noch locker zwei Stunden über die verschiedenen Aspekte zum Thema Brustkrebs sprechen können.

Ein weiteres Highlight der Woche ist das email meiner Arktis-Kabinengenossin D. aus North Carolina. Die 76-Jährige hat ihre nächste Expedition in die Kälte geplant und fragt, ob ich nicht wieder mitkommen möchte. Ausserdem fliege sie nächstes Jahr nach London und checke schon Flugverbindungen nach Georgien, wo wir uns doch alle wiedersehen wollen.
Trotz ihrer Versprechungen „…I will bring my sleep machine so I will not snore!!! I certainly feel better using it instead of the glorious mouth piece! I will unpack immediately upon arrival!!“ werde ich nächstes Jahr nicht wieder in die Arktis fahren – ich plane im Frühjahr eine ganz andere Exkursion mit A. aus Österreich, die ich in Israel kennen gelernt habe.

Und wieder einmal stelle ich fest, dass das Leben so viele wunderschöne Momente bereithält.

Fotovermerk: Hamburg Photography

Blumen statt Tränen 😍

#nofoodwaste

D. und ich auf unserer Arktis-Expedition

11.10.2019

Buchtipp

„Lassen bedeutet für mich: Loslassen, heiter gelassen sein, zulassen, sein lassen, laufen lassen! Dem Leben seinen Lauf lassen, dankbar annehmen, akzeptieren, nicht mit aller Kraft versuchen, die Kontrolle zu behalten und alles mit Gewalt in jene Richtung zu lenken, welche der Verstand vorgibt. Das Gehirn hilft oft nicht. Das Gehirn hindert mich oft.“

Alex ist gesund. Glaubt er jedenfalls. Bis eines Tages bei ihm Hodenkrebs diagnostiziert wird. Ein sensibles Thema, über das Mann nicht gern spricht.
Alex geht seine Krankheit pragmatisch an, plant nebenbei seine berufliche Selbstständigkeit, jobbt, macht sich auf die Suche nach seinem Vater und ist immer auf Achse.

Als er zwei Jahre später Schmerzen im Oberarm bekommt, ignoriert er diese, bis sie unerträglich sind und sich der Arm nicht mehr bewegen lässt. Zwei Jahre nach der Erstdiagnose ist der Krebs zurück: ein großer Tumor befindet sich im rechten Oberarmknochen.

Alex stellt sein Leben auf den Prüfstand und auf den Kopf.

In „Wie ich dem Tod in die Eier trat“ wird aufgezeigt, wie unterschiedlich man mit dem Thema Krebs umgehen kann. Spricht man darüber? Oder schweigt man? Was genau bedeutet eigentlich Leben? Und welche Heilmethoden machen Sinn?

Mein Fazit: ich habe das Buch sehr gern gelesen, war erstaunt, was es so alles gibt (in der vielfältigen Welt der Heiler), war berührt über die Offenheit des Autors und interessiert, wie er mit dem Thema Krebs und Kommunikation umgeht (anders als ich es für mich entschieden habe). Auf alle Fälle freue ich mich sehr, dass Alex, den ich vor 2,5 Jahren beim Bloggen kennen gelernt und auch in Wien getroffen habe, seinen Weg für sich gefunden hat. Denn ein einschneidendes Erlebnis wie eine Krebsdiagnose birgt auch die Chance, sein wahres Leben zu entdecken.

Alexander Greiner „Als ich dem Tod in die Eier trat“ – Euro 22,-, Hardcover, ist im Verlag Kremayr-Scheriau erschienen.

 

(ist ein Buchtipp eigentlich Werbung? Nicht sicher…also setze ich besser ein „unbezahlte Werbung“ hinzu)

 

20.08.2019

Im Krankenhaus.

Flashback, Dezember 2016.
Ich erstarre: es fühlt sich an, als ob mir jemand eine schwere Zementplatte auf den Oberkörper drückt. Ich kann nicht atmen. Panik steigt auf.
Ich bin allein auf dem Vaporetto in Venedig, irgendwo auf dem Canale Grande, irgendwann im Dezember. Es nieselt. Schlaganfall. Herzinfarkt. Ich hebe vorsichtig den Arm (funktioniert), versuche zu lächeln (funktioniert), spreche ein paar Worte (funktioniert). Soll ich sitzenbleiben? Soll ich aussteigen? Ich steige aus, ich muss mich bewegen, um die Panik in den Griff zu bekommen, ich laufe durch die engen Gassen, links und rechts ragen die Palazzi empor. Nach einer Weile wird es besser. Ich entspanne mich.
Zuhause stellt mein Hausarzt fest, dass die Blutwerte gut sind, das EKG und Belastungs-EKG unauffällig, der Blutdruck ebenso.
Noch später bin ich davon überzeugt, dass das der Moment war, in dem der Brustkrebs Einzug erhielt.

100 Euro möchte ich bitte in isländische Kronen tauschen, sage ich zum Bankangestellten. Während ich das sage, frage ich mich, was ich denn mache, wenn…
Morgen ist der jährliche Mammographie- und Ultraschalltermin in „meinem“ Krankenhaus. Sollte ich nicht besser abwarten, ob…
Nein, antworte ich mir. Was auch immer sein wird, ich fahre in die Arktis.
Der nette Mann am Schalter nimmt sich extra Zeit, erklärt mir die neuen und die alten Banknoten und woran ich diese erkennen würde, wir scherzen und lachen, während sich die bösen Blicke der Wartenden hinter mir in den Rücken bohren und ich mich frage, ob ich mit dem Geldtausch nicht doch besser abwarten sollte.
Nochmal nein.
Ich fahre in die Arktis.

Es ist ungewöhnlich, dass ich nervös werde, allerdings kann ich mir das Ziehen in der linken Brust nicht erklären, das immerhin drei Wochen anhielt, bevor es, genau wie sämtliche Rippenschmerzen, von allein wieder abklang.
Zerrungen vom Sport oder so, denke ich.
Deine Nervosität hat einen realen Hintergrund, erinnere ich mich.
Zur Vorsicht informiere ich ein paar Freunde, dass man mir am Dienstagmorgen bitte die Daumen drücken möge. Vier umgehende Zusagen, vier ist eine gute Zahl, wie ein Glückskleeblatt, das passt.

Alles unauffällig, keine Veränderungen, sagt die Radiologin. Sie untersucht extra vorsichtig, aber einen Grund für die Schmerzen gebe es hier nicht.

Das gute Ergebnis teile ich zwanzig Minuten später der Gynäkologin mit. Sie fragt nach, welcher Radiologe mich heute untersucht hätte, ruft dort an und lässt sich meine Auskunft bestätigen.
Note to myself: Du musst an Deinem Auftreten arbeiten. Wer Ringel-T-Shirt, Jeans und Turnschuhe trägt, scheint nicht glaubwürdig zu sein.
Note back to myself: Aber das Ringel-T-Shirt ist ganz neu. Das hast Du extra angezogen!
Wir plaudern noch etwas über die Arktis, verabschieden uns, ich trete wieder hinaus in die Sonne und atme tief durch. Ich bin dankbar, demütig und glücklich.

Auf ins öffentliche Bad!
Im Aussenbecken sind nur ein paar Damen-mit-Kopf-über-dem-Wasser-Schwimmer unterwegs. Ich unterhalte mich mit Hyazinth (der kleine Spanier scheint hier im Bad zu wohnen), dann gleite ich langsam der Sonne entgegen.

Heute zähle ich keine Bahnen. Heute schaue ich nicht auf die Uhr. Heute freue ich mich über die Sanftheit des Wassers, das mich umschliesst und über die kleinen silbrigen Wellen, die bei meinen Armbewegungen entstehen.
Von der Kampfschwimmerbahn spritzen Wassertropfen herüber, sie wirbeln durch die Luft, bevor sie sich auf unserer Seite mit dem hellblauen Nass vereinigen.

Ich ziehe meine Bahnen, blinzele ins Licht und denke: heute glitzert das Wasser besonders schön.

2 Jahre, 5 Monate, 1 Woche und 4 Tage krebsfrei.

16.08.2019

Unterwegs.

Da war ich noch gesund, denke ich, als die nächste Erinnerung bei Facebook aufploppt. Das denke ich immer, wenn die Fotos, die mir plötzlich angezeigt werden, älter als 2,5 Jahre sind. Du bist gesund, korrigiere ich mich (wenn man mal von dem defekten Gen, der wankelmütigen Schilddrüse, der tauben Wade und dem chronischen Husten absieht, was ich aber alles nicht als „krank“ bezeichne). Ich schaue mir die Erinnerungen besonders genau an; wie habe ich da ausgesehen, wie geschaut? Und stelle fest, dass ich jetzt besser aussehe und zufriedener dreinschaue. Das ist interessant. Und gut.

Da ich am Montag (keine Lust) und Dienstag (Unterricht fiel aus) mein Sportprogramm zuhause auf dem Dach absolviert habe, beschliesse ich, am Mittwoch zur Taiji-Class zu gehen. Der Mittwoch-Slot (ehemals Herzi-Programm) „verkommt“ immer mehr zum social-Slot, heute entscheide ich mich aber für das zweistündige Taiji-Programm.

In der alten Halle, die inmitten eines schönen Parks in Altona liegt, fällt mir auf, dass nur die  richtig guten Taiji’ler am Start sind. Schon das Aufwärmprogramm ist neu; unser Lehrer, der extrem kompetent und enthusiastisch ist, hat sich wieder etwas Neues für uns überlegt. Natürlich ist es anstrengend, natürlich bin ich nach fünf Minuten durchgeschwitzt, der Blick zur Seite bestätigt aber, dass es meinen Mitstreitern nicht anders geht. Die ersten klagen über Kreislaufprobleme, was mit einem „richtig atmen!“ kommentiert wird. Mitleid hat unser Lehrer nicht, da können H. und P. am Boden liegenbleiben.

Da wir die äussere Form ja alle können und wir hier nicht mehr Level 1 sind, möchte unser Lehrer in der nächsten Zeit den Fokus auf die innere Form legen. Die Stehende Säule wird in sechs Varianten aufgeteilt, nach denen mir die „normale“ Stehende Säule lächerlich unanstrengend erscheint. Weiter geht es mit Fang Song, und was bei unserem Lehrer so einfach erscheint, ist extrem ambitioniert.

Nach 90 Minuten der erlösende Aufruf, dass wir in die Form gehen. Ich freue mich. Unser Lehrer ergänzt: die 75er Form. Ich freue mich nicht mehr. Ich kann nur die 19er Form. Spätestens jetzt ist mir klar, warum beim Mittwoch-Unterricht nur die langjährigen Schüler angetreten sind; von der 19er über die 75er bis hin zur 38er und der Schwertform sind sie fit. Ich könne einfach kopieren, ruft mir mein Lehrer zu. Nach langer Zeit fühle mich wieder wie ein Anfänger. Trotzdem stapfe ich nach dem Unterricht glücklich nach Hause.

Das pink Deiner Badekappe beisst sich mit meinem knallig pink-roten Badeanzug, lache ich meiner Schwimmfreundin zu. G., die mich schon vermisst hatte, macht mir Komplimente zum neuen Outfit, wir schwimmen plaudernd nebeneinander her, dank des kühlen grauen Wetters ist es leer im Aussenbecken des öffentlichen Bades, einfach perfekt für uns.
Ihre Tochter fände sie albern, weil sie in ihrem Alter immer noch so großen Wert auf ihr Äußeres lege, sagt G. Ich finde das toll, antworte ich. Warum sollte man nicht auch mit 80 Jahren schick angezogen sein und auf seine Figur achten; das zeigt doch, dass man sich wertschätzt.
G. sieht das genauso so, sie erzählt von ihrem jungen und gutaussehenden Arzt, dem angeknacksten Fuss (der sie natürlich nicht vom Schwimmen abhält), der Fahrt nach Glückstadt und ihrem Blazer, der nicht mehr zugeht.

Am Freitag Mittag im Aussenbecken überkommt mich ein Urlaubsgefühl, obwohl ich bis vor einer halben Stunde im Büro mit Irland und Myanmar ge-skype-meetet und mit Zypern und Singapur telefoniert habe. Wie wunderbar ist es, plaudernd seine Bahnen zu ziehen und sich darüber zu freuen, einfach hier zu sein.

Fitnessprogramm der Woche:
Montag: Stretching ✔️
Dienstag: Taiji und Tubes ✔️
Mittwoch: Taiji-Class ✔️
Donnerstag: Gym ✔️
Freitag: Schwimmen ✔️
Samstag/Sonntag: natürlich etwas Taiji und/oder Schwimmen

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12.08.2019

Unterwegs.

