21.2.2018

Unterwegs.

Ob wir denn gar nicht pulsen?, rufe ich der Gruppe hinterher, die sich in Bewegung setzt.

Das fiele aus, da wir spät dran seien, ruft die Trainerin zurück.

Oder ob ich heute was mit dem Herzen hätte, grinst mich die Ärztin an. Ich verneine und laufe den Herzis hinterher.

Das Hanteltraining finde ich anstrengend, aber danach gibt es Federball. Ich sehe, wie sich T. in meine Richtung aufmacht, doch H. ist schneller. Wollen wir zusammen spielen?, fragt er. Gerne, antworte ich. Wir liefern uns ein richtig gutes Duell, ich schwitze, die Ärztin fragt, ob ich öfters spiele. Sie spiele auch gern, aber nicht hier, sie müsse sehr auf uns aufpassen. Schon einmal sei ein Herzi beim Federball umgekippt, fiel auf die Nase, Fraktur, Reanimation. Und dann stellte sich heraus, dass er Leukämie hatte.

Da fällt mir nichts mehr zu ein, ausser, dass ich sehr froh bin, dass meine Herzis sich rechtzeitig auf die Bank setzen, wenn sie k.o. sind. Und ich froh bin, dass ich kein Herzi bin.

7.2.2018

Unterwegs.

H. hält mir ihre Hand hin. Sie ist kalt. Schon die letzten beiden Wochen war sie nicht beim Herzsport gewesen. Die Nase der kleinen alten Dame ist rot, und ihr geht es allgemein nicht gut. Seit dem Herzinfarkt sei alles anders, sagt sie, die in den 70ern mehrmals zum Trekking am Mount Everest war. Und ihre Stimme sei auch weg, das sei ärgerlich, da sie im Chor singe, fügt sie hinzu. Ich stelle fest, dass wir einiges gemein haben, schlage Ingwer- und Thymiantee vor, dann geht es weiter mit den Terraband-Übungen.

Hinterher spielen wir Federball. Ich höre, wie T. zu M. sagt, dass er schon versprochen hätte, mit mir zu spielen. T. strahlt mich an; mit ihm spiele ich wirklich gern zusammen. Auch wenn ich mich an kein Versprechen erinnern kann.

Aber nur 15 Minuten, ruft die Trainerin. Ich gucke enttäuscht. Länger können die Herzis nicht durchhalten, erklärt sie mir. Sie behält recht: M. sitzt nach drei Minuten auf der Bank, O. folgt ihm kurze Zeit später. T. und ich spielen flüssig durch, es erinnert mich an meine Kindheit, in der ich sonntags mit meiner Tante auf dem Hof Federball gespielt habe. Das habe ich geliebt.

Am Ende der Stunde bekommen wir noch alle einen kopierten Din A4-Zettel überreicht, auf dem handschriftlich vermerkt ist, dass am 14.3. das Training ausfällt. Passt, denke ich, da bin ich sowieso in Amsterdam. Tanzen statt Terraband.

10.09.2017

Unterwegs.

 

„Wenn wir jedem Individuum das richtige Maß an Nahrung und Bewegung zukommen lassen könnten, hätten wir den sichersten Weg zur Gesundheit gefunden.“
Hippokrates, ca. 460-377 v. Chr.

Auf Socken durchquere ich die Turnhalle, der Boden ist aus Holz, an den Decken hängen Ringe, hinten eine Sprossenwand, überall laufen kleine Fechter in ihrer Ausrüstung umher. Ich bin in einem der ältesten Turnvereine Hamburgs gelandet. Der Turnverein residiert in einem großen roten Backsteinhaus und liegt zentraler als die Schulsporthalle von letzter Woche, wo ich meine erste Probestunde beim Herzsport hatte.
Hier gibt es mehrere Turnhallen, überall ist Gewusel, die Umkleiden liegen im Keller, und hinter dem Raum mit den Fechtern liegt ein kleinerer Raum, in dem ich auf die „neuen“ Herzis treffe.

Auch diese Gruppe ist um einiges älter als ich es bin, ob sie fitter sind, wird sich gleich zeigen. Zuerst wird wieder der Puls gemessen, die nette Ärztin, die mich letzte Woche in den Outskirts auf diese Gruppe in Hamburgs Zentrum aufmerksam gemacht hat, hilft mir. Mein Puls ist normal, aber das war klar, ich bin ja auch kein Herzi. Und noch haben wir uns nicht angestrengt. Daumen nach oben, wenn es Euch heute gut geht, ruft die Trainerin. Mein Daumen zeigt sofort nach oben, die Herzis sind zögerlicher, einige Daumen sind auf Halbmast, einige gehen hoch, zum Glück keiner nach unten.

