11.10.2018

Unterwegs.

Die Herzis müssen ohne mich Federball spielen. Ich stecke auf dem Weg zum Turnverein in der Bahn fest, technische Störung. Nach einer gefühlten Ewigkeit und der Durchsage, daß die Bahn nur noch eine Station weiterführe und dann Ersatzbusse eingesetzt würden, steige ich aus und in eine andere Linie um, die mich in Richtung Heimat bringt. Später lese ich, daß es eine Schießerei gab und die bewaffneten Täter in den U-Bahntunnel geflüchtet sind, der Bahnverkehr bis 21.30h eingestellt und auf der Straße Superstau war.
Ich ziehe mein Sportzeug an, gehe in den Garten, mache etwas Taiji und marschiere noch einmal um den Block, dem Sonnenuntergang entgegen.

Im Briefkasten ist eine Postkarte aus der Reha-Klinik:

Liebe Frau R.,

ich wollte mich (leider mit einiger Verspätung!) bei Ihnen ganz herzlich für den Roman bedanken, der mir beim Lesen große Freude bereitet hat! Vielen Dank dafür und weiterhin alles Gute für Sie! T.S.
PS: Ich glaube, die Zuckertüten sind noch unverändert 😉

Ich freue mich sehr über die handgeschriebene Karte der Psychologin, bei der ich vor über einem Jahr einige Termine in der Klinik hatte. Anscheinend habe ich einen bleibenden Eindruck hinterlassen mit meiner Beschwerde über die Zuckertüten auf den Tischen im Speisesaal von Krebskranken, die auch noch mit der Aufschrift „wir machen Sie gesund“ versehen waren.

Mein Azubi schaut mich an: er hätte gelesen, dass es sehr gesund sei, frische Zitrone und Ingwer ins Wasser zu tun. Und wer mache das immer? frage ich zurück. Wir! ruft er. Bei mir lernt er fürs Leben.

Sechs Paar weiße Sportsocken gekauft.

12.07.2017

Im Sanatorium. Tag 28

Auf dem Weg zur Physiotherapie schaue ich dann doch noch im Laden für Orthopädie vorbei.

Letzten Montag ist BH Bianca angekommen, wie von Freundin M. kommentiert, schaut Bianca spitztütig aus. Ich probiere sie an, sie ist bequem, und mit der Bluse drüber sehe ich aus, als sei ich einem Doris Day-Film aus den 50er Jahren entsprungen.

Da die Krankenkasse sich noch nicht wegen einer Kostenbeteiligung gemeldet hat, lasse ich Bianca im Laden zurück, nicht sicher, wie ich weiter verfahre. Wenn die Kasse sich meldet und anteilig zahlt, nehme ich sie, wenn nicht, darf sie nicht mit nach Hause, so meine Entscheidung.

Heute ist Mittwoch, die Krankenkasse hat sich gemeldet, freut sich die Verkäuferin. Ich bin unschlüssig, ob ich mich freuen soll, aber gut für das Brustödem soll sie ja sein. Ich packe Bianca ein, dann machen wir uns auf zur Physio.

12.07.2017

Im Sanatorium. Flashbacks

Wenn ich die Blutabnahme verweigere, da nach mehrmaligen Versuchen der Schwester kein Blut fliessen will und auch der herbeigerufene Chefarzt mich nicht von einem weiteren Versuch überzeugen kann.

Wenn ich keinen Rollator bekomme und nur mit dem Sitzkissen eines Rollstuhls das Haus verlasse.

Wenn mich alte Menschen mit Krücken und Rollstuhl auf dem Gang zum Speisesaal überholen, weil ich kaum laufen kann.

Wenn ich im Speisesaal allein an einem Stehtisch stehe, da ich nicht sitzen kann und mich darüber freue; ich brauche mich nicht zu unterhalten, ich will mich nicht unterhalten.

Wenn ich mein Bett nicht verlassen kann und Träume bunt sind, weil Tetrazepam, Tramal und Co mein täglich Brot sind.

Wenn der Arzt sich weigert, meine Medikamente zu reduzieren und mich stattdessen zu einem Vortrag über Schmerztherapie schickt.

Wenn ich meine Medikamente mit Hilfe einer pensionierten Apothekerin, die ich bei der Reha kennen gelernt habe, langsam absetze.

Wenn ich eine Magenverstimmung melde und zwei Tage Quarantäne bekomme und mein Zimmer nicht verlassen darf, während draussen die Sonne scheint und die Eltern warten.

Wenn mir beim Perlenkettenknüpfkurs die Dose mit den weißen Perlen runterfällt und ich mich nicht bücken und sie aufheben kann und hilflos zuschaue, wie die Krebspatienten unterm Tisch die Perlen für mich aufsammeln.

