16.05.2019

Was glücklich macht.

Wir tanzen. Die Masse bebt im Rhythmus der Musik, ein Meer aus Armen reckt sich in die Luft, das Licht, die Farben ändernd, wandert über die Musiker und das tanzende Publikum, das Leo, ein „Too many“ rufend, mit einem frenetischen „Zooz“ antwortet.

Rechts aus dem Augenwinkel sehe ich die circa 75-jährige Frau, die mit mir schon am Eingang gewartet hat und der man eigentlich einen Stuhl vorn an die Bühne gestellt hatte, lachen und tanzen. Daneben eine Gruppe punkiger Mädchen mit zerrissenen schwarzen Netzstrümpfen, kurzen Röcken, knappen Shirts, bunt gefärbten Haaren und wild geschminkt, etwas weiter links ein paar amerikanische Jungs in Jeans und T-Shirt, dann wieder ein paar ältere Jazz-Fans, rechts von mir ein Holländer mit Ohrstöpseln und starrem Blick auf die Bühne, ein anderer mit Glatze und begeistert lachend, links von mir ein sehr sympathisches Amsterdamer Pärchen, mit dem ich schon vor dem Konzert ins Gespräch gekommen bin; nun tanzen wir gemeinsam in der ersten Reihe direkt vor der Bühne, strahlen uns an und rufen uns zu, wie grandios dieser und jener Song ist, lachen über die Choreografie, die es überraschender- und stellenweise gibt und über Leos Gesangsversuche. Saxophon spielen kann er besser.

Ich bin glücklich, hier in Amsterdam nachts im Club, vor mir auf der Bühne die Band, die nicht nur musikalisch einfach grandios ist, sondern auch kommuniziert, wie dankbar sie ist, genau jetzt hier zu sein und das zu tun, wozu sie Lust haben: Live your life. Life is now.
Genau hierher passen die Statements, genau hierher zu dem Abend und der Band, die mich vor zwei Jahren per live-stream virtuell mit in die New Yorker U-Bahn genommen hat, wo sie Tag für Tag spielten und ich für einige Momente vergessen konnte, dass ich mit Fatigue und einer Strahlentherapie geschafft in der Wohnung lag. Und deren Konzertbesuch im August 2017 in Berlin, in einer Dienstag Nacht, mein erstes erklärtes Ziel war, was ich ansteuern würde, denn bis dahin wollte ich gesund sein.

Was für ein wilder, wunderbarer Abend, was für ein Glück, dabei sein zu dürfen.

6.11.2018

Unterwegs.

Ich atme tief durch, als ich nach draußen schwimme. Das Wasser ist kalt, die Luft noch kälter. Dunst steigt über dem Aussenbecken des öffentlichen Bades auf, doch einige Tapfere ziehen ihre Bahnen. Das 90-jährige Pärchen ist nach mehreren Wochen Krankheit wieder dabei, drei plaudernde Rentnerinnen und ich. Auf der Schnellbahn ist mehr los; in gleichmäßigem Rhythmus kraulen die Kampfschwimmer hin und her, Wassertropfen fliegen durch die Luft um wieder ins Becken einzutauchen.

Während ich meine Bahnen ziehe, denke ich an das phänomenale Konzert und die Ansprachen, die Matt, Leo und der King of Sludge auf der Bühne gehalten haben: wie dankbar sie seien, dass sie hier in Zürich auftreten können und überhaupt 11 Monate im Jahr on tour sind – weil wir, ihre Fans, es ermöglichen, weil wir sie sehen möchten, eine Band, die mit täglichen Auftritten in der U-Bahn in New York gestartet ist. Und sie so gut wie nie ihre Familie und die Freunde sähen, weil sie nie zu Hause seien, sagt Matt. Aber dass er täglich mit seinen zwei besten Freunden zusammen sein darf, antwortet Leo. Und dass sie ihren Traum leben. Und jeder seine Träume leben soll. Und dass Kreativität wichtig sei, bei ihnen dürfe jedes Bandmitglied auf der Bühne machen was es will.
Und das schafft wunderbare einzigartige Konzerte, die alle anders ausfallen, das kann ich mittlerweile gut beurteilen.
Außerdem stünden sie – wie nach jedem Konzert – zum meet & greet mit ihren Fans zur Verfügung, sie freuen sich darauf, Fragen zu beantworten oder selfies mit ihnen zu machen.
Nicht nur die Musik ist brillant – auch die Werte, die die Band hier anspricht, stimmen mit meinen überein: Dankbarkeit, Demut, Respekt, positives Denken und das Leben der eigenen Träume.

