12.07.2019

Unterwegs.

Haben Sie die Farbe gewechselt?
Das fragt mich nicht etwa meine Schwimmfreundin G. (die auch heute anscheinend wieder weit vor unserer gemeinsamen Zeit zum Schwimmen gewesen ist) sondern Walross 1.
Walross  1 taucht unvermutet vor mir im Aussenbecken des öffentlichen Bades auf und spricht mich an. Wir haben noch nie miteinander gesprochen.
Stimmt, antworte ich, ich habe die Farbe gewechselt; fällt das auf?
Meine Antwort ist ziemlich blöd, denn ich trage, statt wie sonst dezent schwarz-weiß gepunktet, zum ersten Mal meinen neuen Badeanzug, der ausschaut, als würde ich zum Baywatch-Team gehören. Aber in knallig.
Das Rot ist Neonfarben, leuchtet im Becken und anscheinend auch in der Tiefe, jedenfalls so sehr, dass es Walross 1 angezogen hat.
Das wird sich hier wie ein Lauffeuer verbreiten, meint Walross 1. Feuer passt in der Tat ganz gut zur Beschreibung meines Outfits, ich muss lachen. Von unten, fügt er hinzu, sehe man viel besser, er könne schon anhand der Bewegungen  und der Farben ausmachen, wer im Becken schwimmt.
Ich entgegne, dass, sollte ich mal auf den Grund sinken, man mich sofort sehen und retten könne.
Ausserdem finde ich mich gerade schick, denke ich, als ich mit ausgebreiteten Armen am Beckenrand ins hellblaue Wasser schaue und auf meine mittlerweile bronzegefärbten Beine und den knalligen Badeanzug blicke. It’s a match.
40 Bahnen (1.000 Meter) später bin ich 40 Bahnen glücklicher.

Auf dem Anrufbeantworter ist die Arzthelferin, die mir kurz vor Praxis-Urlaub die Blutwerte durchgibt: Vitamin D prima, den TSH-Wert (Schilddrüsenwert) solle ich in drei Monaten unbedingt nochmal prüfen lassen. Aber nichts in der Zwischenzeit unternehmen! Das wiederholt sie dreimal. Und richtet noch liebe Grüße vom Arzt aus. Ich vermute, dass er sich an unsere Vitamin D-Diskussionen und meine eigenmächtigen Änderungen in der Einnahme erinnert hat und jetzt Warnungen durchgeben lässt.

Auf das Nachmittagsmeeting mit dem Herausgeber der Zeitung, für die ich nebenbei schreibe, habe ich keine Lust. Ich bin in der Stimmung, die journalistische Arbeit an den Nagel zu hängen. Viel Zeit bleibt mir neben meinem Volltagsjob und dem täglichen Sportprogramm sowieso nicht.
Interessant, dass ich aus dem Meeting mit dreimal so vielen Themen für die nächsten Monate nach Hause gehe. Seit wann bin ich so wankelmütig?

13.05.2019

Zuhause.

18.00h

Koffer gepackt. Geduscht. Haare gewaschen. Blumen gegossen. Taxi für 4.30h vorbestellt. Handies aufgeladen. Müll weggebracht. Reiseproviant vorbereitet (2 Kürbisbrötchen, 2 Wurzeln, Nüsse).

21.00h

Tickets und Hotel gecheckt. Koffer umgepackt. Das erste Reisebrötchen aufgegessen.

Das fängt ja gut an.

03.02.2019

Unterwegs.

S: Weißt Du, dass es beim „Burning Man“ in der Wüste keine sanitären Anlagen gibt? Und man seinen Müll wieder mitnehmen muß?

Das ist mir entgangen, allerdings habe ich mich noch nicht so genau mit dem Event, der jährlich in der Wüste von Nevada stattfindet, auseinandergesetzt. Ich habe die Fotos von J., eines der California Girls, das ich in der Antarktis kennen gelernt habe, gesehen, und war Feuer und Flamme. Ich möchte zum Burning Man. S. ist auch interessiert, hat aber schon etwas besser recherchiert. Dieses Jahr wird es eh nix, denn meine Reiseplanung 2019 steht bereits. Was sanitäre Anlagen angeht, bin ich seit Tibet paralysiert. Ich werde etwas tiefer in die Recherche gehen, wenn es an der Zeit ist.
Dann erzählt S. von Israel, dem Toten Meer, dem See Genezareth, Bethlehem und Jerusalem und Tel Aviv und dem guten Essen, das sie dort im November genossen hat, und ich freue mich auf meine Exkursion im März.

Waage: Du hast zugenommen.

Ich schiebe die Waage durch’s Bad, manchmal bringt das ein paar Gramm, wenn sie woanders steht.