Ist es ein gutes oder ein schlechtes Zeichen, wenn der Arzt, den ich zwei Jahre zuvor für 10 Minuten bei einem Info-Gespräch gesehen habe, sagt, dass er sich an mich erinnere?

Ich erinnere ihn daran, dass ich ein defektes NTHL1-Gen habe und deshalb wieder zur Spiegelung kommen solle. Aber wir hätten ja damals nur zwei kleine Polypen enfernt, nix dramatisches. Nun interveniert er; das Gewebe müsse man beobachten, deshalb sässe ich wieder hier.

Wieder mal habe ich einen Arztbrief missverstanden; ich dachte, alles sei gut.

Mir wird Blut abgenommen, mit einem Termin und dem Konzentrat zum Einnehmen stehe ich wieder vor der Tür.

Jetzt bin ich aber schon etwas amüsiert: statt mir zwei Jahre trübe Gedanken wegen des defekten Gens zu machen, habe ich zwei fröhliche Jahre gelebt.

Ich sitze am Kanal, trinke einen grünen Tee und beschliesse, mir auch weiterhin keine Sorgen zu machen. Was kommt, wird kommen, was fernbleibt, bleibt fern. Es macht schlichtweg keinen Sinn, sich vorab unnütz zu sorgen.

Nächste Woche wieder Doppel-Nachsorge-Termin in „meinem“ Krankenhaus, Anfang September die Spiegelung, und dann geht’s in die Arktis. Das Leben ist schön. Alles andere akzeptiere ich sowieso nicht.

20.07.2019

Unterwegs.

Karl-Heinz?!? Kannst Du Würstchen und Kaffee holen, wir gehen schon mal an den Strand!

Sowas kann man sich nicht ausdenken, so ist das auf der Strandpromenade in Westerland. Wunderbar!

Bereits um kurz vor 11h kann ich in mein Zimmer, es ist sehr schön und unter dem Dach mit Blick auf die Friedrichstrasse, das Wlan erkennt meint Handy wieder, so ist das, wenn man nach Hause kommt. Jedenfalls fühlt es sich so an.

Trotz mehrmaliger Nachricht einer Bekannten, dass es auf Sylt regnen täte und alles etwas enttäuschend sei, lasse ich mir die Laune nicht vermiesen. Mit Nörglern und ewigen Zweiflern hab‘ ich es nicht so. Ausserdem zeigt die Wetter-App Sonnenschein an. Und selbst wenn dem nicht so wäre: ich mag jedes Wetter. Von Badeanzug bis Regenjacke habe ich alles im Gepäck.

Die Sonne scheint.

Ich packe den Koffer aus und finde in meinem Schuhbeutel Euro 50,-. Die habe ich ja mal gut versteckt, denke ich, und packe das Geld ins Portemonnaie, das Extra-Budget darf ausgegeben werden.

Der Entschluss ist gefasst: ich werde das verlängerte Wochenende in Westerland vertrödeln, zwischen Friedrichstrasse und Strand. Kein Stress. Kein Programm. Ich darf machen, was ich will. Als erstes will ich Frozen Joghurt mit Mangostücken, damit verziehe ich mich an den Strand. Ich wandere umher, suche mir ein nettes Plätzchen und packe mein Buch aus, das der Verlag gerade rechtzeitig zur Abreise zugesandt hat.

Lesend pendele ich zwischen Strand und meinen Lieblingsrestaurants, es gefällt mir ausserordentlich gut.

Nachts lasse ich das Fenster geöffnet; Lachen, Musik und Möwengeschrei dringen ins Zimmer, auch das mag ich, es ist lebendig, es klingt nach Süden.

Am nächsten Morgen habe ich um 10.15h bereits Nüsse, Wasser, Bananen, ein gelbes Tuch und eine gelbe Handtasche gekauft (note to myself: die gefundenen Euro 50,- hast Du jetzt bereits mehrmals ausgegeben). Die Handtasche und das Tuch kommen nächste Woche mit ins Konzert meiner Lieblingsband und passen perfekt zu Leos gelb-orange-gefärbten Haaren (note to myself: no further comments…Du Fangirl….note back to myself: Und? Ich kann machen, was ich will!).

Es ist windig, der Sand verfängt sich in den Haaren, klebt im Gesicht und an den Füssen, ich wechsele wieder in den Strandkorb meines Lieblingsrestaurants und esse zu Mittag. Danach ein Frozen Yoghurt mit frischen Erdbeeren, ein frischer Minztee, etwas Strand, etwas lesen und viel leben, das ist alles, was zählt, und zwar jetzt.

18.06.2019

Im Krankenhaus.

Ich habe schlecht geträumt. Vom Nachsorgetermin, den ich mir nach Intervention on top besorgt habe, da ich gern – wie in den Richtlinien Onkologie erwähnt – alle Vierteljahr zum Check Up gehen möchte. Meine Umfrage unter Brustkrebspatienten (Jahr 1-3 nach Diagnose) ergab dasselbe Resultat: bis auf U., meine Schwester im Herzen, die alle 6 Monate zur Untersuchung antreten soll, haben alle Mitstreiterinnen vierteljährliche Nachsorgetermine. U. und ich haben allerdings dieselbe Ärztin.

Angst vor dem heutigen Termin habe ich nicht. Als ich mich auf den Weg mache, ist mir aber etwas flau im Magen. Seit 22.00h habe ich nichts mehr gegessen, damit ich nüchtern um 11.00h im Dachgeschoss des kleinen Krankenhauses erscheine, sollten die Blutwerte überprüft werden. Meine Blutwerte waren letztes Mal nicht sensationell („grundsätzlich in Ordnung“ laut des beiliegenden Grusses in der Post, was mich genauer hat hinschauen lassen).

Die Blutwerte waren ja nicht sensationell, sage ich zu meiner Ärztin. Sie schaut in den Computer, sie fände die Werte ok, kein Grund zur Beunruhigung.
Ich erwähne, dass ich über die letzten Monate zweimal Schmerzen in einer Rippe gehabt hätte, die allerdings auch wieder verschwunden sind. Panisch bin ich deshalb nicht, aber aufmerksam. Sollten die Schmerzen nochmal kommen, würde ich das untersuchen lassen wollen.
Ich ernähre mich gesund, stellt sie eher fest als das sie fragt. Ich bejahe. Warum der Cholesterinwert wieder höher ist, kann ich nicht erklären.

Auch der Tastbefund ergibt nichts Neues, nur die beiden Knoten im linken Narbengebiet, aber die habe ich seit der Strahlentherapie.

Es geht mir gut, ich sehe gesund aus, das merke ich selbst, als ich im Wartezimmer sitze. Man kann den Menschen, die hier warten, ansehen, wie es ihnen geht; die Sorgenfalten im Gesicht, das permanente Wippen des Fußes, die vorneübergebeugte Haltung beim Sitzen, der abwesende Blick. Wieder einmal mehr ist mir klar, dass ich Glück gehabt habe, dass ich physisch und psychisch so gut aus dem Drama rausgekommen bin.

Ich freue mich, dass Prof. Dr. M. (mein Lebensretter) ins Wartezimmer schaut um seine Patientin zu holen und mich freundlich grüßt, sie wird wohl die nächste sein, der er hoffentlich das Leben retten wird.
Ich nehme mein Rezept und mache mich auf zum Schwimmen.

2 Jahre, 3 Monate und 4 Tage krebsfrei.

Foto: Belohnung für den Tag – ein selbstkreiertes Zitronen-Himbeereis, zuckerfrei.

15.06.2019

Unterwegs.

Wenn ich zusammenzucke, weil mir jemand im Aussenbecken von hinten an die Schulter fasst und ich in J.s lachendes Gesicht schaue, meinem Meditationsgefährten. Wir umarmen uns, plaudern, dann taucht er rüber auf die Kampfschwimmerseite.

Wenn ich mich ins Gras setzte, da mir schwindelig wird und den Jungs (heute sind es nur Jungs!) bei der Stehenden Säule und den Seidenübungen zuschaue. Später wechsele ich mit P. auf die andere Seite des Gartens, zwischen Gänseblümchen und Apfelbäumen erklärt er mir die Feinheiten des zweiten Fauststoßes der 19er-Form, bei der ich seit Neuestem ins Stocken gerate.

Wenn ich den Mittwochabend mit einem Freund auf einem kleinen schaukeligen Party-Schiff auf der Elbe verbringe, während Andreas Dorau mit seinen Musikern live auftritt. Heute ist Record Release Party. Ich trinke ein (alkoholfreies) Bier, während wir an Kränen, Docks und Containerschiffen vorbeishippern.

Wenn ich mir einen Instagram-Account anlege (der Feind in mir) und mir dafür eine Themenwoche überlege (Montag: Achtsamkeit, Dienstag: Ernährung, Donnerstag: Throwback Thursday, Sonntag: Fitness).
Donnerstag ist in der Community #krebsfreidonnerstag. Da ich jeden Tag krebsfrei bin, werde ich antizyklisch und ganz klassisch mit #tbt aufwarten und die Anfänge meiner Krebs-Geschichte dokumentieren.

Wenn die Physiotherapeutin, die heute im Gym Aufsicht führt, sich freut, mich wiederzusehen, und wir uns während meiner gesamten Geräterunde nett unterhalten.

Wenn ich die vielen Fahrräder vorm Schwimmbad sehe und G. mir bereits in der Umkleide entgegenkommt; zu voll sei es, sie sei extra früh zum Schwimmen gekommen und jetzt auf dem Heimweg.
Wenn ich Walross 2 im Innenbecken schwimmen sehe und weiß, dass es dann wirklich voll sein muss.
Wenn Walross 1 draussen unter der Wasseroberfläche schwimmt, die Kinder planschen und Mütter im Wasser herumstehen und ich beschliesse, es mit Kurt Tucholsky zu nehmen: Entspanne dich. Lass das Steuer los. Trudle durch die Welt. Sie ist so schön.
Wenn ich entspanne und durch’s Wasser gleite und mich einfach darüber freue, hier zu sein.

Wenn ich mir 6 Kilogramm unbehandelte Zitronen in Spanien direkt beim Farmer bestelle und überlege, was ich damit anstelle: Zitronenmarmelade, Zitronen-Tarte, Zitroneneis, Zitronenwasser…ich bin gespannt auf die Lieferung!

Wenn ich zum wiederholten Male feststelle, dass ich auf meinen wöchentlichen Schokoriegel verzichten kann und ganz bewusst durch die Süßigkeitenecke im Supermarkt gehe und mir ausdrücklich etwas erlaube. Ich möchte aber keinen Schokoriegel. Ich nehme ein Päckchen Cashewnüsse (gesalzen) mit. Das ist das Ungesündeste in meinem Einkaufswagen.

Wenn ich das erste Mal seit 12 Monaten Alkohol für zuhause kaufe (eine 0,25l-Flasche Rotwein), weil Rotwein ausdrücklich in meinem Krebs-Ernährungsbuch als gutes Nahrungsmittel (hoher Resveratrol-Gehalt) erwähnt wird.

Wenn ich automatisch meinen Hass-Liebe Kreuzblütler Brokkoli in den Einkaufswagen lege. Wenn man den in die Gemüsepfanne schmuggelt und einen Haufen Kurkuma, Pfeffer und scharfes Chili drüberwirft, fällt er nicht weiter auf.

Wenn ich meine Schwimmtasche für Sonntag packe.

Wenn ich das erste Mal einen Blogbeitrag mit einem Glas Rotwein in der Hand schreibe.

Montag: Schwimmen ✔️
Dienstag: Taiji ✔️
Donnerstag: Gym ✔️
Freitag: Schwimmen ✔️
Sonntag: Schwimmen (geplant) ✔️

30.05.2019

Unterwegs.

Mir ist heiß. Der Sitznachbar zu meiner Rechten zieht sein Jackett an. Ich rolle die Ärmel meiner dünnen Bluse hoch, tupfe mir mit dem Taschentuch über das Gesicht und ärgere mich, dass ich keinen Fächer mitgenommen habe.

Ich sitze in der ersten Reihe (Pressekarte) der ausverkauften Elbphilharmonie, interessanterweise in der rückseitigen ersten Reihe. Der Dirigent steht ein paar Meter von mir entfernt, ich sehe sein Gesicht, seine Emotionen, das akzentuierte Führen seines Orchesters.

Direkt in der Reihe vor mir sitzen die Harfen und die Trommeln, ich kann die Noten mitlesen (wenn ich denn Noten lesen könnte).

Nach einer kurzen ersten Halbzeit mit dem Oboisten Albrecht Mayer, der mit den Bamberger Symphonikern Elgar und Strauss spielt, gönne ich mir in der Pause ein Glas Rotwein.
Ich mag eigentlich Rotwein nicht so gerne, allerdings wird er mehrmals in meinem Krebs-Ernährungsbuch sehr positiv erwähnt (hoher Resveratrol-Gehalt, sprich krebshemmende sekundäre Pflanzenstoffe), sodaß ich beschlossen habe, wenn ich zu Events gehe, mal ein Glas Rotwein zu trinken.