Wenn ich einen Termin bei einem Psychologen erbitte und darauf hingewiesen werde, dass der nur Patienten mit einer Krebserkrankung zur Verfügung stünde.

Wenn ich beim Abschlussgespräch mit dem Arzt empört feststelle, dass ich nicht behindert sei und keinen Behindertenausweis brauche.

Wenn ich nach fünf Jahren in die selbe Klinik gehe, in der ich damals wegen meiner gecrashten Bandscheibe war und sich die Vorzeichen geändert haben.

11.07.2017

Im Sanatorium. Tag 27
Mein Kinn ist in Augenhöhe mit den Wassertropfen, die in den Aussenbereich des hellblauen Pools fallen und kleine Kreise ziehen. Der Himmel ist dunkel, es donnert. Ich warte noch etwas am Übergang zum Innenbereich, ein Herr starrt mich an, ebenfalls am Übergang verharrend. Er ist älter, hat ein hageres aristokratisches Gesicht und helle Augen und wendet seinen Blick nicht von mir ab. Ich mag nicht angestarrt werden. Ob er vor mir nach drinnen schwimmen möchte, frage ich, er antwortet, dass wir auch gemeinsam durch den Übergang passen. Ich wende mich ab und schwimme nach drinnen. Hier ist es warm, die Badegäste drängeln sich am Beckenrand, die Sprudelanlage ist angegangen. Ich umrunde die plaudernden Damen und Herren und ziehe meine Bahnen. Ganz hinten in der Ecke erspähe ich das hagere Gesicht, die Augen geschlossen, der Kopf liegt im Nacken, drumherum eine grüne Schwimm-Nudel, auch er versinkt im blubbernden Wasser.

Ich schaue, ob ich U. irgendwo ausmachen kann, aber ihre rosa Badekappe ist nirgendwo zu sehen. Gestern, als ich das Gesundheitszentrum passierte, sah ich die Badekappe im Bewegungsbad hüpfen, dazu ertönte das helle Lachen von S. S. ist heute abgereist. Nach Hause. In die reale Welt.

Gestern Abend in der Weinbar haben wir unsere Ziele ausgetauscht – was haben wir aus dem Drama gelernt, was werden wir ändern? Wir stoßen wieder mal auf das Leben an; wir werden uns regelmässig wiedersehen, wir werden uns Feedback geben und erfahren, ob wir unsere Vorsätze verfolgen. Wir werden miteinander lachen und diskutieren. Wir werden füreinander da sein.

30.06.2017

Im Sanatorium. Tag 16

04:55
Ich wache auf. Über mir an der Decke neben dem Rauchmelder sitzt eine riesige Spinne.

05:00-05:55
Ich starre die Spinne an und platziere einen Schuh und ein Buch (nicht sicher, was besser zum Erschlagen ist) neben dem Bett, sollte sie sich von der Decke abseilen. Sie turnt herum, seilt sich einen halben Meter ab und klettert zurück auf ihre Ausgangsposition. Sie ist riesig, und ich habe Angst vor Spinnen.

06:00-06:30
Stehe auf, geh ins Bad, mache mich frisch und schaue alle paar Minuten wieder ins Zimmer um zu schauen, was die Spinne macht. Sie macht nichts.

06:45-07:15
Gehe frühstücken, selbst um diese gnadenlos frühe Zeit ist der Speisesaal in Haus 3 gefüllt.

07:15
Wandere ins Haus 4 um die Waschmaschinen-und Trockner-Situation zu prüfen. Trage mich für 08:00 zum Waschen und von 09:00-11:00 (zwei Turns nacheinander) zum Trocknen ein.

07:30
Laufe zurück ins Haus 1 und versuche, eine Putzfrau zu überzeugen, mit mir und nem Staubsauger in mein Zimmer zu kommen. Aussichtslos. Sie sei nicht für mein Zimmer zuständig.

07:35
Die Spinne sitzt immer noch an der Decke. Raufe meine Wäsche zusammen und mache mich auf zum  Haus 4. Treffe S. auf dem Flur, die auch Angst vor Spinnen hat und somit nicht helfen kann.

07:55
Haus 4, Wäsche in Waschmaschine.

08:10
Treffe meine Putzperle auf dem Flur in Haus 1, sie ist unerschrocken, folgt mir ins Zimmer und saugt die Spinne von der Decke. Ich liebe meine Putzperle.