Schilddrüse: Ich bin nicht schuld!
Ich: Ich weiß. Und dafür bin ich sehr dankbar, dass Du trotz hinterhältigen Radiojod-Angriff weiter funktionierst.

Mülleimer: Was sind das neuerdings für Tüten – Kokoschips, Popcorn, Gemüsechips, Chinoa-Flips?
Waage laut aus dem Bad: Aha!
Ich: Das waren Testkäufe. Passiert nicht wieder. Ich wollte leckere Snacks, die gesund sind, aber so gesund sind die leider auch wieder nicht. Allerdings arbeitet der Hersteller an nicht-frittierten Chinoa-Flips, die würden mich dann schon interessieren.
Bauch: Könntest Du den oberen Knopf der Hose auflassen? Oder die Skiunterwäsche ausziehen. So geht das jedenfalls nicht.
Ich: Schon gut. Wir fahren jetzt an die See, dann wird geschwommen und gewandert.

Himmel über Travemünde: Ich bin grau. 
Ich: Das stört mich nicht. Ich mag Dich, egal ob blau, grau, schwarz oder bald auch Nordlichter-grün.

Café Niederegger: He – Du kommst gar nicht herein? Was ist los?
Ich: Ich hatte mehr Appetit auf ein Vollkornbrötchen mit Frischkäse. Und einen Kaffee ohne Milch. Bääm! Zwei Sünden weniger.

Ich gehe weiter, kehre in meinem Lieblingsladen ein, gönne mir ein neues T-Shirt (geplant) und eine gestreifte Bluse (ungeplant).
Abends geht es in mein Lieblingsrestaurant, ich bekomme einen schönen Tisch am Fenster – ganz ohne Reservierung, und es ist voll – schaue auf die großen Schiffe, die die Ostsee hinunterfahren, ganz dicht an meinem Gesicht vorbei und wie Hochhäuser aus dem Meer herausragen. Putenfilet, Wok-Gemüse, Ofenkartoffel, eine kleine Weißweinschorle und ein Buch – mehr braucht es nicht, um glücklich zu sein.
Draußen ist es dunkel und kalt. Der Wind weht mir die Schneeflocken ins Gesicht, ich glitsche vorsichtig am Kai entlang, der Weg zum Hotel geht aufwärts, ich muß aufpassen, es ist rutschig und nass.

Vom Hotelzimmer im 13.ten Stock schaue ich über die Lübecker Bucht. Die beleuchtete Rentiergruppe steht nicht mehr am grüngestreiften Leuchtturm, sondern weiter unten kurz vorm Grand Hotel Atlantic.
Morgens um 8.00h bin ich bereits wieder im Pool und ziehe meine Bahnen. Danach ein gesundes aber ausgiebiges Frühstück (note to myself: was die Waage sagt, kannste Dir denken) und ein ausgedehnter Spaziergang am Strand entlang.

Ich: Wohin geht ihr?
Rentiergruppe: Immer weiter, weiter, weiter.

Himmel über Hamburg: Ich bin blau.
Haushalt: Du musst Dich um mich kümmern!
Wäscheständer: Die Wäsche ist längst trocken.
Koffer: Ich muss ausgepackt werden.
Badeanzug: Ich möchte nicht mehr im Bad rumhängen.
Waage: Du…
Ich: Ich ignoriere Dich!
Fußboden: Warum schüttelst Du die Regenhose aus, jetzt ist alles voller Sand. Ich muß gewischt werden.
Bett: Nicht die Regenhose! Zu spät. Sand ist im Bett.
Tulpen in Bad, Wohnzimmer, Schlafzimmer: — Keine Reaktion. Sie sind tot. Ich werfe sie weg.
Baum: Ich habe alle Blätter abgeworfen. 
Ich: Das sehe ich.
Abwasch: Also wenn Du Tee trinken möchtest, müsstest Du erst eine Tasse abwaschen.
Neue Bluse: In diesen Kleiderschrank soll ich? Es ist hier unordentlich.

Ich: Wie geht es Dir?
Ich stelle mich neben mich und schaue mich an.
Ich: Es geht mir gut.
Und koche mir erstmal einen Figurschmeichler-Tee (Kurkuma-Mate), bevor ich den Haushalt in Angriff nehme.

Montag: Taiji ✔️
Dienstag: Stretching und Meditation ✔️
Mittwoch: Herzsport ❌ (stattdessen Schauspielhaus: Krankenakte Robert Schumann mit Mathias Brandt, und das war bereits das Theater-Highlight 2019!)
Donnerstag: Gym ✔️
Freitag: Schwimmen ✔️
Samstag: Schwimmen ✔️und 11.167 Schritte ✔️
Sonntag: Schwimmen ✔️und 7.246 Schritte (Stand: 15.34h) und Aktion Haushalt 🔛

 

18.1.2019

Zuhause.

