23.06.2019

Unterwegs.

Da steht sie, nachts an der Aussenalster, die langen roten Haare sind zerzaust, ihr Gesicht ist blass. Vor ihr steht ein kleiner Koffer, in der einen Hand hält sie die Unterlagen aus dem Krankenhaus, aus dem sie eben geflüchtet ist, in der anderen das Handy, mit dem sie mir Nachrichten schickt.

Dreimal habe ich nachgefragt, ob sie Hilfe benötige, ich sei da, dreimal hat sie geantwortet, dass sie ok sei und alles im Griff habe. Ich bin mir nicht sicher, ob das stimmt, aber wir kennen uns nicht gut genug, ich muss ihre Entscheidung respektieren.

Ob ich das Krankenhaus xy kennen würde? Nein, schreibe ich zurück, sie solle in ein Taxi steigen und in das große Krankenhaus fahren, in dem habe ich im letzten November sehr gute Erfahrungen gemacht. Wenn sie allerdings einen Rettungswagen rufen würde, würde dieser sie sofort in das Krankenhaus zurückbringen, das sie soeben entgegen dem Rat der Ärzte fluchtartig verlassen hat.
Weil sie dort schon seit einigen Tagen mit Schmerzen liegt.
Weil nach drei Tagen morgens endlich ein MRT gemacht wird und abends die Info erfolgt, dass man etwas sehen würde, aber man wüsste nicht genau was, man müsste wohl mal nachschauen.
Weil der Arzt nach einer Minute entschwindet, obwohl sie noch nicht einmal ihren Satz beendet hat.
Weil die Zimmergenossin hustet und hustet und sich immer wieder im Bett erbricht und keine Schwestern da sind.
Weil es schmutzig ist.
Weil sie unbedingt weg möchte.
Was sie denn tun solle?

Ich erinnere mich, als ich vor einigen Jahren in dieses Krankenhaus als Notfall eingeliefert wurde.
An den Schmutz (die Urinbehälter der ehemaligen männlichen Zimmerbewohner lagen noch im Bad, überall war Staub).
An eine Ärzteschar, die in der Zimmerecke stand und in dritter Person über mich gesprochen hat, obwohl ich doch im Raum war.
An das Verweigern eines neuen MRTs, obwohl ich einen lauten Knall im Rücken gehört und unvorstellbare Schmerzen gespürt hatte.
Über eine Woche im Krankenhaus liegend mit Schmerzmitteln, die nicht geholfen haben.
An den Oberarzt, der nach der OP im Aufwachraum kleinlaut feststellte, dass man das Unterfangen unterschätzt habe, und es eine schwere Operation war, die Bandscheibe in viele Teile zersprungen, man nicht wüsste, ob man am richtigen Wirbel operierte, der Nerv nicht mehr lag, wo er eigentlich hingehörte, und meine Schmerzen mit Folterschmerzen verglich.
Aber an diese Worte würde ich mich später nicht erinnern, hier im Aufwachraum, fügt er hinzu.
Und doch erinnere ich mich sehr gut an jedes seiner Worte.

Wenn sie es körperlich schaffe, das Krankenhaus zu verlassen und in ein Taxi zu steigen, dann würde ich ihr dazu raten. Nun steht sie im Dunkeln an der Alster und wartet auf ein Taxi.

Wir bleiben in Verbindung, vorsichtshalber gehe ich noch nicht ins Bett sondern warte auf dem Sofa ab, sie kommt in der Notaufnahme des großen Krankenhauses an und kommt auch sofort dran, sie liegt dort in einem Bett, man untersucht sie und entscheidet, in der nächsten Stunde zu operieren. Höchste Zeit, sagen die Ärzte, die Werte seien schlecht. Und entfernen den entzündeten Blinddarm und auch ein Stück des bereits entzündeten Darms.

Unsere Stand Up Paddling Tour, die wir eigentlich heute machen wollten, verschiebt sich entsprechend. Ich gehe schwimmen, schwimmen ist gut, vor allem im Glitzerwasser, und schwimmen muss ich sowieso können, wenn ich mich auf ein wackeliges Brett auf die Hamburger Aussenalster wagen möchte.