08:15
Erzähle S. und U. im Speisesaal (Haus 3) von der erfolgreichen Schlacht. Mache einen Weg zu meinem Briefkasten und stelle fest, dass ich nicht mehr um 09:00 für Ergometrie eingetragen bin, sondern um 08:30 für Aqua-Fit.

08:16
Zurück ins Haus 1, Doutzen Kroes-Bikini II anziehen (Doutzen Kroes-Bikini I hängt regennass draussen vorm Fenster) und Sprint ins Gesundheitszentrum.

08:30
Aqua-Fit zum Dschungelbuch-Soundtrack – auf laut gedreht.

09:05
Wieder umziehen und rüber ins Haus 4, die Wäsche aus der Maschine in den Trockner befördern.

09:20
Im Zimmer in Haus 1 Sportzeug anziehen, Doutzen Kroes-Bikini II zum Trocknen aufhängen und Sprint ins Haus 3 zur Ergometrie

09:30
Ergometrie (Radfahren)

09:55
Verschwitzt in den Hörsaal in Haus 2 auflaufen, wo um 10:00 der Vortrag über Brustkrebs Teil 2 läuft. S. und U. die Story meines Morgens erzählen.

10:50
Von Haus 2 zu Haus 4, Wäsche aus dem Trockner holen. Zum Glück ist sie diesmal auch trocken (hab ja auch doppelt Zeit gebucht).

11:00
Von Haus 4 zurück ins Haus 1, duschen, umziehen, Feierabend.

28.06.2017

Im Sanatorium. Tag 14

Isst Du den Germknödel noch auf, frage ich S. Ich würde ihn sonst gegen meine Erdbeercreme tauschen. S. tauscht, ich esse die Reste ihres Hauptgangs als Nachtisch, der sehr lecker ist – wenn auch weniger gesund als mein Putengeschnetzeltes mit Karotten und Erbsen.
Wir diskutieren noch den Ernährung-bei-Krebs-Vortrag, in dem unsere Mittagsrunde heute gemeinsam war, dann muss ich auch schon los Richtung Seminar Konfliktmanagement-am-Arbeitsplatz. Wir sind nur zwei Teilnehmer, dafür umso effizienter, da auch meine Mitstreiterin engagiert mitmacht, und so sind wir in 45 Minuten mit Teil 1 des Seminars durch. Physio bei Herrn S., dessen Sohn noch immer auf sich warten lässt, was mich freut. Schon aus der Ferne winken wir uns fröhlich zu, wenn ich zu meinem Termin im Gesundheitszentrum auftauche. Die Sonne scheint, ich gehe in die Therme und schwimme meine Runden, der blaue Himmel über mir.

Habe heute zweimal bei der Arbeit angerufen; die Kollegin, die ich überraschend am Telefon hatte, begrüsst mich mit einem warmen „we all miss you“, und auch ich stelle fest, dass ich mich freue, meine Kollegen bald wiederzusehen. Unserem Chef teile ich mit, dass ich mit der Ärztin ein erstes Vorgespräch geführt habe und eine stufenweise Wiedereingliederung im August für realistisch halte. Ich erwähne, dass ich mit Kollegin T., die gerade im Krankenhaus ist, sehr viel Kontakt habe und erfahre, dass ihr Telefon jetzt ausgeschaltet ist – ein ernster Rückschlag. Ich bin traurig und auch geschockt – haben wir gestern beim Abendessen noch über die Dankbarkeit, die uns erfüllt, weil wir noch am Leben sind, gesprochen, wird jetzt wieder deutlich, wie fragil das Leben ist.
Beschliesse spontan, dass Abendbrot im Sanatorium ausfallen zu lassen und ins Restaurant zu gehen und ein Glas Wein auf das Leben zu trinken. Es ist so kurz, das Leben.

26.06.2017

Im Sanatorium. Tag 12

Anruf von meiner Station. Mein Onko-Kochkurs fällt aus, ich wäre die einzige Teilnehmerin gewesen. Entweder kennen sich meine Mitstreiter mit gesunder Ernährung aus oder ich bin die Einzige, die daran Interesse hat. Ich vermute letzteres.

Wandere nach der Wirbelsäulengymnastik direkt zur Therme und schwimme statt zu kochen. In der Therme kommt mir I. entgegen, auch ihre Kreativtherapie ist entfallen, zum Glück hat sich eine Ergotherapeutin erbarmt und mit ihr das Weidenkörbchen zu Ende geflochten. Sie präsentiert es stolz beim Mittagessen, es sieht wirklich gut aus.