Wenn mein lieber Freund mitteilt, daß er ab jetzt Veganer sei.
Wenn ich innerlich mit den Augen rolle und antworte, daß man da aber Nahrungsergänzungsmittel einnehmen müsse, um keine Mangelerscheinungen zu bekommen.
Wenn ich ein paar Tage abwarte und nachfrage, ob er immer noch Veganer sei.
Wenn er dies bejaht. (Disziplin können wir.)
Wenn ich feststelle, dass er mit dem Fisch-Restaurant, in dem wir – wie jedes Jahr zum Geburtstag – einen Tisch gebucht haben, selbst vorab diskutieren könne, was man ihm denn nun kredenzen dürfe.
Wenn der Tisch im Fisch-Restaurant abbestellt wird.
Wenn ich mich auf die Suche nach einem anderen Restaurant begebe, das am Feiertag geöffnet hat und etwas Veganes vorbereiten kann.
Wenn das Restaurant an der Elbchaussee sagt, sie könnten sich auf Veganer einstellen.
Wenn das vorgeschlagene 5-Gänge-Menü so interessant klingt, dass ich es für mich auch vorbestelle.
Wenn alle Gäste um uns herum Steaks und Enten und Gänse und Klöße mit Sauce essen.
Wenn das vegane 5-Gänge-Menü optisch grandios ausschaut und auch noch lecker ist.
Wenn wir für’s nächste Jahr sofort wieder reservieren. Veganes Menü, versteht sich.
Wenn ich abends in der Bar einen alkoholfreien Basilikum-Cocktail trinke.
Wenn ich mich frage, wo das noch enden soll 🤔

img_8951.jpg

 

 

 

 

7.1.2019

Unterwegs.

Du bist vor einer halben Stunde von der Arbeit nach Hause gekommen, nass und verfroren, und nun willst Du schon wieder los?!? Mach‘ doch den Weihnachtsbaum nochmal an, leg‘ Dich auf’s Sofa und lies den Krimi weiter, den Du gestern angefangen hast. Vielleicht noch ein leckeres Brötchen mit Mandelmus und einen Tee?
Ich ziehe mein Sportzeug an und versuche, den inneren Schweinehund zu ignorieren.
Du kannst auch im Wohnzimmer Stretching machen. Oder meditieren? Und dann auf’s Sofa? Es ist so schön warm hier!
Ich ziehe die Regenhose über.
Ich ziehe die Regenhose wieder aus.
Ich fange an, mich zu ärgern.
Ich schaue auf die Uhr. In drei Minuten müsste ich los, wenn ich den Bus noch kriegen will.
Und dann steht der Bus wieder im Stau, und Du verpasst (und das nicht zum ersten Mal!)  den Anschlussbus und kannst im Regen zurücklaufen. Für nichts und wieder nichts. Besser, gleich zuhause zu bleiben!
Ich liege aber gut in der Zeit, ich kann einen Bus früher bekommen, dann klappt es auch mit dem Umsteigen an den Landungsbrücken.
Ich ziehe die Regenhose wieder an.
Ich packe die Turnschuhe ein, eine Box mit Nüssen und eine Flasche Wasser, in die ich schnell noch etwas frische Zitrone presse.
Der Schweinehund hüpft wild vorm Fenster und zeigt auf den Regen und die Dunkelheit. Langsam werde ich wirklich wütend. Es ist das erste Taiji-Training in diesem Jahr, das kann nicht schon geschwänzt werden! Ich ziehe die Antarktisjacke an, nehme meinen Rucksack und marschiere zur Bushaltestelle.
In den Unterstand an der Haltestelle regnet es hinein, mein Gesicht und meine Haare sind bereits nass, egal wie ich mich drehe.
Noch kannst Du umkehren, ruft der Schweinehund.
Ich versuche, den Kapuzenpullover tiefer ins Gesicht zu ziehen.
Der Bus kommt. Ich steige ein.
Ich bekomme an den Landungsbrücken den Anschlussbus, sogar einen früher als gedacht.
Auf dem Weg durch den Park zur Turnhalle kommen mir einige Mitschüler entgegen. Du kannst gleich wieder mit uns umkehren, wir gehen einen Tee trinken! Unser Lehrer komme später, und F. hätte den Schlüssel für die Halle vergessen und sei gerade auf dem Weg zurück nach Hause um ihn zu holen. Das Café hat geschlossen, wir stehen im Eingang, immerhin ist es trocken. Ich konnte mich kaum aufraffen, sagt K. Aber die erste Stunde im neuen Jahr kann man ja nicht schwänzen.
Unser Lehrer kommt, auch er durchnässt, wir warten immer noch auf F. und den Schlüssel. P. reicht eine Packung Schokokekse herum, die Stimmung ist fröhlich. R. ruft F. an und fragt wo er mit dem Schlüssel bliebe, ach Mallorca, das sei ja nett, sie lachen und scherzen am Telefon.
Die Schokokekse drehen eine zweite Runde, bevor wir wieder zurück durch den Park in Richtung Halle laufen.
F. taucht auf, mit ihm der Schlüssel, wir fangen leicht verspätet an, was unser Lehrer mit dem Ausfallen der Pausen wieder wettmacht.
Aufwärmen, Reeling Silk, drei 19-er Formen. Die Fenster sind geöffnet, trotzdem schwitze ich. Taiji ist anstrengend, auch wenn es nicht so aussieht.
Bis nächste Woche, verabschiede ich mich von K. Natürlich, antwortet sie. Bis nächste Woche!
Ich laufe im Regen durch Altona zurück zur Bushaltestelle, an türkischen Gemüsehändlern und Teestuben vorbei, meine Laune ist jetzt wieder bestens, wie eigentlich immer nach dem Unterricht.
Irgendwo hinter mir stolpert der Schweinehund hinterher. Abgehängt, rufe ich ihm über die Schulter zu. Disziplin kann ich. Und Laune aufbessern sowieso.

