Im Sanatorium. Tag 1

Am Hamburger Hauptbahnhof sind die Anzeigetafeln ausgefallen, ich stehe mit meinem Gepäck an der Treppe zu Gleis 5 und schaue mich um. Ob er mir helfen kann, fragt der Herr von der Bahn, der eine Übersicht für die nächsten Zugabfahrten dabei hat. Ja, sehr gern, antworte ich, ich suche einen Fahrstuhl. Er deutet direkt hinter mich.

Ich steige ein, es ist sogar eine Bahn früher als geplant, es geht in Richtung Lübeck. Dort kaufe ich mir einen Kaffee, setze mich ans Gleis 8 in die Sonne und warte auf den Anschlusszug Richtung Bad Schwartau. Ich freue mich.

Ob ich ihren Platz möchte, fragt die Dame in der Bahn, ich verneine, etwas überrascht, die Bahn ist fast leer. Ich gehe weiter, sie behält mich im Auge, auch sie steigt in Bad Schwartau aus, bleibt neben mir stehen, bis ich sie frage, ob wir dasselbe Ziel hätten. Das haben wir, sie arbeitet im Sanatorium, in dem ich gleich einchecken werde. Da das abgesprochene Taxi nicht da ist, marschiere ich mit ihr und meinem Gepäck zu Fuß zur Klinik. Wir plaudern während ich versuche, mir den Weg zu merken. Kann ich natürlich nicht. Ich war schon immer ein Orientierungslegastheniker.

Das Sanatorium ist riesig, hier habe ich mich schon vor fünf Jahren verlaufen, damals, als ich wegen meiner gecrashten Bandscheibe zur Reha musste. Auf dem Weg zur Registrierung in meiner Abteilung verirre ich mich, eine nette Schwester gabelt mich in Haus 4 auf und bringt mich ins Haus 2. Danach gehts wieder zurück an die Rezeption in Haus 3, von dort geht es weiter auf mein Zimmer ins Haus 1. Der Vormittag gestaltet sich sportlich, ich bin ob des ganzen hin und her bereits erledigt.

Beim Mittagessen gibt es feste Tische, ich sitze bei E. und I., auch beide Brustkrebs-Patientinnen, die über ihre Chemo-Nachwirkungen berichten. Ich sei sicher froh, dass ich das nicht mitmachen musste, stellt I. fest, ich spüre ihren Blick auf meine langen offenen Haare.  Das stimmt, sage ich. Davor hatte ich Angst.

Nach dem Mittag der erste Arzttermin, Frau Dr. B. ist sehr nett, wir verstehen uns, ich bin über eine Stunde bei ihr und verpasse damit den nächsten Termin – die Führung durch die Klinik. Aber die kenne ich ja auch schon von meinem letzten Aufenthalt, sagt Frau Dr. B.. Ich bejahe und denke an meine unfreiwillige Exkursion durch alle Häuser des Geländes. Den Vortrag über „warum-eigentlich-Reha“, den sie am Nachmittag hält, dürfe ich auch ausfallen lassen, ich mache nicht den Eindruck, als ob ich nicht wüsste, warum ich hier bin. Und dann schenkt sie mir ein großes Herzkissen des „Heart Pillow Projects“, handgenäht von einer Dame aus Bad Schwartau. Das Kissen reduziert Schmerzen, die durch Narben und Schwellungen entstanden sind. Auf dem Zettel dazu steht: „Es ist etwas ganz persönliches für Dich, woran Du Dich halten kannst – und es sieht hübsch aus!“ Das tut es. Meines ist blau-rot. Und ein bisschen rosa.

Den Nachmittag verbringe ich mit einem Spaziergang um den See, kaufe mir in der Innenstadt Obst (ich habe meine kleine Saftpresse eingepackt) und verbringe Zeit im Kurpark, wo ich auf der Wiese unter den Bäumen Taiji praktiziere.

6 Gedanken zu “15.06.2017

  1. Dann mal eine gute Zeit dort. Ich war bisher immer eher ein Kritiker von Kuren, aber nach den Erfahrungen der letzten Wochen scheint es doch gut Effekte zu haben.

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    1. Das Umfeld ist gar nicht mal so unwichtig, wie ich beobachten konnte. Aber dann lässt es sich für Dich ja schon mal gar nicht so schlecht an.

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    1. danke Dir – ich schätze, meine Stärke ist es, einiges mit Humor zu nehmen (es gibt durchaus dunkle Momente, ab und an, aber nicht oft) – ich denke, die Sicht auf Dinge ist wichtig: ich kann mich zB ärgern, wenn ich mich permanent verlaufe – oder aber ich lache über mich 😀- ich lache…

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