Nach der Pause ist es im Saal immer noch heiß. Meine Sitznachbarn links und rechts von mir tragen weiterhin hartnäckig ihre Jacketts. Der Sitznachbar zu meiner Rechten weist mich darauf hin, dass der glatzköpfige Trompeter, der fast in Greifweite vor uns sitzt, Falten auf der Glatze hätte, als habe er eine gekräuselte Stirn, aber eben auf dem Hinterkopf. Sobald er allerdings Trompete spiele, würden die Falten weg und der Hinterkopf glatt sein. Da werde ich mal darauf achten, sage ich. Und ob ihm eigentlich gar nicht heiß sei, so im Jackett? Doch sei ihm, antwortet er. Und behält sein Jackett an.

Wir hören Bedrich Smetanas mit Abstand bekanntestes Orchesterwerk: Mein Vaterland. Ein Heimspiel für den tschechischen Chefdirigenten Jakub Hrusa, der  mit den Bamberger Symphonikern brilliant durch die sechs sinfonischen Dichtungen führt; die leisen Töne wechseln sich mit dem mitreißenden Fliessen der Moldau ab, die eine wunderbare Synergie mit dem wellenförmig angelegten Saal eingeht, ich kneife die Augen etwas zusammen und stelle mir vor, wie die Balkone anfangen sich zu bewegen, ganz leicht, wie Wellen, wie Wasser, wie die Moldau, und ich denke, wie schön es ist, jetzt hier zu sein und der Musik zu lauschen. Wieder mal fühle ich tiefe Dankbarkeit.

Wir nicken uns zu, der Sitznachbar zu meiner Rechten und ich; er hat Recht, der Trompeter hat während des Spielens einen ganz glatten Hinterkopf bekommen, wahrscheinlich entspannt ihn das Musizieren.

Wir drehen uns ausserdem unwirsch nach hinten um, wo sich zwei Damen anfangen zu unterhalten (merke: in Klassikkonzerten unterhält man sich nicht, es sei denn, der Sitznachbar hat einen Hitzschlag erlitten, was hier allerdings in der Elbphilharmonie durchaus realistisch ist).

Ausserdem ist die Akustik sehr gut; bei der nächsten ruhigen Passage öffnet eine Frau den Reissverschluss ihrer Handtasche und fördert ein cellophaniertes Bonbon zutage, das ausgewickelt werden möchte (merke: in Klassikkonzerten steckt man sich nach der Pause, bevor es weitergeht, das Bonbon in den Mund, wenn man denn eins essen möchte). Ich werfe einen bösen Blick durch den Saal nach rechts hinüber, die Schuldige ist dank der guten Akustik sofort auszumachen.

Ein wunderbares Konzert, mit Rotwein (für mich) und Bonbons (für Andere) und immer noch nix über Kreuzblütler referiert.

25.05.2019

Unterwegs.

Kaskadenartig fällt die Sonne durch die alten Bäume im Park und streift durch das Gras, aber nur ich sehe das, weil ich bei der Stehenden Säule beim Taiji in der Turnhalle wieder mal die Augen geöffnet lasse, während meine Mitstreiter mit geschlossenen Augen stehen. Ich sehe so gern durch die weit geöffneten Fenster in den Park. Die Vögel zwitschern, und dann ertönt eine Gitarre. Lachen. Gesang setzt ein. Vor der Turnhalle wurden Bänke aufgebaut, auf denen sich jetzt munter plaudernde Leute setzen. Ich schmunzele. Mein Lehrer auch. Er bewegt sich zur Musik, was auch nur ich sehe und lustig finde, meine Mitschüler lassen sich nicht ablenken.

Am Dienstag regnet es sintflutartig, statt im verwunschenen Garten die 19er-Form zu vertiefen, beschließen wir, im Meditationsraum in Stille zu sitzen. C. und ich tauschen Souvenirs aus; sie hat mir aus ihrem Wellnessurlaub Sonnenblumenkekse mitgebracht, ich überreiche ihr eine kleine Holzrose aus Amsterdam. Im Regen laufen wir zur Bahn.

Als ich zu Bett gehe, sehe ich eine Nachricht auf meinem Handy. Ob wir morgen telefonieren könnten, fragt einer meiner Lieblingsfreunde, ihm ginge es gerade nicht so gut. Ich greife sofort zum Hörer, das ist eine sehr untypische Äusserung, ich bin besorgt.
Und dann erschüttert. Und traurig. Und beeindruckt, mit was für einer Ruhe er mir erzählt, was er hat. Krebs.

Ich finde, es langt, dass es mich getroffen hat. Meinen Freunden muss nicht auch noch der Boden unter den Füssen weggerissen werden und ein wackeliger Weg zwischen Angst und Hoffnung bevorstehen. Aber wir können uns das nicht aussuchen. Wir können nicht mal etwas dafür. Aber ich werde da sein und zuhören, trösten, motivieren, Ratschläge geben – was auch immer gerade benötigt wird.

Mein Herz geht auf, nach drei Wochen entdecke ich die pinke Badekappe im Aussenbecken des öffentlichen Bades. Meine Schwimmfreundin ist wieder aufgetaucht. Kreislaufprobleme, Arztbesuche, aber die 80-jährige lässt sich nicht unterkriegen. Zur Gymnastik sei sie dennoch gegangen, und beim Schwimmen ist sie nun auch wieder dabei. Das Wetter ist herrlich, wir schwimmen und plaudern über eine Stunde nebeneinander her, G. strahlt mich an, ich würde so gut und so glücklich ausschauen. Das sagt sie mehrmals. Ich freue mich. Es geht mir auch gut. Mir geht es gut. Freitag mittags das Büro zu verlassen und ins Schwimmbad zu fahren und dann mit etwas Glück auf meine Schwimmfreundin zu stoßen und durch das kühle Wasser zu gleiten, ist einfach wunderbar. Nächste Woche möchte sie mir Fotos ihrer Tochter und der Enkelin zeigen. Vielleicht gehen wir zusammen einen Kaffee trinken.

Am Stand auf dem Bio-Wochenmarkt ist Brokkoli ausverkauft. Und über Kreuzblütler habe ich noch immer nicht geschrieben.

meine Ausbeute vom Wochenmarkt (note to myself: schreib‘ mal über die snackboxes. Und was über Kreuzblütler!)

05.05.2019

Zuhause.

Zehn große Tüten Chips zähle ich auf dem Band an der Kasse, dazu legt der Mann – etwas Abwechslung muß sein – noch Fertigfrikadellen und ein Currywurstgericht. Von diesem Mann trennt mich nicht nur der Warentrenner, denke ich und lege den griechischen Joghurt und die Mango auf’s Band. Mangos gibt es nicht auf dem Biowochenmarkt, auf dem ich am Samstag meinen Großeinkauf tätige.

Chips esse ich eigentlich gern, zählen aber bei mir zu den Todsünden (krebserregend) und werden entsprechend nicht gekauft. Das kritische Nachfragen bei einem Hersteller, der seine gesunden Linsenchips angepriesen hat, ergab, dass auch diese frittiert und somit auch nicht besser sind als die herkömmliche Kartoffelvariante.

Ich beschliesse, in Eigenproduktion zu gehen und finde ein Rezept (welchem ich natürlich nicht folge), in dem man Chips aus roten Linsen herstellt.
Klingt gut, schmeckt ok, mehr allerdings auch nicht (note to myself: Dir fehlten ja auch  Zutaten).
Ich kaufe weitere Zutaten ein, wähle ein anderes Rezept (dem ich auch wieder nicht folge) und gehe in die zweite Produktionsrunde.
Riecht jedenfalls nach Chips, denke ich, was auch kein Wunder ist, habe ich doch großzügig meine Gewürze aus Israel – verschiedene Chilisorten, Pfeffer und Kurkuma – mit verarbeitet, was auch farblich sehr ansprechend ausschaut. Dazu noch frische Zwiebeln, Knoblauch, Tomatenmark, etwas Weinessig und die roten Linsen, die ich vorher erst in Wasser habe quellen lassen, um sie danach noch in einer Gemüsebrühe zu köcheln; zumindest die Zutaten sind alle auf der guten Liste, was Krebsernährung angeht.
Ofenphase 1 läuft. Ich bin gespannt. Die Chips sind weich. Geschmacklich aber nicht schlecht.
Ofenphase 2 läuft. Ich sitze vorm Ofen und schaue zu, ob sich etwas tut. Dabei esse ich Nüsse aus meiner Nusssammlung, die mittlerweile ein ganzes Regal im Schrank füllen. Nüsse sind immer gut. Und schmecken. (note to myself: wenn Du jetzt die Nüsse isst, brauchste auch keine Chips mehr).
Man kann das essen, es schmeckt auch etwas nach Chips, zumindest nach Chili aber die Konsistenz ist katastrophal. Fail, denke ich. Absolute fail.

Dafür war die erste selbstgemachte rote Rhabarber-Erdbeergrütze ein kulinarischer Erfolg. Und die Sportwoche sowieso.

Montag: Taiji-Class ✔️
Dienstag: Taiji-Class ✔️
Mittwoch: Schwimmen ✔️ Taiji at home ✔️
Donnerstag: Gym ✔️
Freitag: Schwimmen ✔️
Sonntag: Alsterwanderung ✔️

Fail 1

Fail 2

Dessert kann ich aber gut.

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mein normaler Einkauf  (sieht doch fast aus wie in den Ernährungsbüchern)

29.04.2019

Unterwegs.

Die Sonne schien, da sie keine Wahl hatte, auf nichts Neues.
Samuel Beckett, Warten auf Godot.

Die Sonne scheint auf den Park mit den hohen Kastanienbäumen, sie sinkt langsam tiefer und taucht die Blätter und Gräser in sanftes Licht. Um die Bäume laufen Kinder, sie spielen Fangen mit einem bunten Ball. Die Haare der Mädchen flattern, es ist so warm in der Abendsonne, dass sie nur T-Shirts und Röcke anhaben. Sie lachen, das Lachen weht zu uns hinüber in den alten Turnsaal, dessen hohe Fenster weit geöffnet sind.
Ich lächele, während die Szenen draußen an mir vorbeiziehen, die tobenden Kinder, der Mann im Rollstuhl, die beiden Frauen, die kurz vor dem Fenster halten und neugierig hineinschauen.
Eigentlich sollte ich meine Augen bei der Stehenden Säule, die wir gerade im Taiji-Unterricht praktizieren, geschlossen haben. Du kannst Deine innere Balance nicht finden, wenn Du die Augen bei der Übung geöffnet hast, hat mein lieber Freund mal zu mir gesagt. Ich habe das letzte Woche versucht; im Gym auf dem Stepper und im Pool des schicken Spa’s; ich war neugierig, wie sich das anfühlt, mit geschlossenen Augen Bahnen zu ziehen und mich auf dem Stepper zu bewegen und ob ich dabei meine Mitte finde ohne ins Wanken zu geraten bzw. die Bahn zu verlieren (funktioniert genauso wie bei der Meditation, man muss sich auf den Atem konzentrieren, dann findet man die innere Balance).

Jetzt mag ich meine Augen nicht schließen, viel zu schön ist es, in den Park zu schauen, das wechselnde Licht und die Bäume zu sehen. Außerdem habe ich noch den süßen Geschmack des Kekses im Mund, die F. nach dem Aufwärmen angeboten hat. Es geht mir gut, denke ich, genau hier und jetzt möchte ich sein, genau hier und jetzt mich über den Keks freuen und über das Lachen und Kreischen der spielenden Kinder und den Korrekturen meines Lehrers nachspüren.

Die Sonne scheint immer noch, als ich den Rest des Heimweges zu Fuß antrete, sie steht jetzt ganz tief über dem Hafen und färbt den Himmel rot.

Ich lese noch etwas in dem Buch über Ernährung, welches C. mir geliehen hat.
Wenn wir begreifen, was Krebs ist, dann werden wir erkennen, dass diese Krankheit ein furchtbarer Feind ist, dem wir mit großem Respekt begegnen müssen, damit er uns nicht besiegt.

Die Sonne scheint nicht mehr.

Aber morgen wird sie wieder scheinen, wenn wir im verwunschenen Garten des Psychologenhauses Taiji trainieren, draußen zwischen den Rhododendren und dem blühenden Apfelbaum, den Blumen und den Büschen; wir werden uns in Achtsamkeit üben und stärken und uns nicht besiegen lassen.

22.03.2019

Logbuch Israel & Palästina 2019

Prolog.