Mo: Taiji ✔️
Di: Schwimmen  ✔️Taiji ✔️
Do: Gym ✔️
Fr: Schwimmen ✔️
Sonntag: Schwimmen  ✔️ Tubes ✔️

20.03.2019

Im Krankenhaus.

Ich schwitze. Schweißperlen bilden sich auf meiner Oberlippe, während ich versuche, die dicke rote Antarktisjacke auszuziehen und zeitgleich meinen Hausarzt anzurufen. Wählen Sie die Eins, wenn Sie ein Rezept möchten, wählen Sie die Zwei, wenn Sie eine Überweisung möchten, wählen Sie die…ich wähle die Drei. Live aus dem „großen Krankenhaus„, sage ich etwas atemlos, und ich habe es übersehen, dass ich für den heutigen Termin zur Nachuntersuchung eine Überweisung bräuchte. Und diese bräuchte das Krankenhaus genau jetzt, am besten gefaxt, hier hab‘ ich die Faxnummer, ohne Überweisung käme ich nicht dran, mein Hausarzt sei Herr Dr. X; seinen Namen bringe ich am Telefon allerdings mit dem Namen eines Buchautors durcheinander, ach, und auch ich sei gerade etwas durcheinander.
Es ist still am anderen Ende der Leitung.
Hallo?
Man würde die Überweisung gerade ausstellen und jetzt ans „große Krankenhaus“ faxen. In meiner Hausarztpraxis arbeiten Profis. Ich atme auf.
Die Rezeptionistin kommt mir entgegen, das Fax sei da, ich kann gleich weiter zum Arzt. Beim Ultraschall sieht alles gut aus, weiter gehts zur Blutabnahme, mir wird Tc-Pertechnetate gespritzt und eine Szintigrafie gemacht.
Die medizinische Assistentin mit den dunklen Augen und den lockigen Haaren lacht mich an, als ich ihr sage, dass ich in zwei Tagen nach Israel fliege. Sie sei gerade zurück aus Beirut, ihr Vater sei Palästinenser und in den 40ern in den Libanon geflohen. Warm sei es dort und schön, was ich mir alles anschauen werde, und – das sagt sie zweimal und sehr nachdrücklich – ich mir bitte beide Seiten anhören möge. Das werde ich ganz bestimmt, antworte ich, wir treffen auch Palästinenser zum Mittagessen.
Das TC-Pertechnetate muß 15 Minuten wirken, bevor die Szintigrafie gemacht werden kann: wir stellen fest, dass wir beide einen Bandscheibenvorfall haben/hatten, beide in „meinem“ Krankenhaus operiert wurden und beide im selben öffentlichen Bad schwimmen (bzw. sie früher dort geschwommen ist). Sie sei Lehrerin für Feldenkrais, wir sprechen über Sport und über gesunde Ernährung, über Krankenhauserfahrungen und gute und auch schlechte Ärzte.
Ich erzähle von meinen guten Hausärzten, ohne die ich in diesem Moment nicht hier sitzen würde (vergessene Überweisung) und auch davon, wo ich sonst zur Nachsorge hingehe. Sie fragt genau nach und schreibt mit, sie sucht gerade einen neuen Hausarzt und auch einen Gyn. Wir könnten uns noch viel länger austauschen.
Wir bedanken uns gegenseitig für dieses tolle Gespräch, ich gehe zurück zum Arzt wegen des Schreibens für den Flughafen („there is definetely no danger from the residual radioactivity for the public“), auch hier unterhalten wir uns noch etwas über meine anstehende Reise.
Was für ein Glücksfall heute Morgen im „großen Krankenhaus“.

Bevor ich auf dem Rückweg Dankeschön-Pralinen in meiner Hausarztpraxis abgebe,  mache mich auf ins Außenbecken des öffentlichen Bades.

