15.03.2023

Im Krankenhaus.

Die Frau rechts von mir lässt alle Formulare fallen, die sie ausfüllen muss. Die Dame schräg gegenüber, die gerade ihren OP-Termin wegen einer Erkältung abgesagt hat, hustet ununterbrochen. Die Frau mit der Perücke, die mir gegenüber sitzt, nimmt nonverbal Kontakt zu mir auf; wir kommunizieren über Blicke, die wir uns zuwerfen. Vorm Wartezimmer herrscht Chaos: die Technik ist ausgefallen: Ärzte, Assistenten und Patienten laufen umher, Turnschuhe mischen sich mit Croqs und Winterstiefeln.

Ich schliesse die Augen, fokussiere mich auf den Atem und bin entspannt. Heute ist mein Vor- und Nachsorgetermin. Angst habe ich nicht.

Ich denke, dass ich gesund bleibe, sage ich zu meiner neuen Ärztin. Das denke sie auch, antwortet sie. Ich habe ein Update über meine Untersuchungen seit unseres letzten Termins gegeben: Lunge geröngt, Knochendichte gemessen, Bauch (und Schilddrüse) geultraschallt, Checks wg. der Tamoxifeneinnahme beim Augenarzt und Dermatologen, alles im grünen Bereich. Sie ist erfreut und auch clever und fragt nach, wie es mit der verschobenenen Darmspiegelung aussehe; wegen meines seltenen (und nur teilweise erforschten) Gendefekts würde sie mir raten, das auch noch anzugehen. Natürlich hat sie Recht.

Sie untersucht mich sehr sorgfältig, baut ein nicht geplantes Ultraschall ein, und auch als sie länger auf einer Stelle verharrt, werde ich nicht nervös. Da wir uns noch nicht so lange kennen, möchte sie sich einen genauen Überblick verschaffen. Ich mag meine neue Ärztin. Ob ich noch ein Rezept bräuchte? Das sei ja jetzt die Kür mit dem Tamoxifen…ich versichere, dass ich wirklich auf zehn Jahre verlängern möchte, ich kenne die Risiken, ich könne mit den Nebenwirkungen umgehen, ich sei mir sicher. Ich bekomme mein Rezept und Nachfolgetermine zur Mammographie etc. für den September.

Ob ich wieder auf Expedition ginge, fragt mich mein Lebensretter/Chirurg, der auch im Pulk vor der nicht-funktionierenden Technik steht, und deutet auf meine Arktisjacke. Ich deute nach draussen, es schneie, da könne man die Jacke schon mal tragen. Wir plaudern noch etwas, dann bekomme ich mein Rezept und neue Termine und verschwinde im Schnee, immer noch gesund, und so soll es sein.

30.12.2022

Rückblick/Ausblick.

Ich schlage das kleine weisse Buch auf. Das tue ich jedes Jahr, wenn es sich dem Ende zuneigt. Ich blättere auf die letzte beschriebene Seite, die die Wünsche – Vorsätze klingt mir zu streng – des aktuellen Jahres aufführt. Ich bin gespannt, was ich mir für dieses Jahr gewünscht und was ich davon umgesetzt habe. Sieht gut aus, denke ich und fange an, die Punkte abzuhaken: gesund bleiben steht an erster Stelle, und wenn man von den Löchern in den Netzhäuten und dem damit verbundenen unangenehmem Augenlasern absieht, ist das Ziel erreicht. Ich gelte jetzt ausserdem als geheilt, was nicht wirklich viel bedeutet, aber ich feiere die Feste, wie sie fallen.

Gesportet, geschwommen, gesund ernährt, gereist, geküsst, geliebt, das Leben genossen, picknicken bei Sonnenaufgang im Freibad, Eisbären am Nordpol gesichtet, wie im wunderbaren Film „Tod auf dem Nil“ eben diesen mit einem kleinen Flussschiff – british style – von Luxor nach Assuan hinabgeglitten, mich in Nizza im Park unter Palmen um die eigene Achse gedreht, ganz schnell und immer schneller, die Balance, die habe ich gehalten, innerlich und äusserlich.

Natürlich war nicht alles gut: viele sind in diesem Jahr von uns gegangen, und das berührt mich sehr. Berühren tut mich der Krieg und meine Kollegen im Büro in Odessa, die tapfer die Stellung halten und am 22.12. Weihnachtsgrüsse schickten. Da habe ich geweint. Auch andere Dinge, die hier nicht hingehören, waren schwierig und werden schwierig bleiben.

Den Fokus lege ich auf die schönen Dinge – was nicht heisst, dass ich die Herausforderungen verdränge – doch die schönen Dinge sind es, die mir Kraft geben und mich glücklich machen.

Ich blättere im Büchlein zurück und lache über meine Anmerkungen. Eine Liste für 2021 fehlt. Daneben steht: „was war da los? Keine Vorsätze?!? Trotzdem auf der Spur geblieben. :)“

Anmerkung zu den Wünschen aus 2017, dem Jahr, in dem ich krank wurde: „das Jahr verlief anders als erwartet. Dafür lustigerweise viel umgesetzt.“ Die Wünsche (Meditation, Taiji, Balance, bewusst leben, gesunde Ernährung, Ruhe) gab es schon, bevor die Erkrankung kam.

Ich lege eine Wunschliste für 2023 an. Und setze schon jetzt einen Vermerk drunter: „Du machst das gut.“

Ende 2023 werde ich das weisse Büchlein wieder aufschlagen.

14.09.2022

Angst oder keine Angst?

„Ich habe vergessen, Angst zu haben“. Mein Gegenüber lacht mich etwas überrascht an. Er, der Höhenangst hat und es hasst, über die schmale Brücke zu gehen, die zu meinem Haus führt, hat die Hürde gemeistert, ohne an sie zu denken. Vielleicht hat er einfach daran gedacht, dass gleich ein schönes Dinner ansteht.

Ich packe meine Schwimmtasche und überlege, wann ich wohl im Aussenbecken des öffentlichen Bades eintreffen werde. Zwischen dem Packen und dem Aussenbecken muss ich zur Nachsorge in mein kleines Krankenhaus. Erst in die Radiologie zum Ultraschall und zur Mammographie, dann zu meiner neuen Ärztin, da meine jetzige in den Ruhestand gegangen ist. Ich habe keine Angst vor den Terminen. Es gibt auch keinen Grund dafür.

„BIs nächstes Jahr“, sagt die Radiologin. Alles ist gut. Ich fahre in den vierten Stock – unterdrücke aufkommende Tränen der Dankbarkeit – und lerne meine neue Ärztin kennen. Sympathisch ist sie und sehr kompetent, das stelle ich in unserem ausführlichen Gespräch fest. Es klopft an der Tür, „mein“ Lebensretter/Chirurg/Onkologe kommt herein. Jetzt möchte er aber unbedingt „seine“ Patientin begrüssen, die er schon im Wartezimmer gesehen habe! Und mir ausserdem sagen, wie sehr er sich über meine Postkarte gefreut habe, die ich ihm im März zu meinem fünften Jahrestag gesendet habe. Das käme nicht oft vor. Und er finde es toll, dass ich – die er als sehr strukturiert kennengelernt hat – so einiges in ihrem Leben geändert hat. Ich freue mich sehr über diese warmherzige Begrüssung und auch über meine neue Ärztin, die sagt, dass ich immer kommen könne, wenn etwas sei.

Angst ist ok, solange sie punktuell/zeitlich begrenzt und begründet ist. Dann ist Angst ein natürlicher Helfer, der das Bewusstsein schärft und einen aktiv werden lässt. Wenn ich z.B. im Arztbrief aus der Nuklearmedizin die Worte „maligne, abklärungsbedürftig, cancerguideline“ lese. Oder wenn ich Schmerzen im Knie habe oder in der Achselhöhle. Was tue ich bei solchen Ängsten: ich setze mich hin. Ich atme tief ein und aus. Ich überlege mir Lösungen: die Nuklearmedizin im großen Krankenhaus anrufen und sich den Arztbrief erklären lassen. Zum Radiologen gehen um das Knie unter die Lupe zu nehmen. Die schmerzende Achsel per Ultraschall untersuchen lassen.

Angst ist dann nicht mehr gesund, wenn sie permanent da ist und den Körper und die Seele stresst. Mein teils unerforschter Gendefekt, von dem ich fast sicher bin, dass er an meinem beidseitigen Brustkrebs schuld ist, könnte mir permanent Angst machen. Das lasse ich allerdings nicht zu. Ich ignoriere diesen Defekt nicht, kann ihn aber weder ändern noch die Forschung beschleunigen. Ich erwähne ihn (wie heute im Gespräch mit der neuen Ärztin), aber packe das Thema wieder in ein Kästchen ganz hinten in den Kopf. Permanente Angst macht keinen Sinn. Sie nimmt nur Lebensqualität und schadet der Gesundheit mehr als der Gendefekt an sich.

„Ich habe vergessen, Angst zu haben“, sagt mein Gegenüber und freut sich.

Ich freue mich auch.

28.08.2022

Über die Dankbarkeit.

Es ist Freitag, ich greife mein Handy und den Haustürschlüssel und laufe vor die Haustür. Keine Zeit, mich umzuziehen; in kurzer Jogginghose, Shirt und Flipflops renne ich auf die andere Strassenseite. Weiter kann ich nicht rennen, denn jede Minute könnte mein Rewe-Lieferservice eintreffen, und den muss ich im Auge behalten. Menschenmassen sitzen, stehen und winken, fangen an zu klatschen, als das kleine Boot in den Sandtorhafen einbiegt. Fettes Brot, die Hamburger Kultband, die in den letzten Jahren nicht aktiv war, hat heute Mittag bekanntgegeben, dass sie entlang der Elbe Überraschungskonzerte spielen wird; eines davon direkt vor meiner Haustür. Ich freue mich und bin dankbar, dass ich diesen spektakulären Auftritt miterleben darf. Ein Freund kommt um die Ecke, auch er begeistert, die wogende Menge singt mit. Drei Anrufe mit unbekannter Rufnummer lehne ich ab, bevor ich doch rangehe: der Rewe-Lieferservice sitzt in meinem Treppenhaus. Ich sprinte zurück, entschuldige mich und bin dankbar, dass er nicht mitsamt meines Wocheneinkaufs von dannen gezogen ist. Ich packe aus, laufe zurück auf die andere Strassenseite, klatsche noch etwas mit, winke der Band zu, die unter Dankesrufen langsam aus dem Sandtorhafen schippert.

Am Samstag bin ich in Berlin. Ich bin dankbar, dass ich an dem Event der Mammomädels teilnehmen kann, die die Kampagne zum Brustkrebsmonat Oktober präsentieren, der wir ein Gesicht geben werden. Es wird eine tolle Kampagne werden, ich freue mich und habe beim Fotoshooting recht schnell „mein Foto“. Heidi würde zufrieden sein. Wir lachen, führen tolle Gespräche, nippen an unseren alkoholfreien Drinks, unser Blick schweift über die Dächer von Kreuzberg.

Tibet 2018, sagt die Frau, die ich auf dem Nachhauseweg an der Elbe treffe, ich halte an und strahle, na klar, es ist eine ehemalige Mitreisende, die mit mir im Basecamp des Everest war. Wir unterhalten uns, bis die Sonne untergeht.

Im Aussenbecken des öffentlichen Bades sind am Sonntagmorgen nur zwei Mitschwimmer auszumachen. Der Himmel ist blau, die Sonne strahlt, der Bademeister fragt, ob er mich etwas fragen dürfe, wir kennen uns ja, ich würde hier fast täglich schwimmen, aber ehrlich soll die Antwort sein: sitzt sein Shirt gut oder sehe er aus wie eine Presswurst? Sensationell, antworte ich, und meine es ehrlich. A. kommt mir entgegengeschwommen, als ich gerade das Becken verlassen will, ich hänge noch zwei Bahnen dran, um mir von ihrer Wienreise erzählen zu lassen, bevor ich mich mitsamt meinem Frühstück auf meinen Lieblingsplatz am großen Becken niederlasse. Was für ein schöner Morgen.

Ein Mensch stirbt. Ich kenne Dich nicht persönlich, wir haben uns ab und an geschrieben, und ich war immer beeindruckt von Dir, mit wieviel Würde Du Deiner unheilbaren Krebserkrankung begegnet bist. Immer nach vorne blickend, nie klagend, immer einen schönen Tag wünschend. Ich merke, wie mir die Tränen kommen. Und doch bin ich dankbar für diese virtuelle Bekanntschaft. Und für jeden Moment.

29.07.2022

Unterwegs.

Ein weiterer Anker hat sich gelichtet, denke ich, während ich meine Bahnen durch das Becken des öffentlichen Bades ziehe. Der Himmel ist grau, im Gras sitzen zwei Krähen und krächzen.

„Von Amts wegen ergeht folgende Entscheidung“; so beginnt das zweiseitige Schreiben der Behörde für Gesundheit. Die zwei Seiten kann ich in einem Satz zusammenfassen, und das auch noch verständlicher als es das komplizierte Behördendeutsch ist: mein Behindertenausweis ist ab sofort ungültig und wird eingezogen. Von 80 Prozent Schwerbehinderung auf 0 Prozent, von einem Tag auf den anderen bin ich also vom Amt für gesund erklärt worden.

Das muss ich reflektieren, genauso wie die Sonne, die sich jetzt hervorwagt, und sich im Blau des kühlen Wassers spiegelt. Seit März 2022 gelte ich (nach meiner Zeitrechnung) als geheilt, ab sofort nun auch als gesund.

Fakt ist: ich habe mich bereits am Tag der Operation, an dem beidseitig die Krebstumore entfernt wurden, für gesund erklärt. Diese Einstellung hat mir geholfen, positiv nach vorn zu gucken und nicht in eine Schockstarre zu verfallen, verängstigt, dass der Krebs zurückkommen könnte. Das kann er. Aber genau da setze ich an und bin aktiv (und diszipliniert), um das Risiko zu reduzieren. Es geht mir gut mit dieser Einstellung. Dass ich andere gesundheitliche Herausforderungen habe, liegt nicht am Krebs, und einen Behindertenausweis hatte ich schon einmal empört abgelehnt. Auch damals habe ich mich als gesund erklärt, auch wenn ich es im Rückblick nicht gewesen bin.

Der Behindertenausweis, den ich noch drei Monate weiter führen darf, bevor ich ihn zurückgeben muss (so ich dieses komplizierte Schreiben richtig deute), war ein Anker. Er steckte sichtbar in meinem Portemonnaie und erinnerte mich täglich daran, inne zu halten. Einen Schritt langsamer zu gehen. Ein Anker, der mich darauf aufmerksam machte, auf meine innere Stimme zu hören: wie geht es Dir?, fragt mich die Stimme, ich schaue mich an, überlege, beantworte die Frage mit Bedacht und justiere meine Richtung, wenn es nötig ist. Das ist gut, und das ist richtig.

Dieser Anker hat sich nun gelichtet. Und ich, ich bin wieder ein Stück freier und schwimme gelassen der Sonne entgegen.

