Antarktis. Tag 2

Ich wache auf. Es ist Nacht, meine Kabinengenossinnen, Y. aus Israel und J. aus Kalifornien, schlafen. Es stürmt heftig, während wir die Drakepassage durchqueren. Die Kabinenwände knarren, zwei Flaschen rollen über den Boden, Schubladen gehen auf und zu, das Schiff scheint auf Wellen zu schweben um dann immer wieder in die Tiefe des Meeres zu stürzen. Ich taste mich vorsichtig aus dem Bett und sichere die Flaschen.

„Especially the bathroom door is evil“, sagte die Expeditionsleiterin im Briefing. Das stimmt, die Tür fliegt mir sofort aus der Hand, als ich sie öffne. „Eine Hand immer am Schiff“, auch das ist ein guter Tipp, da man von einer Seite auf die andere geschleudert wird. Um 5.00h nehme ich die zweite Reisetablette, um 8.00h gehe ich in den Frühstücksraum.

Die Flure sind den Wänden entlang mit Spucktüten bestückt.

Der Frühstücksraum erinnert an ein Chinarestaurant; auf den Tischen stehen chinesische Flaggen, an den Decken und Fenstern hängen rot-gelbe Lampions. Nur von den Chinesen fehlt jede Spur. Alle seekrank, konstatiert der Kellner.

Mit 14 anderen Gästen nehme ich am Zodiac-Briefing teil, das eine Pflichtveranstaltung ist. Aufgrund der Tatsache, dass die anderen 93 Gäste flachliegen, muss es morgen wiederholt werden.

Vor den Fenstern türmen sich meterhohe Wellen, ein Albatros fliegt vorbei. Ich gehe auf Deck 5 nach draussen, die anderen Decks wurden aus Sicherheitsgründen gesperrt. Dort treffe ich R. aus der Schweiz und L. aus China, der uns die Vögel, die hier vorbeifliegen, erklärt. Die Luft ist kalt, wir halten uns an den Wänden fest.

Das Mittagessen lasse ich ausfallen, nehme die nächste Reisetablette und lege mich ins Bett, meinen jungen Zimmernachbarinnen geht es schlecht und frequentieren das Bad.

Um 15.00h beschliesse ich, einen weiteren Rundgang zu machen. In der Kabine gegenüber, in der drei ältere California Girls untergebracht waren, wird das Fenster gesichert und zugenagelt. Ich hangele mich an den Wänden entlang. Crewmember stehen an jeder Ecke, Gäste sind kaum zu sehen. Dafür haben sich die Spucktüten grosser Beliebtheit erfreut. Sie sind fast alle verschwunden.

Später verbringe ich den Nachmittag mit einem Kanadier und einem Schweizer in der Club Lounge, wir plaudern stundenlang, den Horizont fest im Blick. Zwischendurch trinken wir Tee und knabbern Kekse, was anderes kann man bei dem Sturm auch nicht tun. Wir seien die einzigen Gäste, die noch so fröhlich sind, stellt die Meeresbiologin fest.

Das ändert sich beim Dinner im Restaurant, die Luken sind geschlossen, die Gläser kippen von den Tischen. Ich schnappe meinen Teller und wanke zurück in die Club Lounge. Mit Blick auf den Horizont geht es mir besser. Noch bin ich ohne Spucktüte ausgekommen.

9 Gedanken zu “26.11.2017

  1. Oh, wie habe ich auf deinen Bericht gewartet! Und das Warten hat sich gelohnt. Du nimmst einen mit auf das Schiff, in die Kabine, zu den anderen Reisenden… man sieht vor sich die meterhohen Wellen, spürt den Seegang! Hautnah ist man dabei, und (zum Glück…) dann doch nicht…
    Gespannt bin ich auf das nächste Posting!
    Liebe Grüße!

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    1. ❤️ danke für Dein schönes Feedback, freut mich sehr, dass Dir mein Bericht gefällt. Morgen folgt der nächste Teil. LG aus Ushuaia (in der Antarktis gabs kein Internet – hab an Bord geschrieben, poste aber nun leicht zeitversetzt)

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  2. Wow, cool! Ich liebe Schiffe! Ich bin froh, dass es dir gut geht und du noch nicht spucken musstest. Gut, hast du die Reisetabletten dabei 🙂 . Ich wünsche dir weiterhin viel Spass bei deinem Abendteuer!

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