Unterwegs.
Da ist Schwindel und entsetzliche Übelkeit von dem vielen geschluckten Salzwasser. Dann und wann ist jemand bei mir und flößt mir Wasser ein. Süßwasser. Köstliches, kühles, reines Wasser.
Lucien Deprijck „Die Inseln, auf denen ich strande“
Am Donnerstag habe ich den vorerst letzten meiner vielen Arzttermine. Die Humangenetiker hatten bei ihren Untersuchungen als „Beifang“ ein defektes Darm-Gen – NTHL1 – gefunden, welches das Darmkrebsrisiko erhöhen kann. Genaues könne man nicht sagen, die Forschung sei noch nicht soweit und mein Gen-Fehler in keiner Literatur verzeichnet. In drei Jahren könne ich wieder vorstellig werden, vielleicht sei die Forschung dann weiter. Ich lasse mich zum Gastroenterologen überweisen, der bei der Darmspiegelung einen Polyp findet und entfernt. Dank des Schlafmittels Propofol, an dem Michael Jackson gestorben ist, bekomme ich von der Aktion gar nichts mit, nach zwei Sekunden schlafe ich tief und fest. Und traumlos.
Nur die Einnahme der Lösung, den zweiten Teil um 4.15h morgens in der Früh, hat mich an meine Grenzen gebracht; nächstes Mal bekomme ich eine andere, sagt Dr. V., denn ich solle aufgrund meiner Vorbefunde alle zwei Jahre wiederkommen.
Auch die Nachsorge beim Augenarzt, zu dem ich wegen potentieller Nebenwirkungen meiner Medikamente regelmässig hingehen muss, verläuft unspektakulär, ich schiesse wieder auf grüne Punkte und wähne mich in einem Action-Spiel.
Dr. B., meinen neuen Gyn im Krankenhaus, suche ich am Dienstag auf; sie ist genauso angetan von meinem jetzigen Zustand wie die Strahlenärztin, und auch ich bin beeindruckt, wie mein Busen sich in seine Ursprungsform zurückverwandelt. Als sei nichts gewesen.
Zuhause Papierkram, Ablage und Briefverkehr mit Krankenkasse und Rentenversicherung, die mir den nächsten Schwung an Formularen schickt und dem Sanatorium, das noch Euro 4,95 von mir möchte. Ich fülle eine Überweisung aus und gehe zur Bank.
Und dann ist es wieder Zeit für eine Fahrt mit der Fähre. Die Traurigkeit scheint nicht mehr auf mich zu warten und das Schiff verlassen zu haben. Das ist gut, denn ich fahre gerne mit der Fähre und bin erleichtert, dass der Trigger fort ist. Das Erlebnis, weinend allein auf der Fähre im Regen zu stehen, nachdem ich krankgeschrieben wurde, hatte sich tief in mich eingegraben.
Der andere Trigger ist präsent: ich schaue in den blauen Himmel und sehe dort das Blau deiner Augen, liebe T., und denke an Deine letzten Worte, die du an mich gerichtet hast: ich drücke Dich ganz doll aus der Ferne.
Nächsten Freitag ist Deine Beerdigung. Ich weiß nicht, ob ich es schaffe, zu kommen. Ich würde dich gern verabschieden, habe aber Bedenken, ob ich stark genug bin für die unmittelbare Konfrontation mit dem Tod und der Endlichkeit – Themen, die mich seit Beginn des Dramas begleiten. Lieber schaue ich in den blauen Himmel, fühle mich dir nah und lächele nach oben.
Jetzt ist der Himmel dunkel, das Unwetter kommt näher. Die Elbe ist grau und wird vom Sturm getrieben, das Glitzern ist fort. Der Regen setzt ein.
Es ist so schön, wie du schreibst: »Lieber schaue ich in den blauen Himmel, fühle mich dir nah und lächele nach oben.« Es geht nicht darum, dass man sich vor den anderen präsentiert und in aller Öffentlichkeit Abschied nimmt. Und es ist besonders wichtig, das Gute und die schönen Momente des gemeinsamen Lebens in Erinnerung zu behalten. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das bei Beerdigungen/Trauermessen/Beisetzungen machmal schwierig sein kann, wenn viele Menschen weinen. Da sind dann zu viele »Trauer-Schwingungen« in der Luft! 😉
Mein Psychoonkologe hat mir in der Zeit nach der Krebsdiagnose gesagt, dass ich mich »mit dem Tod anfreunden« soll. Nicht, dass er meint, ich würde in absehbarer Zukunft sterben. Sondern, dass der Tod von seiner faulen Haut runterkommt, aktiv wird, und den Tumor absterben lässt. Das war damals eine sehr heilsame Metapher. Ich hab mich dann in der Tat viel mit dem Thema Tod und Sterben beschäftigt und zur selben Zeit ist mein Großvater gestorben. Durch die bereits davor erledigte Trauerarbeit konnte ich darin die Erlösung für meinen Opa sehen und es war gar nicht schlimm.
Vielleicht hilft dir diese Metapher ja auch! 😊 (Auch wenn du gerade in einer anderen Phase bist, das weiß ich natürlich.)
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DAS hast Du jetzt aber sehr schön geschrieben 💛 lieben Dank!
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Danke vielmals, gern geschehen! 🙂
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