Logbuch Jordanien – Tag 9

05.11.2021

Der Wind treibt mir die Tränen in die Augen, ebenso die Dankbarkeit, jetzt hier sein zu dürfen, aber auch das Mitgefühl für Mary, Marie und all die anderen, die gerade im Krankenhaus liegen und für weitere Zeit und schöne Momente kämpfen. Mich berührt das sehr, erlebe ich doch gerade schöne Momente. Im Wind auf dem Roten Meer, hier auf dem kleinen Glasbodenboot, verspüre ich sogar etwas von der verloren gegangenen Leichtigkeit, wir lachen, hören laut Musik und winken zu den anderen Booten rüber.

Am Nachmittag gehe ich in einen der vielen Pools schwimmen, leer ist es und sonnig. Ich suche mir noch einen Schattenplatz am Strand und tauche mit den Füssen ins Rote Meer. Matthias war bereits drin, barfuss, wovon auf den vielen Schildern ob der gefährlichen Fische abgeraten wird und ist auf etwas stacheliges getreten. Ausserdem ist sein Rücken rot, da er die Bekanntschaft einer Feuerqualle gemacht hat. Ich weiss, warum ich den harmlosen Pool vorziehe. Better safe than sorry.

Anweisung der Reiseleitung: Treff um 18.30h am Strand mit Zahnputzbecher, sie möchte einen Schnaps ausgeben. Ich werde mir stattdessen ein Wasser mitnehmen.

Heute bin ich Covergirl

…bei den Mammomädels (Kooperationsgemeinschaft Mammographie), in der Social Media-Kampagne zum Brustkrebsmonat Oktober.

Grundsätzlich geht es um Selbstliebe. Wer sich mag, gibt acht auf sich.

Ich bin Anja. Im Februar 2017 bekam ich die Diagnose beidseitiger Brustkrebs. Eine Diagnose, die das Leben still stehen lässt. Eine Diagnose, als sei man ohne Vorwarnung mit Vollgas gegen eine Wand gefahren.

Ich habe die Erkrankung als Warnung verstanden, meinen Lebensstil zu überdenken und zu optimieren.

Gib acht auf dich: das Motto der @Mammomädels habe ich verinnerlicht. Vor- und Nachsorge sind extrem wichtig: für Frauen von 50 bis 69 Jahren wird zur Brustkrebsfrüherkennung das Mammographie-Screening angeboten. Nehmt das gern Angebot wahr. Es kann Euer Leben retten.

Auch wenn der Oktober der Brustkrebs-Awareness-Monat ist, ist Brustkrebs für mich als Betroffene jeden Monat, jede Woche und jeden Tag präsent. Auch das hat etwas mit „Gib acht auf dich“ zu tun: zur Vorsorge gehört für mich Bewegung: ich mache täglich Sport, was das Risiko auf ein Rezidiv reduziert. Das ist wissenschaftlich erwiesen. Ich achte auf meine Ernährung. Ich achte darauf, Stress zu vermeiden.

Ich gebe acht auf mich. Weil ich mich mag. Weil ich nur diesen einen Körper habe. Weil ich noch viel erleben möchte. Und weil ich noch lange fit und gesund sein will. Weil ich das Leben liebe.

14.08.2021

Die Sonne steht tief und hüllt den Hamburger Dom in ein warmweiches Licht, das die Action und den Trubel langsamer erscheinen lässt.

Und wir?

Wir schlendern über das Gelände, inspizieren die Fahrgeschäfte (nein, da niemals rein, das da vielleicht, wer kommt mit in die Wildwasserbahn und wer geht in die rasende Schlange?), wir sitzen vorm Bierstübchen und essen und trinken, wir lachen und plaudern und hat das Riesenrad nicht ein neues Design?, wir essen und trinken noch mehr, fahren Karussell und quietschen, winken, fliegen mit dem Kettenkarussell durch den Abend und baumeln mit den Beinen, und dann, wie immer, krönen wir den Abschluss unseres Dombesuches mit der Fahrt im Riesenrad, hoch oben in der Gondel staunend über die Schönheit der Stadt, die winzigen Fussballer da unten im Millerntorstadion (Lokalderby HSV:Sankt Pauli), dahinten die Kräne des Hafens vorm rosanen Abendhimmel, dort blau-blinkend die Polizeiwagen, die sich für das Spielende bereitmachen, wir lachen und schweigen und geniessen den Abend, wie früher, fast so wie immer.

11.08.2021

Der Ausflug.

„Steuerbord! Nun Backbord!“, schallt es von der Rückbank. „Ihr seid nur Supernumerary und habt so gar nichts zu vermelden!“, rufe ich den beiden Kollegen, die im wirklichen Leben richtige Kapitäne sind, zu. Ich steuere, ich trete, also bin ich der Kapitän an Bord dieses Tretbootes.

Kapitän 1, mein Bürogenosse, hat bereits nach zehn Minuten seine Position als in die Pedale tretender und ins Steuer greifender Chief Officer wegen Rücken/Knie/Unfitness aufgegeben und mit dem Accountant halsbrecherisch den Platz gewechselt, der nun friedlich neben mir sitzt und gleichmässig mit mir das Tretboot vorwärts bewegt. „Was sollen bloss die Anderen denken, die uns sehen – drei Männer und eine Frau an Bord, die hier treten muss“, vermerkt Kapitän 2. „Was soll erst die Bootsvermietung denken, wenn sie das sieht“, entgegne ich. „Ich habe meinen Schwerbehindertenausweis als Pfand für die Tretboote abgegeben“.

Die Sprüche fliegen hin und her, während wir auf der Hamburger Aussenalster herumschippern, das Wetter ist perfekt für eine Bootstour, und ich gerate nicht einmal ins Schwitzen. Die heutige Fitnesseinheit ist hiermit ausserdem abgehakt.

25.07.2021

Was ich mag.
Ich mag es, wenn morgens die Sonne langsam über den alten Rotklinkerbau steigt und das Wasser glitzern lässt.
Ich mag es, ins Becken zu steigen, vier Schritte die Leiter hinunter, kurz innehalten, Luft anhalten und loszuschwimmen.
Ich mag es, wenn sich im Sonnenschein Gittermuster auf den Armen bilden.
Ich mag die hellen, bunten Farben meines neuen Tankinis, der sich von der gebräunten Haut abhebt.
Ich mag es, wenn die Gedanken mit jeder Bahn, die ich schwimme, weniger werden und ich vom Denken zum Fühlen übergehe.
Ich fühle, wie sich das Wasser wie ein leichter Mantel um mich legt.
Ich fühle, wie ich ruhig atme, während ich gleichmässig durchs Wasser gleite.
Ich fühle, wie die Sonne mein Gesicht wärmt.
Ich lausche dem Klang der Schwimmer, die durch das Becken kraulen.
Ich freue mich, bekannte Gesichter zu sehen und grüße.
Ich freue mich über die Wolken, die über mich hinwegziehen.

Was ich ausserdem mag.
Wenn es kalt ist aber mich die Hitzewelle – Tamoxifen sei Dank – im richtigen Freibadmoment trifft.

Was ich nicht mag.
Ich mag keine kaltnassen Bodenfliesen in der Umkleide. Ich mag es nicht, die Kleidung nach dem Schwimmen über den klammen Körper zu friemeln.

Fitnessrückblick der Woche:
Mo: Schwimmen ✔️
Di: Schwimmen ✔️
Do: Gym ✔️
Fr: Schwimmen ✔️
Sa: Schwimmen ✔️
So: Schwimmen ✔️Frühschicht. Um 7.00h morgens bin ich im Becken)

21.06.2021 – Logbuch Madeira

Tag 5

Wenn ich mich ein letztes Mal ins Meer wage, das Seil, das über mir an einem Stahlarm baumelt, ergreife und mich im Takt der Wellen wiege.

Wenn es mir schwerfällt, das Paradies zu verlassen, aber ich für die nächsten Tage in mein Dorf fahren werde.

Wenn ich gespannt bin, was sich dort verändert hat; das letzte Mal war ich 2016 hier. Das Dorf ist über die Jahre verfallen, bei jedem meiner Besuche etwas mehr. Nun stehe ich vorm Eingang des Hotels.

Wenn ich dasselbe Zimmer wie früher haben möchte und es bekomme. Es liegt direkt am Meer. Die Sicht geht übers Wasser, das Wellenrauschen ist so laut, als würden diese in mein Zimmer schwappen.

Wenn sich der Besitzer des Restaurants auf dem Dorfplatz freut, mich wiederzusehen.

Wenn ich feststelle, dass sich etwas getan hat: die Bäckerei hat statt des gelben Zeltdaches ein beiges Dach, unter das ich mich setze und einen frischen Orangensaft bestelle.

Wenn die Promenade mit den schwarzen und weissen Pflastersteinchen ausgebessert wurde.

Wenn alles mit Blumen geschmückt ist.

Wenn das Graffiti unter der Landebahn, das meinen allerersten Post meines Brustkrebsblogs begleitete, noch da ist. Wenn das Graffiti, das eine Tänzerin im Bikinioberteil zeigt, noch da ist, aber mit Löchern versehen und beschädigt wurde. Aber es ist noch da. So wie ich. Das ist alles, was zählt.

Wenn das Allerbeste zum Schluss kommt: das dunkelblaue Becken am Meer mit dem steinernden Wal, das bei jedem meiner Besuche ein Stück weiter verfallen war, wurde instandgesetzt und mit Wasser gefüllt. Darin tummeln sich einige Portugiesen. Wenn ich den Lifeguard anspreche und er sagt, dass ich hier auch gern schwimmen darf, es sei das öffentliche Bad. Und kosten, das würde es auch nichts.

Wenn ich mich freue und beschliesse, morgen den riesigen und leeren Hotelpool zu ignorieren, um zum allerersten Mal in dem schönsten Becken zu schwimmen, das ich je gesehen habe.

22.03.2021

Der besondere Tag.

Heute ist ein besonderer Tag. Ich fühle mich ein bisschen als hätte ich Geburtstag. Heute vor vier Jahren standen wir in der Tiefgarage und verfrachteten meinen Koffer in das Auto, das mich ins Krankenhaus bringen sollte.

Ich hatte keine Angst. Im Gegenteil: ich habe mich gefreut.

Heute vor vier Jahren wurden zwei Krebstumore entfernt. Meine neue Zeitrechnung startete: es gibt nun ein „vorher“ und ein „danach“. Heute ist der Tag, an dem ich vier Jahre krebsfrei bin. Und gesund.

Das muss gefeiert werden. Heute treffe ich mich mit P. Wir werden ans Meer fahren und an den Klippen entlangwandern, in der Kälte und im Wind und das Salz auf den Lippen spüren. Wir werden lachen und den Tag geniessen.

Vor genau vier Jahren schrieb ich im Krankenhausbett einen Blogeintrag, der mit diesem Satz endete: „das Leben ist schön“.

31.12.2020

Rückblick. Ausblick.

In diesem Moment würde ich eigentlich mit Freunden in einem Wiener Kaffeehaus sitzen. Wir würden überlegen, ob wir in Richtung Naschmarkt gehen oder in den botanischen Garten, der hinter den Parkanlagen des Belvederes liegt. Um Mitternacht stiessen wir mit einem Glas Sekt auf der Eislaufbahn am Rathaus an.
Ich hätte von meiner Reise mit den Arktisfreunden nach Georgien berichtet und wie wir staunend am Kaukasus stehen. Ich hätte einmal mehr das Tosen der Wellen am Strand von Westerland beschrieben.

Dann gehe ich meine Fotos durch, die ich 2020 gemacht habe, einem Jahr, das mich öfters an meine mentale Grenze gebracht hat. Ich finde ein Meer an Erinnerungen, Erinnerungen, die durch den mächtigen Eindruck der Pandemie in den Hintergrund gerückt waren.

Ich erinnere mich an die Stille am Morgen, die von den Klavierklängen meines Taijilehrers durchbrochen wird, bevor wir mit dem Unterricht beim Retreat gestartet sind. Ich finde Bilder mit bunten Blumen und tanzenden Schmetterlingen, Sonnenstrahlen, die über Johannissträucher streifen, während wir die verschiedenen Stehenden Säulen praktizieren, und den Gänsen, die neugierig durchs Fenster zuschauen.

Ich erinnere mich an die Reise nach Österreich, das satte Grün der Wiesen, die schneebedeckten Berge, die Hütten, die mächtigen Farben und an die Überquerung der 210 Meter langen und 162 Meter tiefen Schlucht, nur gehalten von einem Seil.

Ich erinnere mich an den Safrangarten bei Marrakesch, an die zarten gelben Blüten, die das mehrgängige Mittagsmenü zierten. Und an den Ritt auf dem Kamel, durch die orangenen Dünen der Sahara, unter strahlend blauem Himmel.

Ich erinnere mich an die Wochenenden in Travemünde, eisessend mit Freunden an der Promenade, ich erinnere mich an lange Spaziergänge an der Nordsee auf Sylt und an den Kaffee, den ich am Strand genossen habe, mit einem grandiosen Buch – Gerald Durrell / The Corfu Trilogy – in der Hand.

Ich erinnere mich an unzählige Besuche meines öffentlichen Bades, das ich unter anderen Bedingungen neu entdeckt habe, an die vielen Stunden allein um 7.00h im 17-Grad kühlen Becken (ohne Neopren!), soviel Sonne, soviel Geglitzer auf dem Wasser und Frühstücken am Beckenrand um den Kampfschwimmern zuzusehen.

Ich erinnere mich an die schönen Begegnungen mit Menschen, die ich bisher nur über WordPress/Insta kannte, an die vielen Kommentare und den regen Austausch.

Ich erinnere mich an die Kampagne der Mammomädels im Oktober und an viele T-Shirts, die ich im Rahmen dessen gestaltet habe. Ich erinnere mich an die Aktion von Hamburg wird pink und das Video, in dem auch ich auf Brustkrebs aufmerksam mache. Ich erinnere mich an Cancer Unites, wo ich in einem Video mit anderen Bloggern zum Thema Angst Stellung genommen habe.

Ich erinnere mich an die vielen Spaziergänge durch Hamburg.
Ich erinnere mich an den Tod eines Freundes.

Ich erinnere mich an den geschmuggelten Sekt in der Thermoskanne, mit dem wir an meinem Geburtstag im Park angestossen haben.

Ich erinnere mich daran, dass ich Dank Meditation und Medikamenten gesundheitliche Schräglagen in den Griff bekommen habe.

Ich erinnere mich daran, dass ich gesund bin.
Und das 2021 ein wunderbares Jahr werden wird.

11.10.2020

Nachtschicht.

Die Luft ist kühl, der Himmel schwarz. Jetzt bin ich doch noch nach draussen gegangen bzw. geschwommen, jetzt, wo der Regen aufgehört und sich das Aussenbecken des öffentlichen Bades geleert hat. Die Scheinwerfer, die im Becken angebracht sind, lassen das Wasser in einem kalten, hellen Blauton leuchten, am Ende der Bahn sind die Umrisse der großen Bäume auszumachen, die in der Dunkelheit liegen. Es ist 21.15h. Eigentlich ist es die Zeit, wo ich zuhause bin und gemütlich den Tag ausklingen lasse. Da aber die Schwimmschicht, die direkt an meine Arbeitszeit anschließt, ausgebucht war, habe ich notgedrungen ein Ticket für die Schicht von 20.00h-23.00h gekauft. Die Frage, ob ich das Schwimmen und damit mein Sportprogramm des Tages ausfallen lassen sollte, stellt sich mir nicht. Dafür schwimme ich zu gerne.