Heute vor zwei Jahren, genau um diese Uhrzeit, bin ich in „meinem“ Krankenhaus operiert worden.

Heute vor zwei Jahren wurden die beiden Krebstumore entfernt. Der Feind in mir.

Heute ist sozusagen mein zweiter zweiter Geburtstag.

Heute, genau zwei Jahre später, sitze ich am Gate eines Flughafens. Ein Ort, an dem ich gern bin, ein Ort, an dem viel Trubel herrscht, ein Ort, der Aufbruch bedeutet und Vorfreude auf Neues verspricht und voller Leben ist.

Und heute Abend werde ich beim Sonnenuntergang am Strand von Tel Aviv stehen und auf den zweiten zweiten Geburtstag anstoßen. Das Leben ist schön.

 

Flughafenatmosphäre am Dubai International und Paris CDG

15.03.2019

Unterwegs.

Das erste, was ich vorm Spiegel in der Damenumkleide des öffentlichen Bades sehe, ist eine große goldfarbene Tasche und ein Schal mit Glitzer. Das kann nur einer gehören, denke ich. Kurz darauf erscheint G. Hallo A., ruft sie, du bist spät dran! Ich habe dauernd zur Tür geschaut, ob du kommst!
Ich bin zu spät, ich war vorher noch bei der Bank, jetzt ist meine Schwimmfreundin bereits auf dem Rückzug. Fuerteventura war klasse, sie habe den Pool für sich gehabt, die anderen Gäste saßen nur faul drumherum. Außerdem war sie diese Woche schon dreimal zur Gymnastik, G. erzählt und glitzert vor meinen Augen, braungebrannt im hellen Wollpullover mit Kristallsteinchen-Besatz, ob sie die Mütze aufsetzen solle? Ja, sage ich, und die weiße Flauschmütze mit grünem Bommel landet auf ihrem Kopf. Hyazinth, der kleine Spanier, sei noch da, der sei ja immer vier Stunden im Bad, aber wo solle er auch sonst hin, sagt G., als Rentner mit einer Einzimmerwohnung. G. weiß alles und teilt alles, wir verabschieden uns und hoffen, dass wir bald wieder zusammen unsere Bahnen ziehen.

Es stürmt, es regnet in Strömen, und es ist kalt, als ich in den Außenbereich schwimme. Dampf steigt auf, die Regentropfen werfen kleine Ringe auf der Wasseroberfläche, links von mir pflügen die Kampfschwimmer durch’s Becken, rechts von mir bewegt sich das Walross langsam unter der Wasseroberfläche.
Immerhin habe ich meine turbanähnliche (und fürchterlich aussehende) Badekappe auf dem Kopf, da bleiben die Haare und Ohren trocken. Eine Dame taucht auf, mit einer Kopfbedeckung, die aussieht wie die Deckelverzierung eines Einmachglases, ein weißes Häubchen mit Gummiband drumherum. Ihre Arme wirft sie in die Luft und deutet damit eine Kraulbewegung an. Eine weitere Dame erscheint, ihr anscheinend langes Haar ist unter einer schwarzen Plastikschlange versteckt, es sieht aus, als hätte sie einen Fahrradreifen auf dem Kopf. Da bin ich mit dem Turban doch noch im oberen Bereich der Badeoutfits anzusiedeln, denke ich.

Hier im Becken vergesse ich die ernsten Gedanken, die mich heute bewegen: es berührt mich, wenn ich in der Zeitung lese, daß jemand verstorben ist, jung, fast plötzlich, kämpfend – ich weiß dann, um was für eine Krankheit es sich handelt. Es berührt mich, wenn Mitstreiterinnen, deren blogs ich verfolge und die genauso wie ich hoffen, dass alles gut bleibt, mit Knochenmetastasen in die zweite Runde gehen. Es ärgert mich, wenn Unwissende – auch wenn es lieb gemeint ist – dieses mit sinnfreien Sprüchen wie „du schaffst das schon“, „das wird schon wieder“, „du bist stark“ usw. kommentieren.
Fakt ist: ein Rezidiv bei Brustkrebs, das als Metastasen auftritt, ist zu 100% unheilbar. Palliativ-Behandlung heißt es dann – der Erkrankten eine möglichst lange und schmerzfreie Zeit zu ermöglichen. Da wird nix wieder. Da ist nix zu schaffen. Und genau das ist es, was Brustkrebs so düster macht: ein Erstschlag kann geheilt werden. Ein Zweitschlag (in Form von Metastasen) nicht.

Es macht jetzt keinen Sinn, zuhause zu sitzen, in Schockstarre zu verfallen und depressiv zu werden. Es macht Sinn, jeden Tag als etwas besonderes und als nicht selbstverständliches zu begreifen. Es macht Sinn – soweit es in der eigenen Macht steht – alles dafür zu tun, um die „Chance“ auf ein Rezidiv zu reduzieren. Und genau deshalb bin ich recht streng mit mir, was Ernährung und mein Sport- und Meditationsprogramm angeht. Und auch stolz darauf, dass ich bei Wind und Wetter im Aussenbecken des öffentlichen Bades anzufinden bin und nicht hygge-mit-Kerze-und-Chips auf dem Sofa vorm TV rumliege.
Im übrigen bringt es mir auch Spaß, und es tut mir gut, denn mein Fitnessprogramm kompensiert den Stress, den ich im Berufsleben habe.

Ich überprüfe den Einkaufskorb, alles drin, sage ich.
Nein, antworte ich, der Schokoriegel fehlt.
Aber es gab am Mittwoch den Frankfurter Kranz.
Aber schon letzte Woche hast du den Schokoriegel vergessen. Außerdem bist du 45 Minuten im strömenden Regen draußen geschwommen, das muß belohnt werden!
Ist es nicht schon eine Belohnung, nach der Arbeit schwimmen zu gehen und das Leben zu genießen?
Jetzt wirst du aber philosophisch.
Diskussionen mit mir selbst gefallen mir, eine Lösung gibt es immer. Und heute gibt es den Schokoriegel.

12.03.2019

Im Krankenhaus.

Ich schwebe auf dem Wasser, es ist grün-grau, ganz hell und weich. Wenn ich mit den Fingerkuppen sanft die Wasseroberfläche streife, fühlt es sich an, als würde ich flüchtig über Seide streichen. Das Sole-Bad ist meine neueste Entdeckung, ein wunderbarer Ort um zu entspannen. Das alte Gebäude erinnert an eine Kathedrale: die Sonne flutet durch die runden Fenster direkt in den Pool und direkt auf mich, als ich auf dem Rücken im Wasser liege und die Augen geschlossen habe.

Zur Feier des Tages gönne ich mir eine Schachtel Eiskonfekt, während ich auf der Liege mein Buch weiterlese.

Heute habe ich mir frei genommen. Heute früh war ich wieder in „meinem“ Krankenhaus zur Nachsorge. Rundumcheck inklusive Blutabnahme, auf meinem Rezept habe ich ab jetzt ein Extra-Kreuzchen, damit die Krankenkasse endlich wieder das Tamoxifen bezahlt. Die letzten Male mußte ich das selbst zahlen, da sich die Kasse geweigert hat. Aber mit dem Kreuz auf dem Rezept ändert sich das.
Ich bin immer noch etwas unsicher ob des verlängerten neuen Nachsorge-Rhythmus (Mammographie 1x jährlich, 2x jährlich zu meiner Ärztin) und auch, was nicht erklärbare (Rippen-) Schmerzen angeht; das macht mich ja immer nervös, wenn ich nicht weiß, wo etwas herkommt. Allerdings sind die Schmerzen wieder weg, und bei meinen vielen Sportaktivitäten kann es leicht passieren, dass mal etwas verspannt. Außerdem bleibe ich die Einzige, die sich sorgt. Während ich mich wieder ankleiden gehe, sagt die Ärztin, dass ich mit großer Wahrscheinlichkeit gesund bleibe.

1 Jahr und 355 Tage krebsfrei.

01.02.2019

Unterwegs.

Dear colleagues,
please kindly note that we are organizing an event for World Cancer Day which will be held at M on 4th of February.
Professor Dr. D (Dental Surgeon, Professor and Head of Department of Oral medicine) and Dr. M (AR Hospital) will speak about Oral Cancer, Breast Cancer and Ovarian Cancer. We would like to invite all business units to attend.

Ich bin überrascht und auch etwas gerührt über die Nachricht im Posteingang, die aus unserem Büro in Südostasien kommt. Die asiatische Geschäftsleitung organisiert einen Event zum World Cancer Day und lädt einige hundert Kollegen dazu ein. Ich schreibe zurück, lobe sie ob dieser ungewöhnlichen Aktivität, wundere mich insgeheim aber auch etwas, da Krebs eher ein Problem der ersten Welt ist, in der die Menschen zuviel Zucker und Junkfood essen und sich zu wenig bewegen (verkürzt ausgedrückt). Im nächsten email folgt die Info, daß vor allem die Kollegen erscheinen mögen, die Betelnüsse kauen. Betelnüsse gelten als krebserregend. Also ist Krebs doch kein ausschließliches First World-Problem, denn Betelnüsse kauen dort fast alle. Ich weise meine Abteilung vor Ort an, Fotos zu machen und einen Artikel über den Event zu schreiben, den wir im nächsten Newsletter veröffentlichen können.

Man schickt mir vorab die Präsentation der Professoren; ein, zwei Schockbilder, Texte in burmesischer Kringelschrift, aber auch Fotos, wie man sich die Brust abtastet (was schon wirklich sehr offen für die dortige Kultur ist, vor allem in einer öffentlichen Präsentation) und icons, die Meditation, Bewegung, Rauchen (durchgestrichen), Alkohol (durchgestrichen), Junkfood (durchgestrichen), Gemüse (nicht durchgestrichen) darstellen. Das finde ich jetzt mal eine wirklich gute Aktion.

Eine weitere Einladung ist in der Post, ‚mein‘ Krankenhaus lädt zum Informationstag Brustkrebs Hamburg 2019 ein.

Als ich mich auf den Weg ins öffentliche Bad mache, fängt es an zu schneien. Schneeflocken irren durch den Dampf, der aus dem Becken steigt, mein Blick irrt im Becken umher und sucht die pinke Badekappe. Meine Schwimmfreundin fehlt.

 

19.11.2018

Im Krankenhaus.

Nach der Arbeit fahre ich in ‚mein‘ Krankenhaus, ich habe dort einen Termin mit einer Dame aus dem Vorstand der Stiftung. Die Stiftung unterstützt Brustkrebspatientinnen mit interessanten Sportangeboten, Vorträgen über Ernährung oder auch Humangenetik, Gesprächskreisen, Breast Care Nurses, Kühlkappen bei Chemo, Kreativkursen oder auch mit Terminen bei Psychoonkologen.

Wir unterhalten uns sehr angeregt; ich unterbreite einige Vorschläge, wie ich die Stiftung mit ehrenamtlicher Hilfe untersützen könnte. Nach 45 Minuten steht fest: wir werden etwas zusammen auf die Beine stellen.

Mitte Dezember planen wir ein Meeting, an dem auch Ärzte und weitere Vorstandsmitglieder teilnehmen werden.

Ich möchte etwas von der Hilfe, die ich hier bekommen habe, zurückgeben.

18.11.2018

Unterwegs.

Ob ich mich vorher auch so gesund ernährt hätte, fragt mich B., während sie sich etwas von ihrem Bauernfrühstück auf die Gabel füllt. Nein, antworte ich meiner Herzi-Mitstreiterin, aber durch den Schock und den ersten Ernährungsvortrag, den ich mir bereits im Krankenhausbett einen Tag nach der Operation vom Arzt anhören durfte, wurden meine Süchte sofort eingestellt. Ich erinnere mich noch daran, dass ich meine Lieblingsschokolade aus Chile, die ich extra als Trost eingepackt hatte, umgehend in den Mülleimer befördert habe. Ich wusste nicht, dass Krebs sich von Zucker ernährt. Und das Weizenmehlbrötchen mit Salami auch nicht viel gesünder sind.

Ich finde es interessant, daß B. ihre Zeitrechnung auch in ein vorher und ein nachher eingeteilt hat. Was zwischen dem vorher und dem nachher liegt, bleibt unausgesprochen.
Jedenfalls schaue ich sehr bestürzt drein, als unsere Trainerin und ein Herzi nach dem Abendessen in der Wirtschaft zum Rauchen vor die Tür verschwinden. Auch gegen eine Sucht kann man etwas tun, wenn diese nicht durch Schock ausgelöscht wird – wie bei mir, und Schokolade habe ich in der Tat sehr viel gegessen. Ich kasteie mich nun nicht, aber ich bin sehr diszipliniert, ich weiß ja, wofür ich das tue. Ich will leben und das noch möglichst lange und gesund. Also sitze ich heute Abend als Einzige mit einem Salatteller in der Wirtschaft, während die Herzis Rinderroulade und panierte Schnitzel vertilgen.
Zum Nachtisch teile ich mir aber eine Portion Topfenpalatschinken mit Zwetschgen und genieße diesen umso mehr, da dies eine Ausnahme ist, eine sehr leckere, zugegebenermaßen.

