29.09.2017

Unterwegs.


Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,

und auf den Fluren laß die Winde los.
Rainer Maria Rilke, „Herbsttag“

Es wird Herbst. Trotzdem packe ich meine Schwimmsachen zusammen, da ich dem Bad in Eimsbüttel, das über geöffnete Aussenbahnen verfügt, eine letzte Chance geben möchte. Zweimal war ich bereits dort, beide Male hat es mir nicht gefallen. Doch heute ist Freitag, es ist Mittagszeit, ich habe Feierabend und wähne die arschbombenden Familienväter bei der Arbeit und die krakeelenden Kinder zuhause am Mittagstisch. Ich habe Recht. Nur ein paar Kampfschwimmer sind auf der Schnellbahn unterwegs und einige Damen und Herren, die gemächlich ihre Bahnen ziehen.

Die Sonne scheint und lässt das Wasser glitzern, die Blätter der Bäume neben dem alten Backsteingebäude, das den Innenpool beherbergt, leuchten rot, braun, gelb und grün. Ich beglückwünsche mich zu der Entscheidung, dem öffentlichen Bad noch eine letzte Chance gegeben zu haben und blinzele in die Sonne.
Auf dem Rückweg zum Bahnhof komme ich an „meinem“ kleinen Krankenhaus vorbei, das neben einer alten Kirche liegt. Es macht einen friedlichen Eindruck, hier in der Nebenstraße mit den vielen Bäumen. Nichts lässt erahnen, dass dieser Ort eines der größten Brustkrebszentren Deutschlands ist.

Da das Schwimmbad heute gut abgeschnitten hat, wird der Herbst- und Winterplan für meine sportlichen Aktivitäten angeglichen:
Montag: 90 Minuten Taiji
Dienstag: 120 Minuten Dehnübungen und Sitzmeditation
Mittwoch: 60 Minuten Herzsport
Donnerstag: 60 Minuten Fitnessraum im Reha-Zentrum
Freitag: 60 Minuten Schwimmen
Am Wochenende gibt es ein flexibles Programm, das sich aus WS-Gymnastik, Spazierengehen/Joggen und Schwimmen zusammensetzt.

Ich habe mir angewöhnt, mich öfters neben mich zu stellen und zu beobachten: wie fühle ich mich bei der Arbeit (da gehe ich ja auch noch täglich hin), bei den vielen sportlichen Aktivitäten und Freizeitvergnügungen wie Theater-, Lesungs- oder Restaurantbesuchen mit Freunden, den spontanen Wochenendausflügen nach Sylt oder Wien, unterbrochen durch Stunden, die ich mit einem Buch auf dem Balkon verbringe?

Die Antwort ist: sehr gut.
Ich fühle mich fit, ausgeglichen und zufrieden. Ich fühle Dankbarkeit dafür, dass ich am Leben bin und es genießen kann.

#Krebs

20.09.2017

Im radiologischen Zentrum.

Dann müssen Sie aber zwei bis drei Stunden warten, sagt die Rezeptionistin. Ich mag es nicht, einfach MRT-Bilder in die Hand gedrückt zu bekommen, um sie dann eine Woche später mit meinem Orthopäden zu besprechen. Ich bestehe darauf, im Anschluss an das MRT mit einem Radiologen Rücksprache zu halten. Auch wenn ich warten muss.

Das Prozedere zum MRT ist unspektakulär, wenn man bereits fünf Wochen tägliche Strahlentherapie mit Luftanhalten hinter sich hat. Ich werde gebeten, im Flur Platz zu nehmen, eine Ärztin kommt auf mich zu und fragt nach meinem Namen. Sie lächelt und verspricht, sich die Bilder sofort anzuschauen. Beim Warten höre ich das Klicken auf dem PC, während sie sich durch die Aufnahmen arbeitet.

Sie kommt zurück, lächelt immer noch und gibt Entwarnung. Keine Metastasen. Und auch sonst nichts Schlimmes am Knie auszumachen. Sie ermuntert mich, weiterhin unverzüglich den Arzt aufzusuchen und nicht abzuwarten, wenn etwas anders scheint als sonst. Nächste Woche werde ich dann zum Orthopäden gehen, um zu klären, was man jetzt gegen die (leichten) Schmerzen machen kann.

Ich frühstücke beim Bäcker, dann fahre ich nach Hause und buche mir ein Ticket für meine US-Lieblingsband Too Many Zooz, die gestern Abend verkündet hat, im November spontan für einige Auftritte nach UK zu kommen.  Und ich komme nach Edinburgh!

Grundsätzlicher Beschluss für 2017:
Um das Jahr „break even“ beziehungsweise in Balance abzuschliessen, werde ich jedem Moment der Angst und des Schmerzes schöne Momente entgegensetzen.

#Krebs

19.09.2017

Im Krankenhaus.