In der Halle ist der Delphinschwimmer, den ich aus der sommerlichen Frühschicht (6.30h-9.30h) kenne, unterwegs, immer wieder taucht er auf und unter, während um ihn herum das Wasser aufspritzt. Die beiden Teenies, die relaxt an der Beckenkante schwimmen, werden ignoriert und zur Seite gedrängt. Ab und an klettert er aus dem Wasser und fachsimpelt (vermute ich) mit den Bademeistern. Attraktiv ist er schon. Aber auch arrogant und rücksichtslos. Ich beschliesse, nicht zu grüssen und ihn zu ignorieren, auch wenn er mich sicher erkannt hat, selbst wenn ich heute die turbanartige und omahafte Badekappe trage, die mich älter wirken lässt (note to myself: Du bist...note back to myself: Bin ich nicht!).

Um 23.00h liege ich im Bett und kann nicht schlafen. Das war klar. Schwimmen macht munter.

Ich bewundere Deine Disziplin“ – dieses Feedback bekomme ich sehr häufig zu hören bzw. zu lesen, vor allem von Mitstreiterinnen, die ebenfalls an Brustkrebs erkrankt sind.
Darüber freue ich mich. Disziplin gehört sicher auch dazu, wenn man sich bei Wind und Wetter, frühmorgens oder spät abends auf den Weg zum Sport macht.
Allerdings ist Disziplin nicht alles, um regelmässig am Ball zu bleiben. Ich habe ein Ziel vor Augen: ich möchte noch lange leben, und zwar fit und gesund. Ausserdem würde Disziplin bei mir nichts bewirken, wenn mir das, was ich mache, keinen Spaß bringen würde. Und spätestens, wenn ich in eine der vielen faszinierenden Stimmungen, die es im Aussenbecken des öffentlichen Bades gibt, eingetaucht bin, sind alle Bedenken im Blau des Beckens versunken.

Fitness-Rückblick der Woche:
Mo: Taiji-Class ✔️
Di: Meditation-Class ✔️
Mi: Schwimmen ✔️
Do: Gym ✔️
Fr: Schwimmen ✔️
Sa: Schwimmen ✔️

01.10.2010

friendly reminder.

Heute ist Weltbrustkrebstag. Und ich freue mich, dass ich immer noch hier bin.

2017 bin ich an beidseitigem Brustkrebs erkrankt. Ich kann nur jedem raten: geht zur Vorsorge. Nehmt Mammografieangebote wahr. Bleibt dran, auch wenn man Euch für zu jung für Brustkrebs befindet. Achtet selbst auf Euch, und das jeden Tag: nicht nur einmal im Monat zum Abtasten, nicht nur bei den Nachsorgeterminen; Ihr könnt selbst aktiv jeden Tag etwas für Eure Gesundheit tun: regelmässig Sport, gesunde Ernährung und Meditation helfen Euch, gesund zu bleiben bzw. Rezidiven vorzubeugen. Und selbst aktiv sein, nimmt auch die Angst.

Gebt Acht auf Euch, und zwar jeden Tag.

21.09.2020

Im Krankenhaus.

Ich sitze im OP-Hemdchen im Rollstuhl, die Arzthelferin hat mir einen Zugang in den rechten Arm gelegt. Es piekt. Ich sage nichts, sondern gucke zur Wand, an dem ein rotes Plastikbrett mit der Aufschrift „Reanimation“ befestigt ist.

Das ich heute im Krankenhaus zum Brust-MRT gelandet bin, ist überraschend; genauso wie das Outfit, in dem ich jetzt stecke.

Ob man diese Technomusik ausstellen könne, frage ich, als ich bäuchlings mit fixierten Armen und ner Platte auf dem Rücken ins Gerät geschoben werde. Das ginge nicht, das seien die Geräusche des Gerätes, und lauter, das würden sie dann auch noch werden. 20 Minuten dauert das Prozedere, in dem ich nichts sehe, dafür umso mehr höre und spüre, als die Kontrastflüssigkeit in den Arm geleitet wird.

Alles perfekt, sagt die Radiologin, als sie mich auf dem Flur abfängt.

Ob ich denn jetzt zum Schwimmen gehen könne?, frage ich. Mein Aussenbecken des öffentlichen Bades liegt genau neben dem Krankenhaus, und ausserdem scheint die Sonne.

Ich vermute, dass ich die Einzige bin, die nach einem MRT, bei dem eventuelle Narbenrezidive abgeklärt werden sollen, nach einer Schwimmerlaubnis fragt.

Ich laufe zum Schwimmbad rüber und beglückwünsche mich, dass ich mich nicht vorher mit derlei Untersuchungen auseinandersetze. Da spare ich mir schlechte Laune.

Diese trifft mich allerdings am Montag: überraschenderweise lande ich beim EKG bei meinem Hausarzt, da mein Blutdruck viel zu hoch ist, und keine Ursache ausgemacht werden kann. Ein Rezept für einen Betablocker (für den Notfall) bekomme ich mit, meine Blutdruckwerte möge ich dokumentieren und weitere Untersuchungstermine ausmachen, und dann, dann darf ich doch – mit Verspätung – meine Reise ans Meer starten.

15.05.2020

Highlights.

Wir sitzen an einem kleinen Tisch im italienischen Restaurant an der Ecke und studieren die Karte. Ich nehme eine Pizza Salerno, sage ich. Und eine Cola Light! Die letzte Cola habe ich vor Corona getrunken und ist somit das I-Tüpfelchen auf dem Highlight des Tages, dem Besuch im Restaurant.
Was „früher“ etwas Normales war, ist nun etwas besonderes geworden. Dasselbe Gefühl hatte ich vor drei Jahren, als mir – dank der Brustkrebs-Diagnose – die kleinen Dinge des Alltags in einem besonderen Licht erschienen und die Worte Wertschätzung, Demut und Dankbarkeit zentrale Begriffe in meinem Leben wurden.

Weitere Highlights der neunten Woche in Isolationshaft/Homeoffice waren ein Feierabendspaziergang mit meiner kleinen Cousine; knapp 12.000 Schritte ging es am Michel vorbei, weiter durch die Gassen des Komponistenviertels, hinein nach Planten un Blomen und zurück durch die Allee mit den hohen grünen Bäumen hinunter an den Hafen.

Ich habe – im virtuellen Raum – meine Taiji-Class und die Meditation-Class getroffen, eine knappe Stunde mit J., meinem britischen Arktis-Freund, gefacetimt und einige ausführliche Fachgespräche am Telefon mit meinem 10-jährigen Patenkind N. geführt.
Die Eltern schlagen überraschenderweise eine Einladung zum Mittag aus, das sei zu gefährlich – wobei nicht ganz klar wird, ob sie damit die C-Lage oder meine Kochkünste meinen. Ich hake nicht nach.

Außerdem habe ich es gewagt, mir nach über 2,5 Monaten Bankauszüge zu holen, vor denen mir ob der vielen Online-Bestellungen etwas bange war. Ich kann aufatmen; da diverse andere Kosten weggefallen sind, die ich im „normalen“ Leben, aber nicht in Isolationshaft, habe, bin ich doch nicht ruiniert. Auf geht’s ins Internet und bald wieder auf Kurztrips an die Ostsee, neue Highlights schaffen.

29.03.2020

Leben in Zeiten von Corona

Ich bin gutgelaunt. Eben ging eine Nachricht von meinem Zahnarzt ein, ich möge doch einen Termin zur Kontrolle abmachen sowie zur Zahnreinigung. Sofort rufe ich zurück und bin begeistert, dass man mir sogleich meinen favorisierten Termin vorschlägt (nämlich an einem Donnerstag Abend, man kenne sich doch schon so lange, da wüssten sie doch, wann ich Zeit habe…). Gleichzeitig bin ich verblüfft, dass mich das Abmachen eines Zahnarzttermins so fröhlich stimmt. Normalerweise bin ich der Angstpatient und der Zahnarzt mein Feind Nummer 1 (das sieht er natürlich anders, und das zu Recht…).

Es macht mir insofern gute Laune, weil diese Terminabsprache doch etwas Normaliät in mein Leben bringt, denn das Normale, das vermisse ich.

Statt Büro bin ich seit zwei Wochen im Home Office. Statt Taiji-Class, Meditationsstunde, Schwimmen, Gym und den vielen Sozialkontakten laufe ich allein im Hafen meine 19-er-Form, und das jeden Abend. Auf YouTube habe ich Fitnessvideos gefunden, mit meinen Arktis-Freunden aus den USA, UK, Georgien und der Schweiz halte ich Apero-Parties via FaceTime ab, einen Freund treffe ich zur Mittagspause auf einer Bank an der Elbe (wir halten mindestens 2 Meter Abstand, und es fühlt sich skurril an), ich skype-meete mehr als gewöhnlich, und ja, ich habe mich den jetzigen Gegebenheiten angepasst. Die Sonne scheint, und das bereits seit zwei Wochen, es ist das perfekte Wetter, um ins Aussenbecken des öffentlichen Bades…lassen wir das.

„Mein“ kleines Krankenhaus hat meinen Vor/Nachsorgetermin bereits zweimal verschoben, langsam müsste ich postalisch ein Tamoxifen-Rezept anfordern.

Mein Tag ist strukturiert, und das ist wichtig. Ich komme um Punkt 8:00h in meinem Home Office (ab 16.30h ist es wieder die Küche) an, angezogen und gekämmt, nachdem ich draussen eine Runde um den Block (statt zur Bushaltestelle) gegangen bin.
Mittlerweile ist der Gang zum Drogeriemarkt und zum Bioladen zum Tageshighlight mutiert, die Freude, dass eine Eisdiele und ein Blumenladen geöffnet haben, ist riesig.
Ich koche und backe vor mich hin (wenn das Home Office um 16.30h geschlossen hat), statt des freitäglichen Schokoriegels genehmige ich mir eine kleine Ausnahme pro Tag, ich muss mich schliesslich bei Laune halten.

Und doch weiß ich, dass das hier Jammern auf sehr hohem Niveau ist. Ich habe schliesslich ein Dach über dem Kopf, ich kann von zuhause arbeiten, ich kann mir laufend die Hände waschen, ich kann Abstand zu meinen Mitmenschen halten, und in meinen Hafen zum Taiji-Üben darf ich auch gehen. Und der Hafen, der ist schön. Und gehört mir ganz allein. Ich kann von hier aus sogar zur Praxis meines Zahnarztes gucken.

29.02.2020

Better safe than sorry.

Ich stehe im Drogeriemarkt meines Vertrauens, und obwohl es noch am frühen Vormittag ist, sind die Regale, in denen sonst Seifen und Desinfektionsmittel stehen, leergefegt. Eigentlich wollte ich nur ein kleines Fläschchen Desinfektionsgel für die Hände kaufen, die Sorte, die ich grundsätzlich immer auf dem Schreibtisch im Büro und in meiner Handtasche habe, aber nun nehme ich eines der letzten Seifenstückchen, das von den Hamsterern zurückgelassen wurde.

Ausserdem nehme ich zwei Gläser Bio-Kürbissuppe mit. Die standen zwar nicht auf meiner Einkaufsliste, aber ich habe erstmals beschlossen, einen kleinen Not-Vorrat anzulegen.
Das fällt mir schwer, da ich zuhause nur frische Lebensmittel und ein paar Haferflocken und Dinkelnudeln habe, aber ich halte es für durchaus sinnvoll, den Nudelvorrat etwas aufzustocken und um Spargel,- Wurzeln,- Erbsen,- Tomaten,- Mais,- Sauerkirschen,- Pfirsiche,- und Ananasdosen bzg. Gläser zu ergänzen.
Schon neulich, als ich mit Magen-Darm flachlag, ist mir aufgefallen, dass ich – bis auf ein paar Haferflocken und zwei Äpfel – nicht sehr viel zu essen zuhause hatte. Wobei ich da auch keinen Appetit und somit zwei Kilogramm an Gewicht verloren habe.

Ich habe mir die Notvorratsliste, die von der Bundesregierung herausgegeben wurde, angeschaut. Natürlich lege ich weder Milch- noch Fleischvorräte an, und erst recht kaufe ich mir keinen Campingkocher. Man muss die Kirche im Dorf lassen.
Trotzdem ordere ich online einen kleinen Vorrat, den ich im Keller im roten Koffer lagern werde. Das Brot werde ich natürlich in den Gefrierschrank tun, aber alles andere wird in den Keller wandern, und das aus gutem Grund: sobald ich etwas „aussergewöhnliches“ zu essen in der Wohnung habe, esse ich es auf. Sofort. Und Obst und Gemüse in Gläsern würden dazugehören, da bin ich mir sicher. Ich kenne mich.

Beim Schwimmen im Aussenbecken des öffentlichen Bades treffe ich auf G., meine 80jährige Schwimmfreundin. Sie freut sich, mich zu sehen, aber, „umarmen können wir uns jetzt nicht“, sagt sie, „Corona….„. Ich stimme ihr zu, auch ich gebe niemandem mehr die Hand und wasche die meinigen umso häufiger. Da wir zu der Zielgruppe, die es schwerer treffen könnte (alt beziehungsweise immunschwach), gehören, muss man ja auch kein unnötiges Risiko eingehen. Aufmerksam agieren ist meine Devise, aber auch nicht unnötig in Panik verfallen. G. sieht das genauso; wir werden weiter ins Schwimmbad, das auffällig leer ist, gehen.

Auf Statistiken gebe ich nichts: 0,1% bis 0,2% der Grippeerkrankten sterben, 2,8% sind es derzeit bei den Coronafällen. Das klingt zwar nicht so hoch, aber ich bin auch diejenige, die zu den 8% an Bord eines Expeditionsschiffes gehört, die die stürmische Drakepassage ohne Seekrankheit übersteht. Und ich gehöre zu den 0,0…% (?) derjenigen, die an einem beidseitigen Brustkrebs, dem kein BRCA1/BRCA2-Defekt zugrunde liegt, erkrankt ist. Und einen so seltenen Gendefekt hat, der noch nicht einmal erforscht ist.

Man kann sich einerseits über die Panikmache in den Medien ärgern, die jeden Menschen, der hustet, als Eilmeldung publizieren, auf der anderen Seite über diejenigen, die sich über die Situation lustig machen (solange es einen nicht selbst trifft…) und auch über diejenigen, die tatsächlich sämtliche Vorräte aufkaufen, als gäbe es kein Morgen mehr. Zumindest kein Morgen, an dem Geschäfte geöffnet haben.
„Haben sie morgen auch nicht“, rufe ich mir zu, „morgen ist ja Sonntag!“ Nun gut, das meinte ich zwar nicht, aber ich meine, man müsse schon aufmerksam und etwas umsichtiger sein, wenn man in die Kategorie „alt und/oder immunschwach“ gehört. Ich krame mein Desinfektionsmittel, das ich schon seit dem Everest mit durch die Weltgeschichte trage, aus dem Badezimmerschrank hervor und reinige die Türklinken. Better safe than sorry.

10.02.2020

Weiterpacken.

