08.02.2019

Unterwegs.

Es ist grau. Dampf steigt aus dem Wasser auf, als ich auf die Bäume zuschwimme, die wie schwarze Skelette vor mir aufragen. Heute glitzert nichts.
Ich versuche den Mann, der wie ein träges Walross anmutet und sich mehr unterhalb des Wassers  fortbewegt, zu überholen. Er schnauft.
Meine Schwimmfreundin ist die dritte Woche in Folge nicht aufgetaucht.

Als ich nach 45 Minuten in den Innenbereich wechsele, um noch ein paar Bahnen im Warmen zu schwimmen, sehe ich den kleinen älteren Italiener. Ich bin nicht sicher, ob er Italiener ist, aber er sieht wie ein Italiener aus. Ihn treffe ich jedesmal, wenn ich im öffentlichen Bad bin, auch wenn ich dort mal an einem anderen Tag oder zu einer anderen Zeit schwimme. Vermutlich wohnt er im öffentlichen Bad. Miteinander gesprochen haben wir allerdings noch nie. Das ändert sich heute; ich spreche ihn an.

Ich frage ihn, ob er G. in den letzten Wochen gesehen hätte, ich würde mir etwas Sorgen machen. Der kleine Italiener strahlt mich an; G. habe er vor zwei Tagen zuletzt gesehen. Das kann hinkommen, denke ich, denn ich weiß, dass sie auch mittwochs schwimmen geht. Ich bin beruhigt, wir plaudern noch etwas, bevor ich mich auf den Weg zu den Duschen mache.

Als ich aus der Umkleide komme, steht G. vor mir. Dezentes Make-up, rosé-farbene Uggs, schwarze Leggings, cremefarbener Wollpullover, kupferfarbene Daunenjacke, etwas Goldschmuck und eine große weiße Pudelmütze auf dem Kopf. Mit grünem Bommel. So, wie man sich eine 80-jährige vorstellt, die 56 Kilogramm wiegt und mit Stolz Kleidergröße 36 trägt.

G., ich habe dich vermisst, sage ich. Ich habe mich gerade bei dem kleinen Italiener nach dir erkundigt, also bei dem, der ausschaut wie ein Italiener.
Spanier, korrigiert sie mich, Hyazinth*) ist Spanier.
Hyazinth?
Das klingt für mich wie eine Pflanze.

Die letzten Wochen hätte sie wieder Probleme mit ihrer gebrochenen Hand gehabt, heute habe sie es leider auch nicht früher geschafft.
Sie lacht: aber weisst du was? Eben habe ich eine Reise nach Fuerteventura gebucht. Für Alleinstehende!
Sie lacht wieder. Das Hotel habe einen Pool und Sportkurse im Angebot, darauf freue sie sich schon.
Ich erzähle ihr, dass ich heute einen Flug nach Amsterdam gebucht habe, allerdings erst für den Mai. Da tourt meine US-Lieblingsband wieder durch Europa.

G. überlegt noch, welchen der mitgebrachten Badeanzüge sie heute tragen möchte, ich gehe zum Fönen.
Aber nächsten Freitag schwimmen wir nochmal zusammen, ruft sie mir hinterher. Danach geht es in den Urlaub!
Natürlich, rufe ich zurück.

Und freue mich, dass der graue Tag doch noch etwas Glitzer bekommen hat.

*) das ist der einzige Name, den ich in diesem blog nicht anonymisiere oder abkürze, da es das Zauberhafte nehmen würde. Hyazinth – das kann man nicht einfach mit einem langweiligen H. abkürzen.

Antworten

  1. Avatar von kat.

    Ist sie wieder da. Wie schön. 🙂

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    1. Avatar von Der Feind in mir

      🧜🏼‍♀️🧜🏽‍♀️ wenn man beim Schwimmen jemanden zum Plaudern hat, vergeht die Zeit auch viel schneller 🐬

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  2. Avatar von Hedwig Mundorf

    Ich hatte mir auch schon Sorgen um die Schwimmfreundin gemacht. Und Hyazinth darf man keinesfalls abkürzen!

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    1. Avatar von Der Feind in mir

      habe mich auch sehr gefreut, dass sie gestern wieder aufgetaucht ist 😊 ja, Hyazinth ist mal ein ganz ungewöhnlicher Vorname – ist mir noch nie begegnet 🌺

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  3. Avatar von Tanja

    Wie schön, dass die Trägerin der rosa Badekappe wieder am Start ist!

    Lese grad ein wenig zu häufig von Abschieden in der virtuellen Welt…

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    1. Avatar von Der Feind in mir

      war auch erleichtert, als sie plötzlich vor mir stand. Sie ist superfit und gesund (bis auf die gebrochene Hand), aber doch 80 Jahre (auch wenn sie für 62 durchgehen würde). Der Abschied von den Herzis und dem Federballspielen langt mir auch erstmal 😑

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