Es ist 9.00h. Ich gehe über die Brücke und merke, wie sich mein Blick verändert. Der genaue Blick auf die Umgebung, den ich während der Erkrankung entwickelt hatte, stellt sich ein: ich nehme die kleinen graubraunen Wellen der Elbe wahr, ich sehe die Möwe, die kreischend über das Wasser fliegt, den Schatten, der sich von dem roten Klinkergebäude über den Weg legt.

Ich bin auf dem Weg in mein kleines Krankenhaus, ein Tag und ein Weg, der mich immer nachdenklich werden lässt. Genug Zeit habe ich für die Fahrt mit der U-Bahn und den anschliessenden Fussweg eingeplant; allerdings gibt es seit gestern eine Planänderung: erst muss ich ins Krankenhaus und eine Überweisung abholen, dann zu einer ausgelagerten Radiologie wandern, und eine Dreiviertelstunde später habe ich den Anschlusstermin im Krankenhaus bei meiner Ärztin.
Das könnte eventuell knapp werden, sage ich der medizinischen Assistenz, die mir die Überweisung überreicht. Sie kennen das schon, kein Problem, ist die freundliche Antwort.
Ich wandere zur Radiologie; die Mammographie ist zehn Minuten eher, ich bin erfreut, erfreut auch über das gute Ergebnis. Das geht ja schnell, sage ich zu der Radiologin. Trugschluss, hier sei jemand ausgefallen, noch fünf Patienten seien vor mir dran, bevor es dann mit Ultraschall etc. weiterginge.

Ich warte. Ich schaue auf die Uhr. Ich warte weiter. Ich fange an mich zu ärgern, dass sich das so hinzieht. Ich fange an mich zu ärgern, dass ich mich ärgere. Freuen sollte ich mich, ist doch die Mammographie schon mal gut gelaufen. Ich rufe im kleinen Krankenhaus an, dass ich hier leider festsitze und meinen Termin (der bereits vor zehn Minuten gewesen wäre), nicht einhalten kann. Ich schaue auf meine Schwimmtasche. Das kann ich auch knicken, ich schaffe es nicht mehr ins Freibad. Ich buche ein Ticket für morgen Abend, um etwas friedlicher zu werden.

Ich werde aufgerufen. Ich entkleide mich extra schnell, was bei über 80 Minuten Verspätung nun auch egal ist. Die Radiologin stellt Fragen. Ich antworte etwas genervt. Ob ich mit dem Operationsergebnis zufrieden sei? Jetzt bin ich endgültig genervt: natürlich, antworte ich. Ich stehe hier und lebe. Mein Busen war vor der Operation schön und er ist auch nach der Operation schön, aber das sage ich nicht, denn darum geht es mir nicht, wenn ich mit einer todbringenden Krankheit konfrontiert werde. Die Assistenz kommt in den Raum, das kleine Krankenhaus sei am Telefon, wo denn Patientin A. bliebe? Die sitze hier halbnackt auf der Liege, antworte ich, die Radiologin ergänzt, dass diese in fünfzehn Minuten fertig sei.

Das Ultraschall fällt ebenfalls gut aus. Genauso der Tastbefund. Ich könne den Arztbrief gleich mit ins Krankenhaus nehmen. Wenigstens etwas. Ich ärgere mich am meisten über mich selbst. Freuen sollte ich mich und mich nicht wegen 80 Minuten, einem verpatzten Anschlusstermin und einen Freibadbesuch grämen.

Ich laufe nach draussen, mittlerweile ist es schon Mittagszeit, ich nehme auf dem Weg meine Tamoxifen, trinke und esse etwas (ich bin zum Glück immer mit Proviant ausgestattet) und marschiere in mein Krankenhaus.
Da sind Sie ja wieder, werde ich freundlich begrüsst. Ich warte drei Minuten im Wartezimmer, dann darf ich zur Ärztin. Profis eben. Wir gehen meine Medikamente durch, dann Sport und Ernährung und unterhalten uns über das Schwimmen, zu dem ich nun trotz gepackter Tasche nicht mehr gehen kann. Die Untersuchungen verlaufen gut. Alles ok. In sechs Monaten sehen wir uns wieder.

Ich verlasse das Gebäude und atme tief durch. Jetzt darf ich machen, was ich will, ich habe schliesslich frei genommen. Wenn ich nicht schwimmen kann, dann will ich an die Elbe. Und einen Sekt trinken. Auf mich. Auf
4 Jahre, 5 Monate und 16 Tage geschenkte, krebsfreie Zusatzzeit.

14 Gedanken zu “07.09.2021

  1. Herzlichen Glückwunsch, ich freue mich sehr für dich.
    Ich bin auch immer froh, wenn alle Ergebnisse gut sind.
    Meine Blutuntersuchung letztens war sauber, morgen bin ich mit der Sono dran.
    Ich mache mir da aber keinen Kopf. Alles wird gut.
    Liebe Grüße und alles Gute dir. *wink*

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