Kamillentee, Klopapier, Desinfektionsmittel, Kohle-Kompretten, Trockenhefe, Verbandszeug, Elektrolyte, Haferflocken, Gemüsebrühe, Nüsse, Wanderstiefel, Mütze, Handschuhe, Sonnenbrille…

Du hast sie doch nicht mehr alle, sage ich.

Aber ich liebe Abenteuer!, antworte ich mir.

Noch etwas gebeutelt von Magen-Darm und einem Sturz bei Nacht, in der ich ohnmächtig in der Küche zusammengesackt und mit dem Kinn auf die Arbeitsplatte geknallt bin (und dabei auch noch meine Hand mit Teewasser verbrannt habe), fange ich an zu packen.

Deja vu: genauso sah es aus, als ich auf dem Weg zum Basecamp des Everest war; nun geht es in die Sahara.

Einfach mal so einen Strandurlaub…mit Buch…Cocktail…

ich winke ab. Ich möchte durch Oasen mit Palmen spazieren, wie Laurence von Arabien durch die Todraschlucht wandern, übers Atlasgebirge und zum Dadesfluss fahren…na dann – dann pack weiter.

27.01.2020

Weiter leben.

Wir lachen. Das habe sie in der Tat auch schon überlegt, ob sie an den Stadtrand ziehen sollte, antwortet die Humangenetikerin, als ich die Feinstaubproblematik in der Hamburger Innenstadt anspreche. Feinstaub ist ein Krebsrisiko. Genauso wie mangelnde Bewegung, Übergewicht und ungesunde Ernährung. Unser Lebensstil und Umwelteinflüsse hängen damit zusammen, ob bzw. auch wann man an Krebs erkrankt.
Sie habe schon mal drei Generationen mit demselben Gendefekt vor sich gehabt: die Großmutter sei mit 70 Jahren an Krebs erkrankt, die Mutter mit 50 Jahren, die Tochter mit 30 Jahren. Warum bricht also die Krankheit bei dem einen früher und bei dem anderen später aus?

Ich beuge Risiken, (wieder) an Krebs zu erkranken, konsequent vor, soweit es sich von meiner Seite machen lässt. Gesunde Ernährung, regelmässiger Sport, Stressreduzierung, Vor- und Nachsorgeuntersuchungen der Organe, die von einem NTHL1-Defekt betroffen sein können….aber ein Restrisiko, das ich Schicksal nenne, bleibt immer bestehen.

Die Forschungsergebnisse aus 2019, die ich im Internet zu meinem seltenen Gendefekt gefunden habe, habe ich mitgebracht, genauso wie diverse Arztbriefe. Auch die Humangenetikerin hat überprüft, ob es zu meiner speziellen Form des Gendefektes neue Erkenntnisse gibt, aber dem ist nicht so. Weitere Checks auf Basis der Forschungsergebnisse könne man machen, müsste ich aber im Moment selbst finanzieren, da Krankenkassen diese Kosten nur alle vier Jahre übernehmen. Und es kann sehr gut sein, dass auch nach dem Check keine neuen Erkenntnisse vorliegen.

Fazit des interessanten Gespräches und der für mich auch etwas komplizierten Materie: Einem beidseitigen Brustkrebs liegt wahrscheinlich ein Gendefekt zugrunde. In meinem Fall bedeutet es zum jetzigen Zeitpunkt: weiterleben wie gehabt. Regelmässig zu sämtlichen Vor- und Nachsorgeuntersuchungen gehen, weiter meinem gesunden Lebensstil folgen und im Juli 2021 zu weiteren Tests antreten. Wer weiss, wie weit bis dahin die Forschung gekommen ist. Und wer weiß, was ich bis dahin noch alles erlebt habe.

24.01.2020

Krank oder alt?

Ist man eigentlich alt, wenn man für fast Euro 100,- in der Apotheke einkaufen geht? Oder krank? Krank fühle ich mich nicht. Alt aber auch nicht.

Die Apothekerin ist friedfertig und trägt sämtliche Sonnencremes zusammen, die sich in der Apotheke finden lassen, während ich mit meiner App einen Barcode nach dem nächsten scanne, um die Inhaltsstoffe der Produkte zu überprüfen. Das habe ich neulich schon in der Drogerie getan, allerdings erfolglos: ich will eine Sonnencreme ohne Mineralöl und ohne Plastikpartikel. Und Lichtschutzfaktor 50+ soll sie ausserdem haben. Und geschmeidig muss sie sein.
Aber heute kann ich das Projekt „Reiseapotheke Sahara“ erfolgreich abschliessen.

Ein Tamoxifen-Rezept habe ich auch noch in der Tasche, das ich vorhin auf dem Weg zum Schwimmen noch schnell aus meinem kleinen Krankenhaus geholt habe. Hätte ich auch am Mittwoch machen können, denke ich. Da stand ich schliesslich schon mal vor meinem Krankenhaus, da ich zum vierten Meeting mit der Stiftung verabredet war, der ich ehrenamtliche Unterstützung angeboten hatte.

Diesmal werden wir konkret, und damit werde ich mich am Wochenende mit dem ersten Projekt auseinandersetzen.
Warum ich das mache? Aus Dankbarkeit – schliesslich hat man mir dort das Leben gerettet – da möchte ich gern etwas zurückgeben. Ausserdem bringt es mir Spass, etwas Sinnvolles zu machen, was anderen helfen kann.

01.01.2020

Das weiße Buch.

Ich muss lachen.
„Das Jahr war anders als erwartet. Dafür lustigerweise viel umgesetzt“.
Das ist ein Zusatzvermerk, den ich am 31.12. 2017 zu meinen Jahres-Vorsätzen 2017 in das kleine weiße Büchlein nachgetragen hatte.

Es ist das Jahr, in dem ich mir – unter anderem – folgendes vorgenommen hatte:
– innere und äussere Balance halten / herstellen (Taiji/Meditation)
– reisen
– bewusst schauen
– draussen sein
– innehalten
– mehr Obst und Gemüse essen
– lachen
– niente paura (keine Angst)

Und dann kam im Februar 2017 der Krebs.

Interessanterweise passen die Vorsätze wunderbar zu jemanden, der eine Krebsdiagnose erhält, auch wenn ich das in dem Moment, in dem ich die Vorsätze verfasst habe, nicht ahnen konnte.

Meistens lernt man es nur auf die harte Tour, dass eine gute Gesundheit nichts selbstverständliches ist, sondern ein wertvolles Gut, das höchste Achtung und Wertschätzung erfahren sollte, und welches durch eine gesunde Lebensweise unterstützt werden muss.

Das kleine weiße Buch hole ich nur einmal im Jahr hervor, und zwar am 31.12. des Jahres. In ihm vermerke ich akkurat, was ich im Folgejahr umsetzen möchte – und hake natürlich ab, was ich im vergangenen Jahr von all meinen Vorsätzen angegangen bin.

Da ich recht diszipliniert bin, kann ich immer fast alles abhaken. Das, wo nur ich selbst gefragt bin, ist häufig mit einem Häkchen versehen, das, wo andere Menschen involviert sind, nicht ganz so häufig.

Gestern habe ich das Büchlein wieder aufgeschlagen und habe die Häkchen für 2019 gesetzt. Und meine Liste für 2020 angelegt. Es wird ein gutes Jahr, dessen bin ich mir sicher.

Mein 2020 beginnt heute Morgen dort, wo es 2019 geendet hat: im Aussenbecken des öffentlichen Bades.  Ich schwimme meine 40 Bahnen, umgeben vom aufsteigenden Dampf, denn es ist kalt, die Sonne blinzelt auf die türkisfarbene Bande, die sich im türkisen Wasser widerspiegelt, das jetzt doppelt-türkis erscheint. Ein Rabe kräht. Ich freue mich, denn es ist der erste Besuch im Bad von vielen weiteren, und einen Haken, den werde ich am Ende des Jahres auch wieder setzen können.

03.12.2019

Im Krankenhaus.

Eine große Tasche hätte ich ja dabei, stellt Dr. Z. im fünften Stock ‚meines‘ Krankenhauses fest. Das stimmt, antworte ich auf dem Weg in ihr Zimmer, denn nach der Nachsorge ginge ich zum Schwimmen. Prof. Dr. M., mein Lebensretter, kommt uns im OP-Outfit entgegen, wir lachen uns zu.

Dr. Z. erinnert sich nun wieder, dass ich ja immer zum Schwimmen gehe, dass wir uns zuletzt auf dem Mutmach-Abend der Stiftung des Krankenhauses gesehen haben und das die Ergebnisse der Mammographie und des Ultraschalls Ende August gut waren.

Ich spreche meinen Gendefekt an und erläutere die niederländischen Forschungsergebnisse aus dem Jahr 2019. Panisch bin ich nicht, aber zur Seite wischen tu‘ ich das Thema auch nicht. Ende Januar wüsste ich mehr, da hätte ich meinen Folgetermin bei den Humangenetikern. Ich gehe nicht vom worst case (diverse Körperteile prophylaktisch entfernen lassen) aus, sondern vom good case (engmaschigere Vor-/Nachsorgeuntersuchungen). Sie sieht das genauso.

Während ich mich entkleide, sprechen wir über meine Reisepläne des kommenden Jahres. Es fühle sich alles gut an, es sei nichts Auffälliges auszumachen, sagt sie dann. Wir wünschen uns ein frohes Weihnachtsfest, im März werden wir uns wiedersehen.

Ich laufe die Stufen hinunter, laufe über den Vorplatz, laufe zum öffentlichen Bad, in dem es heute nicht nur zum Schwimmen, sondern auch mit einer Freundin in die Sole gehen wird, aber erst schwimme ich draußen, der Dampf steigt auf, die Luft ist kühl, und wieder bin ich so dankbar dafür, dass ich hier sein darf, dass ich gesund bin, dass ich bin.

Hyazinth, der kleine Spanier, lacht mich an, ob ich die Lichterketten schon an der Bande gesehen hätte, wie schön mögen sie wohl im Dunkeln leuchten. Ich bestätige, dass sie wirklich schön leuchten, denn letzte Woche sei ich abends nach der Arbeit geschwommen, nun ist es noch zu hell, nun erfreuen wir uns an dem aufsteigenden Dampf und dem blaublitzenden Wasser.

Zur Feier des Tages gönne ich mir einen Cäsarsalat und einen Smoothie in der Sole, lese etwas und freue mich, als meine Freundin um die Ecke kommt. Wir dümpeln in der Sole herum, gehen in die Himalaya-Salz-Sauna, trinken Kaffee, essen Eis, schwimmen noch etwas draußen im Aussenbecken des öffentlichen Bades, wir bleiben bis abends, bis es dunkel wird und bis die Lichterketten leuchten.

2 Jahre, 8 Monate und 11 Tage krebsfrei.

30.11.2019

Unterwegs.

Am Freitag mache ich G., meiner 80-jährigen Schwimmfreundin, Mut, da sie Schmerzen im Knie und Krämpfe im Bein hat und Angst bekommt, dass sie bald keinen Sport mehr machen kann.

Am Freitag mache ich einem Kollegen Mut, der in meinem Büro zu weinen anfängt, als er mir erzählt, dass seine Frau Brustkrebs hat. Sie habe doch schon Leukämie gehabt. Fair sei das nicht. Ich oute mich und biete an, dass, wenn sie sich austauschen möchte, mich jederzeit kontaktieren kann.

Das Leben ist fragil. Das Leben ist zu schade, um es im Bett zu verplempern. Also mache ich mich am Samstag in aller Frühe auf den Weg nach Sylt. Auf dem Bahnhof gönne ich mir einen Kaffee mit „richtiger“ Milch und ein Croissant. Für die Reise habe ich ich noch Wurzeln, Pflaumen, Gurkenscheiben, Bananen, ein Vollkornbrötchen, Nüsse und Wasser mit frischer Zitrone dabei.

Der Zug fährt los. Ich sehe die Sonne über den Wiesen aufgehen. Ich sehe den Nebel aus den Weiden emporsteigen. Ich sehe den Raureif, der auf den Feldern liegt. Ich sehe einen Regenbogen. Die Ausbeute an wunderschönen Eindrücken ist groß, dabei ist es noch nicht mal 9.00h!

Mein Zimmer ist noch nicht bezugsfertig, also mache ich mich auf den Weg in die Friedrichstraße. Neben der Vorderreihe in Travemünde ist sie meine Lieblingseinkaufsstraße. Es dauert keine Stunde, und ich habe die ersten 100 Euro vershoppt (Klobürste, Abwaschbürste, Weihnachskarten, Kalendarium 2020, Postkarten, kleine Weihnachtsgeschenke, ein Pfund Kaffee – kriegt man ja alles nicht in Hamburg 🤨). Aus Selbstschutz gehe ich zurück ins Hotel, setze mich ins Foyer und schreibe die ersten Karten.

Später mache ich einen langen Spaziergang am Strand entlang, gönne mir noch einen Kaffee (und eine frische Waffel), dann gehe ich schwimmen. Abends ein Salat und ein weiterer Spaziergang.

Es ist dunkel am Strand, die Luft ist klar. Vor mir krachen die Wellen an Land, über mir glitzern die Sterne. Ich gehe weiter und weiter, niemand ist hier unterwegs, nur ich und die Wellen und die Sterne. Gut, denke ich. Dann gehört mir die klare Luft hier ganz allein.

27.11.2019

Nachruf.

Liebe Metahasenbändigerin, liebe Onkobitch, liebe Kathrin,

„Ich verliere alles was ich habe, und alle anderen nur mich. Mein Verlust hat keine Grenzen, denn alles bleibt, nur ich nicht.“

Ein sehr berührender post, der letzte, den Du auf Deinem blog verfassen konntest, irgendwo zwischen Palliativstation und Hospiz.

Seit 2,5 Jahren folgen wir unseren blogs, Du warst eine meiner ersten follower und Kontakte, die sich mit Brustkrebs auseinandergesetzt hat. Nicht nur Deine Texte haben mich inspiriert und zum Lächeln gebracht; Du hast die große Gabe besessen, Deine Gefühle und Gedanken in wunderbaren Comics auszudrücken. Todd (der Tod), Fati (die Fatigue) und die Metahasen (Metastasen) wurden durch Dich greifbar. Manchmal sogar sympathisch. Als letzte Figur kam die Angst dazu. Die Dir die Luft zum Atmen nahm, die nachts auf Deinem Bett saß und sich nicht abschütteln ließ.

Du hast Dich bei mir bedankt, dass Du „ein bisschen“ mit in die Arktis reisen konntest. Ich bin gestern in Gedanken mit Dir im Wünschewagen nach Usedom gefahren und habe Dir so sehr gewünscht, dass Du einen schönen Abschluss findest.

Sterben wolltest Du mit einem Lächeln auf den Lippen. Ich hoffe, das ist Dir gelungen.

Ich hätte mir ein anderes Ende gewünscht. Eines, an dem Du nicht alles verlierst. Eines, in dem Dein Comic damit endet, dass Todd und Fati in die Wüste und die Metahasen in die Hölle geschickt werden. Weil man sie besiegen kann. Weil man den Krebs besiegen kann. Leider ist es noch nicht soweit. Und leider musstest Du nun viel zu früh gehen.

Ich hoffe, dass Du dort, wo Du jetzt bist, keine Schmerzen mehr hast. Und fröhlich mit den Schmetterlingen tanzt.

