Unterwegs.

So übe ich die Bewegung vorwärts und rückwärts, der Rücken lockert sich, ich schwitze, halte das Holz fest im Griff, eine winzige Drehung des Handgelenks genügt, um es aus den Fingern gleiten zu lassen. Nach einer Weile sehe ich, dass die Rechte breiter ist als die Linke, ich wechsele die Hand. So holt ein Teil des Körpers den anderen ein, gleicht Schnelligkeit, Kraft und Müdigkeit aus.
Erri De Luca, Ich bin da

Bei schönem Wetter, so schrieb mein Lehrer, findet Taiji immer im Hinterhof-Garten statt, einfach in das Haus gehen, weiter geradeaus durch und dann in den Garten.

Es ist 18.30 Uhr, das Thermometer liegt bei 8 Grad, der Regen hängt in einer dunklen Wolke am Himmel fest; für meinen Lehrer ist das schönes Wetter.
Ich gehe durch die offene Eingangstür des weißen Altbaus, das in der Schröderstiftstraße liegt, durchquere einen langen Flur und lande in einer unaufgeräumten Küche, in die ich als Fremde irgendwie nicht hineingehöre. Hinter der Küche liegt ein wilder verwunschener Garten mit großen Bäumen, Tannen und Blumen. Im hohen Gras steht eine kleine Gruppe von Taiji-Schülern, man freut sich, mich zu sehen, ich stelle mich dazu. Wir praktizieren Seidenübungen, bevor wir die 19er-Form laufen. Wie immer bin ich der einzige Anfänger in der Gruppe und spätestens, als es heisst: „Die Jadefrau wirft das Weberschiffchen„, bin ich raus. Das macht nichts, ich bin glücklich, hier in diesem wilden Garten zu sein, zwischen meinen Mitschülern und – statt sich auf die riesige düstere Wolkenfront zu konzentrieren, die 19er-Form zu laufen. Nach einer Stunde gehe ich und mache mich auf den Heimweg. Es war anstrengend – die Strahlentherapie nimmt mich physisch und psychisch mehr mit als gedacht – aber ein Schritt zurück in meine Welt.

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