03.07.2017

Im Sanatorium. Tag 19

Der Tag beginnt harmlos…
08:30 Ärztliche Wiedervorstellung
09:00 Ergometrie (Radfahren)
10:00 Wirbelsäulengymnastik
11:00 Onko-Kurs in der Lehrküche (wir mixen Smoothies)
12:00 Mittagessen
13:30 Aqua-Fit

…um dann mit dem Tages-Highlight „Rezepteinlösung im Orthopädischen Geschäft“ zu enden.
Nachdem ich im Krankenhaus mit meiner Mitstreiterin über die schrecklichen medizinischen BH’s  gelästert und bei der Reha im BH-Seminar dieselben wortlos an meine Sitznachbarin I. weitergegeben habe, bekomme ich jetzt die Quittung beziehungsweise ein Rezept über zwei medizinische BH’s, die gut für den Lymphfluss sein sollen und ich ein kleines Brustödem habe.

Mir schwant Schreckliches, mein Stimmungsbarometer steht auf Krawall, als ich den Laden für Orthopädie betrete. In fünf Minuten seien wir hier durch, so mein Intro, 70A, weiße Baumwolle, sportlich, kein Schnickschnack, ganz simpel. 45 Minuten später habe ich den Termin dreimal fast abgebrochen, wir wälzen uns durch Kataloge mit Gesundheits-BH’s und wühlen uns durch Kartons mit den hässlichsten BH-Modellen, die ich je gesehen habe. Mir passt keiner, weder von der Optik noch von der Größe. Da die Verkäuferin geduldig mit mir ist, probiere ich einen BH an, natürlich zu groß, zu beige, zu glänzend, zuviel Spitzenbesatz und so gar nicht das, was ich klar im Briefing kommuniziert habe. Am Ende und des lieben Friedens willen, bestellen wir ein Modell aus dem Katalog, das nächsten Montag geliefert wird, ein „femininer BH speziell für kleine Büsten in edlem Dessin“. Er heisst Bianca.  Weiß ist er zumindestens, der BH.

24.04.2017

Im Internet.

…er selbst möchte jung bleiben und das Bild alt werden; seine eigene Schönheit sollte nie befleckt werden und das Gesicht auf der Leinwand die Last seiner Leidenschaften und seiner Sünden tragen (…) und er selbst wollte allen zarten Schmelz und alle Anmut seiner Jugend bewahren.
Oscar Wilde, Das Bildnis des Dorian Gray

Mein Name ist J. Ich studiere Fotografie in Hamburg.
Dieses Semester arbeite ich an einem Fotobuch. In diesem Projekt geht es um Portraitfotografien von Frauen. Genauer gesagt um ein Portrait für die eigene (zukünftige) Beerdigung.
Welches Bild soll von Ihnen bei der eigenen Trauerfeier gezeigt werden? Welches Foto würden Sie selbst aussuchen? Und wie würden Sie sich gerne darauf präsentieren?
Ich möchte dieses Foto mit Ihnen zusammen machen. Sie können selbst entscheiden, wie und wo. Zum Beispiel an Orten an denen Sie sich gerne aufgehalten haben oder wo Sie schon immer mal gerne hingehen wollten; in Ihrer Lieblingskleidung, zusammen mit Ihren Lieblingsdingen (z.B. dem Fahrrad, Pflanzen, Teller…)  oder zusammen mit Ihrem Haustier.
Wir werden zusammen besprechen was Sie sich vorstellen und dann versuchen, es so getreu wie möglich umzusetzen. Auch möchte ich Ihnen gerne ein paar Fragen stellen über Tod und Beerdigung.
Ihre Anonymität wird gewahrt. Sie brauchen ihren echten Namen nicht zu nennen und dieser wird auch nicht veröffentlicht. Als Dankeschön bekommen Sie die Fotos geschenkt.“

Diesem interessanten Aufruf, den ich eben im Internet entdeckt habe, folge ich. Nächste Woche werde ich auf eine koreanische Studentin der Fotografie treffen und Teil ihrer Semesterarbeit werden.