Danke Dir von Herzen für die vielen Bilder, an denen Du uns hast teilhaben lassen. Ich werde Dich vermissen.

Brustkrebs ist nicht pink.
Brustkrebs glitzert nicht.
Brustkrebs kann man nicht wegschminken.
Brustkrebs ist schwarz.
Brustkrebs ist düster.
Brustkrebs ist tödlich. Immer noch.

Illustration: (c) KL/Metahasenbändigerin

24.11.2019

Zuhause. Und unterwegs.

Sonntag morgen, 8.30h. Ich sitze in der Küche, in der rechten Hand die Tasse Kaffee, mit der linken tippe ich auf dem Laptop herum und buche Flüge nach Georgien. Reiseplanung gehört zu meinen Lieblingsbeschäftigungen und steigert die ohnehin schon gute Laune ungemein. Ich informiere Team Naugthy – meine Freunde aus der Arktis – dass ich mit A. aus der Schweiz unsere Flüge am Buchen bin, ab München werden wir zusammen nach Tiflis weiterfliegen, G., der uns nach Georgien eingeladen hat, lässt wissen, dass er einen Wagen zum Flughafen schicken und in die Detailplanung gehen wird. Damit steht eines meiner Highlights für 2020!

Danach geht es zum Schwimmen. Da keine bekannten Gesichter im Aussenbecken auszumachen sind, habe ich Zeit, die nächsten 1.000 Meter nachzudenken. Über meine momentan extrem gute Laune (wenn man mal vom Zirkus bei der Arbeit absieht). Ich habe Bedenken, dass der Fall umso tiefer sein könnte, wenn es mir so (zu?) gut geht. Das habe ich bei einigen beobachtet, denen es nach einer schlechten Phase erst wieder besser ging, bevor der Feind kurze Zeit später ein letztes Mal zuschlug.
Jetzt bin ich allerdings gesund und vom Sterben weit entfernt (sollte ich nicht morgen zufällig vor ein Auto laufen), doch lässt es mich innehalten.
Wie geht es Dir?, frage ich mich und schaue mich an. Gut geht es mir, antworte ich, das Leben wird gelebt, die Reisen gereist, die Bahnen geschwommen, das Lachen gelacht, was genau ist das Problem?

Die gecrashte Bandscheibe, die im Winter wieder schmerzt (und dieser Umstand mit einem warmen Leibchen behoben werden kann)?
Die Müdigkeit und Unkonzentriertheit, die ich treffsicher auf einen Vitamin-B-Mangel zurückgeführt habe und denen mit Mikronährstoffen zu Leibe gerückt bin?
Hab ich im Griff, sage ich zu meinem Hausarzt, bei dem ich wegen Impfungen vorspreche und der den B-Mangel glatt übersehen hat, was mich nicht so sehr stört, da ich meine Blutwerte immer ausdrucken lasse, um sie selbst zu überprüfen. Auch seine Praxiskollegin, bei der ich zur Schilddrüsensonografie war, hat den B-Mangel im Computer entdeckt, alles im Griff, preventive action läuft.
Der seltene Gendefekt meines NTHL1-Gens, zu dem es erstmals in 2019 Forschungsergebnisse gibt und der tatsächlich für ein erhöhtes Risiko für Brustkrebs, Darmkrebs, Eierstockkrebs, Schilddrüsenkrebs, Hautkrebs und Hirntumor bei einer Generation verantwortlich ist? Weil das NTHL1-Gen, das für die Fehlerfindung auf der DNA zuständig ist, keine Fehler finden kann, wenn es defekt ist und somit Krebszellen ignoriert?
Damit habe ich den unsicheren Faktor in meinem Leben gefunden. Ich bleibe pragmatisch; Ende Januar haben ich einen Termin beim Humangenetiker, im worst case werden sie vorschlagen, zehn Körperteile zu entfernen (was ich aber nicht glaube), im good case werden sie sagen, dass ich feinmaschiger als bisher zu Vor- und Nachsorgeuntersuchungen anzutreten habe. Mit dem good case kann ich leben.

Ich schwimme auf dem Rücken und gucke in den grauen Himmel. Von den bunten Bäumen sind nur noch Skelette übrig, die dunkel und kahl über das Aussenbecken ragen. Ein Schwarm Vögel zieht vorbei. Wie geht es Dir?, frage ich. Gut geht es mir. Mir geht es gut.  

Der Fitness-Rückblick der Woche:
Mo: Stretching ✔️
Di: Meditation-Class ✔️
Mi: Schwimmen ✔️
Do: Gym ✔️
Fr: Schwimmen ✔️
So: Schwimmen ✔️

…und am Samstag im Kino grünen Tee, Gemüsesticks, Trauben und Käse bestellt statt Prosecco und Popcorn. (note to myself: freiwillig!)

02.11.2019

Unterwegs.

Und was passiert, wenn ich auf den letzten Button dieser app clicke?
„Die Bestellung wurde abgeholt“, sagt die app.
Ich verdamme meine Neugier, die Bestellung habe ich natürlich noch nicht abgeholt, ich sitze ja in der Küche und versuche, die app zu durchschauen.
Ich ziehe die Jacke über, nehme den Einkaufskorb und laufe los zur Cafe-Bäckerei, bei der ich jetzt schon angeblich die Ware abgeholt habe.
Trotz des Malheurs gefällt mir die app – es geht darum, Lebensmittelverschwendung vorzubeugen; hier stellen Cafés, Bäcker, Geschäfte und Restaurants Lebensmittel ein, die sie nicht mehr an diesem Tag loswerden, und das zu einem Schnäppchenpreis.
Ich investiere Euro 3,80 und bin gespannt, was ich bekommen werde. Leicht wird das nicht, da ich ja (eigentlich) einen hohen Anspruch an meine Ernährung habe.
Das Tresenteam schaut mich interessiert an, als ich erkläre, dass ich meine Bestellung jetzt abholen komme, obwohl sie wohl die Info hätten, dass ich schon da gewesen sei. Sie bleiben gelassen, statt einer Überraschungstüte darf ich mir aussuchen, was ich mitnehmen möchte. Das gefällt mir gut, ich zeige auf ein Stück Käsekuchen (Sünde 1), man gibt noch zwei Muffins dazu (Sünde 2+3), ich möchte ein Brot mit Streichkäse, Wurzeln und Gurke, man gibt mir noch zwei riesige vegetarische Burger mit Gemüse dazu.
Da ich schon mal in der Gegend bin, geht es weiter zum Bioladen.

Ausserdem war ich heute nach der Arbeit schwimmen.
Kalt ist es, Dunst steigt auf und lässt das Aussenbecken des öffentlichen Bades mystisch wirken. Nur zwei weitere Schwimmer drehen ihre Runden, C., meine Schwimmfreundin,  habe ich bereits in der Kabine getroffen, sie war sehr früh dran, ich sehr spät, da ich noch in dem Laden für Mikronährstoffe meine Vorräte an B12 und D3 aufgefrischt habe.

Überhaupt ist die Fitnesswoche durcheinander geraten.
Stattdessen gab es Zahn- und Augenarzttermine, am Feiertag lag ich kränkelnd danieder, und am Dienstag war der Mutmachabend der Stiftung ‚meines‘ Krankenhauses.
Das war doch sicher traurig, sagt meine Mutter am Telefon.
Ich verneine.
Im Gegenteil; das zahlreich erschienene Publikum hatte sogar etwas zu lachen.
Weder das Taschentuch, das ich vorsichtshalber in die Hosentasche gesteckt hatte – ich war mir nicht sicher, wie ich auf der Bühne mit der Konfrontation Brustkrebs reagiere – habe ich gebraucht, genauso wenig wie die Karteikarten, die ich dabei hatte, sollte mir nichts einfallen. Mir fällt viel ein, ich hätte noch locker zwei Stunden über die verschiedenen Aspekte zum Thema Brustkrebs sprechen können.

Ein weiteres Highlight der Woche ist das email meiner Arktis-Kabinengenossin D. aus North Carolina. Die 76-Jährige hat ihre nächste Expedition in die Kälte geplant und fragt, ob ich nicht wieder mitkommen möchte. Ausserdem fliege sie nächstes Jahr nach London und checke schon Flugverbindungen nach Georgien, wo wir uns doch alle wiedersehen wollen.
Trotz ihrer Versprechungen „…I will bring my sleep machine so I will not snore!!! I certainly feel better using it instead of the glorious mouth piece! I will unpack immediately upon arrival!!“ werde ich nächstes Jahr nicht wieder in die Arktis fahren – ich plane im Frühjahr eine ganz andere Exkursion mit A. aus Österreich, die ich in Israel kennen gelernt habe.

Und wieder einmal stelle ich fest, dass das Leben so viele wunderschöne Momente bereithält.

Fotovermerk: Hamburg Photography

Blumen statt Tränen 😍

#nofoodwaste

D. und ich auf unserer Arktis-Expedition

26.10.2019

Unterwegs.

Highlight der Woche:
Einladung von G. aus Georgien an Team Naughty (unser Arktis-Dream-Team), ihn in  2020 für eine Woche in Georgien zu besuchen. Wir müssten uns nur auf ein Datum einigen und die Flüge zahlen. Team Naugthy ist hellauf begeistert, wir möchten so gern nach Georgien und uns wiedersehen, die Bilder, die G. uns geschickt hat, sehen wunderbar aus, mal schauen, ob wir es schaffen, die Team Naughty-Mitglieder aus den USA, UK, der Schweiz und Deutschland zusammen unter einen Hut und zu G. nach Georgien zu bekommen.

Fail der Woche:
Ich wusste, dass ich niemanden auf D.’s Geburtstag kennen würde. Auf dem Weg zum Restaurant, in dem wir unser Essen selbst kochen werden, verlaufe ich mich auf dem unübersichtlichen Areal. Aber ich bin ja plietsch und folge einfach einigen Herrschaften, die mit Geschenken bewaffnet auf das Restaurant zusteuern. Ich lasse mir die Garderobe zeigen, plaudere ein wenig und möchte mein Geschenk auf den Gabentisch legen.

Das ist doch hier der Geburtstag von D.?, frage ich den netten Herrn neben mir. 
Das hier ist die Hochzeitsfeier von S. und G.,
 antwortet er.
Huch!
Ich nehme mein Geschenk und suche die nächste mir (noch) unbekannte Gesellschaft.

Hier wird gekocht. Im Team „Vorspeise“ schwitze ich Unmengen von Gemüse an. Gemüse kann ich. Es ist ein wunderbarer Abend, auch auf dieser Feier lerne ich sehr nette Menschen kennen. Und wenn dem nicht so gewesen wäre….hätte ich ja zur mir schon bekannten Hochzeitsrunde zurückgehen können…

Die Woche an sich:
Die Woche war anstrengend. Anstrengend bei der Arbeit, dazu noch viele kleine Dinge zwischen Büro und dem Sport erledigt (Rezept aus meinem kleinen Krankenhaus holen, Wochenmarkteinkäufe am Freitag einbauen, Umorganisation sämtlicher Sportaktivititäten, weitere Termine abmachen, mein Rezept zur Apotheke bringen, Schuhe kaufen).

Ausserdem führe ich ein langes Telefonat mit der Moderatorin für den anstehenden Mutmachabend am 29.10. zum Thema Brustkrebs, den die Stiftung meines kleinen Krankenhauses organisiert.
„Aktiv leben“ und „Halt finden – Halt schenken“; zu diesen tollen Themen darf ich als Talkgast auf der Bühne meine Erfahrungen vor einem größeren Publikum teilen. Ich bin gespannt.

Am Samstag bin ich dann endgültig k.o. und beschließe, den Tag einfach im Bett zu bleiben, rumzutrödeln, einige Stunden Shopping Queen zu schauen, nur zur Apotheke muss ich schnell rüberlaufen, um meine bestellten Tabletten abzuholen.
G., meine Schwimmfreundin, ruft an, sie habe mich am Freitag vermisst und möchte wissen, ob ich krank sei und etwas bräuchte. Das ist sehr lieb von ihr. Ich gebe Entwarnung und verspreche, dass ich nächsten Freitag wieder am Start bin.
Weiter rumtrödeln, etwas zum Abendessen kochen, die Schwimmtasche für Sonntag packen und ab in die Badewanne.

Ausserdem muss ich noch überlegen, was ich am Dienstag Abend anziehen möchte – vielleicht probiere ich gleich einige Kombinationen durch, bevor ich am Dienstag in Panik verfalle. (note to myself: der neue dicke schicke Strickpullover fällt aus, abends ist die Zeit der Hitzewallungen, und Bühnenbeleuchtung macht das auch nicht besser.)

Der Fitness-Wochenrückblick:
Montag: Taiji auf dem Dach ✔️
Dienstag: Meditation-Class ✔️
Mittwoch: Gym ✔️
Donnerstag: Schwimmen ✔️
Sonntag: Schwimmen ✔️

03.10.2019

Israel-Westjordanland

Was macht Mut?

Über diese Frage werde ich die nächsten Tage genauer nachdenken.
Was macht mir Mut?
Wie mache ich Anderen Mut?

Der Oktober ist offiziell Brustkrebs-Monat.

Am Dienstag, den 29.10.2019 um 19.30h, findet in Hamburg im Hotel Gastwerk eine Veranstaltung statt, die von der Stiftung Mammazentrum Hamburg organisiert wird.
Thema: Aufklärung und Mut machen!
Bei der moderierten Veranstaltung werden Ärzte „meines“ Krankenhauses zu Wort kommen, genauso wie Betroffene. Eine davon bin ich. Deshalb mache ich mir schon mal etwas Gedanken zum Thema Mut. Und freue mich auf einen spannenden Abend.

Das Programm wird künstlerisch unter anderem von der Schirmherrin der Stiftung, der Schauspielerin Barbara Auer, begleitet.

Interessierte können sich über die Stiftung Mammazentrum Hamburg per email anmelden. Wer also Interesse hat und in Hamburg ist….vielleicht sehen wir uns.

09.09.2019

Logbuch Arktis – Tag 4

Eine weitere stürmische Nacht liegt hinter uns. Wellen krachen ans Kabinenfenster, der Horizont lässt sich im Schwarz des Meeres und des Himmels nur erahnen. Die Sea Spirit ächzt und knarrt, während sie sich vorwärts kämpft.

Irgendwann liegt sie still. Die Ankerkette rasselt, ich schaue aus dem Fenster: kleine bunte Holzhütten verteilen sich in einer bergigen, schneebedeckten Landschaft. Ittoqqortoormiit ist die einzige Ortschaft, die wir auf dieser Reise sehen werden. 300 Einwohner gibt es hier, wir werden gebeten, im Supermarkt kein Obst und Gemüse zu kaufen. Es wird nur zweimal im Jahr angeliefert und ist rationiert. Also werfe ich nur einen kurzen Blick in den kleinen Laden, in dem es vorrangig Fleisch, Brot, Nudeln und etwas Kleidung zu kaufen gibt. In der Tiefkühltruhe liegen zwei Tüten mit Erbsen und Wurzeln. Frisches Obst und Gemüse gibt es nicht.

Das kleine Museum ist sehr schön, Postkarten gibt es im Touri-Centre (ein kleiner vertäfelter Raum), und wir schauen der Hundefütterung zu. D. hat eine zusätzliche Fahrt mit dem Zodiac genossen, da sie ihr Portemonnaie an Bord vergessen hat.