Dann krame ich meinen Laptop aus der Tasche. Tische und Stühle werden umhergerückt, denn alle zwölf Herzis wollen nun mit mir durch Tibet reisen. Und danach sogar noch durch die Antarktis; vorausschauenderweise hatte ich den zehnminütigen Film unseres chinesischen Vogelkundlers eingepackt. Es ist ein schöner Abend, hier in der Wirtschaft in Uhlenhorst, hier mit meinen Herzis.

Am Sonntag mache ich mich zu einer zweistündigen Wanderung auf, entlang der Hamburger Kanäle. Eine Gegend, die ich nicht kenne, da ich sonst immer entgegengesetzt in Richtung Aussenalster marschiere. Jugendstilbauten säumen die Finkenau, auf dem Wasser liegen Hausboote und am Kanal umgedrehte Kanus, über die sich das Herbstlaub gelegt hat. Es nieselt.

Zurück zu Hause wärme ich mir die restlichen Vollkornnudeln mit frischen Tomaten und Basilikum auf, zum Nachttisch gibt es ein Vollkornbrot mit Frischkäse und selbstgemachtem Renekloden-Gelee, das mir C., meine Freundin aus der Meditationsrunde, am Dienstag geschenkt hat.

Ein ruhiges Wochenende geht zu Ende, eine spannende Woche liegt vor mir.

19.10.2018

Zuhause.

Es passiert mir sehr selten, glücklicherweise, dass ich Angst bekomme, in Schockstarre falle und mich am Eingang zur Hölle wähne. Die Welt steht still und ich daneben, versuchend, meinen Verstand zu nutzen.

Heute nach dem Schwimmen bei herrlichem Wetter im Außenbecken ist so ein Moment.

Im Briefkasten ein Brief vom Krankenhaus, in dem ich am Dienstag zur Vorstellung war. Der Untersuchungsbefund. Viele mir unbekannte Begriffe, Zahlen, Abkürzungen, Zeichen, dazwischen die Worte „positives Malignitätszeichen“, „abklärungsbedürftig“, „thyroid cancer guidelines“. Diese Worte kenne ich, aber ich will sie nicht sehen, nicht in meinem Befund. Kurz überlege ich, mit dem Brief rüber in die Praxis meines Hausarztes zu laufen, aber dort ist schon Feierabend. Ich rufe im Krankenhaus an, ich möchte den Brief verstehen. Die freundliche Dame am Telefon stellt fest, dass gerade kein Arzt greifbar sei, um mir den Befund zu erklären, sie aber (eigentlich genau wie ich bei klarem Verstand) nicht denke, dass dort etwas sehr Schlimmes drin stünde, dann hätte man mir das sicher direkt gesagt, und meine Krankenhaustermine seien für Ende November bestätigt. Aber sie werde jemanden bitten, mich zurückzurufen. Keine zwei Minuten später habe ich einen Nuklearmediziner am Telefon, der Entwarnung gibt: die Begriffe, die mir ins Auge gestochen sind, stünden unter „Methodik“ und haben nichts mit meinem individuellen Befund zu tun. So etwas weiß ich natürlich nicht, ich bin kein Mediziner aber reagiere bei meinem Vorbefund sensibel. Das versteht mein Telefonpartner sehr gut, er kann mich beruhigen, ich bedanke mich für den umgehenden Rückruf, wir wünschen uns ein schönes Wochenende.

Eine halbe Stunde bleibe ich in Nach-Schockstarre einfach am Küchentisch sitzen, bevor ich meine Theaterkarte für den Abend herauslege. Eigentlich langt mir ein Drama am Tag. Das Drama des Abends betrifft mich zum Glück nicht.

“When we are born, we cry that we are come to this great stage of fools.”
William Shakespeare, King Lear

note to myself: Befunde zukünftig direkt an den Hausarzt schicken lassen. Den Befund vom Humangenetiker habe ich letztes Jahr schließlich auch direkt an meinen Arzt im Krankenhaus schicken lassen.

11.10.2018

Unterwegs.

Die Herzis müssen ohne mich Federball spielen. Ich stecke auf dem Weg zum Turnverein in der Bahn fest, technische Störung. Nach einer gefühlten Ewigkeit und der Durchsage, daß die Bahn nur noch eine Station weiterführe und dann Ersatzbusse eingesetzt würden, steige ich aus und in eine andere Linie um, die mich in Richtung Heimat bringt. Später lese ich, daß es eine Schießerei gab und die bewaffneten Täter in den U-Bahntunnel geflüchtet sind, der Bahnverkehr bis 21.30h eingestellt und auf der Straße Superstau war.
Ich ziehe mein Sportzeug an, gehe in den Garten, mache etwas Taiji und marschiere noch einmal um den Block, dem Sonnenuntergang entgegen.

Im Briefkasten ist eine Postkarte aus der Reha-Klinik:

Liebe Frau R.,

ich wollte mich (leider mit einiger Verspätung!) bei Ihnen ganz herzlich für den Roman bedanken, der mir beim Lesen große Freude bereitet hat! Vielen Dank dafür und weiterhin alles Gute für Sie! T.S.
PS: Ich glaube, die Zuckertüten sind noch unverändert 😉

Ich freue mich sehr über die handgeschriebene Karte der Psychologin, bei der ich vor über einem Jahr einige Termine in der Klinik hatte. Anscheinend habe ich einen bleibenden Eindruck hinterlassen mit meiner Beschwerde über die Zuckertüten auf den Tischen im Speisesaal von Krebskranken, die auch noch mit der Aufschrift „wir machen Sie gesund“ versehen waren.

Mein Azubi schaut mich an: er hätte gelesen, dass es sehr gesund sei, frische Zitrone und Ingwer ins Wasser zu tun. Und wer mache das immer? frage ich zurück. Wir! ruft er. Bei mir lernt er fürs Leben.

Sechs Paar weiße Sportsocken gekauft.

11.9.2018

Im Krankenhaus.

Wie es am Mount Everest gewesen sei, fragt mich Dr. C. Es ist die erste Frage, die mir die Gynäkologin stellt und nicht die einzige zu meiner Reise. Auch über Ernährung, Klöster, Höhe und Mitreisende möchte sie mehr erfahren. Dabei brenne ich darauf, ihr zu sagen, daß ich gerade aus der Radiologie im Erdgeschoß komme und die Mammographie und der Ultraschall wieder gut ausgefallen sind. Selbst meine Unsicherheit ob des dritten Knotens, den ich ertastet habe und den sie vor drei Monaten nicht nachvollziehen konnte, konnte ausgeräumt werden. Knoten 3 sei kein Knoten, erklärt die Radiologin, sondern Milchgänge, die sich mit dem Alter verändern, man erst eine Tiefe ertaste und dann etwas festes. Knoten 1 und 2, die mich schon seit der Strahlentherapie begleiten, sind auch unverändert. Also alles unbedenklich.

Ob man noch etwas zur Eierstockkrebsfrüherkennung machen könnte, möchte ich wissen. Mehr als Ultraschall und Tastuntersuchung ginge nicht, und beides hätten wir gemacht. Ich bekomme mein Tamoxifen-Rezept, verabschiede mich, wandere zum Blumenladen und schenke mir einen gelben Blumenstrauß. Dann lade ich mich auf eine Kürbiscremesuppe im Feinkostladen mit Blick auf die Elbe ein. Dafür muß diesmal das Nachsorgetermin-Ritual des Glas-Sekt-auf-das-Leben-trinken ausfallen: mein dritter Arzttermin wird mich nachher zum Hausarzt führen, der mir eine Überweisung ins Krankenhaus für die Radiojodtherapie meiner Schilddrüse ausstellen wird. Besser heiter als angeheitert beim Hausarzt erscheinen, denke ich und bleibe bei der Suppe.

1 Jahr, 6 Monate und 5 Tage krebsfrei.

6.9.2018

Unterwegs.

Nächste Woche bringt ihr bitte Eure Kalender mit, ruft die Trainerin. Soeben habe ich verkündet, dass einige Herzis sich einen Tibetvortrag gewünscht haben. Auch unsere Trainerin möchte dabei sein, da sie aber mittwochs nach dem Herzsport noch die Prellballgruppe betreut, müssen wir einen anderen Termin suchen. Heute sind die aktiven Herzis zusammengeschrumpft: T. sitzt auf der Bank mit einer Zerrung im Fuß, H., die kleine alte Dame sitzt mit einem Spinalkanalproblem neben ihm. Auch Dr. A. hat sich zu den beiden gesellt und berät. M., der sonst immer schnaufend auf der Bank saß, ist in eine andere Gruppe gewechselt, bei der man nicht soviel laufen muss. S. möchte in eine Lungensport-Gruppe wechseln, er bekommt schlecht Luft. B. und C. sind heute auf einer Demonstration. Somit sind wir nur noch vier Sportsfreunde, die die Halle zum Federballspielen der Länge nach nutzen können. Später frage ich H., wie es ihr ginge. Nicht gut, antwortet sie. Sie bekomme jetzt Spritzen gegen die Schmerzen, die Ärzte möchten nicht operieren, da sie schon einmal eine Rücken-OP hatte und außerdem alt sei. Sie ist wütend auf ihren nicht mehr funktionierenden Körper; es fiele ihr immer schwerer, zum Chor oder ins Theater zu gehen oder gar Fahrrad zu fahren. Und so ein Schicksal der im Kopf fitten und immer interessierten H., die  in den 70ern zum Trekking mit dem Alpenverein im Himalaya war. Ich hoffe, daß auch sie zum Tibet-Vortrag kommen wird.

Einen Abend vorher war ich mit C. an der Außenalster. Sie sieht aus wie immer, auch wenn wir uns ewig nicht gesehen haben. Auch ich hätte mich nicht verändert, sagt C. Man würde uns auch nicht ansehen, was uns heute Abend nach so langer Zeit zusammengeführt hat. C. erzählt von ihrer Familie, den Reisen in die USA, daß sie so gern noch Australien sehen würde und was sie mit den Töchtern noch erleben möchte. Die Abiturabschlüsse miterleben. Oder den ersten Freund. Und sie erzählt vom Krebs, der zurückgekommen ist. Und nicht mehr gehen wird. Von den Schmerzen. Von der Angst, vielleicht doch nicht mehr soviel zu erleben, wie sie gern möchte. Ich erzähle von der Arbeit, meinen Reisen in die Antarktis und zum Everest und meinem Sport- und Ernährungsprogramm. Sie lobt meine Disziplin und bereut, dass sie nicht ganz so konsequent war. Trotz der düsteren Gemeinsamkeit, die uns heute zusammengebracht hat, ist es ein sehr schöner und intensiver Abend. Außerdem haben wir mit einem Glas Sekt angestoßen. Auf uns. Und auf das Leben.

29.8.2018

Unterwegs.

Ich stehe in der alten Turnhalle des Sportvereins und bin gerührt: P. klatscht begeistert in die Hände, als ich das Thema Fotovortrag Tibet anspreche, um den sie mich letzte Woche gebeten hatte. Auch M. und B. möchten dabei sein und mehr über das Land in weiter Ferne, das sie aufgrund ihrer Herzprobleme nie selbst besuchen können, erfahren. Dr. A., die ich sehr gerne mag, und die auch immer am Reisen ist, hat auch Interesse. Nächste Woche werde ich das Thema offiziell in der Runde ansprechen, heute habe ich das zwischen dem ganzen Pulsen und den bunten Pezzibällen verbaselt. Wenn ich schon nicht an Souvenirs für die Herzis gedacht habe, dann gibt es nun wenigstens eine Reisereportage nach einer unserer nächsten Sportstunden.