Auf dem Flughafen stöbere ich mich durch die Lindt- und Sprüngli-Shops: ich suche nach Schokolade mit über 73% Kakaoanteil, die ich noch nicht kenne. Und werde bei einem anderen Schweizer Label fündig – Noir Noisette – sans sucre ajouté. Ohne Zucker, mit Stevia. Ich kaufe eine Tafel für mich und eine für C., die ich ihr heute als Dank für die Äpfel zur Meditation mitbringen werde.

4.11.2018

Unterwegs.

Ich könnte jetzt schreiben, dass ich an einem Sonntag Abend irgendwo in ner Industriegegend in Zürich gelandet bin.

Und dass sich die Toiletten Richtung Tiefgarage befinden.

Und dass ich mich mal wieder frage – und mich dabei amüsiert beobachte – was ich hier eigentlich mache (seit wann bin ich überhaupt zum Fangirl mutiert? Nach so vielen beruflichen Jahren mit Künstlerkontakt).

Und dass ich aufgeregt bin.

Und mich so freue.

Dass ich (wie bei jedem TMZ- Konzert) ganz vorn vor der Bühne stehe und tanze.

Dass Leo dann plötzlich samt Saxophon neben mir im Publikum steht. ❤️

Ich kann’s auch kurz fassen: simply happy. simply grateful to be here.

19.3.2018

Unterwegs.

Ich bin glücklich, denke ich, als ich an der Bushaltestelle stehe und in die untergehende Sonne blinzele. Im Gegenlicht blicke ich auf die Masten der Segler, die im Sandtorhafen liegen. Mein neuer Rucksack trägt sich gut, und er trägt meine Turnschuhe, die ich mit zum Taiji-Unterricht nehme.

Am Freitag war ich auch glücklich, ich war schwimmen und abends noch einmal beim Konzert meiner New Yorker Lieblingsband. Wie schon in Amsterdam stand ich ganz vorne an der Bühne, wieder habe ich das Hier und Jetzt genossen, wieder habe ich zur Musik in der Menge getanzt.

Und meine bucket-list wurde übertroffen: ich habe nach dem Konzert wunderbare Fotos mit denen machen können, die mir so viel bedeuten. Weil sie mit ihren Live-Streams vom Union Square in meiner dunklen Zeit mein Lichtblick waren.

Es war zwar keine Zeit, dies kundzutun, aber immerhin konnte ich vermerken, dass ich extra einen gelben Rock angezogen habe, um zu Leos Haarfarbe zu passen. Prios setzen kann ich. 😉

13.3.2018

Unterwegs.

Den Club finde ich sofort, als ich abends das Hotel verlasse und im Zickzackkurs die Lijnbaansgracht ansteuere. Allerdings bin ich den Weg heute Nachmittag schon mal abgegangen. Sicher ist sicher, ich leide an Orientierungsschwäche.

Dass das Konzert ausverkauft ist, wusste ich. Nicht aber, dass wohl Tausende Menschen die ganze Straße blockieren und mit mir in den Club möchten. Ich stelle mich in die Masse und reihe mich irgendwie ein. Hilft ja nichts. Weiter vorm Eingang stelle ich fest, dass es sich um drei Reihen handelt; hier finden heute Abend parallel drei Konzerte statt. Zufälligerweise stehe ich in der richtigen Reihe an.

Doch dann werde ich umsortiert, wegen der Mitgliedschaft, die ich erworben habe und noch bezahlen muss. Mitgliedschaft?!? Ich bin irritiert, habe aber beim Ticketkauf, der nur auf holländisch machbar war, gesehen, dass da irgendwas war, was ich nicht durchschaut habe. Hinter mir diskutieren zwei Deutsche, auch sie wissen nicht, was uns in der separaten Schlange erwartet. Vielleicht ne Waschmaschine, sagt der Eine. Die krieg ich nicht mit ins Handgepäck, antworte ich.

Wir haben in der Tat eine vierwöchige Migliedschaft im Melkweg erworben. Da es sich nur um Euro 4,- handelt und ich jetzt einfach nur ins Konzert möchte, ist mir das egal.

Ein Raunen geht durch die Reihen, der King of Sludge – in farbenfreudigen Tigermantel – bahnt sich seinen Weg durch die Menge.

Ich gebe meinen blauen Mantel ab (dummerweise bin ich nicht im wasserfesten Antarktisoutfit sondern in feiner Stadtkleidung angereist), hoffe, dass ich die Garderobe nachher wiederfinde und gehe in einen Saal. Ich bestelle mir ein Bier an der Bar und frage mich – und den Barkeeper – ob ich hier im richtigen Raum bin. Aus der Anlage ertönen Simon & Garfunkel, das ist von Too Many Zooz soweit entfernt wie Amsterdam von der Antarktis.

