Im Aussenbecken.

Ich finde, Du siehst genauso gut aus wie immer, sage ich zu G., auf die ich nach langer Zeit mal wieder im öffentlichen Bad gestossen bin. Sie nimmt das Badetuch zur Seite, in das sie eingehüllt war und deutet auf den Bauch. Dick sei sie geworden, und außerdem – und nun geht ihr prüfender Blick zum Spiegel – würde sie Falten im Gesicht bekommen. Vielleicht Botox, setzt sie dann hinzu, aber diese dicken Lippen fände sie ja scheusslich. Für mich biste obere Liga, stelle ich fest, und Botox, das brauche sie auch nicht. G., meine schlanke Schwimmfreundin, ist wie immer dezent geschminkt, die braunen Locken kräuseln unter ihrer Badekappe hervor, sie ist die letzten Monate nicht geschwommen, hat aber täglich Gymnastik gemacht und ist dreimal wöchentlich von zuhause aus um die Hamburger Aussenalster gewandert. Eine Strecke beträgt 16,6 Kilometer. Sie, die seit über 30 Jahren mindestens fünf mal die Woche Sport macht, sich gesund ernährt und auf sich achtet, ist mein Vorbild. G. wird nächste Woche 83 Jahre alt.

Es ist schön, mal wieder an einem Freitag Mittag zu schwimmen, wie früher. Wie früher winkt mir W1 von weitem zu, und im Aussenbecken in der Sonne sind noch weitere bekannte Gesichter auszumachen. Großes Geglitzer. Großes Glück.

Am Sonntag stoße ich auf der Trödelbahn mit einer Mittrödlerin zusammen. Wir entschuldigen uns gegenseitig, ich dachte, der Abstand wäre groß genug, sagt sie, ich antworte, dass ich vor mich hingeträumt und auch nicht richtig aufgepasst habe. Uns sei ja nichts weiter passiert, ausser, dass wir noch nett zusammen plaudern, bevor sie mich dann für die nächsten Bahnen weiträumig umschwimmt. Wieder glitzert das Wasser, wieder scheint mir die Sonne ins Gesicht, wieder möchte ich sagen, dass die Welt vor der Tür des öffentlichen Bades stehenbleibt, aber das gelingt mir heute nicht so recht. Ich denke an meine Kollegen, die auf der Flucht aus der Ukraine nach Polen und Zypern sind, vor allem aber denke ich an die Kollegen, die sich entschieden haben, in ihrer Heimat zu bleiben. Ich halte den Kontakt und frage, ob ich ihnen irgendwie helfen kann, sie würden sich melden und es mich wissen lassen, kommt als Antwort zurück, aber ich lese aus ihren Antworten, dass sie sich sehr über den mentalen Beistand freuen.

Im Gras am Beckenrand sitzen zwei Enten. So sorglos, denke ich. Und so friedlich.

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