Ich sitze auf der Bank an der Bushaltestelle neben mir und beobachte mich. Heute Mittag war ich mit S., einem Freund und ehemaligen Kollegen, in einer karibischen Salatbar. S. ist mit C. verheiratet, auch sie ist eine ehemalige Kollegin, wir drei haben zusammen gelernt. S. hat mir vor zwei Jahren erzählt, dass C. vor einigen Jahren Brustkrebs hatte. Heute erzählt er mir, dass der Krebs zurückgekommen ist. Knochenmetastasen. Metastasierender Brustkrebs ist unheilbar. Das weiß ich. S. weiß das natürlich auch. Zurückgezogen haben sie sich, sie leben glücklich mit den beiden Töchtern im Teenager-Alter, ab und an gingen sie in ein Restaurant, und sie fahren in Urlaub. Gesellschaften geben sie schon lange nicht mehr. Ich erzähle S., warum ich gerade jetzt etwas außergewöhnliche Reisen mache. Ich erzähle ihm von meiner Bucket List und davon, dass auch ich letztes Jahr Brustkrebs hatte. Und das wir jetzt leben. Nicht gestern und nicht morgen.
Auch S. würde gern zum Everest, am liebsten bis zur Spitze. Aber er fahre mit der Familie in die USA. Das sei auch sehr schön.
Später sende ich ihm eine Nachricht; wenn C. mal mit einer „Artgenossin“ reden möchte, könne sie mich kontaktieren. Ein paar Minuten später werden mir liebe Grüße ausgerichtet und C.’s Handynummer geschickt.
Ich sitze auf der Bank neben mir und beobachte mich.
Was macht die Nachricht von C.’s Wiedererkrankung mit mir? Sie lässt mich innehalten, stimmt nachdenklich und traurig und zeigt mir wieder auf, wie fragil das Leben und wie wertvoll der Moment ist.
Angst macht mir die Nachricht nicht, nicht auf mich bezogen. Ich werde C. diese Woche kontaktieren. Vielleicht freut sie sich. Vielleicht hilft ihr das. Vielleicht hilft mir das auch, auf die eine oder andere Weise.

Ich stehe im verwunschenen Garten des Psychologenhauses und bin ein bißchen stolz. Und glücklich. Wir sind nur drei Schüler, meine Mitstreiter sind schon viele Jahre beim Taijiquan, sie möchten in der (schwierigen) 38er Form weiterkommen. Ich „kann“ nur die 19er Form. Aber heute darf ich das erste Mal bei einer anderen Form mitmachen.

Ich komme nach Hause und schaue in den Briefkasten. Es ist eine Karte angekommen. Vom Nordpol. Vom Schiff, mit dem ich in der Antarktis war.
Es wird Zeit, die nächsten Ziele zu planen.

23.8.2018

Unterwegs.

Das Pulsen fällt heute aus, ruft unsere Trainerin. Dafür erzählt uns C. von ihrer Reise nach Tibet!
Um es kurz zu machen, sage ich, ich habe mein Ziel erreicht: ich stand im Basecamp auf 5200m vorm Mount Everest. Dann ergänze ich doch noch etwas mehr, denn die Herzis sind nicht nur sehr interessiert, sondern freuen sich augenscheinlich, daß ich wieder zurück bin. Und beim Aufwärmen dürft ihr C. noch weiter mit Fragen löchern, sagt die Trainerin, und wir laufen armrudernd und mit Tischtennisschlägern und Bällen bewaffnet durch die alte muffige Halle des Sportvereins. Ich beantworte unterwegs noch die Fragen meiner Sportsfreunde.

Schade, dass H. nicht da ist, die hätte das auch sehr interessiert, sagt P.
H., die kleine alte Dame mit den vergnügten Augen, war in den 70ern dreimal im Himalaya und am Everest unterwegs – allerdings Trekking über mehrere Wochen mit dem Alpenverein – das ist nochmal eine ganz andere Hausnummer. Schon öfters haben wir uns darüber unterhalten, genauso wie über unsere Abenteuer in der chilenischen Atacama-Wüste, die wir auch beide bereist haben.

Die Hälfte des Aufwärmtrainings verbringe ich allerdings auf der Bank, denn auch Dr. A. ist neugierig und möchte einiges über die Reise wissen.

Ob ich nicht mal einen Vortragsabend machen könne, über meine ganzen Reisen, fragt mich P. Grundsätzlich könne ich das, wenn Interesse bestünde, antworte ich. Ob ich eine Gebetsfahne mitgebracht hätte, fragt die Trainerin. Das habe ich. Und was ich mir noch mitgebracht hätte, möchte P. wissen. Eine Klangschale, erzähle ich und bereue in diesem Moment, dass ich zwar Glücksbringer für meine Meditationsrunde mitgebracht habe, aber gar nichts für die Herzis.

Und wie ich das mit meinem Herz gemacht hätte, fragt P. wieder. Ob es besondere Medikamente gäbe? Ich schaue irritiert, aber verstehe dann, was sie meint, schliesslich bin ich bei den Herzis. Mein Herz ist gesund, sage ich. Ich bin in der Herzsportgruppe, weil Dr. A. mich netterweise aufgenommen hat, da sie der Meinung ist, dass Krebssportgruppen nichts für mich sind. Ich hatte Krebs.
Und dann verstehe ich die anrührende Begeisterung und die vielen lebhaften Fragen der Anderen:  Herzis können nicht nach Tibet reisen.

Note to myself: bei der nächsten Reise unbedingt an Mitbringsel für die Herzis denken.

8.8.2018

Tag 10

Seit vier Wochen liegt der Mount Everest verborgen hinter den Wolken, so die Tibeter.

Trotzdem bin ich mir sicher, dass wir den Bergriesen heute sehen werden.

Meine Mitreisenden sind sich nicht so sicher, da es die letzten Tage oft grau und verregnet war. Allerdings haben sie auch gemerkt, daß ich nicht der große Klosterfreund bin, dafür aber einiges über den Everest weiß und mit Enthusiasmus auf das heutige Ereignis verweise.

Die erste Passhöhe auf 5200m bietet eine atemberaubende Sicht auf die Kette der 8000er. Nur ein Berg versteckt sich hinter einer grauen Wolkenschicht. Wir warten. Die Wolken bewegen sich. Der tibetische Reiseleiter mahnt zum Aufbruch, wir wollen aber bleiben und die Wolken beobachten. Nur noch zwei Minuten. Oder drei. Und dann geschieht das grössere Wunder: die Wolken brechen auf; der Everest erscheint in seiner ganzen Schönheit. Wir stehen da und staunen.

Wir fahren weiter, dem Everest entgegen, der, inmitten der anderen Berge, wie ein Monument vor uns steht.

Im Basecamp stehe ich vor dem Berg, über den ich so viel gelesen habe.

Im Basecamp erinnere ich mich daran, dass mein erster Gedanke, der mir bei der Diagnose Krebs in den Sinn kam, war, daß ich nun nicht zum Everest gereist bin.

Im Basecamp schreibe ich eine Karte an meinen Lieblingsschriftsteller Thomas Glavinic und bedanke mich für sein Everest-Buch ‚das grössere Wunder‘. Denn genau das ist es, was heute passiert ist, es ist mein grösseres Wunder: ich stehe vorm Everest.

4.6.2018

Beim Hausarzt.

Das erste Mal seit Jahren habe ich top Cholesterinwerte. Normalerweise liegen die immer viel zu hoch; nur aufgrund der Tatsache, dass alle anderen Blutwerte gut sind, war das nie ein Problem. Wie ich das gemacht hätte, möchte mein Hausarzt wissen. Ernährungsumstellung, antworte ich stolz und berichte, was ich seit einem Jahr esse und was nicht mehr. Er ist begeistert. Dann könnten wir das Thema zu-hohe-Cholesterinwerte abhaken. Im Gegenzug nehmen wir das Thema Vitamin D-Mangel auf, aber das hätten sehr viele Menschen, und die Tabletten wurden mir schon von der Orthopädin verschrieben. Er korrigiert die Dosis.

Das Belastungs-EKG zeigt auf, dass mein Herz fit ist – gut für Tibet! – mein Puls und mein erhöhter Blutdruck würden allerdings zu schnell ansteigen. Ob ich keinen Sport machen würde? Keinen Sport machen? Was für ein Affront! Ich bin fast empört und stelle fest, dass ich 5-6 Mal die Woche trainiere; zwar nicht für Olympia, aber moderat.

Mir wird ein Blutdruckmessgerät verschrieben, ich solle einen Monat drei Mal täglich messen und dann mit der Auswertung wiederkommen. Oder – noch besser – mein Arzt springt auf – was ich von einer 24-stündigen Überwachung halten würde, das Gerät würde automatisch alle 30 Minuten messen. Davon halte ich gar nichts, antworte ich, da mir Lymphknoten entfernt wurden und das zu Ödemen führen könne. Dann der andere Arm, meint mein Arzt, er lässt nicht locker. Ich erinnere ihn daran, dass ich beidseitig Brustkrebs hatte, und somit kein gesunder Arm für diese Aktion zur Verfügung stünde. Das versteht er, auch wenn ich das Gefühl habe, dass er das Drama Brustkrebs nur allzugern verdrängt. Schon vor 14 Tagen musste ich ihn darauf hinweisen, dass ich in der Tat regelmässig Medikamente einnehme, was eigentlich auch keine Neuigkeit für ihn sein dürfte. Aber es beruhigt ihn, dass ich regelmässig ins Krankenhaus zur Nachsorge gehe, in zwei Wochen ist der nächste Termin. Mich beruhigt das auch, da ich manchmal unsicher bin, auch wenn mein Verstand sagt, dass nichts sein dürfte.

Wir unterhalten uns noch etwas über gesunde Ernährung, dann wünscht er mir enthusiastisch eine gute Reise, ich gebe es auf zu sagen, dass wir uns wohl vorher nochmal sehen werden (Blutdruckaktionsmonat), aber heute war ein turbulenter Tag in der Praxis, das hat schon die medizinische Assistenz verlauten lassen.

In der Apotheke nebenan gebe ich mein Rezept ab; nach den T-Impfungen für Tibet (Tetanus-Typhus-Tollwut) kann das Projekt „vier Wochen Blutdruck-Überwachung“ demnächst starten.

29.5.2018

Unterwegs.

Mein Taiji-Lehrer sitzt im verwunschenen Garten des Psychologenhauses auf dem Stuhl und schaut mir zu, wie ich die 19er Form laufe. Ein Phänomen sei ich, so sein Statement, während mir bei 33 Grad der Schweiss den Rücken herabrinnt. Ein Phänomen nicht nur deshalb, weil ich als Einzige von den Schnupper-Kursen aus dem Reha-Zentrum drangeblieben und zu den langjährigen Schülern in die feste Klasse gewechselt bin, sondern auch, weil ich vieles durch Beobachtung gelernt habe. Wobei ich noch an den Wechseln von der äusseren zur inneren Form arbeiten muss. Aber auch das werde ich hinbekommen.

Der Dienstag-Unterricht steht unter dem Motto ‚Wünsch-Dir-Was‘. Die beiden Mitstreiter wünschen sich die 75er-Form und gehen in den Nachbargarten, ich bleibe mit der 19er-Form und meinem Lehrer zurück. Weiter hinten unter den Bäumen spricht ein Psychologe mit seinem Patienten. Es duftet nach Rosen.

Trotzdem versuche ich, mich in den 120 Minuten nicht zu überanstrengen; eigentlich darf ich heute keinen Sport machen, da ich die erste von drei Tollwut-Impfungen bekommen habe. Eine wirtschaftliche Entscheidung, diese Impfung zu machen, meint der Arzt im Impfzentrum. Eine intelligente Entscheidung, meine ich. Nachdem ich im letzten Jahr nicht an Krebs gestorben bin, möchte ich nun nicht an einem Katzenkratzer oder Hundebiss in Tibet sterben. Und der Tod ist nach einem Tollwutkontakt ohne Impfung 100% sicher. Da zahle ich lieber die Euro 255,-. Das ist mir mein Leben wert. Mindestens.

25.4.2018

Unterwegs.

Um 8.00h treffe ich meinen Vorgesetzten vorm Hotel, wir teilen uns ein Taxi auf dem Weg ins Büro. Wir sind müde – jetlag – eigentlich ist es jetzt 3.30h in der Nacht. Meinen Vorgesetzten habe ich gestern Morgen zufällig in Dubai auf dem Flughafen getroffen, um dann festzustellen, dass wir lustigerweise auch in derselben Reihe im Flieger sitzen. Wir wussten zwar, dass wir uns in Asien sehen, aber nicht, wann der andere aus seinem jeweiligen Herkunftsland anreisen wird.

Dass Thermometer kratzt an der 40 Grad-Marke, im Büro geht es auf die 30 Grad zu. Trotz Klimaanlage. Kleine grüne Ameisen krabbeln über die Schreibtische. Sie beissen.

Ich mache einen Rundgang durch die verschiedenen Gebäude und Etagen, einige Kollegen freuen sich sichtlich, mich wieder zu sehen. Man weiss, dass ich krank war. Das hat sich herumgesprochen.

Mittags fahren wir zu „healthy me“, meine vegetarische Kollegin ist ähnlich penibel wie ich, was Ernährung angeht. Über die mitgebrachten veganen Brotaufstriche hat sie sich gefreut; die anderen Kollegen freuen sich über Gummibären.