Meine abendliche Taiji-Stunde habe ich schon um 9:00 Uhr absolviert, da S. Eventmanager-Qualitäten zeigt und unser Abendprogramm in die Hand genommen hat. Gestern waren wir auf ein Glas Wein beim Italiener, heute werden wir nach dem Essen in einen Outletstore für Sportkleidung fahren, morgen hat sie uns beim chinesischen Taiji-Meister angemeldet, den ich unter meinem Baum gefunden hatte. Und das Lübecker Theaterprogramm wird sie auch noch für uns durchgehen. Läuft bei uns.

 

23.06.2017

Im Sanatorium. Tag 9

S. wird nachher den Chinesen anrufen, den ich unter meinem Baum entdeckt habe; am Dienstag Abend werden wir zusammen eine Probestunde Taiji bzw. Qigong nehmen und Einblicke in die Chinesische Medizin bekommen.

22.06.2017

Im Sanatorium. Tag 8

Da, wo die Felswand, auf der die Burgruine steht, einen breiten Absatz bildet, steht ein alter Haselbusch. Dicht verästelt ist er, und Schlehen und Weißdorn, Hundsrose und Brombeere bilden um ihn ein dichtes Verhau, und über ihn erstreckt sich das Laubwerk eines krummen Lindenbaumes, der sein knorriges Wurzelwerk in die Risse der Wand getrieben hat.
Das Geheimnis des Haselbusches

Es ist abends, die Vögel singen, unter meinen Schritten knirscht der steinige Waldboden. Die Sonne spielt mit den Blättern, die im Wind rauschen, sonst ist es still. Ich wandere durch den Wald, auf einem Baumstumpf entdecke ich ein Waldbuch, blättere es auf und fange an zu lesen. Zwei Eichhörnchen klettern auf einen Baum.

 

20.06.2017

Im Sanatorium. Tag 6

Ich mache einen Abstecher in den Kurpark und bleibe wie angewurzelt stehen: genau unter meinem Baum, unter dem ich jeden Abend Taiji mache, steht ein Chinese mit einer Gruppe Schülern. Sie bewegen sich langsam und sanft wie Blätter im Wind und praktizieren tatsächlich Taiji, aber einen anderen Stil. Ich bleibe eine Weile stehen und schaue fasziniert zu.

19.06.2017

Im Sanatorium. Tag 5

Es ist 7:30 Uhr, wir sitzen beim Frühstück. I. erzählt begeistert von dem Weidekörbchen, das sie gestern bei der Kreativtherapie geflochten hat. Gleich wird sie sich auf den Weg zum Lach-Yoga machen, ich beglückwünsche mich innerlich, dass ich weder zu Weidekörbchen noch zu Lach-Yoga verdonnert wurde. Ich höre mir einen Vortrag über Entspannungstechniken an, bevor es weiter ins Gesundheitszentrum zur Wirbelsäulengymnastik und danach zur Krankengymnastik zu Herrn S. geht. Herr S. ist da, sein Kind lässt auf sich warten. Dann ein Termin bei meiner Ärztin, die mir in Punkto gesunde Ernährung zustimmt und mir noch Seiten aus ihrem Ernährungsbuch kopiert: Gewürze, die gut gegen zu hohes Cholesterin und gegen Krebs sind. Darüber freue ich mich. Auch über meine gute Laune solle ich mich freuen, meint sie und nicht die Mitpatienten als Maßstab nehmen. Am Nachmittag noch ein Vortrag über korrekte Büstenhalter und Silikoneinlagen, diverse Modelle werden durch die Reihen gereicht. Ich muss an die BH-Präsentation im Krankenhaus denken, auch diesmal ist die Damenwäsche für eine ältere Klientel gedacht, ich reiche sie einfach nach links weiter an I., die schon etwas interessierter guckt.

Dann in die Therme, ich schwimme ein paar Runden in der Sonne, bevor ich wieder in den Kurpark gehe und – auf den See blickend – Taiji unter den großen Bäumen praktiziere. Ich wandere eine letzte Runde um den See, eine Entenfamilie kommt mir auf dem Waldweg entgegen, und ich könnte hier bis in alle Ewigkeit den See umrunden, ein bisschen wie Patrick Süsskind’s Herr Sommer. Ich würde nie mehr krank werden.

18.06.2017

Im Sanatorium. Tag 4

Wieder einmal stehe ich mit prüfendem Blick vor dem Spiegel. Mir ist beim Frühstück aufgefallen, dass viele Mitstreiter müde aussehen. Sehe ich auch müde aus? Ja, ich sehe auch müde aus, muss ich mir unfreiwillig eingestehen. Ich erinnere mich daran, dass ich gestern Abend in Lübeck bei „den Jungs“ zum Grillen war, Sekt getrunken habe und bei der nächtlichen Rückkehr von Eingang zu Eingang des Gebäudekomplexes gelaufen bin, um festzustellen dass alles abgeschlossen ist. Große Erleichterung, als ich doch noch eine Tür finde, die offen ist und durch leere Gänge und einen dunklen Speisesaal schleiche, um wieder ins Haus 1 in mein Zimmer in den zweiten Stock zu gelangen. Kein Wunder also, dass ich müde aussehe.

