Epilog

12.10.2022


„Wenn du an einen neuen Ort gelangst, warte. Es braucht Zeit, bis die Seele nachkommt.“ (Weisheit der nomadischen Indianer)

Meine Seele ist nicht angekommen. Weder in Kairo noch in Luxor, in Edfu oder in Assuan. Selbst meinem Koffer war das zu schnell, auch er braucht Zeit, um nachzukommen. Ich warte.

Ungewöhnlich ist das schon, denn normalerweise bin ich ab Taxifahrt zum Flughafen im Urlaubsmodus und bei mir.
„Ich finde es toll, wie Du für Dich das Programm anpasst und Dein Tempo gehst. Das können die meisten nicht“, sagt die Psychologin aus der Reisegruppe zu mir. Für mich ist das normal geworden, spätestens seit der Erkrankung achte ich darauf, dass ich in der inneren Balance bleibe und korrigiere äussere Umstände, wenn dem nicht so ist.

Diese Reise war mir zu schnell, zu viel Programm in zu kurzer Zeit, zu unstrukturiert. Sprachlos schaue ich aus dem Fenster, als wir vom Flughafen in Kairo zum Hotel fahren: ich verstehe nicht, was ich sehe. Riesige Hochhäuser reihen sich aneinander, dazwischen Brachflächen, halb abgerissene Gebäude, halb neu gebaute Häuser, verfallene Bauten inmitten von Müll und dem Lärm des stockenden Verkehrs, die flackernden Lichter, und dort hinten die untergehende Sonne, der einzige Ruhepol in dem Chaos.

Meine Seele kommt hier nicht an, und Zeit zum Warten gibt es nicht.

Vielleicht ist sie zuhause geblieben. Ich schaue mich um. Ich setze mich hin. Und warte.

Logbuch Kairo & Nil – Tag 8

10.10.2022

„Nicht essen!“ Walter, der Lehrer aus der Steiermark und Dr. P., der Gymnasialdirektor aus Paderborn, gucken kritisch auf das von mir erstandene Hühnchenbaguette. Den Salat habe ich bereits herausgepult, aber meine letzten verbliebenen Mitreisenden finden es immer noch bedenklich. Walters Horrorgeschichten geben den Ausschlag: trotz Hunger verzichte ich auf den potenziellen Salmonellenträger und greife zu meinem Studentenfutter, von dem ich immer mehrere Tüten mit mir führe.

Über sechs Stunden haben wir hier auf dem Airport Cairo herumzukriegen, es gibt nicht wirklich etwas zu tun. Wir kaufen Schokolade. Wir trinken einen Kaffee. Wir suchen die Toiletten. Wir erzählen uns lustige Dinge.

Derweil steht der Rest unserer Reisegruppe vor dem Check-In, und das seit drei Stunden. Ihr Gepäck wurde nicht von Assuan an die Ziel-Destination durchgecheckt, sie müssen in Kairo auschecken, durch diverse Sicherheitsschranken gehen und dann wieder einchecken. Nur hat ihr Schalter noch nicht geöffnet. Wenn man seit 5 Uhr morgens auf den Beinen ist und der Tag noch laaaang werden wird, ist das nicht so angenehm. Dr. C., der bisher einen ruhigen Eindruck machte, hatte bereits in Assuan einen Wutausbruch, da sein Begleiter, Dr. P., mühelos durchchecken konnte, was ihm, der exakt dasselbe gebucht hatte, verwehrt wurde.

„Noch machen wir Witze“, sage ich, „vermutlich wird dann unser vermeintlich durchgechecktes Gepäck auf der Strecke bleiben. Mitsamt der Horde an erstandenen Skarabäen und Pyramiden, die man durchaus als spitze Gegenstände deklarieren kann und besser nicht ins Handgepäck tut. Dr. P. tut sie in den Koffer, zum Panamahut, der dort in einer Hutschachtel ruht. Kurioses Gepäck.