29.11.2018

Im Krankenhaus.

Nachts höre ich die Hubschrauber. Nebenan ist die Notaufnahme.
Es regnet.
Das Zwischenbad, das ich mir mit einem älteren Herren teile, ist dauernd besetzt. Ich höre, wie er mit seinem Stock hinein humpelt und die Zwischentür zu meinem Zimmer abschliesst. Auf dem Bord stehen seine Zahnbürste, Zahnpasta und eine geöffnete Dose mit einer Seife. Sonst nichts.
Ich lege meine Zahnbürste, Zahnpasta, Narbensalbe, Sanddorn-Duschlotion, Reinigungsmilch und Sanddorn-Bodylotion daneben und beschließe, meine anderen Cremes und Dosen im Zimmer zu lassen.

Gestern Abend, beim Hören von Chopins Klavierkonzerten, habe ich das Fenster ausser Gefecht gesetzt, nachdem der Pfleger fragte, ob alles ok sei und ich dies bejaht hatte. Ich muss läuten, ich kann das Fenster nicht die ganze Nacht geöffnet lassen, es ist schon jetzt empfindlich kalt in meinem Zimmer. Waren Sie das?, fragt er mich. Ich muß das bejahen, außer mir ist ja kein anderer Mensch in der Nähe. Er hat den passenden Schlüssel dabei, mit dem er das eingedrückte Schloss wieder öffnen kann. Es ist mir schon etwas peinlich, aber nun kann ich das Fenster wieder schliessen.

Ich lege mich ins Bett, den Kopf am Fussende, damit die Hilfsgriffe nicht über mir hängen und schaue etwas Aktenzeichen XY. Es klopft, es ist spät, es ist der Nachtpfleger.
Er wolle sich kurz vorstellen und schauen, ob alles ok sei – und stellt fest, dass ich falschrum liege und der Fernseher in einem schlechten Winkel zum Gucken stünde. Das stimmt, sage ich, aber ich habe mich nicht mehr zu melden gewagt, ich hätte ja schon das Fenster…er lacht. Das habe er schon gehört. Dann richtet er mir den Fernseher ein. Nicht so dicht an mich rankommen, rufe ich, ich strahle! Ja, sagt er, er kenne die Regeln, alles gut. Mir gefiele es hier bisher, plaudere ich los. Der Pfleger schaut überrascht, ich lobe das Mittag, das freundliche Personal, mein schönes Zimmer…aber ich dürfte auch die Nachteile hinterher in den Bewertungsbogen reinschreiben, antwortet er. Ich vermute, er hat eine andere Sichtweise auf das Leben und Arbeiten im Krankenhaus. Ausschlafen könne ich morgen auch, das Frühstück gebe es erst ab 8.00h.

Ich stehe um 7.00h auf, mache mich frisch (duschen darf man nur alle drei Tage) und lege eine Runde Stretching ein. Meine Schilddrüse ist angeschwollen. In dem gegenüber liegenden Gebäude gehen die Lichter an; die Büros füllen sich, Ärzte und Pfleger laufen durch die Gänge, an einem Fenster zieht sich ein Arzt um. Ich schaue interessiert und wende den Kopf ab, als er nur noch in karierten Boxer-Shorts da steht. Als ich wieder hinschaue, ist er angezogen, diesmal im weißen Outfit.

Ich lese etwas, werkele am Konzept für die Stiftung des Mammazentrums, bestelle mir die Weihnachts-LP meiner Lieblingsband und Weihnachtskarten von der Deutschen Krebshilfe und lege eine Liste mit Buchbesprechungen für 2019 an.
Dann Taiji-Übungen, 19er-Form und Reeling Silk. Zur Weihnachtsmusik von Too Many Zooz tanze ich durch’s Zimmer, bis es an der Tür klopft. Oh, ich sei gerade mitten in…schon ok, antworte ich schnell, und folge der Ärztin zum Strahlenmessen.

Als ich später wieder ins Badezimmer gehe, ist es um eine Seifendose, eine Zahnbürste und eine Zahnpasta leerer.