Montag Taiji: ✔️

so stell ich mir den inneren Schweinehund vor. (Also wie das Pokémon Traumato)

28.11.2018

Im Krankenhaus.

Ich möchte gern eine Woche in ein Kloster. Jetzt bin ich voraussichtlich eine Woche in der abgeschlossenen Nuklearmedizin im großen Krankenhaus. Allein im Einzelzimmer. Auf Abstand. Das ist auch fast wie ein Aufenthalt im Kloster. Allerdings ohne Klostergarten. Dafür umsonst.

Ich habe zwei Bücher dabei: Unter den Menschen (Mathijs Deen) und Into the Silence (Wade Davis). Gegensätzliche Titel. Aber auch passend für den Moment.

Kontemplation. Sensorische Deprivation. Darf ich mein Handy behal….neeein, stop, nicht das Handy wegneh…oh no…kann ich…hallo…ha…

15.6.2018

Zuhause.

Meine Kollegin postet einen Artikel, der darüber informiert, daß ein Stern von einem schwarzen Loch gefressen wurde.

Wenn das mit der Erde geschehen würde, wären sämtliche Probleme auf einen Schlag gelöst.

Derweil ist mein Blutdruck bei 0:E2 gelandet.

Bei solchen News ist es nur konsequent, daß ich mich heute Abend zum WM-Spiel-Schauen Portugal:Spanien im lebendigen Portugiesenviertel am Hafen verabredet habe.

Life is now.

6.2.2018

Unterwegs.

Habt ihr meine sms bekommen?, fragt unser Taiji- und Meditationslehrer in die Runde.

Ja, antworte ich.

Was haben wir bekommen? N. guckt verstört.

Meine Textnachricht. Mit den Anfangszeiten für die Meditation, hilft unser Lehrer nach.

Ach so, ja, habe ich, sagt N.

C. guckt hoch, sie weiss es nicht genau.

Entschuldigung, worum geht es gerade? Jetzt taucht auch J. aus den Tiefen der Meditation auf.

Wir müssen lachen. Und ich bin beeindruckt, wie gut meine Mitschüler abschalten können.

21.10.2017

Zuhause.

Liebe C.,
das war ein superschönes Abendessen mit Euch.
Ich genieße es, mit Euch zusammen zu sein, Eure Geschichten und insgesamt den Austausch. Wie Du sagtest, die schönste Selbsthilfegruppe, eine bessere könnte es nicht für mich geben. Außerdem seid Ihr ja meine Schwestern im Herzen.
Danke. S.

Monatliches Treffen mit meinen beiden Brustkrebs-Mitstreiterinnen S. und U., die ich im Sanatorium kennen gelernt habe. Eine ganz besondere Freundschaft, die mich so sehr freut.

17.08.2017

Zuhause.

Seine Frau, so erzählte man sich, hatte den Männern Kaffee und Kuchen gereicht. Und wir alle wollten wissen: Was für Kuchen? Erdbeere? Rhabarber? Zitronenbaisertorte? 
Julie Otsuka „Wovon wir träumen“

S. ist als erste da, wir stehen zusammen an meinem Küchenfenster und freuen uns, als wir U., wie immer mit federndem, aufrechten Gang und wippendem Zopf, den Platz überqueren sehen. Es ist das erste Treffen nach unserer gemeinsamen Zeit im Sanatorium. Da ich täglich im Sanatorium über die ungesunde Ernährung geschimpft habe, habe ich mich besonders bemüht, politisch korrekte Snacks aufzufahren. Die Mädels registrieren das und sind begeistert. Auch S. hat zwischenzeitlich auf gesunde Ernährung umgestellt und versucht, Zucker zu vermeiden.