Abends fahre ich zurück ins Hotel; die Strassen sind belebt, es wird gehupt und gedrängelt. Wir passieren den Peoples Park und die Shwedagon Pagode, ich möchte in den Pool.

Die Luft ist heiss und schwül, das Wasser im Pool ist auch nicht kühler. Trotzdem ziehe ich meine Bahnen und gleite im getüpfelten Badeanzug durch das schwarz anmutende Wasser. Rosa Blütenblätter schwimmen auf der Oberfläche. In den Bäumen krächzen die Krähen. Die Dämmerung setzt ein.

Es ist schön, wieder hier zu sein.

27.3.2018

Im Krankenhaus.

Beidseitig, sage ich. Die Dame an der Rezeption schaut auf. Ich kenne diese Reaktion schon. Auch die medizinische Assistentin ist irritiert und fragt nach, ob eine beidseitige Mammographie gemacht werden soll. Das mache Sinn, antworte ich, und frage mich, ob man die Überweisung und den von mir ausgefüllten Fragebogen nicht angeschaut hat. Beidseitig Brustkrebs. Beidseitige Mammographie. Danach geht es zur Radiologin zum Ultraschall: die zwei kleinen Knoten sind auszumachen, die sich schon seit der Strahlentherapie im linken Narbengebiet befinden und ungefährlich sind. Es ist alles ok. Wer denn operiert habe, fragt sie noch, auf der rechten Seite sei keine Operationsnarbe auszumachen – dabei habe ich dort sogar zwei Narben. Das fände ich auch ziemlich cool, dass man dort nichts sehen könne, Prof. Dr. M. werde ich ewig dankbar sein. Nicht nur ob des guten OP-Ergebnisses, sondern vor allem für die richtigen Worte im richtigen Moment.

Vom Erdgeschoss gehts in die Dachstube zum nächsten Termin, diesmal bei der Gynäkologin.
Zum ersten Mal registriere ich, obwohl ich schon so oft hier war, dass man vom Wartezimmer auf den neuen Teil des Gebäudes schaut: eine Ärztin sitzt am Schreibtisch, eine Frau mit Mütze ist beim Arztgespräch, zwei weitere Frauen bekommen gerade ihre Chemo mit Kühlkappe. Ich sehe sie nur aus der Ferne, bin ihnen aber emotional sehr nah: ich fühle mit ihnen, und gleichzeitig bin ich dankbar, dass ich mit zwei blauen Augen davongekommen bin.

Frau Dr. Z. kommt ins Wartezimmer und holt mich ab. Wer schon so früh aus der Radiologie zurück ist, der komme hier auch gleich früher dran. Sie untersucht mich nochmal sehr genau, freut sich mit mir über die Ergebnisse und die gute Optik, um dann ungläubig zu schauen. Das Basecamp sei aber sehr hoch gelegen, sagt sie, als ich ihr erzähle, dass ich jetzt mehrere Asienreisen vor mir habe und nicht sicher sei, wie ich mit der Tamoxifen-Einnahme verfahre, sollte es Magenbeschwerden oder Übelkeit geben (Antwort: einfach weiter einnehmen). Ich erkläre zum x-ten Mal, dass ich nicht klettern werde und es ja eine Akklimatisierung in Lhasa gebe – allerdings läge das auch schon auf 3.600m. Aber ich jetzt alles mache, was ich machen möchte. Vermutlich bin ich etwas extrem mit Reisen in die Antarktis und zum Everest, aber es ist das, was ich will.

Wir legen den nächsten Nachsorge-Termin zwischen die beiden anstehenden Asienreisen, dann mache ich mich auf ins Schwimmbad. Ich ziehe draußen meine Bahnen, bin dankbar und fröhlich, schenke mir unterwegs noch einen Blumenstrauss und beschliesse, den Nachmittag mit einem Prosecco an der Elbe zu verbringen, bevor ich dann angeheitert zur Meditation gehen werde.

1 Jahr und 5 Tage krebsfrei. Das Leben ist schön.

22.2.2018

Heute vor einem Jahr.

Heute vor einem Jahr sitze ich um 8.45h in der Praxis einer nervösen Gynäkologin.

Heute vor einem Jahr werde ich nach einer Untersuchung ohne viel Worte wieder ins Wartezimmer geschickt, mit einer Überweisung zum Radiologen in der Hand. Auf der Überweisung lese ich „Verdacht auf Mammakarzinom“.

Heute vor einem Jahr wird mir die Überweisung nach ein paar Minuten wieder weggenommen und durch eine andere ersetzt, auf der „Suspekter Tumor“ steht.

Heute vor einem Jahr stehe ich fassungslos vor einer Praxis, langsam realisierend, was die Worte der ersten Überweisung bedeuten.

Heute vor einem Jahr sitze ich weinend beim Bäcker neben der Praxis.
Heute vor einem Jahr fahre ich statt ins Büro nach Hause. Bus, Bahn oder Taxi – ich kann mich nicht erinnern, wie ich nach Hause gekommen bin.

Heute vor einem Jahr habe ich „Brustkrebs“ gegoogelt. Und mir nach fürchterlichen Bildern und den mir ins Auge springenden Worten Tod, Schmerz, Lebenserwartung das googeln verboten.

Heute vor einem Jahr bin ich der Meinung, dass ich nur noch zwei bis drei Wochen zu leben habe. Eine fixe Idee, die sich festgesetzt hat. Eine fixe Idee, die mir Todesangst macht.

Heute vor einem Jahr sehe ich vor meinem inneren Auge meine Tante, die an Brustkrebs gestorben ist. Wie schön, dass ich Dich noch einmal sehe, sagt sie auf einem Familientreffen, bereits vom Tod gezeichnet.

Heute vor einem Jahr brechen existenzielle Fragen über mich herein, die ich nicht zu meiner Zufriedenheit beantworten kann.
War es das schon?
Kann das wirklich alles gewesen sein?
Hast Du das gemacht, was Du in Deinem Leben machen wolltest?
Was wird bleiben?

Heute vor einem Jahr erkläre ich der Internistin, dass sie mich nicht ins Krankenhaus zur Schilddrüsen-OP überweisen kann, da mir etwas dazwischengekommen sei. Heute vor einem Jahr breche ich weinend bei der Internistin zusammen.

Heute vor einem Jahr hat mir die gynäkologische Praxis einen Termin beim Radiologen abgemacht, bei dem ich eine Woche später vorstellig bin – um festzustellen, dass man mir den Termin bei einem anderen Radiologen abgemacht hat. Den Zettel mit der Adresse, den mir die Praxis doch mitgegeben hatte, halte ich in der Hand. Ich bin verzweifelt.

Heute vor einem Jahr habe ich eine Woche durchgeweint.

Heute vor einem Jahr ist die Welt schwarz.

Heute vor einem Jahr hat sich vieles verändert.
Zum Guten.

14.2.2018

Unterwegs.

Ich gehe die Treppe des Rotklinkerhauses hoch und biege in den Gang mit den gelbgestrichenen Wänden ab. Rechts ist das Badezimmer, daneben der Aufenthaltsraum mit der Bücherwand, auf der anderen Seite liegen das Schwestern- und die Patientenzimmer. Hier habe ich vor knapp einem Jahr gelegen, sage ich zu C. und zeige auf eine Tür, hinter der jetzt drei andere Frauen liegen. Flashback. Wir gehen weiter durch eine Glastür und stehen kurze Zeit später im Konferenzraum des Krankenhauses.

C. aus meiner Meditationsrunde und ich besuchen heute einen Vortrag über Ernährung bei Brustkrebs. Dr. K., der bei mir die Stanzbiopsien vorgenommen hat und seine TCM-Kollegin erläutern in zwei Stunden, was gut ist und was nicht. Einer Meinung sind sie nicht immer, und auch meine Infos der Humangenetiker und der Reha-Ernährungsvorträge weichen in einigen Punkten ab. Trotzdem ist es sehr lehrreich, C. und ich nicken uns öfters bestätigend zu, denn wir stellen fest, dass wir gut aufgestellt sind. Auch die Wichtigkeit des regelmässigen Sports wird wieder mal erwähnt. Ich merke mir nicht die ganzen Begründungen, wieso was gesund ist oder auch nicht, und zum Teil hängt das auch davon ab, ob man es mit einem triple negativ Karzinom oder einem hormonrezeptorpositiven Tumor zu tun hat.

Ich notiere für mich als gut:

Birkenzucker/Xylit, Pure Encapsulation (Vitamin D), Sesam, Weizengras, Hummus, Tahini, Zwiebelschmalz, Weintrauben mit Kernen, Blaubeeren, Auberginen, Granatapfel mit Kernen, Maitake, Shitake-Pilze, Rosenkohl, Nüsse, Haferflocken, Chinoa, Amaranth, Kurkuma, Brokkoli, Brennesselextrakt, Mango, Ananas, Papaya, grüner Tee (aber nicht zur Tamoxifen-Einnahme).

Nicht gut:

Zucker generell, Sojajoghurt, Soja, Käse, Kuhmilch, Ginseng, Fisch, Schalentiere (es sei denn man mag Plastik und Schwermetalle), Leitungswasser, Wasser aus Plastikflaschen, Glukose-Fruktose-Sirup (auch im Brandt-Zwieback enthalten), Wurst, Fleisch.

Da wir so etwas wie ein Fachpublikum sind, brauchen Süssigkeiten, Chips, Frühstücksspeck oder Fertigprodukte nicht erwähnt werden.

Ok sei ein Glas Wein, Dr. K. fängt an von Spaghetti mit Parmesan zu schwärmen, mittlerweile ist es 19.15h, und ich bekomme Hunger. Zuhause mache ich mir Vollkornnudeln mit Tomaten und Basilikum, Parmesan hätte ich gern, habe ich aber nicht. Ich packe die Sporttasche. Morgen nach der Arbeit steht wieder der Fitnessraum auf dem Programm.

11.2.2018

Unterwegs.

Ich sei mir nicht sicher, ob er sich an mich erinnern könne, aber er habe mir vor knapp einem Jahr das Leben gerettet. Prof. Dr. M. kommt strahlend auf mich zu und gibt mir die Hand. Natürlich könne er sich an mich erinnern, antwortet er. Und er hätte ja nur etwas geholfen, mein Leben zu retten. Ich sähe gut aus, fügt er hinzu und schaut mich an. Ich erzähle ihm von meinen Lebens-Optimierungsmaßnahmen, der Ernährungsumstellung, dem Sportprogramm und der Arbeitszeitreduzierung. Sie werden gesund bleiben, meint er. Ich freue mich. Wir unterhalten uns noch etwas,  und zum Abschied sagt Prof. Dr. M., dass ich, sollte etwas sein, mich jederzeit bei ihm melden könne.

U., meine Schwester im Herzen, die ich in der Reha kennen gelernt habe, und ich sind heute beim Informationstag Brustkrebs Hamburg 2018, der von unserem Krankenhaus veranstaltet wird. Mit circa 350 Patientinnen, Angehörigen und Interessierten hören wir uns Vorträge an: über Brustkrebs und Vererbung, die Bedeutung der Pathologie, Haarschonung unter Chemotherapie, neue Therapiekonzepte und über Nachsorge. Es ist sehr interessant, auch wohin die Therapien der Zukunft gehen werden: weg von Operationen, hin zu Chemo und medikamentöser Behandlung. U. und ich sind da allerdings derselben Meinung: wir würden uns ohne zu Zögern wieder operieren lassen, wenn wir dadurch eine Chemo umgehen können. Aber ich bleibe ja gesund, denke ich. Auch wenn Prof. Dr. M. kein Wahrsager ist, glaube ich seinen Worten. So wie ich damals auch seinem Versprechen geglaubt habe, „dass wir das hinkriegen“. Und er sein Versprechen gehalten hat.

Danach gehen U. und ich im Grindelviertel vietnamesisch essen und gönnen uns noch einen Tee in dem Café, in dem sie sonst arbeitet. Sie erzählt mir vom Qi Gong, mit dem sie wieder gestartet-, und einer Tanzgruppe, der sie beigetreten ist. Ich erzähle von meinen Herzis und unseren Federball- und Tischtennisspielen. Das könnten wir doch auch mal machen, wenn es wärmer wird, schlägt U. vor. Im Innocentiapark gebe es Tischtennisplatten, und Platz für Federball sei dort auch. Sehr gerne, antworte ich und freue mich auf den Frühling.

4.2.2018

Unterwegs.