Hier hat alles einen barcode. Ich auch.

28.11.2018

Im Krankenhaus.

Ich möchte gern eine Woche in ein Kloster. Jetzt bin ich voraussichtlich eine Woche in der abgeschlossenen Nuklearmedizin im großen Krankenhaus. Allein im Einzelzimmer. Auf Abstand. Das ist auch fast wie ein Aufenthalt im Kloster. Allerdings ohne Klostergarten. Dafür umsonst.

Ich habe zwei Bücher dabei: Unter den Menschen (Mathijs Deen) und Into the Silence (Wade Davis). Gegensätzliche Titel. Aber auch passend für den Moment.

Kontemplation. Sensorische Deprivation. Darf ich mein Handy behal….neeein, stop, nicht das Handy wegneh…oh no…kann ich…hallo…ha…

20.11.2018

Im anderen Krankenhaus.

Projekt Schilddrüse.
Jetzt weiß ich, warum mir das Krankenhaus mitgeteilt hat, ich möge vier bis fünf Stunden Zeit einplanen. Dieses Krankenhaus ist eines der größten in Hamburg, über 1.700 Betten gibt es hier. ‚Mein‘ Krankenhaus, in dem ich gestern zum Stiftungsgespräch war, hat gerade mal 21 Betten – zählt aber zu Deutschland’s renommierten Mammazentren.

Im großen Krankenhaus schickt man mich von A nach B und dann nach C und wieder zurück nach A. Als Orientierungslegastheniker, der ich bin, ist das eine Herausforderung; Gänge, weitere Gänge, Abzweigungen, Türen, Treppen rauf und runter, weiter mit dem Lift – das ist meine heutige Sporteinheit. Großes Lob, als ich vom Empfangzentrum der stationären Aufnahme zurück im Souterrain in der Nuklearmedizin auftauche: das ginge ja schnell, wird mir bescheinigt. Seit 8.00h bin ich im Krankenhaus kreuz und quer unterwegs; Arztgespräch, Ultraschall, Blutabnahme, Spritze, Szintigrafie, Probe-Tablette mit radioaktivem Jod, mehrmalige Strahlenmessungen, Registrierung, Besuch und Einweisung auf der geschlossenen Station, in die ich nächste Woche einchecken werde und auf derer Tür ein riesiges gelb-schwarzes Warnzeichen prangt – Nuklearbereich.

Auch in diesem Krankenhaus sind wirklich alle sehr freundlich, die Ärztin, bei der ich beim vorigen Mal zum Erstgespräch war, erinnert sich an mich, wir plaudern. Die medizinische Assistentin schiebt bereitwillig eine Liege ins Zimmer für die Blutabnahme und bemerkt wohlwollend, dass ich vorher Bescheid gebe anstatt nachher bei der Entnahme zusammenzuklappen. Auf der geschlossenen Nuklear-Station, an deren Tür ich klingeln muß, empfängt mich Schwester S. Sie strahlt (Ha! Wortwitz!) mich an, man würde sich hier schon fragen, wo ich meinen merkwürdigen Nachnamen her habe. Das kenne ich schon, ich kontere standardmäßig mit einer witzigen Antwort.

Sportgeräte dürfe ich nicht mitbringen, erklärt mir Schwester S., Meditation und Taiji seien ok. Nüsse, Wurzeln, Äpfel usw. darf ich hingegen im Gepäck führen, und auch einen Kühlschrank gäbe es, wo ich meine extra-Nahrung lagern könne. Ich kreuze in einem hübsch-gedruckten Flyer an, was ich morgens, mittags und abends essen möchte und entspanne mich. Klingt alles lecker und passt mit meinen Ernährungsvorstellungen zusammen.

Zwischendurch pausiere ich auf einer Bank und freue mich über meine neue Frühstücks-Lunch-Box.

Nach fünf Stunden verlasse ich das Krankenhaus, morgen früh folgt Teil 2 der vorstationären Untersuchungen.