Wir freuen uns sehr, uns wiederzusehen. U. hat eine DVD mit Qigong-Übungen dabei, die sie gerade von ihrer Krankenkasse geschenkt bekommen hat. S. hat sich zu einem Yoga-Kurs angemeldet, ich habe bereits die Kostenübernahme für mein Rezept über 50 Stunden Aqua-Fit oder Gymnastik von der Krankenkasse genehmigt bekommen. Und wir alle sind bereits wieder beruflich im Einsatz. Läuft bei uns.

Es ist genauso wie im Sanatorium, wir reden unaufhörlich, lachen, fragen, tauschen uns aus, verabreden uns für das nächste Treffen bei U., wenn S. aus ihrem Urlaub zurück ist.  Und dann guckt uns S. ganz intensiv an, hebt ihr Glas und sagt: Wir schaffen das. Ich bin da ganz sicher.

07.08.2017

Unterwegs.

In recent years I’ve turned down trips abroad for these very reasons so why is it that I am about to fly all the way to America for the sake of a $12 coffee mug?
Mike Gayle, The To-Do List

Morgen ist es soweit. Ich werde den ersten Punkt, der auf meiner Bucket-List steht, umsetzen. Darauf habe ich mich seit Monaten gefreut.

Anfang April, kurz nach der Operation und ohne zu wissen, wie es gesundheitlich weitergeht, habe ich mir ein Ticket für das Konzert meiner Lieblingsband Too Many Zooz gekauft, die in einem Club auftreten, um 22:00 Uhr, einer Dienstagnacht, in Berlin, im August. Die Band spielt sonst am Union Square in New York in der U-Bahn-Station, und auch dorthin hätte ich die Reise angetreten, um sie einmal live zu sehen.

Der Besuch des Konzerts ist nicht nur der erste Punkt auf meiner Bucket-List, sondern war Anfang April auch meine Zielsetzung: bis zum 8. August bin ich wieder gesund. Ich werde mitten in der Woche nach Berlin fahren und nachts in ein – höchstwahrscheinlich wildes – Konzert gehen. Ich werde vor der Bühne stehen. Ich werde lachen. Ich werde tanzen. Ich werde Spaß haben. Ich werde leben.

Eben trifft mein Schwerbehindertenausweis ein. Auf dem Foto lache ich mir entgegen und sehe fit und fröhlich aus.  Noch habe ich mich nicht mit dem Begriff „schwerbehindert“ angefreundet. Vielleicht werde ich das auch nie tun. Und vielleicht ist das auch egal. Für die morgige Nacht sowieso.

03.07.2017

Im Sanatorium. Tag 19

Der Tag beginnt harmlos…
08:30 Ärztliche Wiedervorstellung
09:00 Ergometrie (Radfahren)
10:00 Wirbelsäulengymnastik
11:00 Onko-Kurs in der Lehrküche (wir mixen Smoothies)
12:00 Mittagessen
13:30 Aqua-Fit

…um dann mit dem Tages-Highlight „Rezepteinlösung im Orthopädischen Geschäft“ zu enden.
Nachdem ich im Krankenhaus mit meiner Mitstreiterin über die schrecklichen medizinischen BH’s  gelästert und bei der Reha im BH-Seminar dieselben wortlos an meine Sitznachbarin I. weitergegeben habe, bekomme ich jetzt die Quittung beziehungsweise ein Rezept über zwei medizinische BH’s, die gut für den Lymphfluss sein sollen und ich ein kleines Brustödem habe.

Mir schwant Schreckliches, mein Stimmungsbarometer steht auf Krawall, als ich den Laden für Orthopädie betrete. In fünf Minuten seien wir hier durch, so mein Intro, 70A, weiße Baumwolle, sportlich, kein Schnickschnack, ganz simpel. 45 Minuten später habe ich den Termin dreimal fast abgebrochen, wir wälzen uns durch Kataloge mit Gesundheits-BH’s und wühlen uns durch Kartons mit den hässlichsten BH-Modellen, die ich je gesehen habe. Mir passt keiner, weder von der Optik noch von der Größe. Da die Verkäuferin geduldig mit mir ist, probiere ich einen BH an, natürlich zu groß, zu beige, zu glänzend, zuviel Spitzenbesatz und so gar nicht das, was ich klar im Briefing kommuniziert habe. Am Ende und des lieben Friedens willen, bestellen wir ein Modell aus dem Katalog, das nächsten Montag geliefert wird, ein „femininer BH speziell für kleine Büsten in edlem Dessin“. Er heisst Bianca.  Weiß ist er zumindestens, der BH.