Zehn! Zehn! Zehn!, tönt es aus dem Poolbereich. Die Befehle werden von lauter Discomusik begleitet. Es ist 8:00h morgens, und ich war sicher, dass ich die Einzige bin, die sich so früh am Sonntag zum Schwimmen aufmacht. Circa 16 eher ältere Herrschaften mit Schwimmnudeln um den Hals haben sich früher aufgemacht. Ich bahne mir einen Weg in den hinteren Poolbereich, wo eine Handvoll Gäste im Kreis schwimmt, was mich an Pferde in der Zirkusarena erinnert, die unermüdlich ihre Runden drehen. Ich reihe mich ein.

Draussen ist es weiss, die Flocken fallen dicht vom Himmel, schweben über das Balkongitter und bleiben liegen. Der grüne Leuchtturm verblasst in der Ferne.

Heute ist Weltkrebstag. Auch mein Mammazentrum hat einen Gruss auf Facebook gepostet, was mich sehr freut und mich innehalten lässt. Die rosa Schleife auf dem Bild wirkt friedlich. Genauso friedlich wie der Schnee, der immer dichter fällt.

30.12.2017

Rückblick. Ausblick.

Dieses Jahr war ein besonderes Jahr. Es hat mich herausgefordert. Es hat mich nicht bezwungen. Es hat mir gezeigt, dass ich innehalten und meinen Kurs ändern muss. Es hat mir klargemacht, was ich will und wozu ich fähig bin.

Sie haben Krebs. Wir sprechen über Leben oder Sterben, sagt Prof. Dr. M., als ich ihn im Krankenhaus frage, ob ich nun krankgeschrieben werde.
Sätze, die sich einprägen, Sätze, die mir in einer Plötzlichkeit klarmachen, dass mein Leben endlich ist. Und Sätze, die mir bewusst machen, dass ich überhaupt nicht sterben will.
Weil ich – und das muss ich mir eingestehen – noch nicht all das gemacht habe, was ich eigentlich in meinem Leben machen wollte. Weil man es ja später machen kann. Um auf einmal festzustellen, dass es eventuell kein später gibt. Es sind existenzielle Fragen, die mich erschüttert und ins Wanken gebracht haben. Und die mir umso deutlicher aufgezeigt haben, dass ein Kurswechsel stattfinden muss.

Ich bin dankbar, dass ich das Drama sehr schnell und sehr gut verarbeitet habe. Das sehe nicht nur ich so, sondern auch die Ärzte und die Psychologin aus dem Sanatorium, mit der ich einige Stunden verbracht habe.

Ich bin dankbar, dass mir Prof. Dr. M. mein Leben gerettet und mir die Todesangst, mit der ich in den ersten unklaren Tagen gekämpft habe, genommen hat. Ich verspreche Ihnen, dass wir das hinkriegen. An diesen Satz habe ich mich geklammert, er war der Wendepunkt im Drama. Und Prof. Dr. M. hat sein Versprechen gehalten.

Ich weiß, dass ich selbst aktiv sein muss, um die Aussicht auf ein Folgedrama zu minimieren, und ich weiß, dass auf meine Disziplin und meinen Kampfgeist Verlass ist: mein tägliches Sportprogramm bringt mir richtig Spaß, meine Ernährungsumstellung ist mir weniger schwergefallen als befürchtet, meine reduzierte Arbeitszeit auf 36 Stunden die Woche (und keine weiteren Überstunden) ist mein persönlicher Luxus, der mich noch immer stressfrei hält. Ich bin aktiv und fit wie seit Jahren nicht mehr.

Ich hatte Krebs. In der Vergangenheitsform passt es zu mir, denn ich schaue nach vorn.

Ich kann mittlerweile sagen, dass dieses Jahr ein gutes Jahr war.

Ich bin dankbar, dass die ausgewählten Freunde, denen ich vom Krebs erzählt habe, sehr gute Krisenmanager sind und mich unaufgeregt durch turbulente Zeiten begleitet haben und immer für mich da waren.

Ich bin dankbar, dass ich viele neue Menschen auf meiner Reise durch das Jahr kennen gelernt habe. Ganz besonders dankbar bin ich für meine beiden Schwestern im Herzen, die ich seit unserer Begegnung im Sanatorium noch immer jeden Monat treffe.

Ich bin dankbar, dass ich in einer Dienstag Nacht in Berlin in einem Club stand und meiner Lieblingsband zugejubelt habe. Und sie Ende des Jahres nochmal in Edinburgh auf der Bühne sehen konnte, während wir wild vor dieser tanzten. Ich bin mehrmals auf Sylt am Strand entlanggewandert und habe mich über die tosenden Wellen gefreut. Ich bin spontan nach Wien gereist, um morgens um 10.00h ein Glas Sekt über den Dächern der Stadt zu trinken und auf das Leben anzustoßen. Ich bin in die Antarktis gefahren und habe den schönsten Platz der Welt gefunden. Ich habe mit meinen kleinen Patenkindern gespielt und gelacht.

Heute war ich wieder draußen schwimmen, bei drei Grad Aussentemperatur und klarer Luft. Heute war ich wieder glücklich.

Und im nächsten Jahr werde ich weiter mein Leben leben und mich auf Wien, Amsterdam und Asien freuen. Und auf die vielen Dinge, die das Leben ausmachen.

19.12.2017

Im Krankenhaus.

Wie es mir ginge?
Gut.

Was seit unserem letzten Brustkrebs-Nachsorgetermin passiert sei?
Mammografie, Sonographie  beim Radiologen (ohne Befund), Darmspiegelung (ohne Befund), Knie-MRT (nix Schlimmes), Augenarzttermine (ohne Befund). Projekt Schilddrüse auf’s nächste Jahr verschoben.

Wie ich das Tamoxifen vertrage?
Gut. Die Hitzewallungen nehme ich als positives Zeichen, dass die Tabletten wirken.

Ob ich abgenommen hätte?
Nein. Ich halte mein Gewicht. Gesunde Ernährung, viel Sport.

Wieviel Sport?
Fünf- bis sechsmal die Woche.

Nun schaut meine Ärztin auf.
Ob ich ‚vorher‘ auch soviel Sport gemacht hätte?
Nein. Ich habe regelmässig Sport gemacht, aber nicht so viel.

Was ich denn genau mache?
Ich zähle auf: Montag Taiji – Dienstag Dehnübungen und Meditation – Mittwoch Herzsport – Donnerstag Geräteraum – Freitag Schwimmen – Sonntag Schwimmen. Positive Reaktion.

Der heutige ausführliche Check ergibt: alles ist gut.

Jetzt frage ich. Kann ich in höher gelegene Gebiete fahren? Wegen der reduzierten Anzahl an Lymphknoten?
Kein Problem, antwortet sie.

Wir machen für Ende März einen Doppel-Nachsorgetermin ab: Erst zum Radiologen und eine Stunde später bei ihr.

Dann gehe ich schwimmen. Und überlege, wie ich den Mount Everest, das Ziel ist das Basecamp (Northface), angehe.

1.12.2017

Antarktis. Tag 7

Um 8.00h sitzen wir im Zodiac und steuern die Brown Station an. Etwas fehlt: kein Wind, keine Wellen. Die Station ist unbewohnt, um uns herum sind riesige Gletscher, die kalben. Es klingt wie dumpfes Donnergrollen, sonst ist es still.

Ein paar Chinesen kugeln im Schnee einen Hang hinunter, ungeachtet der Tatsache, dass wir den schmalen Pfad aufgrund der Gefahr, die unter dem Schnee lauert, nicht verlassen dürfen. Als ich aus Versehen einen halben Meter neben dem Weg gehe, rufen und winken sie mir zu, um mich zu warnen. Mein Leben scheint ihnen wichtiger zu sein als das ihrer Landsleute. Auf der Fahrt zurück zum Schiff beobachten wir Kormorane.

Die Kabinentüren auf Deck 3 stehen offen, schräg gegenüber ist die chinesische Wäscherei wieder in Betrieb.

Hausbootfeeling.

Ich gehe in die Club Lounge und treffe meine California Girls. Ich liebe unsere Konversationen, wir haben viele Gemeinsamkeiten und Spass miteinander. Stelle fest, dass mein Dresscode bei Jogginghose und Ski-Unterhemd gelandet ist. Fühle mich wie zuhause.

C. deutet auf die Chinesen, die gerade einen Reiskocher aufbauen. Auch sie scheinen sich wie zuhause zu fühlen.

Die Durchquerung des Lemoire Channels verbringe ich wieder auf der Brücke. Schneesturm (mal wieder), im Grau um uns herum mache ich riesige Berge und Gletscher aus. Ein Wal taucht kurz auf und verschwindet wieder in den Tiefen des Meeres.

Die Ankunftszeit für Port Lockroy verzögert sich: vor uns Eisberge, die den Weg versperren. Das Eis schmiegt sich immer dichter an die Sea Spirit. Port Lockroy ist eine ehemalige Basis der Briten, die heute ein kleines Museum ist. Unsere Postkarten stecken wir dort in den Briefkasten und sind gespannt, ob und wann die Karten ankommen. God save the Queen – and our mail.

Auf dem Weg zurück zum Zodiac fängt es wieder an zu schneien, das Szenario hat etwas weihnachtliches.

Beim Abendessen landen die California Girls beim Thema Brustkrebs. Ich oute mich. Und bin angetan, wie sachlich – aber auch gefühlvoll – wir darüber sprechen. Und dann zum nächsten Thema übergehen. Ich vergesse den Krebs nicht, räume ihm aber kaum mehr Platz ein wie die tägliche Einnahme der Tamoxifen-Tablette dauert. Viel Sport und gesunde Ernährung sind feste Bestandteile meines Lebens, genauso wie die regelmässigen Nachsorgetermine. Ich habe meinen Frieden gefunden.

26.11.2017

Antarktis. Tag 2

Ich wache auf. Es ist Nacht, meine Kabinengenossinnen, Y. aus Israel und J. aus Kalifornien, schlafen. Es stürmt heftig, während wir die Drakepassage durchqueren. Die Kabinenwände knarren, zwei Flaschen rollen über den Boden, Schubladen gehen auf und zu, das Schiff scheint auf Wellen zu schweben um dann immer wieder in die Tiefe des Meeres zu stürzen. Ich taste mich vorsichtig aus dem Bett und sichere die Flaschen.

„Especially the bathroom door is evil“, sagte die Expeditionsleiterin im Briefing. Das stimmt, die Tür fliegt mir sofort aus der Hand, als ich sie öffne. „Eine Hand immer am Schiff“, auch das ist ein guter Tipp, da man von einer Seite auf die andere geschleudert wird. Um 5.00h nehme ich die zweite Reisetablette, um 8.00h gehe ich in den Frühstücksraum.

Die Flure sind den Wänden entlang mit Spucktüten bestückt.

Der Frühstücksraum erinnert an ein Chinarestaurant; auf den Tischen stehen chinesische Flaggen, an den Decken und Fenstern hängen rot-gelbe Lampions. Nur von den Chinesen fehlt jede Spur. Alle seekrank, konstatiert der Kellner.

Mit 14 anderen Gästen nehme ich am Zodiac-Briefing teil, das eine Pflichtveranstaltung ist. Aufgrund der Tatsache, dass die anderen 93 Gäste flachliegen, muss es morgen wiederholt werden.

Vor den Fenstern türmen sich meterhohe Wellen, ein Albatros fliegt vorbei. Ich gehe auf Deck 5 nach draussen, die anderen Decks wurden aus Sicherheitsgründen gesperrt. Dort treffe ich R. aus der Schweiz und L. aus China, der uns die Vögel, die hier vorbeifliegen, erklärt. Die Luft ist kalt, wir halten uns an den Wänden fest.

Das Mittagessen lasse ich ausfallen, nehme die nächste Reisetablette und lege mich ins Bett, meinen jungen Zimmernachbarinnen geht es schlecht und frequentieren das Bad.

Um 15.00h beschliesse ich, einen weiteren Rundgang zu machen. In der Kabine gegenüber, in der drei ältere California Girls untergebracht waren, wird das Fenster gesichert und zugenagelt. Ich hangele mich an den Wänden entlang. Crewmember stehen an jeder Ecke, Gäste sind kaum zu sehen. Dafür haben sich die Spucktüten grosser Beliebtheit erfreut. Sie sind fast alle verschwunden.

Später verbringe ich den Nachmittag mit einem Kanadier und einem Schweizer in der Club Lounge, wir plaudern stundenlang, den Horizont fest im Blick. Zwischendurch trinken wir Tee und knabbern Kekse, was anderes kann man bei dem Sturm auch nicht tun. Wir seien die einzigen Gäste, die noch so fröhlich sind, stellt die Meeresbiologin fest.

Das ändert sich beim Dinner im Restaurant, die Luken sind geschlossen, die Gläser kippen von den Tischen. Ich schnappe meinen Teller und wanke zurück in die Club Lounge. Mit Blick auf den Horizont geht es mir besser. Noch bin ich ohne Spucktüte ausgekommen.