Am Nachmittag steht eine etwas beschwerlichere Wanderung auf die hügelige Umgebung von Hurry Inlet bei Nökkedal an, die ich ausfallen lasse: ich gehe ins Gym, und danach eröffne ich die Jakuzzi-Saison auf Deck 5. Während ich im warmen Wasser liege, blicke ich auf hellblaue Eisberge schneebedeckte Bergkuppen, dazwischen laufen kleine rote Punkte – meine Mitreisenden – herum. Ich geniesse den Moment, den ich hier ganz für mich alleine habe.

Der Kellner deutet nach rechts, als ich das Restaurant zum Dinner betrete. A. aus der Schweiz, J. aus Maine, G. aus Georgien und Jay aus Wales winken und zeigen auf den letzten leeren Platz. Jetzt ist die Runde perfekt, strahlt A. Sie hat recht: wir lachen und albern herum, amüsieren uns über die Chinesen, die sich heute zum Captains Empfang in oscarreife Abendroben geworfen haben und aufgeregt im Restaurant hin- und herlaufen.

Sally, die chinesische Travelagentin, trägt ein schwarzes langes Kleid mit einer goldbestickten Stola. Sie hat Geburtstag. Die philippinischen Kellner bringen eine Torte und singen zur Gitarre gleich mehrere Geburtstagslieder, wir klatschen mit. Sally ist sichtlich gerührt; mit einer Flasche Rotwein bewaffnet, kommt sie an unseren Tisch, sie möchte mit uns anstossen und schenkt ein, Lucky Sally sei ihr Name, sie habe heute nicht nur Geburtstag, auch Nordlichter würden wir heute Nacht sehen, ihr roter Lippenstift ist verwischt, sie schwankt, und sie ist glücklich. Das ist alles, was zählt.

Jay notiert sich unsere Kabinennummern, er wird klopfen, wenn er Nordlichter sieht. Noch ein Drink in der Bar, zu dem uns G. aus Georgien einlädt, dann gehe ich zu Bett.

In unserer Kabine breitet sich das Chaos aus: D. hat es immer noch nicht geschafft, so richtig auszupacken bzw. ihre Sachen wegzuräumen. Ich sehe das gelassen, mache mich bettfertig und schlafe ein.

Durchsage von der Brücke und zeitgleich ein lautes Klopfen an der Tür, Jay stürzt herein, Nordlichter über uns! D. will im Pyjama loslaufen, zieh eine Jacke über, wir haben Minusgrade an Deck, rufe ich ihr nach, ich ziehe an, was in greifbarer Nähe liegt. Auf Deck 5 laufen die Chinesen zwischen aufgebauten Stativen herum, unter den roten Arktis-Jacken schauen der rote Tüll und die grüne Spitze der Abendkleider hervor. Über uns am Himmel fangen die Nordlichter an zu tanzen, es schaut aus als spielten sie miteinander, es werden immer mehr. Lucky Sally kommt auf mich zu und strahlt, zeigt in den Himmel, fällt mir in die Arme, wieder und immer wieder, sie ist Lucky Sally, und heute ist sie richtig glücklich.

07.09.2019

Logbuch Arktis – Tag 2

In der Hotellobby treffe ich auf J., sie stammt aus Maine. Wir tauschen unsere Kabinennummern aus, auch sie hat als Solo-Traveller noch weitere Mitbewohnerinnen, die sie – genauso wie ich – noch nicht kennen gelernt hat. J. ist mir sympathisch, und ich bedauere es ein bisschen, dass wir nicht dieselbe Kabinennummer haben.

In Kabine 335 sind zwei Betten, eine Flasche Rot- und eine Flasche Weisswein mit vier Gläsern arrangiert – ein Upgrade, hatte ich doch eine Dreibett-Kabine gebucht. Eine Dame Mitte Siebzig tritt ein. Wache blaue Augen, weisse Haare, silberne Ohrringe, rundliche Figur. Willkommen, D. aus North Carolina! Einer ihrer Koffer fehle, stellt sie fest, und schon ist sie wieder verschwunden.

Später freuen wir uns, dass wir nicht nur jede eine Flasche Wein als Willkommensgruss bekommen haben, sondern auch freie Soft Drinks und alkoholische Getränke zum Lunch und Dinner geniessen dürfen. Das passe gut, sagt D., es gebe 19 Biersorten an Bord, die könne sie dann alle durchprobieren. Allerdings finde sie gerade ihren Zimmerschlüssel nicht. Ich helfe ihr beim Suchen.

Das Abendessen verpassen wir. Wir sitzen auf meinem Bett und schauen auf den Horizont. Wenn sie zurück nach Hause komme, gehe es erstmal zum Arzt, zum zweiten Mal habe sie Hautkrebs bekommen. Ich erzähle ihr vom Brustkrebs, auch D. hat ihre Ernährung umgestellt und reist jetzt durch die Welt.

Gerade kann sie aber ihr Ladekabel nicht finden. Ich helfe ihr beim Suchen.

In der Nacht wache ich auf. Es stürmt. Das Schiff scheint auf den Wellen zu schweben, bis es krachend wieder ins tosende Meer hinunterkippt, begleitet vom Stöhnen des Holzes und dem Klappern der vielen Fächer und Schubladen. Zum Glück haben wir unseren Wein sicher im Schrank verstaut.

20.08.2019

Im Krankenhaus.

Flashback, Dezember 2016.
Ich erstarre: es fühlt sich an, als ob mir jemand eine schwere Zementplatte auf den Oberkörper drückt. Ich kann nicht atmen. Panik steigt auf.
Ich bin allein auf dem Vaporetto in Venedig, irgendwo auf dem Canale Grande, irgendwann im Dezember. Es nieselt. Schlaganfall. Herzinfarkt. Ich hebe vorsichtig den Arm (funktioniert), versuche zu lächeln (funktioniert), spreche ein paar Worte (funktioniert). Soll ich sitzenbleiben? Soll ich aussteigen? Ich steige aus, ich muss mich bewegen, um die Panik in den Griff zu bekommen, ich laufe durch die engen Gassen, links und rechts ragen die Palazzi empor. Nach einer Weile wird es besser. Ich entspanne mich.
Zuhause stellt mein Hausarzt fest, dass die Blutwerte gut sind, das EKG und Belastungs-EKG unauffällig, der Blutdruck ebenso.
Noch später bin ich davon überzeugt, dass das der Moment war, in dem der Brustkrebs Einzug erhielt.

100 Euro möchte ich bitte in isländische Kronen tauschen, sage ich zum Bankangestellten. Während ich das sage, frage ich mich, was ich denn mache, wenn…
Morgen ist der jährliche Mammographie- und Ultraschalltermin in „meinem“ Krankenhaus. Sollte ich nicht besser abwarten, ob…
Nein, antworte ich mir. Was auch immer sein wird, ich fahre in die Arktis.
Der nette Mann am Schalter nimmt sich extra Zeit, erklärt mir die neuen und die alten Banknoten und woran ich diese erkennen würde, wir scherzen und lachen, während sich die bösen Blicke der Wartenden hinter mir in den Rücken bohren und ich mich frage, ob ich mit dem Geldtausch nicht doch besser abwarten sollte.
Nochmal nein.
Ich fahre in die Arktis.

Es ist ungewöhnlich, dass ich nervös werde, allerdings kann ich mir das Ziehen in der linken Brust nicht erklären, das immerhin drei Wochen anhielt, bevor es, genau wie sämtliche Rippenschmerzen, von allein wieder abklang.
Zerrungen vom Sport oder so, denke ich.
Deine Nervosität hat einen realen Hintergrund, erinnere ich mich.
Zur Vorsicht informiere ich ein paar Freunde, dass man mir am Dienstagmorgen bitte die Daumen drücken möge. Vier umgehende Zusagen, vier ist eine gute Zahl, wie ein Glückskleeblatt, das passt.

Alles unauffällig, keine Veränderungen, sagt die Radiologin. Sie untersucht extra vorsichtig, aber einen Grund für die Schmerzen gebe es hier nicht.

Das gute Ergebnis teile ich zwanzig Minuten später der Gynäkologin mit. Sie fragt nach, welcher Radiologe mich heute untersucht hätte, ruft dort an und lässt sich meine Auskunft bestätigen.
Note to myself: Du musst an Deinem Auftreten arbeiten. Wer Ringel-T-Shirt, Jeans und Turnschuhe trägt, scheint nicht glaubwürdig zu sein.
Note back to myself: Aber das Ringel-T-Shirt ist ganz neu. Das hast Du extra angezogen!
Wir plaudern noch etwas über die Arktis, verabschieden uns, ich trete wieder hinaus in die Sonne und atme tief durch. Ich bin dankbar, demütig und glücklich.

Auf ins öffentliche Bad!
Im Aussenbecken sind nur ein paar Damen-mit-Kopf-über-dem-Wasser-Schwimmer unterwegs. Ich unterhalte mich mit Hyazinth (der kleine Spanier scheint hier im Bad zu wohnen), dann gleite ich langsam der Sonne entgegen.

Heute zähle ich keine Bahnen. Heute schaue ich nicht auf die Uhr. Heute freue ich mich über die Sanftheit des Wassers, das mich umschliesst und über die kleinen silbrigen Wellen, die bei meinen Armbewegungen entstehen.
Von der Kampfschwimmerbahn spritzen Wassertropfen herüber, sie wirbeln durch die Luft, bevor sie sich auf unserer Seite mit dem hellblauen Nass vereinigen.

Ich ziehe meine Bahnen, blinzele ins Licht und denke: heute glitzert das Wasser besonders schön.

2 Jahre, 5 Monate, 1 Woche und 4 Tage krebsfrei.

16.08.2019

Unterwegs.

Da war ich noch gesund, denke ich, als die nächste Erinnerung bei Facebook aufploppt. Das denke ich immer, wenn die Fotos, die mir plötzlich angezeigt werden, älter als 2,5 Jahre sind. Du bist gesund, korrigiere ich mich (wenn man mal von dem defekten Gen, der wankelmütigen Schilddrüse, der tauben Wade und dem chronischen Husten absieht, was ich aber alles nicht als „krank“ bezeichne). Ich schaue mir die Erinnerungen besonders genau an; wie habe ich da ausgesehen, wie geschaut? Und stelle fest, dass ich jetzt besser aussehe und zufriedener dreinschaue. Das ist interessant. Und gut.

Da ich am Montag (keine Lust) und Dienstag (Unterricht fiel aus) mein Sportprogramm zuhause auf dem Dach absolviert habe, beschliesse ich, am Mittwoch zur Taiji-Class zu gehen. Der Mittwoch-Slot (ehemals Herzi-Programm) „verkommt“ immer mehr zum social-Slot, heute entscheide ich mich aber für das zweistündige Taiji-Programm.

In der alten Halle, die inmitten eines schönen Parks in Altona liegt, fällt mir auf, dass nur die  richtig guten Taiji’ler am Start sind. Schon das Aufwärmprogramm ist neu; unser Lehrer, der extrem kompetent und enthusiastisch ist, hat sich wieder etwas Neues für uns überlegt. Natürlich ist es anstrengend, natürlich bin ich nach fünf Minuten durchgeschwitzt, der Blick zur Seite bestätigt aber, dass es meinen Mitstreitern nicht anders geht. Die ersten klagen über Kreislaufprobleme, was mit einem „richtig atmen!“ kommentiert wird. Mitleid hat unser Lehrer nicht, da können H. und P. am Boden liegenbleiben.

Da wir die äussere Form ja alle können und wir hier nicht mehr Level 1 sind, möchte unser Lehrer in der nächsten Zeit den Fokus auf die innere Form legen. Die Stehende Säule wird in sechs Varianten aufgeteilt, nach denen mir die „normale“ Stehende Säule lächerlich unanstrengend erscheint. Weiter geht es mit Fang Song, und was bei unserem Lehrer so einfach erscheint, ist extrem ambitioniert.

Nach 90 Minuten der erlösende Aufruf, dass wir in die Form gehen. Ich freue mich. Unser Lehrer ergänzt: die 75er Form. Ich freue mich nicht mehr. Ich kann nur die 19er Form. Spätestens jetzt ist mir klar, warum beim Mittwoch-Unterricht nur die langjährigen Schüler angetreten sind; von der 19er über die 75er bis hin zur 38er und der Schwertform sind sie fit. Ich könne einfach kopieren, ruft mir mein Lehrer zu. Nach langer Zeit fühle mich wieder wie ein Anfänger. Trotzdem stapfe ich nach dem Unterricht glücklich nach Hause.

Das pink Deiner Badekappe beisst sich mit meinem knallig pink-roten Badeanzug, lache ich meiner Schwimmfreundin zu. G., die mich schon vermisst hatte, macht mir Komplimente zum neuen Outfit, wir schwimmen plaudernd nebeneinander her, dank des kühlen grauen Wetters ist es leer im Aussenbecken des öffentlichen Bades, einfach perfekt für uns.
Ihre Tochter fände sie albern, weil sie in ihrem Alter immer noch so großen Wert auf ihr Äußeres lege, sagt G. Ich finde das toll, antworte ich. Warum sollte man nicht auch mit 80 Jahren schick angezogen sein und auf seine Figur achten; das zeigt doch, dass man sich wertschätzt.
G. sieht das genauso so, sie erzählt von ihrem jungen und gutaussehenden Arzt, dem angeknacksten Fuss (der sie natürlich nicht vom Schwimmen abhält), der Fahrt nach Glückstadt und ihrem Blazer, der nicht mehr zugeht.

Am Freitag Mittag im Aussenbecken überkommt mich ein Urlaubsgefühl, obwohl ich bis vor einer halben Stunde im Büro mit Irland und Myanmar ge-skype-meetet und mit Zypern und Singapur telefoniert habe. Wie wunderbar ist es, plaudernd seine Bahnen zu ziehen und sich darüber zu freuen, einfach hier zu sein.

Fitnessprogramm der Woche:
Montag: Stretching ✔️
Dienstag: Taiji und Tubes ✔️
Mittwoch: Taiji-Class ✔️
Donnerstag: Gym ✔️
Freitag: Schwimmen ✔️
Samstag/Sonntag: natürlich etwas Taiji und/oder Schwimmen

a132322b-5754-499b-9ccd-40010959cdbf

12.08.2019

Unterwegs.

Ist es ein gutes oder ein schlechtes Zeichen, wenn der Arzt, den ich zwei Jahre zuvor für 10 Minuten bei einem Info-Gespräch gesehen habe, sagt, dass er sich an mich erinnere?

Ich erinnere ihn daran, dass ich ein defektes NTHL1-Gen habe und deshalb wieder zur Spiegelung kommen solle. Aber wir hätten ja damals nur zwei kleine Polypen enfernt, nix dramatisches. Nun interveniert er; das Gewebe müsse man beobachten, deshalb sässe ich wieder hier.

Wieder mal habe ich einen Arztbrief missverstanden; ich dachte, alles sei gut.

Mir wird Blut abgenommen, mit einem Termin und dem Konzentrat zum Einnehmen stehe ich wieder vor der Tür.

Jetzt bin ich aber schon etwas amüsiert: statt mir zwei Jahre trübe Gedanken wegen des defekten Gens zu machen, habe ich zwei fröhliche Jahre gelebt.