30.06.2017

Im Sanatorium. Tag 16

04:55
Ich wache auf. Über mir an der Decke neben dem Rauchmelder sitzt eine riesige Spinne.

05:00-05:55
Ich starre die Spinne an und platziere einen Schuh und ein Buch (nicht sicher, was besser zum Erschlagen ist) neben dem Bett, sollte sie sich von der Decke abseilen. Sie turnt herum, seilt sich einen halben Meter ab und klettert zurück auf ihre Ausgangsposition. Sie ist riesig, und ich habe Angst vor Spinnen.

06:00-06:30
Stehe auf, geh ins Bad, mache mich frisch und schaue alle paar Minuten wieder ins Zimmer um zu schauen, was die Spinne macht. Sie macht nichts.

06:45-07:15
Gehe frühstücken, selbst um diese gnadenlos frühe Zeit ist der Speisesaal in Haus 3 gefüllt.

07:15
Wandere ins Haus 4 um die Waschmaschinen-und Trockner-Situation zu prüfen. Trage mich für 08:00 zum Waschen und von 09:00-11:00 (zwei Turns nacheinander) zum Trocknen ein.

07:30
Laufe zurück ins Haus 1 und versuche, eine Putzfrau zu überzeugen, mit mir und nem Staubsauger in mein Zimmer zu kommen. Aussichtslos. Sie sei nicht für mein Zimmer zuständig.

07:35
Die Spinne sitzt immer noch an der Decke. Raufe meine Wäsche zusammen und mache mich auf zum  Haus 4. Treffe S. auf dem Flur, die auch Angst vor Spinnen hat und somit nicht helfen kann.

07:55
Haus 4, Wäsche in Waschmaschine.

08:10
Treffe meine Putzperle auf dem Flur in Haus 1, sie ist unerschrocken, folgt mir ins Zimmer und saugt die Spinne von der Decke. Ich liebe meine Putzperle.

08:15
Erzähle S. und U. im Speisesaal (Haus 3) von der erfolgreichen Schlacht. Mache einen Weg zu meinem Briefkasten und stelle fest, dass ich nicht mehr um 09:00 für Ergometrie eingetragen bin, sondern um 08:30 für Aqua-Fit.

08:16
Zurück ins Haus 1, Doutzen Kroes-Bikini II anziehen (Doutzen Kroes-Bikini I hängt regennass draussen vorm Fenster) und Sprint ins Gesundheitszentrum.

08:30
Aqua-Fit zum Dschungelbuch-Soundtrack – auf laut gedreht.

09:05
Wieder umziehen und rüber ins Haus 4, die Wäsche aus der Maschine in den Trockner befördern.

09:20
Im Zimmer in Haus 1 Sportzeug anziehen, Doutzen Kroes-Bikini II zum Trocknen aufhängen und Sprint ins Haus 3 zur Ergometrie

09:30
Ergometrie (Radfahren)

09:55
Verschwitzt in den Hörsaal in Haus 2 auflaufen, wo um 10:00 der Vortrag über Brustkrebs Teil 2 läuft. S. und U. die Story meines Morgens erzählen.

10:50
Von Haus 2 zu Haus 4, Wäsche aus dem Trockner holen. Zum Glück ist sie diesmal auch trocken (hab ja auch doppelt Zeit gebucht).

11:00
Von Haus 4 zurück ins Haus 1, duschen, umziehen, Feierabend.

29.06.2017

Im Sanatorium. Tag 15

Frau xy, bitte nach dem Mittagessen zur Rezeption kommen, Frau xy, bitte melden Sie sich an der Rezeption. S. und U. schauen mich erstaunt an, ich schaue erstaunt zurück. Noch nie wurde jemand über Lautsprecher im Speisesaal ausgerufen oder überhaupt irgendetwas durchgesagt. Ich bitte meine Tischrunde, mein Essen trotzdem bringen zu lassen – und nicht anzurühren – und sprinte rüber ins Haus 3. Vermutlich wird die Reha nicht verlängert, denke ich, oder mein Zimmer brennt gerade ab. Die Rezeptionistin schaut auf als ich meinen Namen nenne und verweist auf die Damen im Hinterzimmer, die für die Buchhaltung zuständig sind. Man wolle mir mein Fahrgeld von Euro 32,60 übergeben. Ich sage, dass ich mit etwas argem gerechnet habe aber nicht mit einer Reisekostenabrechnung, sie lächeln und erklären mir, man hätte mich den ganzen morgen nicht telefonisch auf meinem Zimmer erreichen können. Das ist auch irgendwie logisch, ich laufe ja von einer Behandlung zur nächsten.