Ich sei richtig, wird mir versichert und marschiere nach ganz vorne vor die Bühne.

Jubel, als der King of Sludge, der unter dem Tigermantel ein T-Shirt mit Ananasdesign und orange-karierte Strümpfe trägt, auf die Bühne kommt. Matt mit Mütze (wie immer), Leo mit gelbgefärbten Haaren und farblich passendem Outfit. Ich liebe die Jungs. Und ihre Konzerte. Ich glaube, ich habe selten Konzerte so genossen wie die von Too Many Zooz – und ich habe sicher Tausende Konzerte besucht.

Der Saal tobt, hüpft, ein Meer aus Armen bewegt sich rhythmisch zu Spoktopus, als Zugabe gibt es eine Hommage an AC/DC – T.N.T. mit Bari-Sax, Trompete und Schlagzeug intoniert.

Im Garderobengedrängel fragt mich ein Typ, wie mir das Konzert gefallen hat, er sieht wild aus, so wie es das Konzert war. Er scheint verblüfft und erfreut über mein Feedback, schon spricht mich der Nächste an, der mitbekommen hat, dass ich aus Deutschland komme. Ich plaudere etwas, bin aber auch etwas irritiert. Das Publikum ist gemischt, altersmässig dürfte ich nicht auffallen, ausserdem werde ich eh jünger geschätzt. Am Ausgang spricht mich wieder einer an, irgendwie geht es sehr nett und relaxt bei den Holländern zu. Was für ein grandioser Abend! Ich glaub, ich bin auch etwas verliebt 🤗

12.3.2018

Letter.

Dear Leo, Matt & King of Sludge, just want to say how special it will be for me to see you tomorrow in concert in Berlin. I got seriously sick in February 2017 (cancer) and set up a bucket-list with what to do/see the rest of my life (which hopefully will last quite long). I was happy to see that you have scheduled a concert in Berlin – and I bought the ticket between surgeries and therapies with the goal: 8th of August I will be in Berlin and listen to you. My health went better and now I am packing my suitcase and will travel to Berlin tomorrow. And I can tick the first item from my bucket list. It means quite a lot to me to be there tomorrow – even though I also enjoyed the live-streams on Facebook during my illness which somehow kept me connected to the „real“ world – see you tomorrow!

C. from Hamburg, Germany, 7th August 2017

Since then, I have enjoyed my favourite band not even in Berlin in August 2017 but also in Edinburgh in December 2017. And tomorrow evening in Amsterdam. And on Friday in Hamburg! 🎷🎺🥁

12.11.2017

Unterwegs.

Alternatives Sportprogramm am Wochenende: 80 Minuten auf- und abhüpfen inclusive Arme in die Luft recken am Freitag im La Belle Angele bei Too Many Zooz, am Samstag wandern von Pub zu Café zu Restaurant…

Edinburgh 2017. Life is now.

31.10.2017

Unterwegs.
It’s just a jump to the left. And then a step to the right. Put your hands on your hips…   Time Warp from Rocky Horror Picture Show / E.A. Smith

Es ist dunkel, düstere Fotos von Grabsteinen sind an die Wände projeziert, während eine Gruppe Skelette einen Sarg zur Bühne trägt.

Halloween meets Hamburg singt, das Chorevent, den meine Freundin M. und ich ab und an besuchen. 

Da Meditation ausfällt und ich heute Vormittag schon eine Stunde geschwommen bin, freue ich mich, wieder mal beim Singen dabei zu sein; 500 Menschen performen dreistimmig, was unwahrscheinlich schön klingt. Wir sind ganz vorn und singen – und tanzen – bei der hohen Stimme.

▶️ Thriller mit Choreo on stage 

▶️ Little Shop Of Horrors

▶️ Titelsong aus Tanz der Vampire

▶️ Time Warp

▶️ Sweet Dreams  

Und wieder ein Moment, für den ich dankbar bin, dass ich ihn erleben darf. Life is beautiful.

13.08.2017

Unterwegs.

 

Wir trennten uns. Ich wanderte noch lange in der Nacht umher. Ich konnte mich nicht entschließen, nach Hause zurückzukehren. Ich war so glücklich…
F.M. Dostojewski „Der Traum eines lächerlichen Menschen“

Es ist kurz vor 22.00 Uhr, eine warme Sommernacht, ich stehe unter einem Fenster, das zum Frannz Club gehört. Die Jalousien sind heruntergelassen, das Fenster ist aber geöffnet. Dahinter sind die pinken Haare von Leo P. auszumachen, der Schatten seines Kopfes und des Saxophons. Die Melodie, die er spielt, ist wunderschön, fasziniert höre ich zu. Dann muss ich mich losreissen, gehe in den Club hinein, es ist voll, hier in der Nacht, hier im Berliner Osten, hier, wo gleich Too Many Zooz auftreten werden.