Ich sitze am Kanal, trinke einen grünen Tee und beschliesse, mir auch weiterhin keine Sorgen zu machen. Was kommt, wird kommen, was fernbleibt, bleibt fern. Es macht schlichtweg keinen Sinn, sich vorab unnütz zu sorgen.

Nächste Woche wieder Doppel-Nachsorge-Termin in „meinem“ Krankenhaus, Anfang September die Spiegelung, und dann geht’s in die Arktis. Das Leben ist schön. Alles andere akzeptiere ich sowieso nicht.

20.07.2019

Unterwegs.

Karl-Heinz?!? Kannst Du Würstchen und Kaffee holen, wir gehen schon mal an den Strand!

Sowas kann man sich nicht ausdenken, so ist das auf der Strandpromenade in Westerland. Wunderbar!

Bereits um kurz vor 11h kann ich in mein Zimmer, es ist sehr schön und unter dem Dach mit Blick auf die Friedrichstrasse, das Wlan erkennt meint Handy wieder, so ist das, wenn man nach Hause kommt. Jedenfalls fühlt es sich so an.

Trotz mehrmaliger Nachricht einer Bekannten, dass es auf Sylt regnen täte und alles etwas enttäuschend sei, lasse ich mir die Laune nicht vermiesen. Mit Nörglern und ewigen Zweiflern hab‘ ich es nicht so. Ausserdem zeigt die Wetter-App Sonnenschein an. Und selbst wenn dem nicht so wäre: ich mag jedes Wetter. Von Badeanzug bis Regenjacke habe ich alles im Gepäck.

Die Sonne scheint.

Ich packe den Koffer aus und finde in meinem Schuhbeutel Euro 50,-. Die habe ich ja mal gut versteckt, denke ich, und packe das Geld ins Portemonnaie, das Extra-Budget darf ausgegeben werden.

Der Entschluss ist gefasst: ich werde das verlängerte Wochenende in Westerland vertrödeln, zwischen Friedrichstrasse und Strand. Kein Stress. Kein Programm. Ich darf machen, was ich will. Als erstes will ich Frozen Joghurt mit Mangostücken, damit verziehe ich mich an den Strand. Ich wandere umher, suche mir ein nettes Plätzchen und packe mein Buch aus, das der Verlag gerade rechtzeitig zur Abreise zugesandt hat.

Lesend pendele ich zwischen Strand und meinen Lieblingsrestaurants, es gefällt mir ausserordentlich gut.

Nachts lasse ich das Fenster geöffnet; Lachen, Musik und Möwengeschrei dringen ins Zimmer, auch das mag ich, es ist lebendig, es klingt nach Süden.

Am nächsten Morgen habe ich um 10.15h bereits Nüsse, Wasser, Bananen, ein gelbes Tuch und eine gelbe Handtasche gekauft (note to myself: die gefundenen Euro 50,- hast Du jetzt bereits mehrmals ausgegeben). Die Handtasche und das Tuch kommen nächste Woche mit ins Konzert meiner Lieblingsband und passen perfekt zu Leos gelb-orange-gefärbten Haaren (note to myself: no further comments…Du Fangirl….note back to myself: Und? Ich kann machen, was ich will!).

Es ist windig, der Sand verfängt sich in den Haaren, klebt im Gesicht und an den Füssen, ich wechsele wieder in den Strandkorb meines Lieblingsrestaurants und esse zu Mittag. Danach ein Frozen Yoghurt mit frischen Erdbeeren, ein frischer Minztee, etwas Strand, etwas lesen und viel leben, das ist alles, was zählt, und zwar jetzt.

03.07.2019

Unterwegs.

Durch das weit geöffnete Fenster schaue ich in den Park.

Radfahrer sitzen im Gras, um sie herum liegen die Räder.

Kinder spielen Ball. Sie lachen.

Die Meditationsgruppe schweigt.

Ein Mädchen übt mit dem Langstock. Ich erkenne sie; es ist die kleine Chilenin, die manchmal zum Taiji-Unterricht erscheint.

Ein Mann jongliert.

Ein anderer sitzt auf der Bank und hält einfach nur sein Gesicht in die Sonne.

Der Wind weht durch die Blätter und malt Streifen ins Gras. Blüten rieseln von den Bäumen herab, sie glitzern golden in der Sonne, wie Sternenstaub.

Ich spüre den Wind, der durch das Fenster weht, ich sehe den Spatz, der durch das Gras hüpft.

Ich schaue in den Park.

Eigentlich sollte ich meine Augen bei der Stehenden Säule schliessen.

Aber die Welt ist so schön.

18.06.2019

Im Krankenhaus.

Ich habe schlecht geträumt. Vom Nachsorgetermin, den ich mir nach Intervention on top besorgt habe, da ich gern – wie in den Richtlinien Onkologie erwähnt – alle Vierteljahr zum Check Up gehen möchte. Meine Umfrage unter Brustkrebspatienten (Jahr 1-3 nach Diagnose) ergab dasselbe Resultat: bis auf U., meine Schwester im Herzen, die alle 6 Monate zur Untersuchung antreten soll, haben alle Mitstreiterinnen vierteljährliche Nachsorgetermine. U. und ich haben allerdings dieselbe Ärztin.

Angst vor dem heutigen Termin habe ich nicht. Als ich mich auf den Weg mache, ist mir aber etwas flau im Magen. Seit 22.00h habe ich nichts mehr gegessen, damit ich nüchtern um 11.00h im Dachgeschoss des kleinen Krankenhauses erscheine, sollten die Blutwerte überprüft werden. Meine Blutwerte waren letztes Mal nicht sensationell („grundsätzlich in Ordnung“ laut des beiliegenden Grusses in der Post, was mich genauer hat hinschauen lassen).

Die Blutwerte waren ja nicht sensationell, sage ich zu meiner Ärztin. Sie schaut in den Computer, sie fände die Werte ok, kein Grund zur Beunruhigung.
Ich erwähne, dass ich über die letzten Monate zweimal Schmerzen in einer Rippe gehabt hätte, die allerdings auch wieder verschwunden sind. Panisch bin ich deshalb nicht, aber aufmerksam. Sollten die Schmerzen nochmal kommen, würde ich das untersuchen lassen wollen.
Ich ernähre mich gesund, stellt sie eher fest als das sie fragt. Ich bejahe. Warum der Cholesterinwert wieder höher ist, kann ich nicht erklären.

Auch der Tastbefund ergibt nichts Neues, nur die beiden Knoten im linken Narbengebiet, aber die habe ich seit der Strahlentherapie.

Es geht mir gut, ich sehe gesund aus, das merke ich selbst, als ich im Wartezimmer sitze. Man kann den Menschen, die hier warten, ansehen, wie es ihnen geht; die Sorgenfalten im Gesicht, das permanente Wippen des Fußes, die vorneübergebeugte Haltung beim Sitzen, der abwesende Blick. Wieder einmal mehr ist mir klar, dass ich Glück gehabt habe, dass ich physisch und psychisch so gut aus dem Drama rausgekommen bin.

Ich freue mich, dass Prof. Dr. M. (mein Lebensretter) ins Wartezimmer schaut um seine Patientin zu holen und mich freundlich grüßt, sie wird wohl die nächste sein, der er hoffentlich das Leben retten wird.
Ich nehme mein Rezept und mache mich auf zum Schwimmen.

2 Jahre, 3 Monate und 4 Tage krebsfrei.

Foto: Belohnung für den Tag – ein selbstkreiertes Zitronen-Himbeereis, zuckerfrei.

16.06.2019

In vino veritas.

Nachdem ich nun in meinem Ernährungsbuch auf die positiven Effekte des Rotweins gestoßen bin und mir gestern und heute Abend ein Gläschen gegönnt habe, stoße ich auf ein ganzes Kapitel, das Alkohol thematisiert. Grundsätzlich: Alkohol ist zu vermeiden. Rotwein ist erwiesenermaßen die Ausnahme: dank des hohen Resveratrol-Gehaltes und anderer sekundärer Pflanzenstoffe (u.a. Anthocyanidine, Proanthocyanidine, Flavonole, Phenolsäuren) sinkt das Krebsrisiko bei maßvollem Genuss (das bedeutet nicht mehr als ein kleines Glas für Frauen am Tag, am besten sei Pinot Noir aus Burgund).
ABER: bei Brustkrebs wird es schwierig (die chemischen Erläuterungen lasse ich weg, die sind mir auch zu kompliziert). Mehr als ein 0,1l-Glas darf es nicht sein, sonst steigt das Brustkrebsrisiko lt Statistik nämlich an!
Da ich eigentlich eh nicht gerne Rotwein trinke und ihn nur gekauft habe, da er als gesund deklariert wurde, werde ich in Zukunft nur ab und an mal ein Gläschen trinken.
Die kleine Flasche ist nun ohnehin getrunken, die nächsten Tage schwenke ich wieder auf Zitronen-, Ingwer- und Minzwasser um.

Nachdem ich heute nicht nur beim Schwimmen war und abends noch spontan aufs Dach zum Taiji-Praktizieren gegangen bin, habe ich mich für nächstes Wochenende zum Stand Up Paddling auf der Alster verabredet. Da bin ich mal gespannt. Gemacht habe ich das noch nie. Zumindest kann ich mich im Ernstfall eine Stunde schwimmend über Wasser halten.

Foto: Das war erstmal das letzte Glas Rotwein.

09.06.2019

Unterwegs.

Da steht sie. Nein, sie bewegt sich, es sieht aus, als ob sie ihre Taiji-Form tanzen würde, ganz langsam. Das letzte Mal, als wir uns sahen, hat sie mich angesprochen, da habe ich genau an dieser Stelle den Chen-Stil praktiziert. Die chinesische Nachbarin unterrichtet den Yang-Stil. Ich bleibe stehen, halte inne und lächele, bevor ich weiter zur Arbeit gehe.

Nach der Meditation schlendere ich mit C. zurück zum Bahnhof. Sie weiß nicht, wie sie sich verhalten soll; sie habe sich mit einer lieben Freundin zum Frühstück getroffen, auch sie ist gerade mit Brustkrebs durch OP, Strahlentherapie und Reha gegangen. C. sei erschrocken, die eh schon übergewichtige Freundin habe weiter zugenommen, esse nicht gesund und habe auch angeblich keine Zeit für Sport. Sind wir die Einzigen, denen gesunde Ernährung und Fitness so wichtig sind? Sie bleibt stehen und schaut mit an. Das denke ich nicht, antworte ich und bleibe auch stehen; allerdings sind wir beide wirklich extrem gut aufgestellt, denn wir haben kapiert, dass wir an einer Katastrophe vorbeigeschlittert sind und uns entsprechend gut positioniert, um vorzubeugen. Verstehen tue ich Andere auch nicht, die wieder in den alten Trott zurückfallen und weiterleben, als sei nichts gewesen. Unser Körper hat schliesslich schon mal gezeigt, dass er anfällig ist; deshalb finde ich es wichtig, ihn zu stärken und weniger angreifbar zu machen. C. sieht das auch so. Ich lasse einen Bus in meine Richtung davonfahren, das Gespräch ist zu wichtig.

Ob wir uns nächsten Dienstag wiedersehen? fragt C. Natürlich, antworte ich, da sei ja wieder Taiji im verwunschenen Garten des Psychologenhauses, einer meiner Lieblingsabende der Woche. Darauf freue ich mich immer sehr. Und auch auf unseren intensiven Austausch auf dem Rückweg.

G. ist aufgebracht. Meine Schwimmfreundin treffe ich überraschenderweise auf der Aussenbahn an, normalerweise schwimmt sie am Beckenrand entlang. Heute scheint die Sonne, es ist warm, das Becken ist voller Teenies, die Ballspielen und vom Beckenrand springen. Allerdings ist auch die Ausweichmöglichkeit, auf die Schnellschwimmerbahn überzuwechseln, für uns nicht gegeben; zuviele Kampfschwimmer kraulen dort in hohem Tempo auf ihren Bahnen. Wäre sie bloss früher gekommen, schimpft G. Dann hätten wir uns aber nicht gesehen, antworte ich und versuche sie etwas aufzumuntern. Nebeneinander her schwimmen klappe heute allerdings nicht, ich solle mein Tempo schwimmen, G. fuchtelt hilflos herum, die 80-Jährige ist nicht gern auf der Außenbahn, auch wenn das Wasser nicht allzu tief ist. Ich schwimme vor und bitte mehrere Gruppen Jugendlicher, weiter an die Seite zum Spielen zu gehen. Sie gehorchen. Ich lache G. zu, jetzt haben wir Platz, wir schwimmen knapp 30 Minuten plaudernd nebeneinander her, die Stimmung steigt. Irgendwann muss auch G. über sich selbst schmunzeln, so griesgrämig kenne ich sie gar nicht, sagt sie, nein antworte ich, ich sei verblüfft gewesen, aber nun sei alles gut, es ist so gut, dass wir beide die Zeit vergessen und weit über eine Stunde im Wasser unterwegs sind.

Der Sonntag ist herrlich; kurz nach 10.00h bin ich wieder im Aussenbecken des öffentlichen Bades, wieder scheint die Sonne, wieder ist es warm, die weißen und rosa Blüten an den Bäumen sind endgültig einem tiefen Rot und Grün gewichen, die Rosen blühen, das Wasser glitzert. Kinder planschen friedlich am Beckenrand, die restlichen Schwimmer sind in meinem Tempo unterwegs. Es ist perfekt. Es ist so perfekt, dass ich denke, am Pfingstmontag wieder zum Schwimmen zu gehen.

Mo: Tubes & Taiji ✔️
Di: Meditation
✔️
Do: Gym
✔️
Fr: Schwimmen
✔️
So: Schwimmen
✔️

02.06.2019

Fitnessübersicht

Mo: Taiji Class ✔️

Di: Stretching/Taiji at home ✔️

Mi: Taiji Class ✔️

Do: Schwimmen ✔️

Fr: Schwimmen ✔️

Sa: Tubes/Taiji at home ✔️

So: Schwimmen ✔️

Am Sonntag war das öffentliche Bad so voll (kein Wunder bei 30 Grad Sonnenschein), dass ich a) keine Liege auf der Grünfläche bekommen habe und b) zum Schwimmen auf die Schnellschwimmerbahn ausweichen musste. Diese wiederum wichen auf die 50m-Bahnen aus (unbeheizt, ca. 17 Grad); aber Kampfschwimmer sind ja hart im Nehmen.

Zuhause mein selbstgemachtes Schokoladen- und Zitroneneis (zuckerfrei) getestet und für sehr lecker befunden. Von den fünf kreierten Milchschnitten ist nur noch eine übrig. Dafür habe ich noch circa 20 selbstgemachte Müsliriegel.

09.05.2019

Zuhause.

Ich überlege, ob ich über Kreuzblütler (dazu gehört mein Hassliebe-Gemüse Brokkoli) schreiben soll.

Ich überlege, ob ich über die Meditation am Dienstag berichte, bei der nur mein Lehrer und ich anwesend waren und wir beide feststellen mussten, wie wunderbar diese 90 Minuten sind, in der wir in die Stille abtauchen, während draussen das Leben tobt.