Vor meiner Zimmertür verharre ich. Vorm Zimmer links von mir diskutieren eine Patientin und eine Mitarbeiterin der Klinik, die Tür hat einen Schaden auf der Innenseite, ein Stuhl steht vor der Tür. Ich tippe auf Randale. Vorm Zimmer rechts von mir steht eine andere Patientin, die die Türklinke mit Tuch und Reinigungsmittel akribisch von aussen putzt. Ich frage mich, weshalb meine Mitpatienten in der Klinik sind.

Ich schließe meine Zimmertür auf und schaue vorsichtig um die Ecke. Keine Veränderung auszumachen. Nicht auf dem Waschbecken, nicht auf dem Klodeckel, nicht auf dem Tisch. Seit Tagen vermehren sich meine Handtücher, mittlerweile habe ich 13 (dreizehn) Stück, die ich zwischen Bad und Schrank verteilt habe, langsam bekomme ich ein Platzproblem. Werfe ich ein schmutziges Handtuch auf den Boden, liegen später drei neue da, neulich sogar vier. Ich wage kaum, weitere Handtücher auf den Fussboden zu legen, da ich nicht weiß, wo ich die neuen alle lagern soll. Eines Tages werde ich die Zimmertür nicht mehr öffnen können, denke ich, da das Zimmer voller Handtücher ist. Für heute ist alles gut. Zumindest für mich. Was es mit den türklinkenputzenden und randalierenden Mitpatienten auf sich hat, kann ich nicht sagen.

24.06.2017

Im Sanatorium. Tag 10

Und jetzt müsse ich es vorsichtig bügeln, ruft die Therapeutin zu mir rüber. Ich gucke konsterniert – wer mich kennt, weiß, dass ich grundsätzlich nicht bügele und zuhause eine Mutter habe, die sich erbarmt und sich alle zwei Wochen meiner krausen Blusen annimmt. Mama ist leider weit weg, die andere Dame, die auch ein Seidentuch kreiert hat, ist bereits fertig und über alle Berge, die beiden Weidenkorbflechterinnen arbeiten konzentriert an ihren Brotkörbchen. Keine Bügelhilfe in Sicht.

Später wird meine Freundin M. sagen, dass das ja schon etwas von Behindertenwerkstatt hat, Freundin L. hingegen wünscht sich auch einen selbstgemachten Seidenschal.

Ich bin begeistert bei der Sache, wenn man vom Bügeln – und man muss es zweimal bügeln – absieht. Es bringt mir Spaß, die Farben auszuwählen, zu überlegen, wie ich die Seide bemalen möchte; ich wähle ein Blumenmuster, dass ich mit Hilfe von Murmeln, die man in das Tuch eindreht, kreieren kann. Ich sehe zu, wie die Farben ineinanderlaufen, sich verändern, wenn man das Tuch fönt und wäscht. Stolz binde ich es um, um es meiner Mittagsrunde zu präsentieren: auch U., I. und S. sind angetan, I. ist etwas traurig, dass sie uns noch immer nicht ihr Weidenkörbchen zeigen kann, da es noch längst nicht fertig ist. Abends holt mich mein Freund O. mit dem Auto ab, wir fahren nach Scharbeutz zum Dinner, ich schaue in den Seitenspiegel und drappiere mein Tuch immer wieder neu und lasse mir immer wieder bestätigen, dass es gut aussieht.

Ich bin gespannt, wie das Tuch auf mich wirkt, wenn ich die Parallelwelt wieder verlassen habe. Meine Perlenketten, die ich vor fünf Jahren in der Reha geknüpft habe, machten auf mich, sobald ich zuhause war, einen erschreckend hilflosen Eindruck. Ausserhalb der Parallelwelt habe ich sie nie wieder getragen.

19.06.2017

Im Sanatorium. Tag 5

Es ist 7:30 Uhr, wir sitzen beim Frühstück. I. erzählt begeistert von dem Weidekörbchen, das sie gestern bei der Kreativtherapie geflochten hat. Gleich wird sie sich auf den Weg zum Lach-Yoga machen, ich beglückwünsche mich innerlich, dass ich weder zu Weidekörbchen noch zu Lach-Yoga verdonnert wurde. Ich höre mir einen Vortrag über Entspannungstechniken an, bevor es weiter ins Gesundheitszentrum zur Wirbelsäulengymnastik und danach zur Krankengymnastik zu Herrn S. geht. Herr S. ist da, sein Kind lässt auf sich warten. Dann ein Termin bei meiner Ärztin, die mir in Punkto gesunde Ernährung zustimmt und mir noch Seiten aus ihrem Ernährungsbuch kopiert: Gewürze, die gut gegen zu hohes Cholesterin und gegen Krebs sind. Darüber freue ich mich. Auch über meine gute Laune solle ich mich freuen, meint sie und nicht die Mitpatienten als Maßstab nehmen. Am Nachmittag noch ein Vortrag über korrekte Büstenhalter und Silikoneinlagen, diverse Modelle werden durch die Reihen gereicht. Ich muss an die BH-Präsentation im Krankenhaus denken, auch diesmal ist die Damenwäsche für eine ältere Klientel gedacht, ich reiche sie einfach nach links weiter an I., die schon etwas interessierter guckt.