An der Bushaltestelle stelle ich fest, dass hier kein Bus zum Timmendorfer Strand fährt, was eigentlich mein Ausflugsziel sein sollte. Ich steige stattdessen in den Bus nach Travemünde. Der Weg ist das Ziel – zumindest bei mir und meinen Busfahrten. Wir fahren durch einen Wald, durchqueren ein Industriegebiet mit riesigen Hornbach-, Aldi-, und Ikea-Outlets, es geht durch Einfamilienhaussiedlungen, bei denen die Autos auf den Auffahrten stehen und Rosen in den Vorgärten ranken. Sonntags in Deutschland. Nach knapp einer Stunde erreichen wir Travemünde.

Das letzte Mal war ich im Februar in Travemünde, einen Arzttermin hatte ich schon eingeholt. Jetzt bin ich zurück. Es ist noch etwas grau, ich wandere die Strandpromenade entlang, kaufe mir ein Tuch (hand-made in Hamburg), trinke einen Kaffee im Strandkorb und blinzele irgendwann in die Sonne.

Im Sanatorium verpasse ich gerade den Spielmannszug des VFL Bad Schwartau, der in der Musikmuschel im Kurpark spielt, aber auch Travemündes Spielmannszug ist an der Promenade aktiv – hey Pippi Langstrumpf – scheppert es, die Musik vermengt sich mit der des Leierkastenmanns, der eine Ecke weiter an der Promenade steht.

Ich spaziere etwas weiter, setze mich vor „mein“ Atlantik Grand Hotel, bestelle etwas zu Mittag und bin bestens gelaunt (note to myself: am Dienstag beim Termin mit dem Psychologen fragen, ob das normal ist, meine verdächtig gute Laune).

Ich stehe am Strand und schaue auf den Sonnenschutz der Strandkörbe. Rote Farbe. Blaue Farbe. Grüne Farbe.

 

16.06.2017

Im Sanatorium. Tag 2

Ob ich gegen etwas allergisch sei, fragt mich die Diätassistentin bei unserem Termin. Gegen ungesunde Ernährung, antworte ich.

Am Restauranteingang ist ein Mahnmal aufgebaut, das Nutella, Haribo, Fertigsuppen & Co mitsamt den Zuckerwürfeln zeigt, die in den Lebensmitteln enthalten sind. Am Buffet gestern Abend stand ich allerdings unschlüssig zwischen verarbeiteter Wurst, hellem Brot, Kartoffelpuffer und Kaba-Kakao herum, alles Dinge, die ich aus meinem neuen Leben gestrichen habe, da sie nicht in meine Definition von gesunder Ernährung fallen. Es werden bei der Reha auch Ernährungs- und Diät-Vorträge gehalten, was ich gut, wenn auch skurril finde, wenn ich die angebotenen Speisen sehe.

Ich zähle auf, was ich alles nicht mehr esse, schnell wird der Dame klar, dass bis auf Käse und Gurkenscheiben nicht viel bleibt, was mir zusagt. Meinem Vorschlag, dass ich mir Obst und Avocados mitbringe, wird zugestimmt. Es solle nur nicht ausarten mit meinem eigenen Büffet. Ich lächele zustimmend und gehe gedanklich durch, wie ich weitere Dinge in den Speisesaal schmuggeln kann.

Auf zum dritten Termin des Morgens, um 9.00 Uhr sitze ich beim Ergotherapeuten. Auf den Blick in meine Patientenkarte – beidseitige Brustkrebs-OP und Bandscheiben-OP – stellt er fest, dass ich hiermit schon die schweren Dinge abgedeckt hätte. Ich weise darauf hin, dass er mich nicht demotivieren solle, was auch immer wir hier ergomässig machen, um mein Befinden zu optimieren – ich bin dabei. Er drückt 20 Minuten am Rücken und der rechten Schulter herum, dann sind wir fertig. Beim nächsten Mal wird er mit der Narbentherapie beginnen. Wenn er dann nicht gerade sein zweites Kind bekommt, das nächste Woche Stichtag hat. Fröhlich verabschieden wir uns, vielleicht sehen wir uns in der kommenden Woche wieder. Vielleicht aber auch nicht.