Ich überlege, ob ich darüber schreibe, dass mir heute ein Kapitän ein Foto seiner Tomaten- und Gurkenplantage geschickt hat, die er auf der Brücke (sprich: seinem Arbeitsplatz oben auf dem Schiff) angelegt hat, was ich zwar einerseits sehr kreativ (und gesund) finde, was andererseits aber nicht geht, da die Fenster auf der Brücke zum Rausgucken sind, damit man nicht überraschenderweise gegen einen Eisberg donnert und nicht für wild rankende Gewächse, die einem die Sicht  auf eben jenen Eisberg nehmen könnten.

Ich überlege, ob ich erzähle, dass ich am Samstag ein Interview mit einem französischen Autor führen werde, der den Prix Goncourt, den renommiertesten Literaturpreis Frankreichs, erhalten hat. Ich bin gespannt auf meinen Gesprächspartner, den ich in einem Café treffen werde. Da mein Französisch zu schlecht ist und seine Deutschkenntnisse nicht für ein Interview reichen, haben wir uns auf englisch geeinigt. Nur die Fragen, die ich ihm stellen werde, die habe ich mir noch nicht überlegt.

Ich überlege, ob das so intelligent war, mich morgen nach dem Schwimmen im Gewühl des Hafengeburtstags mit meinen Schwestern im Herzen zu verabreden. Wir haben uns schon lange nicht mehr getroffen. Ich bin gespannt, wie es ihnen geht.

Am meisten überlege ich aber, was ich am kommenden Dienstag Abend zum Konzert in Amsterdam anziehen möchte; mein Lieblingssaxophonist hat gerade wieder gelbgefärbte Haare, da könnte ich passend dazu den kurzen gelben Rock anziehen. Oder doch eher Jeans, T-Shirt und Trainingsjacke?

Ich überlege…

Das bin ich (anonymisiert) mit meiner Lieblingsband 2018. Auch dort trug ich schon den gelben Rock, passend zu Leos gelben Haaren.
img_7092

 

 

29.04.2019

Unterwegs.

Die Sonne schien, da sie keine Wahl hatte, auf nichts Neues.
Samuel Beckett, Warten auf Godot.

Die Sonne scheint auf den Park mit den hohen Kastanienbäumen, sie sinkt langsam tiefer und taucht die Blätter und Gräser in sanftes Licht. Um die Bäume laufen Kinder, sie spielen Fangen mit einem bunten Ball. Die Haare der Mädchen flattern, es ist so warm in der Abendsonne, dass sie nur T-Shirts und Röcke anhaben. Sie lachen, das Lachen weht zu uns hinüber in den alten Turnsaal, dessen hohe Fenster weit geöffnet sind.
Ich lächele, während die Szenen draußen an mir vorbeiziehen, die tobenden Kinder, der Mann im Rollstuhl, die beiden Frauen, die kurz vor dem Fenster halten und neugierig hineinschauen.
Eigentlich sollte ich meine Augen bei der Stehenden Säule, die wir gerade im Taiji-Unterricht praktizieren, geschlossen haben. Du kannst Deine innere Balance nicht finden, wenn Du die Augen bei der Übung geöffnet hast, hat mein lieber Freund mal zu mir gesagt. Ich habe das letzte Woche versucht; im Gym auf dem Stepper und im Pool des schicken Spa’s; ich war neugierig, wie sich das anfühlt, mit geschlossenen Augen Bahnen zu ziehen und mich auf dem Stepper zu bewegen und ob ich dabei meine Mitte finde ohne ins Wanken zu geraten bzw. die Bahn zu verlieren (funktioniert genauso wie bei der Meditation, man muss sich auf den Atem konzentrieren, dann findet man die innere Balance).

Jetzt mag ich meine Augen nicht schließen, viel zu schön ist es, in den Park zu schauen, das wechselnde Licht und die Bäume zu sehen. Außerdem habe ich noch den süßen Geschmack des Kekses im Mund, die F. nach dem Aufwärmen angeboten hat. Es geht mir gut, denke ich, genau hier und jetzt möchte ich sein, genau hier und jetzt mich über den Keks freuen und über das Lachen und Kreischen der spielenden Kinder und den Korrekturen meines Lehrers nachspüren.

Die Sonne scheint immer noch, als ich den Rest des Heimweges zu Fuß antrete, sie steht jetzt ganz tief über dem Hafen und färbt den Himmel rot.

Ich lese noch etwas in dem Buch über Ernährung, welches C. mir geliehen hat.
Wenn wir begreifen, was Krebs ist, dann werden wir erkennen, dass diese Krankheit ein furchtbarer Feind ist, dem wir mit großem Respekt begegnen müssen, damit er uns nicht besiegt.

Die Sonne scheint nicht mehr.

Aber morgen wird sie wieder scheinen, wenn wir im verwunschenen Garten des Psychologenhauses Taiji trainieren, draußen zwischen den Rhododendren und dem blühenden Apfelbaum, den Blumen und den Büschen; wir werden uns in Achtsamkeit üben und stärken und uns nicht besiegen lassen.

14.04.2019

Unterwegs.

Links von mir liegt der weiße Altbau, ich biege ab und gehe hinein. Nicht nach vorn gucken, mahne ich mich; dort lauern schlechte Erinnerungen. Im Erdgeschoss ist der Eingang zur Praxis des Frauenarztes, der mir vor zwei Jahren eine Überweisung mit den Worten „Verdacht auf Mammakarzinom“ in die Hand gedrückt (ohne das vorher im Gespräch zu thematisieren) und mir dann gleich noch eine Adresse für den falschen Radiologen mitgegeben hat („wir machen seid Jahren keine Mammographien mehr“ sagt die med. Assistenz, als ich eine Woche später zum Termin erscheine. Momente, die ich nie vergessen werde).

Heute muß ich in den zweiten Stock, dort sitzt die Hautärztin, bei der ich auch vor zwei Jahren einen Termin zur Krebsvorsorge hatte und den ich fast abgesagt hätte, da ich in dem Moment nicht davon ausging, dass ich den noch brauche (ich war im Katastrophenmodus).  Im Nachhinein war es gut, dass ich hingegangen bin, da es eine sehr emphatische und eloquente Ärztin ist, die sich auf De-Eskalation versteht und das Thema Brustkrebs mit mir durchgesprochen hat.

Gut sehen Sie aus, sagt sie heute zu mir und schaut mich an. Sie korrigiert sich. Sie sehen sehr gut aus. Ich freue mich, sie möchte wissen, was seit dem letzten Besuch alles so passiert ist. Ich fange an zu erzählen. Von dem Leben im Jetzt. Von den Reisen. Von Sport und Meditation. Von gesunder Ernährung. Von der Wertschätzung jedes Tages. Davon, daß ich gesund bin. Davon, daß ich das Drama als positives Ereignis sehen kann und mein Leben viel bewusster lebe.

Morgens fahre sie immer mit dem Fahrrad zur Arbeit, an der Alster längs, erzählt sie mir. Und heute habe ein kleiner Laster mitten auf der Straße gehalten. Das habe sie gewundert. Den Fahrer habe sie dann am Alsterufer ausgemacht. Er machte Fotos. Weil es ein so wunderschöner Sonnenaufgang war.
Wir sind auf einer Wellenlänge und tauschen uns weiter aus, dazwischen prüft sie akribisch die Muttermale, Arme hoch, Fußsohlen zeigen, alles ist gut. Ich setze mich wieder hin, unser Gespräch ist noch nicht zu Ende.
Als ich die Praxis verlasse, schaue ich auf die Uhr. 30 Minuten hat unsere Unterhaltung gedauert, abends um 18.30h, und ich war nicht die letzte Patientin. Aber eine fröhliche (das steht jetzt auch bei ihr im PC).

Außerdem werde ich wieder vierteljährliche Brustkrebs-Nachsorgetermine haben, so wie es im Leitlinienprogamm Onkologie zu finden ist. Einerseits gefällt es mir, dass die Ärzte glauben, dass ich gesund bleibe (das glaube ich selbst auch) – aber da ich bis heute ratlos bin, wieso ich einen beidseitigen Brustkrebs und somit gleich zwei Tumore bekommen habe, möchte ich lieber auf Nummer Sicher gehen und die kürzeren Intervalle einhalten.

Seit Anfang April ist Taiji wieder im verwunschenen Garten des Psychologenhauses. Das Thermometer zeigt 5 Grad, wir kämpfen uns durch 90 Minuten an der sehr frischen Luft. Zum Glück habe ich meine Skiunterwäsche untergezogen. Dafür hat C. Handschuhe dabei.
Trotz der Kälte finden wir es schön, wieder draußen in unserem Garten zu trainieren.

Dienstag: Taiji ✔️
Mittwoch: Hometraining ✔️
Donnerstag: Gym ✔️
Freitag: Schwimmen ✔️
Samstag: Schwimmen ✔️
Sonntag: Taiji ✔️

31.03.2019

Logbuch Israel – Tag 10

Sieben Grad. Es giesst in Strömen. Der Himmel liegt bleiern über dem großen steinernden Platz.

Wir gehen langsam durch den dunklen Gang, der nur von fünf Kerzen beleuchtet wird, die sich in zig tausenden Spiegeln vervielfältigen und dem Raum eine unglaubliche Dimension geben. Vom Band ertönen Namen. Drei Monate dauert es, bis alle 1,5 Millionen Namen, Alter und Herkunftsländer verlesen sind. Es sind die Namen von 1,5 Millionen jüdischen Kindern, die im Holocaust ermordet wurden.

Während ich durch das Flackern der Lichter gehe, streichen die Finger meiner rechten Hand über den kleinen Zweig eines Olivenbaumes, den ich gestern im Garten Gethsemane in die Jackentasche gesteckt habe. Ich bin froh, den Zweig in der Tasche zu haben. Es ist gut, sich an etwas festhalten zu können.

Heute besuchen wir Yad Vashem, Gedenkstätte für die Opfer des Holocausts. Ein weiterer emotionaler Moment dieser Reise.

Das Museum erspare ich mir, nach dem Gedenksaal für die Kinder gehe ich erstmal einen Tee trinken.

Auf dem Mahane-Yehuda-Markt kaufen wir Gewürze, Nüsse und Brot, danach ist Freizeit. A., S., K. und ich nehmen das Damaskustor in die Altstadt, wir schlendern nochmal durch das arabische Viertel und den Bazar, der abrupt endet und in den jüdischen Teil übergeht. Eine unsichtbare Grenze trennt das laute Treiben der überfüllten Stände mit Schals, Früchten, Schuhen, Gewürzen, Tees und Schüsseln von Kunsthandel und edlen Silbergeschäften auf der anderen Seite.

Nachdem K. dreimal erwähnt hat, dass sie zu gerne noch einen Apfelstrudel essen würde und wir alle einen guten Kaffee trinken möchten, landen wir wieder im österreichischen ehemaligen Hospiz. Das nächste Mal sollten wir zusammen nach Österreich fahren.

22.03.2019

Logbuch Israel. Tag 1

Ich bereite mich selten akribisch vor.

Im Deutschunterricht in der Schule lese ich nicht wie vorgegeben Lessings Nathan der Weise; einen Abend vor der Klassenarbeit überrede ich meinen Vater, mir sein Ticket fürs Theater zu überlassen (macht der theatermüde Vater gerne!) und schaue mir das Stück an. Das ist effizient. Und visuell bin ich eh aufgeschlossener.

So bin ich auch freudig überrascht, dass am Abend vor der Abreise auf N3 eine Israel-Doku läuft. In den Reiseführer habe ich nicht wirklich reingeguckt.

Ich rufe meine Eltern an; ihr müsst schnell N3 einschalten, da läuft eine Doku über…TRINKE NICHT DAS WASSER AUS DEM TOTEN MEER, DANN STIRBST DU!!!! ruft mein Vater durch den Hörer. Sie gucken bereits die Doku. Ich lege schnell wieder auf.

Am Flughafen stelle ich fest, dass mein Flug nach München Verspätung hat, der darauffolgende ist komplett gestrichen. Am Gate wird bereits ausgerufen: wer einen Anschlussflug hat und schon hier sei, möge sofort kommen und in den früheren Flieger einsteigen. Ich lobe mich ob meiner Überpünktlichkeit.

Wenn man sich nicht akribisch vorbereitet, kann man auch überrascht werden.

In Tel Aviv ist Shabbat, vor der Passkontrolle stehen Tausende Menschen, und das ist kein Witz. Ich gehe zu nem Extraschalter, dort schauen die Menschen irritiert, zeigen auf mich, der Offizielle sagt was auf hebräisch, nun bin ich auch irritiert. Only for Israelis, übersetzt jemand. Wir lachen, ich gehe weiter und verliere mich in der Menge der Tausenden Wartenden.

Nach 90 Minuten bin ich aus dem Chaos raus, ich treffe die Anderen, der Bus fährt zum Hotel, es liegt direkt am Strand und leuchtet ganz bunt.

Durch die Verzögerung (im Übrigen hält am Shabbat auch der Fahrstuhl ungefragt in jeder Etage – und ich wohne im 14. Stock) und der Tatsache, dass es in aller Hergottsfrühe weitergeht, muss ich mein privates Abenddate canceln.

Dafür lerne ich A. aus Linz kennen, sie macht einen netten Eindruck, wir gehen nach dem Dinner an der Strandpromenade spazieren und trinken ein Glas Wein. Ich wollte ja auf meinen zweiten zweiten Geburtstag anstossen (das sage ich ihr natürlich nicht). Wir machen Fotos, am Strand hüpfen ein König und ein Pirat herum. Es ist nicht nur Shabbat, sondern auch Purim.

Vom Bett aus sehe ich das Meer.

22.03.2019

Logbuch Israel & Palästina 2019

Prolog.

Heute vor zwei Jahren, genau um diese Uhrzeit, bin ich in „meinem“ Krankenhaus operiert worden.

Heute vor zwei Jahren wurden die beiden Krebstumore entfernt. Der Feind in mir.

Heute ist sozusagen mein zweiter zweiter Geburtstag.

Heute, genau zwei Jahre später, sitze ich am Gate eines Flughafens. Ein Ort, an dem ich gern bin, ein Ort, an dem viel Trubel herrscht, ein Ort, der Aufbruch bedeutet und Vorfreude auf Neues verspricht und voller Leben ist.

Und heute Abend werde ich beim Sonnenuntergang am Strand von Tel Aviv stehen und auf den zweiten zweiten Geburtstag anstoßen. Das Leben ist schön.

 

Flughafenatmosphäre am Dubai International und Paris CDG

17.03.2019

Unterwegs.

Note to myself: die Waage im schicken Spa sagt die Wahrheit. Die Waage im eigenen Haushalt lügt. Ich werde ihr keinen Glauben mehr schenken.
BMI: 20.0 – Top-Score.
Außerdem zeigen die regelmäßigen planks erste Resultate in Form von Bauch- und Armmuskeln.

Montag: Taiji ✔️
Dienstag: Sole ✔️Stretching/Meditation✔️
Mittwoch: Heimtraining ✔️
Donnerstag: Gym ✔️
Freitag: Schwimmen ✔️
Sonntag: Schwimmen ✔️

Alle Bereiche abgedeckt: Ausdauer, Muskeltraining, Balance

Der innere Schweinehund ist ausgezogen.