Dann in die Therme, ich schwimme ein paar Runden in der Sonne, bevor ich wieder in den Kurpark gehe und – auf den See blickend – Taiji unter den großen Bäumen praktiziere. Ich wandere eine letzte Runde um den See, eine Entenfamilie kommt mir auf dem Waldweg entgegen, und ich könnte hier bis in alle Ewigkeit den See umrunden, ein bisschen wie Patrick Süsskind’s Herr Sommer. Ich würde nie mehr krank werden.

16.06.2017

Im Sanatorium. Tag 2 – Nachtrag 2

Vor der Zimmertür stoße ich mit meiner Nachbarin zusammen. Sie hält eine Schüssel mit Salat in der Hand, selbstgemacht, auf dem Zimmer. Das Essen sei hier ungesund, erklärt sie entschuldigend, sie hätte sich auch schon beschwert. Ich triumphiere innerlich.

Die Kartoffel-Wedges ignorierend, stelle ich meinen geschmuggelten Becher im Speisesaal ab und mache mich auf den Weg in den Kurpark. Buddhas Wächter ruft.

16.06.2017

Im Sanatorium. Tag 2 – Nachtrag

Da die Programmpunkte „Kennlerntreffen“ und „Soziales Seminar“ doch etwas an meiner guten Laune gezerrt haben, kurzen Prozess gemacht: Obst und andere leckere Lebensmittel eingekauft und mir on top einen Blumenstrauß geschenkt. Becher Kaffee auf’s Zimmer geschmuggelt und vorgezogenes Abendmahl genossen. Die Kantine fällt somit für mich aus – Problem gelöst, Stimmung wieder gut.

Nach heftigem Unwetter kommt auch die Sonne wieder zum Vorschein, ich werde mich gleich den chinesischen Kampfkünsten im Kurpark widmen.

04.06.2017

Zuhause.

Der Mensch ist vielerlei, aber vernünftig ist er nicht.
Oscar Wilde

Auszug aus dem Arztbrief vom Radiologischen Zentrum vom 29. Mai.
Behandlungsbedingt litt die Patientin unter einer deutlichen Fatigue-Symptomatik. Bei Abschluss der Therapie zeigte die Haut im Bereich des Bestrahlungsfeldes ein Erythem Grad II mit deutlicher Hyperpigmentierung sowie ein minimales Brustödem.

Note to myself:
Es war vernünftig, seit Beginn des Dramas einem selbst auferlegten google-Verbot zu folgen.
Note to myself:
Es war nicht vernünftig, das google-Verbot zu ignorieren und Begriffe wie Erythem und Ödem zu googeln (Bildauswahl).
Lesson learnt:
Schlimmer geht immer.

 

16.03.2017

Beim Internisten.

Dieses Eis. Diese Steine. Diese Felsen. Das ganze Jahr über sind sie allein. Während einiger Wochen kommen Menschen vorbei. Die Menschen sind bald wieder weg. Die Steine, die Felsen liegen weiterhin hier. So wie sie schon hier lagen, als Ritter mit Lanzen aufeinander losgingen, so wie sie hier lagen, als Seeräuber die Meere unsicher machten, so wie sie hier lagen und schliefen und träumten, als das Nibelungenlied geschrieben wurde, so wie sie hier lagen, als die Völkerwanderung Europa auf den Kopf stellte. Herr Stein, Karl der Große ist gestern gekrönt worden. Wer?
Thomas Glavinic, Das größere Wunder

Unendlichkeit – Endlichkeit.

Endlich stehe ich mal wieder früh auf, um Punkt 8.00 Uhr sitze beziehungsweise liege ich beim Internisten zur Blutabnahme; Blutbild mit Gerinnungswerten, OP-Vorbereitung. Da ich darauf bestehe, dass wir heute den linken Arm nehmen, wird die Liege von der Wand abgerückt, damit die Schwester an den Arm kommt. Ich lege mich mit dem Kopf in Richtung Fussende, so ginge es natürlich auch, sagt die Schwester, und rückt die Liege mit mir obendrauf wieder an die Wand. Wir lachen. Lachen tut unendlich gut.