Wir wärmen uns auf, alte Schlager aus der Stereoanlage erfüllen den etwas muffigen Raum.
Nach dem Aufwärmen müssen sich drei Herzis erstmal auf die Bank setzen. Und jetzt weiß ich auch, warum die Ärztin beim Herzsport anwesend ist, und mit ihr eine große Box mit Defibrillator und anderen Erste Hilfe-Utensilien. Herzis können umkippen, raunt mir die Trainerin zu, ich gucke geschockt und frage, ob das hier häufiger passiert. Das komme schon mal vor, antwortet sie, aber sie seien ja gut ausgerüstet. Ich bin verunsichert.

Ich entscheide, das für mich Beste aus der Situation zu machen: ich strenge mich an, sprinte mit Tennisschläger und Bällen durch die Halle, die Trainerin feuert mich an, ich fange an zu schwitzen. Und stelle fest: es bringt mir Spaß, auch wenn das Umfeld  etwas skurril anmutet. Es ist eine andere Welt als die, in der ich mich sonst bewege. Aber es erdet mich.

Nach dem Training schaut mich die Ärztin erwartungsvoll an und bietet mir als Alternative noch eine orthopädische Gruppe an. Ich bleibe bei den Herzis, sage ich. Und mache mich auf den Heimweg, zurück in meine Welt.

02.09.2017

Unterwegs.

Wir stehen im Kreis und fassen uns an den Händen, dann wippen wir von den Fußspitzen auf die Fersen. Meine Mitstreiter sind älter als ich. Viel älter. Und weniger fit.

Am Telefon sagt die Kursleiterin, dass sie mich lieber in eine Herzsportgruppe nehmen würde, die Herzis seien fitter und jünger als die Teilnehmer der Krebsgruppe, für die ich ein Rezept über 50 Stunden Rehasport bekommen habe. Nun stehe ich in der Turnhalle zwischen den Herzis und frage mich, wie dann wohl erst die Teilnehmer der Krebssportgruppe sind. Die machen Übungen im Sitzen, bekomme ich als Antwort. Die Trainerin hält nicht viel von reinen Krebsgruppen, zu unterschiedlich seien die Anforderungen und die Stimmung eher bedrückend. Die Herzis sind fröhlich, die stecken die Krebskranken mit ihrer guten Laune an, deshalb nehme sie die fitteren in die Herzgruppe auf.

Herzlich sind sie wirklich, sie fragen mich nach meinem Namen, nach meinem Befund und integrieren mich sofort. Wir walken durch die Turnhalle und werfen uns kleine Sandsäckchen zu. Später spiele ich mit M., die Krebs hat, Federball, und das bringt wirklich Spaß. Gleichmäßig fliegt der Ball durch die Luft, ploppt auf die Schläger, fliegt zurück, hin und her als ob wir schon ewig zusammen spielten.

M. bedauert, dass es wohl bei meiner Probestunde bleiben wird, immer, wenn sie jemand nett finde, würde er wieder gehen.
Die Fahrt von zuhause bis zur Turnhalle hat mit Bus und Bahn 75 Minuten gedauert, es ging quer durch Hamburg, und das ist mir zu aufwendig für 60 Minuten Sport, der mich auch nicht richtig gefordert hat.

Die anwesende Ärztin hat eine andere Herzgruppe für mich, näher am Zentrum, da solle ich nächste Woche mal mitmachen, sie kläre das für mich ab. Ich freue mich ob der Fürsorge, ich habe sämtliche Behindertensportgruppen kontaktiert, die Krebsnachsorgesport abrechnen können: über zwei Jahre ist die Wassergymnastik in Sankt Pauli ausgebucht, ein Verein fordert, dass ich erst zahlendes Mitglied werde (was ich nicht will), viele Kurse laufen tagsüber (ich arbeite volltags) oder sind in Hamburgs Randbereichen, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln schwer zu erreichen sind.

Aus einem der Randbereiche rase ich jetzt zum Bus zurück, der abfahrbereit an der Haltestelle steht, zwei meiner Mitstreiter feuern mich an, laufen auf der anderen Straßenseite nebenher und machen den Busfahrer auf mich aufmerksam. Lieb sind sie, die Herzis. Und wenn ich doch mein Rezept, vielleicht auch nur teilweise, in dieser Gruppe einlösen möchte, bin ich herzlich willkommen, sagt die Trainerin. Und umarmt mich.