Es ist kurz nach 8 Uhr. Die Dame am Empfang schaut hoch und fragt, wieso ich eine Überweisung zum Ultraschall hätte. Zur Nachsorge, antworte ich. Von der Gynäkologin aus dem fünften Stock. Welche Seite? Beide. Sie hält Rücksprache mit der Radiologin, ich bekomme das mit, als ich im Wartezimmer Platz genommen habe. Ob ich auch mit einer Mammographie einverstanden sei, fragt sie dann. Denn die sollte ein halbes Jahr nach der Operation gemacht werden. Ich bin einverstanden.

Dann machen wir beides, Mammographie und Ultraschall.
Die Knoten enthielten Flüssigkeit, die können sich noch verändern und auch verschwinden, erklärt die Radiologin. Und bei „meinem“ Krebs wäre es unwahrscheinlich, wenn er jetzt wieder aufgetaucht wäre. Entwarnung.

Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so erleichtert war.

Das mitgenommene Taxigeld, eingesteckt für das worst case scenario, investiere ich in einen Blumenstrauß. Den schenke ich mir.

Der Nebel, der noch den Fernsehturm umhüllt, löst sich langsam auf. Die Sonne kommt durch.

#Krebs

27.04.2017

Im radiologischen Zentrum. Strahlentherapie III.

Statt des gelben Balkens (mein Atmen) ist jetzt ein roter Balken auf dem Screen über mir zu sehen. Das dicke grüne Männchen, das dort auch wieder auftaucht, scheint bewegungslos dazuliegen; von ihm sieht man nur den Bauch und die Beine. Sie müssen atmen, sagt eine Stimme aus dem Kontrollraum. Ich vergaß.

13.04.2017

Beim Radiologen.

‚Bist du mit dir zufrieden?‘
Ist das nicht, allen Anschein zum Trotz, viel wichtiger als alles andere?
Georges Simenon, Die Glocken von Bicetre

Sie müssen damit zurück ins Krankenhaus, stellt die Strahlentherapie-Ärztin fest. Ich schaue verwundert und frage, ob sie nicht einfach den Faden, der noch aus einer Narbe guckt, entfernen – sprich: abschneiden kann. Sie verneint, sie sei keine Chirurgin. Damit lasse ich auch den Gedanken fallen, dies selbst in die Hand zu nehmen.

Wir verständigen uns auf eine verkürzte – aber höher dosierte Bestrahlungsdauer, die dann täglich über vier Wochen läuft. Vorher müsse ich aber noch einen Termin zum CT wahrnehmen und alles markieren lassen – und dann die Rolle rückwärts Richtung Krankenhaus zu Prof. Dr. M., der wohl auch nichts anderes tun wird, als mit ner Schere den Faden abzutrennen. Da ich mich schon jetzt dafür schäme, deswegen wieder im Krankenhaus aufzuschlagen, beschließe ich, klarzustellen, dass das nicht meine Idee war  – so gern ich dort auch bin.

Summa summarum war es heute beim Radiologen nicht sehr spektakulär, ich hatte mich eigentlich unter dem riesigen Gerät erwartet, aber wie immer bin ich wohl etwas zu ungeduldig. Zumindest spare ich zwei Wochen beim Bestrahlen ein und kann dann früher eine Reha-Reise antreten, es winken Föhr, das Ostseebad Boltenhagen oder St. Peter Ording.

Note to myself: nach der internationalen Reha-Reiseliste fragen – Fuerteventura statt Föhr, Biarritz statt Boltenhagen, St. Tropez statt St. Peter!

10.04.2017

Zuhause.

Berlin! Du bist so wunderbar…
Kaiserbase

Das Leben lebenswert machen – dazu gehören auch Belohnungen. Ich habe viele Ideen, wie ich mich für die ganzen Strapazen belohnen könnte, wenn sich mein Leben nach Operation, Strahlentherapie & Co. wieder in ruhigeren Gewässern bewegen wird. Wobei „Ruhe“ nicht ganz der richtige Begriff ist.

Eine Bucket-List muss her, die, bevor ich überhaupt damit anfange, eine wundersame Synergie mit meiner Belohnungsidee eingeht.

Meine Lieblingsband, ein New Yorker Trio namens Too Many Zooz, wollte ich schon immer unbedingt mal live sehen. Die Band, bestehend aus Matt Doe (Trompete), The King of Sludge (Drums) und Leo P (Bariton Saxophon), spielt vornehmlich in der Bahn-Station am Union Square; vielleicht etwas ungewiss, sich ein Flugticket nach New York zu kaufen und die Tage in der U-Bahn herumzulungern, hoffend, dass die Band um die Ecke biegt und ein Konzert für mich gibt.

Neben den ganzen Emails für Besichtigungen von Friedwäldern und Schminkkursen für Krebskranke dann ein Email von einem Tickethändler: Too Many Zooz werden im August nach Deutschland kommen! Sofort kaufe ich ein Ticket und ignoriere, dass das Konzert an einem Dienstag Abend um 22.00 Uhr in einem Berliner Club am Tiergarten stattfindet. Das entsprechende Design-Hotel am Kudamm buche ich gleich mit – statt um diese Uhrzeit in mein Hamburger Bett zu gehen, werde ich in dieser Dienstagnacht in Berlin vor der Bühne tanzen! Und einen Punkt auf meiner noch nicht angefertigten Bucket-List abhaken.