Tag 10

Seit vier Wochen liegt der Mount Everest verborgen hinter den Wolken, so die Tibeter.

Trotzdem bin ich mir sicher, dass wir den Bergriesen heute sehen werden.

Meine Mitreisenden sind sich nicht so sicher, da es die letzten Tage oft grau und verregnet war. Allerdings haben sie auch gemerkt, daß ich nicht der große Klosterfreund bin, dafür aber einiges über den Everest weiß und mit Enthusiasmus auf das heutige Ereignis verweise.

Die erste Passhöhe auf 5200m bietet eine atemberaubende Sicht auf die Kette der 8000er. Nur ein Berg versteckt sich hinter einer grauen Wolkenschicht. Wir warten. Die Wolken bewegen sich. Der tibetische Reiseleiter mahnt zum Aufbruch, wir wollen aber bleiben und die Wolken beobachten. Nur noch zwei Minuten. Oder drei. Und dann geschieht das grössere Wunder: die Wolken brechen auf; der Everest erscheint in seiner ganzen Schönheit. Wir stehen da und staunen.

Wir fahren weiter, dem Everest entgegen, der, inmitten der anderen Berge, wie ein Monument vor uns steht.

Im Basecamp stehe ich vor dem Berg, über den ich so viel gelesen habe.

Im Basecamp erinnere ich mich daran, dass mein erster Gedanke, der mir bei der Diagnose Krebs in den Sinn kam, war, daß ich nun nicht zum Everest gereist bin.

Im Basecamp schreibe ich eine Karte an meinen Lieblingsschriftsteller Thomas Glavinic und bedanke mich für sein Everest-Buch ‚das grössere Wunder‘. Denn genau das ist es, was heute passiert ist, es ist mein grösseres Wunder: ich stehe vorm Everest.

14 Gedanken zu “8.8.2018

  1. »Im Basecamp erinnere ich mich daran, dass mein erster Gedanke, der mir bei der Diagnose Krebs in den Sinn kam, war, daß ich nun nicht zum Everest gereist bin.« GÄNSEHAUT! Das hast du jetzt geändert. Ich gratuliere dir von tiefstem Herzen!

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