Kurzer Zwischenstop in Wien, ein weiterer Sicherheitscheck, ich kaufe eine Brezel mit Butter und Schnittlauch und bekomme eine zweite geschenkt. Wien ist wunderbar.

Nach 16 Stunden Rückreise und drei Flügen mit drei Airlines bewahrheitet sich meine Befürchtung. Das Kofferband rollt und rollt, verlassen und leer, und ich, ich bin die Einzige, die hier noch steht. Mir ist zum heulen. Nach 16 Stunden will ich nur noch nach Hause und nicht noch einmal quer durch den Airport laufen und Formulare ausfüllen. Dafür spare ich Zeit zuhause, denn eigentlich packe ich immer bei Ankunft die Koffer aus. Jetzt packe ich mich nur noch in mein Bett. Diese Reise wird als eine der chaotischen in Erinnerung bleiben. Mit Pyramiden.

Logbuch Kairo & Nil – Tag 7

09.10.2022
„Das ist Helgoland im Nil“, konstatiert P., der neben mir auf der Feluke sitzt. Ein kleiner roter Felsen mit grünem Türmchen und Möwen ist vor uns aufgetaucht, der geschickt umsegelt wird.
So geschickt sind wir nicht auf unsere Feluke gekommen; nachdem die merklich reduzierte Gruppe (mehrere Magendarm- und ein Allergiefall) eine halbe Stunde bei 40 Grad in der Sonne gewartet hat, muss ein Zubringerboot organisiert werden, da wir in einer windstillen Ecke des Nils unsere Ausgangsposition haben.

Wir klettern auf das Boot und fahren der Feluke entgegen. Akrobatisches Umsteigen mitten auf dem Nil von Boot zu Boot, aber wir sind ja mittlerweile einiges gewohnt.

Souvenirs kommen unter der Decke des Tisches zum Vorschein, die ägyptische Butterfahrt kann starten. Walter kauft ein Krokodil aus Holz, welches weit weniger spektakulär als die tote Schlange und der abgehackte Schafskopf ist, die er sonst von seinen Reisen mit nach Hause brachte. Der Österreicher ist sehr amüsant, aber die crosscultural differences machen sich bemerkbar.

Die Fahrt mit der Feluke ist schön. Auf den Besuch des Bazars verzichten Birgit, die wieder etwas fitter ist und ich, wir marschieren auf der heissen staubigen Strasse zurück zu unserem Schiff. Mein Geld habe ich P., dem freundlichen Gymnasialdirektor aus Deutschland, anvertraut, der mir Souvenire vom Bazar mitbringen wird. Da habe ich keine Schafsköpfe oder tote Schlangen zu befürchten.

Logbuch Kairo & Nil – Tag 5

07.10.2022

Um 7.30h verlässt die Gruppe das Schiff, ich mache mich auf den Weg zum Pooldeck. Eine Kanadierin im weissen Nachthemd und Zigarette bietet sich zum Plaudern an. Ein entspannter Vormittag. Um 13.00h soll das Schiff ablegen und unsere Gruppe Lunch im Bordrestaurant bekommen. Von meiner Gruppe fehlt allerdings jede Spur. Ich esse allein. Um 13.30h bewegt sich das Schiff, ich gehe zur Rezeption, um meine Gruppe als vermisst zu melden. Zum Glück war es das Schwesterschiff, das neben uns ablegte. Um 13.50h kommt die Gruppe aus dem Tal der Könige zurück; der Guide konnte wieder mal kein Ende finden, obwohl die Hälfte bereits im Bus sass und zurück zum Schiff wollte. Das Essen sei bereits abgeräumt (solche Witze mag man nach fast sieben Stunden Hitzeexkursion gern), sage ich und gehe zurück aufs Pooldeck, um beim Ablegen zuzuschauen.