An der Bar bestelle ich ein Bitter Lemon, das gibt es im Glas, mit Eis und Zitrone. Ich bahne mir einen Weg durch die Menschenmenge zur Bühne. Ich möchte vorne stehen. Und dann ist er da, der Augenblick, auf den ich mich seit Anfang April gefreut habe: Der King of Sludge kommt auf die Bühne und gibt mit den drums den Rhythmus vor, es folgen, bereits  saxophonspielend, Leo P. und Matt Doe mit seiner Trompete. Das Publikum lässt sich sofort mitreissen, es tobt, springt, reisst die Arme in die Luft und jubelt. Und dann geschieht etwas, das selten ist und das ich seit dem Drama gar nicht mehr war. Ich bin glücklich.

 

07.08.2017

Unterwegs.

In recent years I’ve turned down trips abroad for these very reasons so why is it that I am about to fly all the way to America for the sake of a $12 coffee mug?
Mike Gayle, The To-Do List

Morgen ist es soweit. Ich werde den ersten Punkt, der auf meiner Bucket-List steht, umsetzen. Darauf habe ich mich seit Monaten gefreut.

Anfang April, kurz nach der Operation und ohne zu wissen, wie es gesundheitlich weitergeht, habe ich mir ein Ticket für das Konzert meiner Lieblingsband Too Many Zooz gekauft, die in einem Club auftreten, um 22:00 Uhr, einer Dienstagnacht, in Berlin, im August. Die Band spielt sonst am Union Square in New York in der U-Bahn-Station, und auch dorthin hätte ich die Reise angetreten, um sie einmal live zu sehen.

Der Besuch des Konzerts ist nicht nur der erste Punkt auf meiner Bucket-List, sondern war Anfang April auch meine Zielsetzung: bis zum 8. August bin ich wieder gesund. Ich werde mitten in der Woche nach Berlin fahren und nachts in ein – höchstwahrscheinlich wildes – Konzert gehen. Ich werde vor der Bühne stehen. Ich werde lachen. Ich werde tanzen. Ich werde Spaß haben. Ich werde leben.

Eben trifft mein Schwerbehindertenausweis ein. Auf dem Foto lache ich mir entgegen und sehe fit und fröhlich aus.  Noch habe ich mich nicht mit dem Begriff „schwerbehindert“ angefreundet. Vielleicht werde ich das auch nie tun. Und vielleicht ist das auch egal. Für die morgige Nacht sowieso.

10.04.2017

Zuhause.

Berlin! Du bist so wunderbar…
Kaiserbase

Das Leben lebenswert machen – dazu gehören auch Belohnungen. Ich habe viele Ideen, wie ich mich für die ganzen Strapazen belohnen könnte, wenn sich mein Leben nach Operation, Strahlentherapie & Co. wieder in ruhigeren Gewässern bewegen wird. Wobei „Ruhe“ nicht ganz der richtige Begriff ist.

Eine Bucket-List muss her, die, bevor ich überhaupt damit anfange, eine wundersame Synergie mit meiner Belohnungsidee eingeht.

Meine Lieblingsband, ein New Yorker Trio namens Too Many Zooz, wollte ich schon immer unbedingt mal live sehen. Die Band, bestehend aus Matt Doe (Trompete), The King of Sludge (Drums) und Leo P (Bariton Saxophon), spielt vornehmlich in der Bahn-Station am Union Square; vielleicht etwas ungewiss, sich ein Flugticket nach New York zu kaufen und die Tage in der U-Bahn herumzulungern, hoffend, dass die Band um die Ecke biegt und ein Konzert für mich gibt.

Neben den ganzen Emails für Besichtigungen von Friedwäldern und Schminkkursen für Krebskranke dann ein Email von einem Tickethändler: Too Many Zooz werden im August nach Deutschland kommen! Sofort kaufe ich ein Ticket und ignoriere, dass das Konzert an einem Dienstag Abend um 22.00 Uhr in einem Berliner Club am Tiergarten stattfindet. Das entsprechende Design-Hotel am Kudamm buche ich gleich mit – statt um diese Uhrzeit in mein Hamburger Bett zu gehen, werde ich in dieser Dienstagnacht in Berlin vor der Bühne tanzen! Und einen Punkt auf meiner noch nicht angefertigten Bucket-List abhaken.