Um 15.00h höre ich es tropfen; das Wasser kommt aus der Kabinendecke, über mir liegt das Pooldeck. Entwarnung vom Technikteam: vier Ägypter stehen in meiner Kabine und reparieren die Klimaanlage. Derweil sitze ich auf meinem Balkon mit dem verschnörkelten Geländer und winke den badenden Kindern zurück, während wir am palmenumsäumten Ufer des Nils entlanggleiten. Teatime auf dem Pooldeck, schöne Gespräche mit den wieder anwesenden Mitreisenden, Sonnenuntergang. Endlich kommt Tod-auf-dem-Nil-Feeling auf!

Logbuch Kairo & Nil – Tag 4

06.10.2022


Meine heutige Heldin heisst Hildegard.
Hildegard hat Fächer erstanden und schenkt mir, die ich mit knallrotem Kopf in den Seilen hänge, einen ihrer Exemplare. Über 40 Grad sind es in Luxor, wo wir in Karnak, der grössten Tempelanlage Ägyptens, die berühmten Widder-Sphinxe besuchen. Im gigantischen Säulenwald versuche ich, jedes Schattenplätzchen mitzunehmen, aber unser ägyptischer Guide kennt keine Gnade und setzt seine Erläuterungen lang und gern unter praller Sonne an.
Ich bin froh, als es wieder Richtung Bus geht und bin die Erste an Bord. Ein Nordlicht bleibt eben ein Nordlicht.

Check in auf dem Flussschiff, mit dem wir den Nil hinabgleiten werden. Ich bin begeistert: es sieht tatsächlich very british aus, wie in meinem Lieblingsfilm „Tod auf dem Nil“. „Nun brauchen wir nur noch einen Toten“, konstatiert P., der Gymnasialdirektor, der beim Lunch im Bordrestaurant neben mir sitzt. Wir haben ja noch ein paar Tage vor uns…

Zum Sonnenuntergang geht es zum Luxor-Tempel, leider sind wir zu spät losgefahren, und die Sonne ist schon weg. Das war die letzten Abende nicht anders, obwohl wir uns rückversichert haben, den Sunset vom Pool aus schauen zu können. Langsam kristallisiert sich heraus, wer unser Toter sein wird…

Da das Frühstück für morgen um 6.30h und die Abfahrt zum Tal der Könige um 7.30h angesetzt wird, beschliesse ich zum Erschrecken meiner intellekten Mitreisenden, morgen einen Pooltag einzulegen und damit einem Kollabieren unter der brennenden Sonne zu entgehen.

Logbuch Kairo & Nil – Tag 3

05.10.2022


„Jetzt stimmen wir kurz ab, die Mehrheit entscheidet, und in fünf Minuten ist das Thema erledigt“, sage ich forsch. Ewige Diskussionen sind nicht meins, vor allem nicht, wenn es um so etwas banales wie die Vorstellungsrunde geht, die unser ägyptischer Guide gern im Schatten der Ibn-Tulun-Moschee, der ältesten Moschee des Landes, durchführen möchte, einige Mitreisende dies aber als respektlos erachten. Die Mehrheit sieht das wie unser Guide und ich, wir stellen uns vor: ca. 70 Prozent der Gruppe sind Lehrer, dann folgt die Gruppe der Ärzte und Psychologen, der ein oder andere Geschäftsführer und Rentner und ich.

Wir steigen nach oben auf die Plattform der Moschee, die ohne Geländer bei uns so nie genehmigt worden wäre, aber die Aussicht über die staubigen Dächer der Chaosstadt Kairo ist toll.

Drei Mitreisende werden vergessen und müssen gesucht werden, dann geht es weiter ins Ägyptische Museum: 2,5 Stunden durch die vielen Räume mit Steinen, Schriften, Sarkophagen und Mumien. Klimaanlage Fehlanzeige, und bevor mein Kreislauf ganz den Geist aufgibt, nehme ich die FFP2-Maske ab. Wenn ich hier nicht im Gedränge infiziert werde, dann nirgendwo.

Und wieder geht es durch die Stadt, vorbei am Al Tahrir Platz und hinunter zum Nil, wo wir eine kleine Bootstour mit Picknick machen. Meine Mitreisenden sind quengelig, es ist bereits 16.00h, und die letzte Mahlzeit war das Frühstück um 7.30h. Nicht jeder (eigentlich niemand) schleppt wie ich Studentenfutter, Bananen und ein trockenes Brötchen mit sich herum; dank meiner Medikamente, die ich über den Tag verteilt nehme, bin ich essenstechnisch immer ausgerüstet. Ich bitte den Österreicher, sein Saftglas etwas sicherer auf dem Tisch zu platzieren, um weiteren Dramen um das Thema „Hose“ vorzubeugen.

Die nächsten Unruhen entstehen, als klar wird, dass es heute auch kein Abendessen geben wird und die Gruppe morgen früh in unterschiedlichen Fliegern nach Luxor sitzt. Gruppe 1 darf um 4.00h das Hotel verlassen, Gruppe 2 um 5.15h. Ich habe Glück.

Logbuch Kairo & Nil – Tag 2

04.10.2022

Ich schaue fassungslos an mir herunter. Ein Riss geht übers rechte Hosenbein, vom Knie bis hoch auf den Oberschenkel, es schaut aus wie eine klaffende Wunde, aber aus Stoff. Gestürzt bin ich nicht, ich habe mich nur einfach vor die Pyramide gekniet, und das war zuviel für meine altersschwache Hose, die mich jahrelang auf Reisen begleitet hat. Der Tag liegt noch vor uns. Ich knote eine dünne Strickjacke, die ich (vermeintlich) sinnloserweise (bei 35 Grad) im Rucksack habe, um die Hüfte, um den Riss zu kaschieren. Geht so semi.

Cheopspyramide, Sphinx, Stufenpyramide, Gräber,ein Lunch unter Bäumen in einem Garten, und irgendwann bei Sonnenuntergang zurück ins Hotel. Ein anstrengender Tag in der Hitze und ohne Schatten geht zuende, aber morgen soll es entpannter zugehen. Bestimmt tut es das, denn morgen werde ich hoffentlich mal ohne Hosenprobleme bestreiten.
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Logbuch Kairo & Nil – Tag 1

03.10.2022

Logbuch Kairo & Nil – Tag 1

Warum muss ich immer so einen Blödsinn machen? Der Wasserhahn, den ich unter der Toilette am Flughafen in Kairo entdeckt habe, ist nicht für die Spülung! Wofür der Hahn ist, ist unklar; aber das Wasser spritzt mit voller Wucht oben aufs linke Hosenbein, und das sieht so aus, wie ich nicht möchte, dass es aussieht.

Ich laufe zurück in die Halle, wo meine Reisegruppe mit meinem Koffer auf mich wartet. Was die jetzt wohl denken werden, denke ich. Gar nichts werden die denken, denn die Reisegruppe ist verschwunden, samt meinem Koffer und der Jacke. Am Ausgang winkt B.; ich laufe hinterher und springe in den Bus, wo der Guide mit meiner Jacke und dem Koffer auf mich wartet.

Auf geht‘s durch Kairo. Es herrscht Feierabendverkehr; die Strassen, eingerahmt von sandfarbenen Wolkenkratzern, sind voll von hupenden Autos. Zwischen den Hochhäusern tauchen prächtige – und heruntergekommene – Paläste auf, die von verwucherten Palmengärten umgeben sind. Baustellen und Reste abgerissener Häuser vervollständigen das Bild, das einem lauten, wilden Wirrwarr gleicht. Wir fahren an der Swimming Academy vorbei, an Moscheen und da, da ist der Nil, umrahmt von Palmen, die sich schwarz vor der untergehenden Sonne abheben.

Vorletzte Nacht bin ich um 2.30h eingeschlafen. Letzte Nacht bin ich um 4.20h aufgestanden. Und morgen geht es Punkt 8.00h zu den Pyramiden, verkündet Muhammad Ali, unser Guide. Auf in den Kampf, heisst das dann wohl!